kapitel vierzig, VOM WINDE VERWEHT.
VOM WINDE VERWEHT.
Es ist egal, wer mein Vater
war, es zählt nur, welche
Erinnerungen ich an ihn habe.
ANNE SEXTON
16. Januar 1979
SELTEN HAT SICH STARK MANOR so kalt angefühlt wie an diesen Tagen, befindet Eden. In jeglichen Kaminen ist ein leuchtendes Feuer entfacht worden und ein Wärmezauber liegt über dem Anwesen, doch noch immer zieht sich eine unangenehme Gänsehaut über ihre blasse Haut.
Eden wird das bittere, zerstörende Gefühl nicht los, dass sie nach achtzehn Jahren ihr Zuhause endgültig verloren hat. Die endlosen Gänge und zahlreichen Zimmer, welche sie so gut kennz wie sich selbst, kommen ihr fremd vor, als gehöre sie nicht mehr dorthin. Ein Schauer überkommt Eden, als sie an einem weiteren Bücherregal vorbei schlendert. Die Bibliothek, in der sie sich seit sie denken kann am wohlsten fühlt, schenkt ihr keine Geborgenheit mehr.
Doch hat sie woanders ein neues Zuhause gefunden?
Diese Frage stellt sie sich im Sekundentakt und noch hat sie keine Antwort darauf gefunden. Eden seufzt und setzt sich mit einem dicken Buch auf einen der schwarzen Ledersessel. Ihre Hände schlagen die ersten Seiten auf, doch ihre Augen verharren an der hellen Wand ihr gegenüber. Zu viele Gedanken schwirren in ihrem Kopf herum, als dass sie sich auf die geschriebenen Zeilen konzentrieren kann.
Dieses Anwesen war ihr erstes Zuhause gewesen, wird es nun auch ihr letztes sein?
Eden ist nicht bereit, mit Regulus zusammen zu leben, genauso wenig kann sie sich ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern etwas eigenes leisten. Ist das der Zwiespalt, den jeder Mensch in seinem Leben irgendwann einmal überwinden muss? Fragen über Fragen über Fragen und keine Antworten in Sicht.
Tagtäglich hört man von den Gräueltaten des Krieges. Die Posteulen bringen Nachrichten von Angst und Schrecken in der Bevölkerung und blutigen Morden an Zauberern und Muggeln zugleich.
Eden erinnert sich an eine Zeit, in der sie daran geglaubt hatte, dass sich Monster unter ihrem Bett verstecken, darauf wartend, sie in der Dunkelheit zu fressen. Doch sie hat ihre Lektion gelernt. Die grausamsten Monster wandeln unter ihnen, verkleidet als Menschen, und ihre Gesichter sind nicht entstellt.
In ihrem Kopf flackern Bilder von hellen Haaren und kristallblauen Augen.
Ihr Vater hatte am Frühstückstisch von den Todessern geredet, ihre Namen genannt und vor ihnen gewarnt. Man müsse sich gut mit ihnen stellen, hatte er gesagt, oder der Name unserer Familie würde auf dem Spiel stehen. Und unser Leben sowieso, hatte Eden antworten wollen, doch hatte sie geschwiegen, wie sooft. Sie will nicht glauben, dass Lucius Malfoy fähig ist, unschuldigen Menschen so etwas anzutun. Sie will nicht glauben, dass er ein Monster in jedem Sinne des Wortes ist.
Doch das ist er. Denn im richtigen Licht kann jeder Mensch gut aussehen.
NOCH STUNDEN SPÄTER, ALS DIE gleißende Wintersonne vom Horizont verschluckt worden war, sitzt Eden im Schneidersitz auf einem der Sessel in der Bibliothek. Ihr Rücken schmerzt davon, stundenlang in derselben Position gesessen zu haben.
Ein Kamin sowie einige Stehlampen tauchen den Raum in warmes Licht. Als sich die hölzerne Tür leise öffnet, sieht Eden auf.
Das Gesicht ihres Vaters zeigt keine Regung, als er eintritt. Es hatte in den letzten Monaten keine Besserung zwischen Eden und ihm stattgefunden. Die Weihnachtstage waren in frostiger Manier vorübergegangen und selbst der seltene Besuch ihres Bruders hatte die Stimmung nicht heben können. Noah war an Heiligabend mit schwerem Gepäck eingetroffen und hatte verkündet, dass er fürs erste bleiben wollte. Er war wieder in sein Zimmer gezogen und Eden hat seitdem das Gefühl, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. Sie erinnert sich an die zahlreichen Ferien, die sie mir ihrer Familie verbracht hatte, frei von Sorgen.
Nur dass mit Filip ein Teil davon verloren gegangen war.
Sein Todestag jährt sich in zwei Monaten. Eden hat das Gefühl, sie hätte erst gestern in Albus Dumbledores Büro gesessen, schweigend, während ihr Schulleiter ihr die Neuigkeiten überbringt. Wenn sie die Augen schließt, dann kann sie erneut die brennende, beißende Leere spüren, die sie damals überrollt hatte.
Eden kann sehen, wie sich die Lippen des alten Mannes bewegen, während er sie über seine Halbmondbrille hinweg mustert, doch hören kann sie ihn nicht. Das Blut in ihren Ohren rauscht und sie spürt, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legt und sie hat das Gefühl als müsse sie sich übergeben.
Doch der Schmerz wird später kommen, noch fühlt sie sich nur leer. Obwohl sie umgeben ist von Menschen, kommt sie sich allein in der Welt vor.
Wie kann es sein, dass sie Filip in ihrem Leben nie wieder sehen wird? Wie kann es sein, dass er sie nicht mehr beschützen wird?
Das Gefühl von Zorn ist noch immer ein Teil von ihr, sosehr wie die Trauer und der Schmerz. Denn Filip war ein guter Mensch gewesen. Geduldig und gnädig und gerecht. Man hatte ihn ihrer Familie genommen, weil — Warum eigentlich? Als Warnung, dass nicht einmal der Name Stark einen in diesen Zeiten beschützen kann? Als Zeichen, dass niemand unberührbar ist?
Als sie in das Gesicht ihres Vaters blickt, versteht sie. Diese Welt ist grausam und sie hat ihm sein ältestes Kind geraubt. Der letzte Wille eines Mannes, der seinen Erstgeborenen begraben musste, ist, seine letzten zwei Kinder zu beschützen. Eden versteht es. Doch dieser Kampf ist größer als die Wünsche eines Vaters, als die Ängste einer Mutter oder als das Leid eines Einzelnen.
„Noah sagte mir, dass du planst, uns im neuen Jahr für einige Zeit zu verlassen," beginnt William Stark.
Eden nickt.
„Wirst du mir verraten, wohin es dich verschlägt?"
Lily ist bereits im dritten Monat schwanger und hatte Eden gefragt, ob sie für unbestimmte Zeit bei ihr wohnen würde. Der Orden hatte James für eine Mission in Schottland eingeteilt, die einige Wochen dauern kann und Lily will ungern allein mit ihren Ängsten um James sein. Eden hatte sofort eingewilligt, froh, ihrem Elternhaus entschwinden zu können.
„Ich werde bei einer Freundin unterkommen. Ihr braucht euch keine Sorgen um mich zu machen," antwortet sie und hofft, dass ihr Vater es dabei belässt.
Eden hat seit sie denken kann, ihr bestes getan, in den Augen aller in jeder Hinsicht perfekt zu sein. Man hat sie selbst als Kind immer für ihre Manieren und ihr Lächeln und ihre Schönheit gelobt — Eden selbst stellte dies immer mit Stolz fest. Ihre Eltern beobachteten ihre Entwicklung mit strahlender Freude.
Wann hat sich der erste rebellische Funke in mir entfacht? fragt Eden sich manchmal. Als ich den Hogwarts-Express betrat? Als ich Gryffindor zugeteilt wurde? Als ich mich in Sirius verliebte?
Sie wird es wahrscheinlich nie erfahren, doch mit der Zeit hatte sich der Funke zu einer brodelnden, wütenden Flamme entwickelt. Niemand wird sie je ersticken können.
„Bei deiner Auswahl an Freunden weiß ich mit Gewissheit, dass ich mir Sorgen machen muss."
„Was soll das denn bitteschön heißen?" Eden hatte sich geschworen, Ruhe zu bewahren, doch ihr Vater schafft es erneut, sie aus der Reserve zu locken.
„Ich habe dir zigmal erklärt, mit welcher Art von Menschen es weniger klug ist, sich anzufreunden. Du hast nicht auf mich gehört."
„Und ich würde es wieder tun."
„Was weißt du schon?" fragt er sie aufgebracht. „Nicht jeder von uns hat den Luxus sich zu entscheiden, wann und wo wir anfangen, uns um etwas zu sorgen. Auf einmal bedeutet dieser Kampf etwas für dich? Jetzt, wo für uns alle etwas auf dem Spiel steht?"
„Wann hätte ich mich denn jemals darum kümmern können? Mein ganzes Leben lang habt ihr versucht, mich von der Außenwelt abzuschirmen."
„Wir haben versucht dich zu beschützen. Du solltest uns dankbar sein."
„Beschützen? Beschützen?" wiederholt Eden aufgebracht. „Mich an jemanden zu verheiraten nennst du beschützen?"
„Du hast keinen Schimmer wovon du redest," zischt ihr Vater und in Edens Erinnerungen hat er noch nie älter ausgesehen. Seine Haare schimmern gräulich und die Falten auf seiner Stirn erscheinen ihr tiefer als je zuvor. „In dieser Welt zu überleben hat einen Preis."
Eden reckt den Kopf und atmet tief ein. Sie kann diesen Streit nicht gewinnen, das weiß sie aus Erfahrung, und entschließt sich stattdessen, ihn zu beenden. „Auch Frieden hat einen Preis. Und ich bin bereit ihn zu zahlen."
Eden liebt ihre Familie. Doch diesen Weg wird sie alleine gehen müssen.
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