kapitel drei, WAS WÄRE WENN?
WAS WÄRE WENN?
Und jetzt wo du nicht mehr perfekt sein musst, kannst du gut sein.
JOHN STEINBECK,
JENSEITS VON EDEN
15. September 1977
ALS EDENS ELTERN IHR DAMALS von ihren Plänen, nach England zu ziehen erzählt hatten, war sie in Tränen ausgebrochen und hatte tagelang nicht mit ihnen geredet. Doch nun, während sie zusammen mit ihren Freunden in der Großen Halle saß, war sie einzig und allein dankbar.
Obwohl die letzten Wochen wie im Rausch vergangen waren, hatten sich die Leute immer Zeit für sie genommen und versucht sie so gut wie möglich aufzunehmen.
Es war Mitte September und langsam aber sicher merkte man, dass der Sommer ein Ende nahm und desto länger sie in Hogwarts lebte, desto lauter wurde ihr lachen. Und daran lagen vor allem ihre neugewonnenen Freunde, die ihr auch jetzt gerade alle Sorgen nahmen.
Ihr gegenüber saßen Marlene McKinnon und Dorcas Maedows, welche Alice ihr vor einigen Tagen vorgestellt hatte und seitdem hatte Eden sich blenden mit ihnen verstanden. Gemeinsam beschwerten sich die Freundinnen über die Geschichte der Zauberei Stunde, die sie zusammen belegten. Der alte Professor Binns, welcher das Fach unterrichtete, war nämlich ein Geist. Scheinbar war er vor ein paar Jahren im Lehrerzimmer eingeschlafen und hatte am nächsten Morgen wie immer unterrichtet, aber seinen toten Körper dabei einfach zurückgelassen.
Seine leiernde, monotone Stimme passte hervorragend zu der todlangweiligen Gestaltung seines Unterrichts unf somit plumpsten die Mädchen träge auf die Bank des Huffepufftisches, wo Marlene und Dorcas zuhause war.
Eden hatte die beiden sofort in's Herz geschlossen. Sie hatten sie bei der ersten Begegnung stürmisch umarmt und während die Gryffindor zuerst vollkommen überfordert mit deren Nettigkeit war, hatte es schnell Klick gemacht und sie war aufgetaut. Es tat gut neben Lily und Alice noch andere Freunde gefunden zu haben, da die drei nicht immer Unterricht zusammen hatten und die Wahrheit war, dass Eden sich zusehends einsam fühlte, wenn sie von ihren Mitschülern nur skeptisch von der Seite begutachtet wurde, jedoch selten tatsächlich jemand mit ihr redete.
Sie war glücklich in England, ohne jeden Zweifel, doch manchmal wünschte sie sich, dass man sie mit weniger Vorurteilen betrachten würde.
„Bist du schon aufgeregt?" fragte Dorcas sie dann und holte sie aus ihren Gedanken.
„Oh Merlin, das habe ich total vergessen," seufzte Eden mit großen Augen, während sie frustriert einen besonders großen Bissen von ihrer Hähnchenkeule nimmt.
Nach dem Mittagessen hatten sie alle Unterrichtsschluss und stattdessen würden die Quidditchauswahlen stattfinden. Noch vor ein paar Tagen war Eden sich sicher gewesen, dass sie daran teilnehmen würde, doch nun wurde ihr ganz komisch wenn sie nur daran dachte, dass ganz Hogwarts ihr dabei zusehen könnte.
„Ach komm, Lya, das machst du doch mit links! Außerdem hat Lily mir erzählt, wie sehr James an dir zweifelt, schon deswegen musst du ihm zeigen, dass Mädchen genauso gut Quidditch spielen können," sagte Marlene mit hochgezogenen Augenbrauen.
Eden verdrehte die Augen, doch stand im nächsten Moment auf, um sich fertig zu machen. In ihrem Rücken konnte sie ihre beiden Freundinnen jubeln hören und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
ALS SIE AM QUIDDITCHFELD ANKAM, traute sie ihren Augen nicht. Die gesamten Tribünen waren gefüllt mit Hogwartsschülern aus allen Häusern. Die Reihen waren ein buntes Gemisch aus rot, blau, grün und gelb.
Fast hätte Eden auf der Stelle Kehrt gemacht, doch als sie sich ruckartig umdrehte, blickte sie prompt in die braunen Augen von Remus Lupin, der sie frech schmunzelnd beäugte. „Na, wo geht es denn so eilig hin, junge Dame?" fragte er sie scheinheilig. „Sie wollen ja wohl nicht schon so schnell verschwinden oder? Vielleicht hatte James doch Recht; Mädchen sind für's Quidditchspielen einfach nicht geeignet." Mit diesen Worten drängelte er sich feixend an Eden vorbei, genau wissen, dass sie ihm nur Sekunden später folgen würde.
Wie er vorhergesagt hatte, stellte sich Eden ihm nur ein paar Meter weiter keuchend in den Weg, ihren Zeigefinger erhoben. Ihre Ähnlichkeit mit Lily verblüffte ihn immer wieder auf's neue. Aber es schien, dass sie keine Worte fand und so drehte sie sich mit hochrotem Kopf um und stampfte auf den Rasen, wo James sie schon erwartete, einen laut lachenden Remus hinter sich lassend.
Sobald sie den Rumtreiber erreichte, machte dieser klar, dass er zuallererst die Treiber sehen wollte, obwohl jedem Anwesenden klar war, dass Sirius und er, das Dream Team, ihren Posten vom Vorjahr behalten würden. Jedoch waren die restlichen Anwärter auf den Posten so schlecht, dass Eden einem reichlich genervten James den Vorschlag machte, dass doch erstmal alle eine Runde auf dem Feld drehen sollten. Danach verließen ungefähr ein Drittel der Leute das Feld, hauptsächlich kichernde Mädchen, welche nur da gewesen waren, um die beiden Rumtreiber auf sich aufmerksam zu machen.
Nachdem James sich für drei Jäger und im Anschluss für einen Fünftklässler als Hüter entschieden hatte, war Eden an der Reihe, welche sich ihre schweißnassen Hände an der Uniform abwischte.
Die Sucher mussten zuerst Klatschern ausweichen—bei dieser Aufgabe wurden die Hälfte der Leute von den Besen geschmissen und schieden aus—, dann einen Wronksi-Bluff machen—das wiederum schafften nur ein Sechstklässler und Eden—und zuletzt den Schnatz schneller fangen, als alle anderen.
Mit ihrem Nimbus 1900, den sie von ihrem Vater zum letzten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, war dies allerdings kein besonders schweres Unterfangen. Und vielleicht ein klitzekleines bisschen ungerecht, wie Eden im Nachhinein zugeben würde. Somit stand sie letztlich mit einem stolzen Lächeln in der Runde von James Auserkorenen, während ihre Freundinnen ihr vom Rand aus strahlend zuwinkten. Das Glücksgefühl, welches sich in ihr ausbreitete, kribbelte in den Fingerspitzen.
NACHDEM SIE IN DEN UMKLEIDEN lange geduscht hatte, machte sich Eden in der Dämmerung schnellen Schrittes zurück auf den Weg zur Großen Halle, um noch einen Bissen vom Abendessen abzubekommen.
Dort angekommen allerdings, schloss sich eine kalte Hand um ihren Oberarm, als sie sich zum Gryffindortisch begab und schwenkte sie stattdessen in die entgegengesetzte Richtung.
„Ich hab mir überlegt, dass du heute Mal mit uns isst, Eden," sagte Lucius Malfoy schlicht und ohne ihre Zeit zum darüber nachdenken, geschweige denn protestieren, zu geben, schleifte er sie mit zu den Slytherins. Erst als er sie auf die Holzbank drückte, drehte sie sich fassungslos zu ihren Freunden zu, die, noch immer mit gold-roten Pullovern, an der anderen Seite der Halle saßen und sie fragend ansahen. Eden konnte nur hilflos mit den Schultern zucken und begrüßte dann mit schwacher Stimme ihre Sitznachbarn.
Es war das erste Mal, dass sie sich in dieser Runde befand, seit der ungemütlichen Zugfahrt. Doch obwohl sie sich am Anfang einige harsche Kommentare über ihre Häuserwahl und neuen Freunde anhören musste, hielten sie sich recht überraschend zurück.
Sie merkte selbst, wie sie in eine andere Rolle schlüpfte, während sie sich mit den Slytherins über belanglose Dinge unterhielt. Bei den Gryffindors konnte Eden sie selbst sein, sie musste keine Maske mehr tragen, doch es war, als wäre sie hier in einer anderen Welt.
Eden verstand nicht, warum man sie am Slytherintisch nicht beschimpfte und ihr Flüche um den Kopf warf, wie es bei den anderen Blutsverrätern Tradition war. Ihre Familie war einflussreich, doch das waren auch die Blacks und Sirius wurde gehasst. Vielleicht würde ihre Sichtweise auf Eden sich ändern, sobald diese sich endgültig den Gryffindors zuwenden würde. Möglicherweise würde erst dann das wahre Gesicht der Slytherins erscheinen, wie einen Pflaster, welches man schnell und schmerzhaft abziehen musste. Eden war sich nicht sicher, ob sie die Wahrheit erfahren wollte.
Eden konnte erahnen, dass man sie an ihren Tisch geholt hatte, damit sie ihrer Meinung nach nicht völlig auf die falsche Bahn geriet. Und sie wusste auch, dass sie nach dem Abendessen das Gefühl haben würden, dass es noch einen Hoffnungsschimmer gab.
Einzig ihr Bruder Noah, der die ganze Zeit über sehr schweigsam gewesen war, und Lucius, sahen sie manchmal mit einem nachdenklichen Blick an, als würden sie etwas sehen, was die Anderen nicht sehen konnten. Und vielleicht konnten sie es wirklich, doch in diesem Moment wusste Eden es noch nicht.
Nach diesem nervenaufreibendem Tag freute Eden sich auf ihr warmes Himmelbett und eine große Portion Schlaf. Doch als sie vor dem Portrait Sirius traf, wusste sie, dass sie darauf noch ein bisschen länger warten müsste.
Er half ihr schweigend durch die Öffnung und erst im Gemeinschaftsraum angekommen öffnete er den Mund. „Hattest du Spaß?" fragte er sie steif, wartete allerdings nicht auf eine Antwort. „Wieso lässt du dich von ihnen so herumschubsen?" stellte er dann die Frage, die in seinem Kopf herumgeisterte.
Eden seufzte und schloss die Augen. Sie hatte keine Kraft für dieses Gespräch. Voller Wehmut dachte sie an ihr weiches Bett. „Was habe ich denn für eine Wahl? Meine Familie ist möglicherweise nicht so fanatisch wie die meisten Reinblüter, aber das bedeutet nicht, dass ich mir alles leisten kann. Und Merlin, nur weil ihr euch so kindisch benehmt, bedeutet das nicht, dass ich eurem Beispiel folgen muss."
„Du möchtest also tatsächlich mit diesen Todessern oder was auch immer sie gerne wären, befreundet sein?" fragte er sie mit zusammengezogen Augenbrauen.
„Du redest da gerade auch über deinen Bruder, Sirius."
Sirius lachte bitter. „Meinen Bruder habe ich vor langer Zeit verloren. Ich habe jetzt eine neue Familie."
„Weil du ihn verlassen hast. Du hast ihn alleine gelassen, ihm blieb doch nichts anderes übrig, als—" Eden wurde erst jetzt richtig bewusst, was sie dort sagte.
War Regulus ein Todesser? Oder Lucius? fragte sie sich voller Grauen. Sie wollte es nicht glauben, doch war sie nie jemand gewesen, der sich selber etwas vormachte. Eden musste sich eingestehen, dass sie es eigentlich besser wusste.
Sirius Augen hielten dieselbe Frage, doch er sagte nichts, als fürchtete er sich vor der Antwort.
Stille umgab sie.
„Wirst du einen von ihnen heiraten? Oder währst du dich wenigstens dagegen?"
Eden wollte Nein sagen, doch das wäre gelogen. Sie würde sich nicht gegen den Willen ihrer Eltern stellen, egal wie gerne sie auch wollt. Sie besaß nicht den Mut, den Sirius gehabt hatte.
Eden hatte es vor ein paar Monaten durch Zufall erfahren, als ihr Onkel sie gefragt hatte, wann sie denn endlich verlobt werden würde. Erst war sie in Tränen ausgebrochen, dann hatte sie herumgeschrien und alles kaputt gemacht. Dann hatte sie erneut geweint.
Irgendwann waren keine Tränen mehr übrig gewesen, die sie hätte vergießen können. Es tat ihren Eltern leid, das wusste sie.
Also antwortete sie Sirius ehrlich. „Nein, ich werde nicht rebellieren."
„Nein? Einfach nur nein?" fragte er Eden ungläubig.
Sie nickte.
„Wie kannst du das so einfach akzeptieren? Wie kannst du dich so von deinen Eltern kontrollieren lassen?"
Eden seufzte erneut. „Weißt du Sirius, im Gegensatz zu dir habe ich etwas zu verlieren. Ich brauche meine Familie. Ohne sie habe ich keine Chance diesen Krieg zu überleben, der mit Sicherheit kommen wird. Ich habe niemanden, der mich aufnimmt, wenn ich vom einen auf den anderen Tag keine Lust mehr habe. Ich bin nicht du, Sirius. Bei mir gibt es kein Was wäre wenn?" Doch dies war nur die halbe Wahrheit. Sie sah ihre Familie nicht einzig als Lebensversicherung an. Eden liebte ihre Eltern, liebte Filip und Noah, mehr als das Leben selbst.
Kurz schwieg er. „Tut mir leid," sagte er nur, doch sah er sie dabei nicht an und Eden glaubte nicht, dass er es je verstehen würde.
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