kapitel siebenundzwanzig, MORGEN SIND WIR FREI.













BLÜHENDE HOFFNUNG.

Geh, mein Kind. Dein Platz
ist mit den Lebenden.
Ich bleibe hier mit den Toten.

AGATHA CHRISTIE






19. März 1978

ES WAREN FAST ZWEI WOCHEN vergangen, seitdem Eden ihren Bruder begraben hatte. Sie dachte die Welt würde stehen bleiben, damit sie trauern konnte, doch das tat sie nicht.

     Der Unterricht ging weiter und der Berg ihrer Hausaufgaben wurde mit jedem Tag höher, doch hatte sie nicht die Kraft dafür. Weder dafür, noch für ihre Freunde und noch viel weniger für einen der beiden Black Brüder—vor allem nicht Regulus, der ein schreckliches Drama aus dem Ball am Valentinstag gemacht hatte. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie voller Wut sie gewesen war, nachdem er versucht hatte, sie aus der Großen Halle zu zerren. Tagelang wäre sie am liebsten vor Ärger explodiert. Er hatte sie vor der gesamten Schülerschaft blamiert, sie bloßgestellt. Natürlich hatte sie es provoziert, hatte es fast ein wenig genossen, als sie ihn mit erstarrtem Gesicht durch die Halle rauschen sah.

     Doch nun schien nichts mehr davon von Bedeutung zu sein. Eden fühlte nichts mehr, als sie an Regulus dachte. Sie war wie leergefegt.

Während die Lehrer zwar Mitleid mit ihr hatten, wurde dieses, wie ihr schien, an nicht abgegeben Hausaufgaben gemessen. Allerdings fehlte ihr auch für lange Standpauken die Kraft und so kam es, dass als Professor McGonagall Eden nach ihrem Unterricht, in dem sie mehr geschlafen hatte, als alles andere, zu sich rief, sie sich nicht einmal umdrehte, sondern mit langsamen Schritten aus dem Klassenraum verschwand.

     Ihre Freunde versuchten alles, um ihren Alltag einfacher zu gestalten—teilweise machten Lily und Remus sogar ihre Hausaufgaben für sie—doch war sie nicht einmal in der Lage Danke zu sagen. Sie hatte seit der Beerdigung kein Wort mehr mit irgendjemandem gewechselt. Manchmal bemerkte sie die besorgten Blicke, die ihre Freunde ihr zuwarfen, doch hatte sie ihnen nie Beachtung geschenkt.

     Es gab Momente, in denen fühlte sie sich unreif und kindisch, doch in der nächsten Sekunde überrollte sie eine weitere Welle von Achtlosigkeit und der Gedanke war vergessen, ersetzt von dem Gesicht ihres Bruders, leblos und tot.

Der einzige, mit dem sie ein einziges Mal geredet hatte, war Noah und es hatte in einem schrecklich Streit geendet. Sie wusste, dass er weder ihre Freundschaften mit Blutsverrätern und Schlammblütern guthieß, noch ihre Romanze mit Sirius Black. Eden hatten ihn angeschrien wie egal es ihr war, was er dachte und wie egal es ihr war, was Andere dachten, dass sie doch nur wollte, dass Filip wieder lebendig werden würde und dann hatte sie fürchterlich angefangen zu weinen.

     Die Wut war sofort aus Noahs Gesicht verschwunden und stattdessen waren seine Augen voller Trauer gewesen und während ihr die Tränen über die Wangen liefen hatte sie sich abgewandt, nicht fähig, ihren Bruder — ihren nun einzigen Bruder — anzusehen, welcher sich in den vorherigen Wochen nicht um sie geschert hatte.



25. März 1978

„ES TUT MIR SO LEID." Ihre Stimme hörte sich heiser und kratzig an, als Eden nach so langer Zeit wieder etwas sagte. Sie hatte im Schlafsaal darauf gewartet, dass Lily und Alice vom Mittagessen kamen. Ihre beiden Freundinnen hatten so viel für sie getan, nachdem ihr Bruder gestorben war und vollkommen versunken in ihrer eigenen Trauer, hatte sie sich nie auch nur dafür bedankt. „Ich habe nicht einmal erkannt, wie egoistisch ich war."

     Lily war die erste, die an ihrem Bett hockte, Augenbrauen zusammengezogen. „Dein Bruder ist gestorben. Du hast jedes Recht egoistisch zu sein," antwortete sie leise.

     „Ich habe euch nicht verdient," flüsterte Eden und versank beschämt in ihren Kissen.

     Es herrschte Schweigen für ein paar Sekunden, weder Lily noch Alice wussten, was sie darauf erwidern sollten. Es war nicht die Wahrheit, doch wie würden sie ihrer Freundin dies begreiflich machen? „Das ist nicht wahr," antwortete sie also nur schlicht. „Du hast alles Gute dieser Welt verdient."

     Es dauerte nicht lange, bis Edens Tränen getrocknet waren und zum ersten Mal redete sie wieder über ihren Bruder. Ihre Stimme zitterte nur leicht, als sie davon berichtete, dass er Auror gewesen war, stolz und selbstbewusst, und wie es ihn in's Grab gebracht hatte. Sie erzählte, wie glücklich er gewesen war, wann immer er sie gesehen hatte und wie er ihr Haar verwuschelte und dabei lächelte sie.

     Die Sonne ging schon unter, als die Mädchen in den Gryffindor Gemeinschaftsraum hinuntergingen. Lily hatte ihnen erzählt, dass Albus Dumbledore sie zu sich in sein Büro gebeten hatte und als sie den Rumtreibern davon erzählte, hoben sich ihre Augenbrauen interessiert.

     „Jetzt?" fragte Remus verwirrt. Keiner von ihnen konnte sich einen Grund vorstellen, warum ihr Schulleiter sie um diese Uhrzeit zu sich bitten sollte.

     „Jetzt," antwortete die Rothaarige und Eden spürte, wie man ihr einen aufmerksamen Blick zuwarf, als würde sie fragen wollen, ob sie sie begleiten würde, doch sie gab ihnen keine Antwort. Stattdessen begab sie sich schweigend hinaus aus dem Porträt, auf die dunklen Gänge. Auf dem Weg zu dem Büro des Schulleiters stießen auch noch andere Mitschüler zu ihnen, einige aus ihrem eigenen Haus, andere aus Hufflepuff und Ravenclaw, doch niemand schien zu wissen, warum sie so bunt gemischt zusammengerufen wurden.

     „Lakritze," sagte Lily leise, fast ehrfürchtig, als sie endlich die große Steinstatue erreicht hatten und mit einem Ruck sprang sie zur Seite und gab die lange Treppe dahinter frei. Hintereinander stiegen sie die Stufen hoch, bis sie durch eine breite Holztür traten.

     Dahinter wartete schon ihr Schulleiter auf sie, dessen grauer Bart und Haar im Kerzenschein silber glänzte. Vor seinem Schreibtisch standen zahlreiche Stühle, auf die sich die Schüler einer nach dem anderen setzten und gespannt darauf warteten, dass der Mann vor ihnen anfing zu sprechen.

     „Ich habe Sie alle im Vertrauen hergebeten um Ihnen vom Orden des Phönix zu erzählen," fing er an. „Allerdings muss ich mir Ihrer Verschwiegenheit sicher sein und somit werde ich einen Schweigezauber auf jeden einzelnen platzieren, sobald Sie sich bereit dazu erklären. Wie Sie alle wissen, kommt ein Krieg auf uns zu und diejenigen von euch, die bereit sind, zu kämpfen, würde ich bitten, mir Ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken." Albus Dumbledore seufzte schwer und in diesem Moment kam er ihr älter vor, als jemals zuvor.

     Und als er diese Worte sagte, schien Eden endlich aufzuwachen. Es zerplatze die kleine, dunkle Blase in der sie für Tage gelebt hatte und sie konnte wieder klar denken.

     Der Orden des Phönix, hallte es in ihrem Kopf wieder und sie atmete tief ein.

     Als sie das letzte Mal im Büro ihres Schulleiters war, schien es nicht von Bedeutung zu sein, wer ihren Bruder ermordet hatte, doch seitdem hatte sich etwas in ihr verändert. Sie konnte die Wut spüren, die sich in ihr aufgebaut hatte in den letzten Tagen. Sie hatte die Chance ihn zu rächen. Sie hatte die Chance den Rest ihrer Familie vor dem selben Schicksal zu retten und sich selbst mehr Trauer zu ersparen.

     Es war ihre Pflicht und Eden würde sie erfüllen, egal wie viel es sie selbst kosten würde. Der Gedanke an Rache würde sie antreiben.

     Es schien, dass auch alle anderen bereit waren, zu kämpfen und während einige zögerlicher waren als andere, gab es niemanden der sich weigerte.

     Als sie sich zum ersten Mal wahrlich umsah, fiel ihr endlich das Muster auf, nach dem man sie auserwählt hatte. Vertrauenswürdig und von diesem Krieg schon berührt. Manche von ihnen waren wie Lily Muggelgeborene; wie James einer Familie entstammend, welche seit Jahrhunderten die dunkle Zauberei bekämpfte oder wie Sirius Blutsverräter. Und viele der Gesichter, das wusste Eden, hatten wie sie selbst jemanden verloren.

     Albus Dumbledore hatte alles gut durchdacht und wusste sehr genau was er tat, doch erblickte sie nicht nur Entschlossenheit in den Gesichtern ihrer Mitschüler, sondern auch Furcht. Furcht, die auch sie selbst fühlte und die so tief ging, dass sie es in ihren Knochen spüren konnte. Und sie kam nicht umhin sich zu fragen, wer von ihnen als erstes für diesen Kampf sterben würde. Wen sie als nächstes begraben müsste.

MAN KONNTE DIE VERÄNDERUNG SOFORT in ihr spüren. Er hatte Eden nicht mehr so laut und aufgeregt gesehen, seit ihr Bruder gestorben war.

Es hatte etwas in ihr in Gange gesetzt, doch war Sirius sich nicht sicher, ob es ihm so gut gefiel, wie es vielleicht sollte. Er wollte nicht, dass sie kämpfte, doch wusste er natürlich, dass er sie niemals davon abhalten könnte. Sie sprach von dem Orden des Phönix als würde es die Welt verändern. Und vielleicht war dies die Wahrheit, doch konnte der Gryffindor die Angst, die tief in seinem Herzen saß, heftig spüren. Angst um Eden, welche so bereit schien, sich in diesen Krieg zu stürzen.

     Es war schon spät und sie alle saßen gemütlich zusammen, während der Kamin im Hintergrund langsam ausbrannte, während das Feuer in Eden erst anfing zu brennen. Sie unterhielten sich im Flüsterton, obwohl niemand mehr im Gemeinschaftsraum war.

     Sirius konnte die Hoffnung spüren, die sich in seinen Freunden breit gemacht hatte. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, eine, in der sie glücklich leben konnten, ohne ständige Angst. Doch er war voller Zweifel, denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass endlich etwas in seinem Leben richtig laufen würde, ohne Trauer. Er hatte das Gefühl, das nur er selbst die jugendliche Naivität nicht mehr besaß, die ihm den Glauben an Frieden schenken würde.

     Neben sich hörte er James zu, wie er von Helden sprach. Doch werden wir tatsächlich Helden sein? fragte sich Sirius zweifelnd. Oder nur weitere Schachspieler auf einem unendlichen Brett in einem Spiel das niemals enden würde?

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