das letzte kapitel, DER TOD KLOPFT AN DIE TÜR.
DER TOD KLOPFT AN DIE TÜR
oder
DAS ENDE.
Irgendwo gibt es ein
paralleles Universum, in
dem dies alles nicht geschehen
ist, wo du bei mir bist und ich
bei dir und wo auch immer
dieses Universum ist;
dort lebt mein Herz.
COMET
10. Januar 1982
ES IST DUNKEL UND KALT. Es ist immer dunkel und kalt, doch heute erscheint es ihm besonders schrecklich. Die unerträgliche Kälte kriecht ihm die nackten Arme herauf und seine Hände zittern. Man könnte meinen, dass Sirius Black sich nach fast einem Jahr an das beklemmende Gefühl, das aus den Mauern von Askaban zu sickern scheint, gewöhnt hat. Dem ist nicht so.
Zeit. Sie verrinnt wie Sand zwischen den Fingerspitzen. Sekunden, Minuten, Stunden vergehen, doch die Dunkelheit und Kälte bleiben. Sie sind das einzig beständige an diesem grausamen Ort.
Die Vergangenheit schlägt in ihm, wie ein zweites Herz. Sirius versucht nicht oft an vergangene Tage zu denken, aus Angst, die Dementoren könnten ihm auch diese wegnehmen und sie in etwas verdorbenes verwandeln. Doch manchmal, wenn er seinen Gedanken freien Lauf lässt, stoßen diese in die tiefsten Winkel seiner Seele hervor und dann verpasst ihm eine Erinnerung einen Stich. Ein Name würde auftauchen, ein Name an den er sich lange nicht mehr erinnert hat und manchmal, wenn er sich selbst besonders quälen will, kommt sogar ein kleines Bild, ein Ausschnitt, dazu und er ist sich nicht sicher, ob dies wirklich sein Leben gewesen war, voller Lachen und Freude, statt Dunkelheit und Furcht.
James.
Das Blut seines einstigen besten Freundes färbte die Treppe dunkelrot und innerhalb weniger Stunden änderte sich Sirius Leben durch ein einzelnes Wort, durch einen einzelnen Schwung mit dem Zauberstab. Er war sein Bruder gewesen. Sirius benutzt die stetig präsente Angst, um den Namen aus seinem Kopf zu verdrängen, doch die Schatten seiner Vergangenheit lassen ihm keine Ruhe und klammern sich an sein Bewusstsein. Remus. Lily. Regulus.
Und mit seinem Bruder, der ihn auch verlassen hat — sein toter Bruder, den er immer geliebt hat, was auch immer geschehen war — kommt der schlimmste Name von allen.
Eden.
Nur selten erlaubt Sirius sich, an ihre hellen Augen zu denken. Er würde es nicht überleben, wenn man sie ihm noch einmal nimmt.
Sie sind alle tot. Die Wahrheit ist etwas kaltes und schweres, das ihn erdrückt — ein Stein in seiner Brust, wo sein Herz einst schlug. Er fragt sich, wie er jemals der Junge war, der mit seinen Freunden die Korridore in Hogwarts durchschritt, lachend. Es erscheint ihm, als wären währenddessen Jahrzehnte vergangen, seine Jugend nichts mehr als ein halb vergessener Traum. Doch der Schmerz, der in ihm lebt, zeigt ihm, dass sie alle echt gewesen waren, dass sie alle gelebt hatten — einst.
Ich werde sie nie wieder sehen, erschlägt es Sirius, unfähig, der Sehnsucht zu entkommen, die in ihm aufkommt und selbst seine Furcht verdrängt. Er hat keinen Namen für dieses verlorene Gefühl, das in ihm wohnt. Es ist eine Sehnsucht nach etwas längst Vergangenem — eine Erinnerung der Kindheit oder der Geruch von Zuhause.
Ich bin allein auf der Welt. Irgendwo ist noch Remus, aber selbst er ist nichts mehr als ein Schatten, ein Geist, der zu Asche zerfällt, sobald Sirius versucht, ihn heraufzubeschwören.
Wir waren gute Menschen, oder nicht? fragt Sirius sich oft. Wir haben allesamt Sünden begangen, mit Sicherheit, doch ist das genug für diese Hölle? Diesen Schmerz?
Aber würde er die Dementoren nicht in seine Zelle einladen, um ein letztes Mal James Grinsen zu erhaschen und Eden in seinen Armen zu haben? Ohja. Er würde sich mit Lord Voldemort persönlich duellieren, den Cruciatusfluch ertragen und ein Leben in Askaban verbringen, um sie wiederzusehen. Doch sie kehren nicht zurück. Sie werden es nie wieder. Sirius bleibt einzig die Trauer, welche in seinem Herzen liegt, an dem die Liebe für seine Freunde einst war, unergründlich und dickflüssig wie Honig. Es sickert durch den Spalt, den erst Edens Tod und dann Peters Verrat hinterlassen hatten.
Selbst während Krieg geherrscht hatte, war Sirius immer davon ausgegangen, dass sie zusammen alt werden würden. Es war eine naive Annahme gewesen. Doch viel schlimmer als das Platzen seines Traumes war der Moment gewesen, als er verstanden hatte, dass es Peter gewesen war, der sie verraten hatte. Neun Jahre nachdem sie sich im Zug nach Hogwarts kennengelernt hatten, zerstört Peter ihr aller Leben.
Er, den Sirius geliebt hatte wie einen Bruder. Er, für den Sirius gemordet hätte. Er, für den Sirius gestorben wäre.
Mit der Zeit verblassen sie — ihre Stimmen, ihr Lachen, ihre Gesichter. Es bleiben nur Eindrücke, einfache Farben und Gefühle, wie Sand, der Zentimeter für Zentimeter vom Meer verschluckt wird.
Manchmal, wenn es besonders lange her ist, hört er ihre Stimme in seinem Kopf, als würde sie tatsächlich mit ihm sprechen. Hast du uns vergessen? würde sie ihn fragen, mit kalter Stimme, nicht so, wie sie in Wahrheit geklungen hatte. Er schüttelt dann wild den Kopf und murmelt leise vor sich hin. Nein. Niemals.
Ein Flüstern in den Ohren. Aber du hast es versucht.
Das stimmt. Erinnern schmerzt.
Doch heute gestattet er sich die Erinnerung, wie er sie manchmal Lya genannt hatte. Er erinnert sich an James verschmitztes Grinsen und die schiefe Brille. Er erinnert sich an Lily und ihr feuerrotes Haar und an Remus, der sie alle auf seine ruhige, fast schüchterne Art geliebt hatte. Er erinnert sich daran, wie glücklich sie waren, einander zu haben. Damals hatte Sirius noch nicht gewusst wie nah manchmal der größte Schmerz und das größte Glück beieinander liegen.
Er erinnert sich auch an Edens Beerdigung, an einem schönen Sonntag im September, in einer kleinen Stadt in Norwegen. Der erste Schnee war ein paar Tagen vorher gefallen und man hörte ihn noch immer unter den Schuhsolen knirschen. Die Sonne schien zwar am Himmel, doch um sie herum gedeihte keine einzige Blume mehr. Sirius hatte sich vorstellen können, wie sie in dem Sarg aus dunklem Holz lag — die Hände gefaltet, die Augen geschlossen. Blumen waren aus dem Nichts gesprossen und hatten sich an dem Grab hochgerankt, bis sie es letztendlich überwucherten und mit in die Erde zogen.
Die Augen ihrer Eltern waren unendlich traurig gewesen, als sie ihm die Hand gereicht hatten. Vielleicht sahen sie in ihm das Leben, welches Eden hätte führen können, wenn sie es nicht so kontrolliert hätten. Der Gedanke schmerzte damals nicht aus Mitleid, sondern weil es dem, was Sirius dachte, verdächtig ähnlich kam.
Am Ende waren nur er selbst und Albus Dumbledore übrig geblieben, welcher ihn mit sorgenvoller Miene betrachtet hatte. Sirius war es gewesen, der das Schweigen durchbrochen hatte. „Ich bin der Spross einer der mächtigsten Zaubererfamilien, doch ich konnte sie nicht retten. Was bringt einem Macht, wenn man die Menschen, die man liebt, nicht retten kann?" hatte er gefragt, auf der verzweifelten Suche nach etwas anderem als Schmerz.
„Wir können weiterkämpfen, sodass sie nicht umsonst gestorben sind," hatte Dumbledore weise geantwortet. Aber er muss gewusst haben, dass diese Worte Sirius nicht reichen würden, um seinen Kummer zu begraben.
„Das bringt sie mir nicht wieder zurück," sagte er bitter. „Sie war das einzige, was ich je richtig gemacht habe."
Es war das letzte Mal, dass er über Eden Stark geredet hatte. Seine Freunde hatten es oft versucht, doch nur eisernes Schweigen geerntet.
Sie würde für die Ewigkeit achtzehn sein. Es überrascht Sirius, wie friedlich ihm der Gedanke urplötzlich erscheint, als hätte sich das Grauen mit der Zeit von selbst abgetragen, bis nur noch die Realität übrig ist, welche wie ein glatt geschliffener Stein neben seinem Herzen pocht.
Eden. Meine Liebe für dich ist für die Ewigkeit.
Du hingegen bist es nicht.
Er sieht ihr Gesicht noch einmal vor sich, zu schön für einen Platz wie Askaban und es bricht ihm fast das Herz. Er betet, dass sie einen Frieden im Tod gefunden hat, den sie im Leben nie kannte. Und dann ist sie so schnell verschwunden wie sie gekommen war und einzig und allein Stille umgibt ihn noch.
Das Bild blauer Blumen, welche ein dunkles Grab verzieren, bleiben in sein Gedächtnis gebrannt — es sind blasse Vergiss-Mein-Nicht.
JENSEITS VON EDEN.
Es wird noch ein Epilog folgen, der euch hoffentlich gefällt. Er ist weniger dunkel, versprochen ;)
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