das erste kapitel, teil eins, DER WERT DES NAMENS.













DER WERT DES NAMENS
oder
WIE ALLES BEGANN, TEIL EINS.

Das Böse ist unspektakulär
und stets menschlich,
es teilt unser Bett und
sitzt mit uns am Tisch.

W. H. AUDEN






1. September 1977

ALS EDEN STARK AUF GLEIS 9 3/4 STOLPERT, ist sie außer Atem und ihre Wangen sind vor Aufregung und Stress gerötet.

      Mit einem Blick auf ihre goldene Armbanduhr stellt sie fest, dass sie noch genau zwei Minuten hat, um sich zu verabschieden. Als erstes fällt sie ihren Eltern um den Hals, wobei die Umarmung ihres Vater kälter ist, als all die Jahre zuvor. Die Ferien und der Umzug haben ihnen nicht gut getan. Ihre Mutter umarmt Eden herzlicher, mit einem Kuss auf die Wange, und es fällt ihr schwer loszulassen, wissend, dass sie sich frühestens an Weihnachten wiedersehen würden.

      Dann dreht sie sich zu ihrem großer Bruder Filip um, welcher sie fest an sich drückt, als wolle er die Kälte seines Vaters wieder gut machen. Als sie sich von ihm löst, sprechen seine Augen die Entschuldigung aus, die er nicht über die Lippen bringt. Dass er sich die gesamten vier Wochen nicht auf ihre Seite gestellt hat. Doch Eden nimmt es ihm nicht übel. Er hat seine Gründe, das weiß sie.

      „Pass auf dich auf, Lya," murmelt er stattdessen eilig als Abschied. Er weiß genau wie sie, dass es nirgendwo sicherer ist als in Hogwarts, gerade in diesen Zeiten.

Noch bevor sie zu einer Antwort ansetzen kann, ergreift ihr Zwilling, Noah, ihre Hand und zieht sie mit sich durch Umhänge und Muggelkleidung, zu der roten Dampflok, dessen Türen sich langsam schließen. Ein Pfiff gellt über den Bahnsteig und alle verbliebenen Schüler setzen sich hektisch in Bewegung.

      Als die Geschwister im Inneren ankommen, stößt die alte Dampflok eine grelles Tuten aus und setzt sich ruckelnd in Bewegung. Gerade als Eden sich aus dem Fenster beugt, um ihrer Familie zu winken, fahren sie um eine Kurve und das Gleis verschwindet aus ihrem Blickfeld. Vor dem Fenster ziehen nun rote Backsteinhäuser vorbei.

     Eden versucht das schlechte Gefühl in ihrem Bauch zu verdrängen, als sie sich zu ihrem Bruder umdreht. Plötzlich ist sie unheimlich aufgeregt. Sie hat nicht den leisesten Schimmer, was sie erwartet — doch besser als das, was sie zurücklässt, muss es allemal sein.

     „Ich gehe Lucius und die Anderen suchen. Kommst du mit?" erkundigt Noah sich bei ihr, während er sich mit der Hand durch die kurzen blonden Locken fährt.

„Ich bezweifle, dass ich eine andere Wahl habe," seufzt sie und folgt ihrem Bruder, der sich nach einem kurzen Nicken mitsamt Koffer in Bewegung setzt.

Bevor sie allerdings weit kommen, öffnet sich neben ihnen eine der Abteiltüren und fast stößt Noah mit einem der zwei Jungen zusammen. Ihr Bruder sagt nichts, schenkt den beiden einzig einen abwertenden Blick und winkt Eden ungeduldig weiter.

„Ich könnte schwören, dass ich euch beide noch nie hier gesehen habe," sagt einer der beiden dann, mit stechend grauen Augen und stellt sich Eden in den Weg. Noah bleibt schlagartig stehen.

Eden hat ihren Gegenüber jedoch sofort erkannt. Er hat die typischen Eigenschaften eines Black und seiner Schuluniform nach zu schließen, auf der ein goldener Löwe auf rotem Hintergrund abgebildet ist, kann es nur Sirius Black sein. Das schwarze, oder vielmehr weiße Schaf, der Familie.

„Hier nicht, nein," antwortet sie also schlicht und will sich an ihm vorbeischlängeln, als er einen weiteren Schritt in ihre Richtung macht.

Er verschränkt seine Arme. „Wie bitte?" fragt er fordernd und seine Stimmt nimmt einen unangenehmen Ton an.

Ich hätte einfach die Klappe halten sollen, denkt sie, innerlich fluchend.

Der Junge hinter ihm legt seinem Freund beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Unser lieber Tatze hier vergisst manchmal seine Manieren," sagt er, während er ebendiesem einen undefinierbaren Blick zuwirft. „Was er eigentlich wissen möchte, ist, wer ihr seid."

Mit unsicherem Blick blickt Eden zu ihrem Bruder, welcher noch immer kein Wort gesagt hat. „Noah und Eden Stark," antwortet dieser schließlich für sie.

Bei diesen Worten verändern sich die Gesichtsausdrücke der Jungen schlagartig. Doch bevor einer der beiden etwas sagen kann, kommt ihnen Noah zuvor.

„Möglicherweise hättet ihr nun die Güte, aus dem Weg zu treten," entgegnet er mit ungeduldig zusammengezogenen Augenbrauen. „Oder euch zumindest vorzustellen," fügt er dann mit einem ironischen Lächeln hinzu. Er war schon immer der selbstbewusstere der beiden gewesen.

„James Potter und mein Freund ist Sirius Black," antwortet er, während er seine gefährlich schief sitzende Brille mit dem Zeigefinder ein Stückchen nach oben schiebt. „— welche nun auch schnell weiter müssen." Mit diesen Worten verschwinden sie so schnell sie können in einem nahegelegenen Abteil.

Verwirrt sehen die Geschwister sich an, dann zuckt Noah mit den Schultern und zieht Eden weiter hinter sich her. Sie kommen an einigen Abteilen vorbei, in denen Freunde miteinander lachen und sich von den Ereignissen der Ferien erzählen, bis sie an einer gläsernen Schiebetür ankommen, hinter der man nicht mehr einzeln sitzt, sondern auf gegenüberliegenden Sitzreihen.

Als die beiden hereinkommen, drehen sich einige Köpfe zu ihnen um. Nachdem der Großteil sie erkannt hat, winkt sie ein Mädchen mit wilden, schwarzen Locken zu sich.

„Wir dachten schon, ihr würdet euch nicht zu uns setzen," lacht sie gackernd, doch weiß Eden, dass sie in Wahrheit nie daran gezweifelt hat. Als sie näher kommt, bemerkt sie sofort die unruhigen, dunklen Augen und weiß in einem Herzschlag, dass diese nur zu Bellatrix Black gehören können.

Noah hat sich bereits zu einigen der Jungen gesellt, während Eden noch immer unsicher im Gang steht und sich umsieht. Einige der Gesichter kommen ihr bekannt vor, doch sieht keines von ihnen besonders einladend aus.

„Eden," sagt dann auf einmal eine warme Stimme neben ihr. Als sie sich daraufhin ruckartig umdreht, stößt sie fast mit dem Besitzer zusammen.

„Lucius," antwortet sie, erleichtert ausatmend. Der berühmt berüchtigte einzige Spross der Malfoys.

     Er lächelt sie leicht an und mit einem Wink seines Zauberstabes landet ihr Koffer in der Ablage über den Sitzen. Dann dreht er sich zu einigen der Anwesenden. „Du erinnerst dich sicherlich an die Carrow Zwillinge. Dann wären da noch Rabastan und Rodolphus," dabei zeigt er auf die beiden Lestrange Geschwister, bei denen der ältere, Rodolphus, eine Hand auf dem Oberschenkel von Bellatrix Black platziert hat, welche Eden interessiert beobachtet. Ihre jüngere Schwester Narzissa sitzt neben ihr und lächelt schüchtern.

Eden fühlt sich auf einmal einige Jahre jünger, in eine andere Zeit versetzt, auch wenn sich vieles verändert hat.

„Das ist —" fängt Lucius erneut an, wird dann allerdings unterbrochen. „Bartemius Crouch. Schön, dich kennenzulernen," er zwinkert ihr zu und Eden kommt nicht umhin, eine Gänsehaut zu kriegen als er zur Seite rückt, damit sie sich neben ihn setzen kann.

„Wir haben dich oft vermisst in den letzten Jahren," sagt Bellatrix aus dem Nichts, auf eine Reaktion seitens Edens wartend. Ihre Aussage scheint auf den ersten Blick unschuldig, doch sind jedem Anwesenden ihre Absichten klar. Bellatrix wirft Eden unterschwellig vor, nicht zu den Feiern und Treffen der Reinblüter kommen zu wollen.

Noah war schon immer der aufbrausendere von ihnen gewesen und ist auch nun derjenige, der bissig antwortet. „In Norwegen hat man andere Ferienzeiten und deswegen war es unseren Eltern nicht möglich Eden freizustellen, für all die Feste auf die sie sicherlich liebend gerne gegangen wäre." Bellatrix wirft Eden noch einen letzten langen Blick zu, lehnt sich dann allerdings wieder zurück.

Während die Stimmung noch immer angespannt ist, fangen die Schüler langsam wieder an, sich untereinander über belanglose Themen zu unterhalten, die Eden nicht im geringsten interessieren. Nur mit halbem Ohr hört sie der Konversation zwischen ihrem Bruder und einem der Slytherins zu, welcher gefragt hatte, in welches Haus sie denn kommen wollen, auch wenn die Antwort für alle Anwesenden indiskutabel erscheint.

„Slytherin, selbstverständlich," mischt sich Jonathan Nott arrogant ein und scheint dabei keinen Schimmer an Zweifel haben.

    Eden weiß zwar, dass sie noch immer begutachtet wird, aber rollt sie bei der Aussage trotzdem mit den Augen. Sie ist sich nicht sicher, woher der plötzliche Mut herkommt, doch hat sie nicht vor, ihr Leben von anderen kontrollieren zu lassen. Das machen ihre Eltern sobald sie Zuhause ist schon zur Genüge. Sie wünscht sich einen Neuanfang.

Noah, welcher gegenüber von ihr sitzt, blickt sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, offensichtlich überrascht, doch schenkt sie ihm keine Aufmerksamkeit. Stattdessen räuspert sie sich leise und steht auf. „Entschuldigt mich bitte." Eden merkt, wie ihre Atmung uneben und ihre Handflächen schwitzig werden. Sie braucht frische Luft.

Mit zittrigen Schritten bewegt sie sich auf die Abteiltür zu und gerade als sie diese aufziehen will, hat jemand auf der anderen Seite die selbe Idee. Erneut an diesem noch sehr frühen Tag stößt sie fast mit jemandem zusammen. „Tut mir leid —" fängt sie an, doch erkannt dann, wer ihr Gegenüber ist. „Regulus? Bei Merlins Bart, wie lange ist es her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?" fragt Eden, sichtlich überrascht.

     Auf den Feiern hatte sie sich mit ihm immer am besten verstanden. Die beiden kannten sich zwar nicht besonders gut, hatten einander aber eine Zeit lang Briefe geschriebenen, dann jedoch den Kontakt verloren, als sie älter wurden. Er ist etwas kleiner als sein Bruder, hat aber die gleichen sturmgrauen Augen und ebenen, edlen Gesichtszüge, die ihn sofort als Black kennzeichnen. Er sieht fast so gut aus wie Sirius. Doch obwohl sie sich so ähnlich sehen, sind sie grundverschieden.

     Regulus, der von Anfang an der Liebling seiner Eltern war und Sirius, der nach seinem Ausriss aus dem Familienstammbaum gebrannt worden war.

     Regulus, die Schlange und Sirius, der Löwe.

     Regulus, der sie gerade mit vor Freunde glitzernden Augen mustert und Sirius, der einen von oben herab anschaut, als sei er etwas Besseres.

     Nur eines haben sie gemeinsam.

FORTSETZUNG FOLGT ...

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