epilog, DIE LETZTE REISE.
EPILOG.
Die Vergangenheit wurde
bereits geschrieben.
Die Tinte ist trocken.
GEORGE R. R. MARTIN
24. April 1982
DER WIND ZERRT AN SEINEM UMHANG. Schwarz, wie eigentlich alle seiner Umhänge. Schlicht, fast mittelständig, wie nur selten an Lucius Malfoy zu sehen.
Der vermeintliche Frühling ist an diesem Tag nirgends zu erkennen. Die eisige Brise, die weht, lässt Lucius Schritte schneller werden.
Vor fünf Tagen hatte sich Eden's Todestag gejährt. Vor drei Jahren war sie gestorben. Etwas hatte den gesamten Tag an Lucius genagt, bis er am Abend das Datum gesehen hatte. Wie eine eisige Faust hatte es ihm den Atem gestohlen. Am nächsten Tag hatte er sich eingeredet, dass es ihm nichts ausmachen würde. Die letzten zwei Jahre waren auch vergangen, ohne dass er einen Wirbel um den Tag gemacht hatte. Doch auch zwei Tage später lässt es ihn nicht los.
Vielleicht ist es, weil endlich Frieden herrscht. Der Dunkle Lord war vor einigen Monaten gefallen. Lucius erinnert sich an den exakten Moment, an dem er erfahren hatte, dass Harry Potter ihn besiegt hatte. Irgendwie. Sein erster und einziger Gedanke war Eden gewesen. Hierfür war sie gestorben. Irgendwann später kam Regulus und die Erkenntnis, was der Tod des Dunklen Lords für Lucius und seine Familie bedeuten würde. Doch dies kam alles später, erst kam Eden und das Opfer, was sie gebracht hatte.
Am dritten Tag wird Lucius rastlos. Er kann sich nicht mehr konzentrieren, jegliche Gedanken werden verschluckt. Am vierten Tag verlässt kein Wort seinen Mund. Am fünften Tag macht er sich auf den Weg zum Black Anwesen.
Grimmauldplatz Nr. 12 ist ein trostloser Ort. Doch Lucius verschenkt keine Zeit mit Melancholie, selbst wenn er nicht weiß, wonach er sucht.
Es ist einige Jahre her, seitdem er hier war. Aber als er nun, so lange nach Regulus Tod, durch die Korridore streift, kommt es Lucius vor wie gestern. Walburga war kurz nach ihrem Sohn gestorben — vermutlich vor Scham, dass auch ihr letztes Kind ihre eisernen Prinzipien verraten hatte. Die Treppe quietscht unter seinen Füßen und um ihn herum wirbelt Staub auf. Lucius unterdrückt ein Husten, als er langsam die Tür zu Regulus Zimmer öffnet. Er hatte bis zu seinem Tod hier gelebt und Lucius hofft, irgendetwas zu finden, was seine innerliche Unruhe stillen würde.
Zögerlich sieht er sich um. Er war noch nie hier gewesen und es fühlt sich an, als würde er Regulus' Frieden stören. Lucius schüttelt bei dem Gedanken genervt über seine eigene Zaghaftigkeit den Kopf. Unsinn.
Das Zimmer ist ordentlich und es scheint, als hätte es seit langer Zeit niemand mehr betreten. Das Familienwappen der Blacks ist detailgetreu über dem Bett gemalt. Lucius kann sich nicht dazu bringen, durch Regulus' Sachen zu stöbern. Es fühlt sich falsch an. Er sieht sich ein letztes Mal um und schließt dann die Tür hinter sich.
Das Zimmer seines Bruders ist das genaue Gegenteil. Auch hier liegt eine dicke Staubschicht auf den Möbeln, aber von Ordnung kann nicht die Rede sein. Eine Spinnwebe spannt sich zwischen dem Kronleuchter und der Oberkante eines großen Holzschrankes und die Wände sind mit so vielen Postern bepflastert, dass nur noch wenig von der grauen Seidentapete zu sehen ist. Verschiedene Gryffindorbanner in ausgeblichenem Scharlachrot und Gold sowie Bilder von Muggelmotorrädern und Mädchen in knappen Bikinis verzieren die Wände. Was mache ich hier? fragt er sich nicht zum ersten Mal.
Lucius blickt auf dem Fußboden umher. Ein Lichtstrahl lässt einzelne Papierfetzen erkennen, Bücher und Schreibfedern, die auf dem Teppich verstreut liegen. Ein zerbrochenes Tintenfass hat einen dunklen Fleck hinterlassen.
Lucius wirft die dicken Samtvorhänge vor den Fenstern auseinander und gleißendes Licht erleuchtet das Zimmer. Auf dem Schreibtisch liegen halb zerfallene Pergament und Briefe verstreut — nur ein weiteres, unnützes Stückchen Vergangenheit. Dazwischen versteckt sind Fotografien. Rücksichtslos wischt er die Bilder zusammen und setzt sich mit dem kleinen Stapel auf das geschnitzte Holzbett.
Auf vielen ist Sirius mit James Potter oder den anderen zwei Rumtreibern abgebildet. Es sind einige dabei auf denen die ganze Gruppe in die Kamera lächelt.
Es ist ein komisches Gefühl. Lucius hat Eden schon so lange nicht mehr gesehen. Sie verblasst mit der Zeit — ihre Stimme, ihr Lachen, ihre Augen. Einzig und allein verschwommene Momente sind übrig. Sie ist nichts mehr, als eine zarte Erinnerung, welche die Zeit verblassen lässt.
Was er dafür tun würde, sie wiederzusehen, ihr Lächeln zu erhaschen. Fotos sind ein schwacher Trost, aber dennoch ein Trost.
Lucius möchte sich nicht erinnern, aber gegen den Strom von Erinnerungen, die er so lange vehement unterdrückt hat, kann er sich nicht wehren.
Er erinnert sich an ihren Grabstein. Lucius war nicht zu ihrer Beerdigung gekommen, wissend, dass er nicht erwünscht gewesen wäre. Aber einige Tage später hatte er ihr Grab besucht, versteckt mit Hilfe eines Unsichtbarkeitszaubers. Er erinnert sich an das wilde Klopfen seines Herzens, als er ihren Namen gelesen hatte. Eden Lyanna Stark. In dem Moment war Lucius endlich bewusst geworden, dass sie tatsächlich und wirklich gestorben war.
Er erinnert sich auch an andere Sachen: er erinnert sich an die Panik und an den letzten Blick zurück, bevor er appariert war. Eden's schmerzverzogenes Gesicht, ihre angsterfüllten Augen und die Art, wie sie ihn angesehen hatte. Lucius hatte sie nie wieder gesehen.
Und er erinnert sich noch weiter zurück: all die Jahre mit den Todessern, all die Jahre in Hogwarts mit seinen Freunden, all die Jahre zuvor.
Lucius sind Schmerz und Tod nicht fremd. Doch er hat keine Erinnerungen wie diese. Er erinnert sich an nichts, was je so geschmerzt hat.
Er blättert weiter.
Lucius erkennt die Menschen auf dem nächsten Foto als die Mitglieder des Orden des Phönix. So vollständig wie sie noch sind, muss es am Anfang des Krieges aufgenommen worden sein. Nicht einmal die Hälfte sind noch am Leben. Eden strahlt und hat einen Arm um die Schulter von Lily Evans gelegt. Lucius fährt sich frustriert durch die Haare.
Warum hat sie sich ihnen angeschlossen? fragt er sich wieder und wieder. Doch er kennt die Antwort. Mit Draco auf der Welt versteht Lucius endlich was es bedeutet, jemanden so sehr zu lieben, dass man für denjenigen sterben würde. Und Eden hatte ihre Liebe so großzügig verschenkt, es gab so viele, die sie geliebt hatte. All ihre Freunde, für die sie gestorben ist — die Schar an Schlammblütern und Blutsverrätern und Halbblütern. Doch wäre sie nicht auch für ihn selbst gestorben, und für Regulus? Vermutlich.
Eden hatte ein gutes Herz. Der Gedanke schmerzt, wo er doch weiß, dass er selbst sie auch getötet hat. Sie alle haben sie getötet. Lily Evans, Remus Lupin, James Potter und Sirius Black, weil sie Eden nicht davon abgehalten hatten, für etwas zu kämpfen, was sie im Grunde nichts anging. Eden hätte sich den Dunklen Lord nicht zum Feind machen müssen. Sie hätte ein gutes Leben führen können. Regulus hatte sie getötet indem er selbst als Verräter gestorben war. Aber das sind alles Ausreden. Denn er, Lucius Malfoy, war es gewesen, der sich mit ihr duelliert hatte, er war es gewesen, der sie verletzt hatte, er war es gewesen, der geflohen war wie ein Feigling, als sie starb.
Einige seiner ersten Erinnerungen sind mit Eden. Ihre Mütter haben sie zusammen ausgetragen. Sie wurden nur einige Tage auseinander geboren. Sie haben ihre Kindheit miteinander verbracht. Seine liebste Erinnerung von Eden ist ihr gemeinsamer Tanz am Abschlussball. Sie hatte so wunderschön ausgesehen und ihn angelächelt, als wäre er etwas besonderes. Lucius hatte sich nie etwas vorgemacht, aber es war schön gewesen mit ihr zu tanzen und zu reden und zu lachen. Sie waren Freunde, einst. Achtzehn Jahre nachdem sie geboren wurden, ist es Lucius, der sie tötet. Selbst wenn es nicht sein eigener Fluch war, der sie traf.
In einem anderen Leben hätten sie sich beide anders entschieden. In einem anderen Leben wäre sie noch hier. Doch das macht keinen Unterschied mehr. Eden ist fort.
Lucius blättert weiter. Es sind Bilder von Sirius mit James Potter, von Sirius mit Remus Lupin und dann endlich —
Ein Foto von Eden allein. Der Gryffindor Gemeinschaftsraum erstrahlt durch den Blitz rot im Hintergrund, als sie erst überrascht von ihrem Buch aufsieht, die Augenbrauen zusammenzieht und dann anfängt zu lächeln. Lucius steckt es in seinen Umhang und lässt die restlichen Fotos wieder unter einem Stapel Muggelzeitschriften verschwinden. Er nimmt sich vor, nun zu gehen, doch seine Beine tragen ihn wie von allein weiter den Korridor entlang zu einer angelehnten Tür. Sie quietscht in den Angeln, als er sie weiter öffnet. Er war oft genug zu Besuch, um zu wissen was hinter der Tür auf ihn warten würde.
Die Tapete an den Wänden ist verblasst und sieht aus, als hätten Doxys an einigen Stellen versucht, sie zu fressen. Nichtsdestotrotz, das goldene Garn, mit dem es kunstvoll bestickt ist, funkelt hell genug, um den Familienstammbaum zu erkennen, der bis ins Mittelalter zurückreicht.
Das fürnehme und gar alte Haus der Blacks, ist in den Teppich gestickt. Lucius schmunzelt hämisch, als er die Gesichter nach und nach betrachtet. Sie haben so viel von sich gehalten und nun sind sie alle fort, fährt es ihm durch den Kopf. Eine weitere Reinblüterfamilie wurde ausgelöscht.
Seine Augen finden den rußschwarzen Brandfleck, an dem Sirius Blacks Gesicht einst abgebildet war. Für einen Moment erinnert er sich an dessen überhebliches Grinsen und fragt sich, ob er es in Askaban schon für die Ewigkeit verloren hat. Dann fegt Lucius den Gedanken fort. Er ist schlicht und ergreifend kein sentimentaler Mensch. Sirius Schicksal ist ihm gleichgültig, auch wenn er natürlich weiß, dass er gänzlich unschuldig ist. Er wäre lieber gestorben als James und Lily zu verraten. Nein, diese Rolle hatte Peter Pettigrew übernommen.
Regulus ist noch immer so lebhaft in seinen Erinnerungen, dass Lucius sich bei dessen reglosen Anblick unwohl fühlt. Verrat oder nicht, Regulus war sein Freund gewesen. Auf seine eigene Art und Weise hatte Lucius ihn geliebt.
Neben Regulus ist Eden abgebildet. Mit einem feinen Zweig ist sie mit ihm verbunden, das Zeichen der Heirat.
Lucius hat das Gefühl, als würden ihre stechend grünen Augen ihn mustern, ihn richten.
Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Es ist lächerlich, schließlich kann sie ihn nicht hören, doch es beruhig Lucius auf eine merkwürdige Art und Weise. Er konnte es ihr im Leben nie sagen, also versucht er es im Tod. Ich habe auf Noah aufgepasst. Es war das letzte, was ich für dich tun konnte.
Er holt ihr Bild aus seinem Reiseumhang und betrachtet es erneut. Diese Eden gefällt ihm besser, als jene auf dem Wandteppich. Sie sieht glücklich aus und so möchte Lucius sich an sie erinnern.
Hunderte von Malfoygenerationen haben in Malfoy Manor gelebt und sind dort verstorben und das Haus hat sie nie vergessen. Irgendwo wird es dort einen Ort für dich geben, verspricht er ihr in Gedanken. Einen Ort, an dem es noch jemanden gibt, der sich an dich erinnern kann.
Das Haus ist in Schatten getaucht, dunkel und trist, doch als Lucius durch die Tür ins Freie tritt, scheint die Sonne auf ihn herab.
Kurz schließt er die Augen, das Gesicht dem Himmel zugewandt. In seinen Erinnerungen lächelt Eden und sie tanzen.
D A S E N D E.
Wie alt man geworden ist,
sieht man an den Gesichtern
derer, die man jung gekannt hat.
HEINRICH BÖLL
JENSEITS VON EDEN.
Ufff... das war's. Eigentlich hatte ich ein ganz anderes Kapitel schon geschrieben, in dem es Harry ist, der nach dem Krieg noch einmal Grimmauldplatz besucht und dabei die Fotos findet. Daraufhin sucht er Minerva McGonagall auf, die ihm ein wenig erzählt. Aber ich fand es so schöner, da Lucius eine besondere Verbindung mit ihr hatte. Ich hoffe es hat euch gefallen.
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