kapitel sechsundzwanzig, DER TOD DIENT NUR SICH SELBST.
DER TOD DIENT NUR SICH SELBST.
Alle wollen in den Himmel,
aber niemand will sterben.
JOE LEWIS
30. Februar 1978
ERST ALS ALICE SIE LEICHT an der Schulter berührt, sieht Eden fragend von ihren Schularbeiten auf. Ihre Hauslehrerin war soeben durch die Porträtöffnung gestiegen und blickt nun mit ernstem Gesicht umher.
Als sie die drei Mädchen an einem der hinteren Tische sitzen sieht, kommt sie mit schnellen Schritten auf sie zu. In ihren Augen kann Eden nur Bedauern erkennen.
„Folgen Sie mir bitte, Miss Stark," sagt sie, gerade laut genug, dass diese es hören kann.
Es ist etwas schlimmes passiert, ist ihr erster und einzig klarer Gedanke, den sie fassen kann. Wie als würde sie ihren Körper nicht mehr selbst steuern können, schiebt sie quietschend ihren Stuhl zurück und erhebt sich langsam. Der Gemeinschaftsraum ist totenstill und sie spürt alle Augen wachsam auf sich. Kurz lässt sie ihren Blick über die restlichen Schüler schweifen und wünscht sich, einer von ihnen zu sein. Die Rumtreiber sitzen vor dem brennenden Kamin, starren ihre Freundin nur regungslos an und denken wahrscheinlich dasselbe wie sie.
Als Eden Professor McGonagall heraus aus dem Gemeinschaftsraum folgt, sind Lily und Alice an ihrer Seite und es ist lange her, seit Eden so dankbar für ihre zwei Freundinnen war.
Der Gang zum Büro des Schulleiters verläuft schweigend und kommt Eden vor wie eine Ewigkeit. Sie stellt sich zahlreiche Ereignisse vor, jedes schrecklicher als das vorherige und doch ist keines davon in diesen Zeiten unwahrscheinlich.
Sie kann sich nicht daran erinnern, wie der Wasserspeier ihnen den Weg freimacht oder wie Professor McGonagall den Türklopfer benutzt. Erst als sie den Schulleiter erblickt, welcher hinter seinem großen Schreibtisch sitzt, kommt ihre Erinnerung zurück und ihre Gedanken werden klar. Als sie das letzte Mal in dem Büro von Professor Dumbledore gewesen war, an ihrem allerersten Tag, war ihr der runde Raum freundlich und einladend vorgekommen, aber am heutigen Abend erscheint er trist und kalt.
„Setzen Sie sich bitte, Miss Stark," fordert er sie höflich auf und zeigt dabei auf einen der gepolsterten Sessel.
Als Eden sich langsam darin fallen lässt und ihren Gegenüber fragend anblickt, schiebt er seine Brille ein Stückchen höher und seufzt tief. „Es tut mir sehr leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass man vor einigen Stunden die Leiche Ihres Bruders Filip gefunden hat—"
Sie kann sehen, wie sich die Lippen des alten Mannes bewegen, während er sie über seine Halbmondbrille hinweg mustert, doch hören kann sie ihn nicht. Das Blut in ihren Ohren rauscht und sie spürt wie sich eine Hand auf ihre Schulter legt. Sie hat das Gefühl als würde sie sich übergeben müssen.
Doch der Schmerz würde später kommen. Noch fühlt sie sich nur leer. Obwohl sie umgeben ist von Leuten, kommt sie sich allein in der Welt vor.
Wie kann es sein, dass sie Filip in ihrem Leben nie wieder sehen würde? Wie kann es sein, dass er sie nicht mehr beschützen würde?
Sie ist nicht die erste Schülerin die jemanden verloren hat und sie wird mit Sicherheit nicht die letzte sein. Diese Gedanken machen ihren Kopf wieder frei.
„—vermutlich die Tat Lord Voldemords und seiner Anhänger," endet Professor Dumbledore. Aber Eden ist es gleich, wer ihren Bruder ermordet hat, die Gewissheit würde ihn weder zurückbringen, noch die Trauer dimmen.
Immer und immer wieder schleicht sich Filips Gesicht in ihre Gedanken, sosehr sie auch versucht, nicht an sein Lächeln, seine Augen zu denken. Er besteht nicht nur aus einzelnen Momenten, die Edens Leben geprägt haben. Er ist mehr als ihre Kindheit mit ihm, mehr als ein Bruder und Sohn. Er ist nichts und alles, der Tod und das Leben, er ist die Unendlichkeit und die Ewigkeit und Edens für immer.
Die Menschen denken, sie müsse sich Noah als ihr Zwilling am nächsten fühlen, ein Herz und eine Seele. Doch seitdem sie denken, sprechen, gehen kann, ist es Filip, den sie liebt wie niemand anderen. Er bedeutet glückliche Erinnerungen, Geborgenheit und der Teil ihrer Familie, der noch nicht zerbrochen ist. Er ist—
Hier bei ihr.
Geliebt.
9. März 1978
IHRE FREUNDE HABEN IHR ZIGMAL ANGEBOTEN, sie zu der Beerdigung ihres Bruders zu begleiten. Aber Eden weiß, dass sie diesen Weg alleine gehen muss.
Noah und sie reisen durch den Kamin des Schulleiters mittels Flohpulver nach Stark Manor, wo ihre Eltern schon auf sie warten. Es werden keine Umarmungen ausgetauscht, sie nehmen sich nur schweigend an den Händen und apparieren zusammen nach Godric's Hollow, wo man Filip begraben würde.
Als sie dort ankommen, erwarten die meisten Gäste sie schon. Während ihre Eltern die vielen Mitleidsbekundungen leise dankend annehmen, bewegt Eden sich wie mechanisch weiter nach vorn, vorbei an den zahlreichen Stuhlreihen, die Blicke, die ihr zugeworfen werden, ignorierend.
Die Luft fühlt sich in ihren Lungen noch immer kühl an, doch durch die kahlen Bäume, scheint die Sonne auf Eden herab, welche den letzten Schnee unter ihren Sohlen schmelzen lässt.
Der schwarze Sarg glänzt. Eden will darüber streichen und ihre Hand zuckt schon nach vorne, doch dann traut sie sich nicht. Sie will keine Geister wecken.
Sie reckt den Kopf Richtung Himmel und schließt die Augen. Ihre Mutter hat ihr einmal erzählt, als sie noch kleiner gewesen war, dass die Muggel daran glauben, dass es in den Wolken jemanden gibt, der auf sie herabblickt und auf sie Acht gibt. Sie hat schon damals den Kopf darüber geschüttelt und auch jetzt gibt es keine Faser in ihrem Körper, die daran glaubt.
Mit einem leisen Seufzer dreht Eden sich um und setzt sich in die erste Reihe. Nachdem auch die anderen Plätze sich gefüllt haben, tritt ein Mann in schwarz vor und fängt an zu reden, aber Eden hört nicht zu. Stattdessen sieht sie ihren Vater neben sich an, dem Filip so ähnlich gesehen hatte, mit seinen hellbraunen Augen, den dunklen Augenbrauen und den vollen Lippen. Er ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie stellt sich vor, wie es sein wird, sich jeden Tag im Spiegel zu sehen und stattdessen blickt der gestorbene Sohn zurück.
Sie hat ihren Vater noch nie weinen gesehen, doch es scheint, dass es ein erstes Mal für alles gibt. Während ihm die Tränen über das Gesicht laufen, nimmt er Edens Hand.
Sie sind sich schon seit Monaten nicht mehr so nah gewesen und als er sich kurz zu ihr dreht, kann sie ihm das Bedauern und die Schuld ihr gegenüber ablesen. Das schlechte Gewissen eines Mannes, der seinen Erstgeborenen begraben muss. Diese Welt ist grausam und sie hat ihm sein ältestes Kind geraubt.
Während der Mann spricht, blickt Eden in die Ferne. In ihrem Kopf spielt der letzte Moment, den sie mit ihrem Bruder verbracht hatte. Es war früh am Morgen gewesen, bevor sie sich mit Noah auf den Weg nach London gemacht hatte, um nach Hogwarts zurückzukehren. Sein Lächeln war breit gewesen und voller Liebe für seine jüngere Schwester, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Keiner von beiden hatte sich Gedanken darüber gemacht, ob es ein Wiedersehen geben würde.
Als sie sich gegen ihren Vater lehnt und er die Arme um sie schlingt, sie in eine warme Umarmung zieht, kommt endlich die Trauer. Sie bricht aus in ihrem Inneren, höhlt ihr Herz aus und es fühlt sich an, als würde sie ausbluten.
Hier ist mehr als ein Körper begraben, denkt Eden. Stücke ihrer selbst, die sie in ihrem geliebten Bruder gelassen hat.
Doch auch Stücke ihrer restlichen Familie—ihres Vaters, ihrer Mutter, Noah. Sie alle haben einen Teil von sich verloren an diesem Tag. Schluchzer erschüttern ihren Körper.
Denn Trauer ist für immer. Sie wird nicht vorübergehen, wie einige Menschen behaupten; sie wird zu einem Teil der Menschen—Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Eden wird niemals aufhören ihren Bruder zu betrauern, weil sie niemals aufhören wird, ihn zu lieben. Schmerz und Liebe sind schon immer miteinander verbunden, das eine kann nicht ohne das andere existieren.
Eden schließt die Augen und versucht sich auf die Worte des Mannes vor ihr zu konzentrieren. Sie will nicht daran denken, was dieser Krieg ihr noch nehmen wird.
JENSEITS VON EDEN.
Ich wurde gerade von xXMiMoonlightXx darauf hingewiesen, dass meine Geschichte auf einer anderen Seite hochgeladen wurde und ich habe keine Ahnung was ich dagegen machen kann:
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