5 Isogaba maware.

┊  ┊  ┊          ★ HARRY

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Jetzt war ich auf der Hut.

Nach der komischen Massage, inklusive dem Vorfall in der Metro, war ich nun wachsam und auf alles vorbereitet. Mich würde es nicht einmal überraschen, wenn wir Kopfüber irgendwo hängen und unseren Burger schlürfen würden.

„Ist es noch weit?", fragte ich als wir durch die Straßen von Tokio irrten und Niall schließlich abbog. Hier wurden die Gassen enger, Schilder leuchteten, rote Lampions waren an und die Geschäfte wirkten abgenutzter.

Hier und da kamen uns Leute entgegen, einige lachend und betrunken, andere müde und erschöpft. Der Durchgang wurde schmaler und schmaler. Lediglich die wenigen Straßenlaternen vertrieben die Dunkelheit, aber dafür warfen sie lange gruselige Schatten.

„Wo genau willst du hin?", ich blieb stehen und würde keinen Schritt weiter gehen, bevor ich nicht Bescheid wusste und Niall sah mir die Vorsicht an. Er seufzte tief: „Zu einem Izakaya, ich hoffe, ich spreche das richtig aus."

Mit gerunzelter Stirn horchte ich: „Und was ist ein Izakaya?"

„Eine völlig harmlose japanische Bar", unschuldig hob Niall die Hände. „Ich schwöre. Das sind oft Sake-Läden zum Sitzen. Normalerweise bestellt man zum Alkohol Snacks, weil es nicht gerne gesehen wird, wenn man nur trinkt. Dafür müssten wir in eine Shot-Bar."

Er war erstaunlich gut informiert und als ich ihm das sagte, da strafften sich seine Schultern und Niall sprach stolz: „Während der Solo-Tour habe ich einen klasse Dolmetscher gehabt, der hat mir ein paar Dinge außerhalb des Tourismus gezeigt. Wir waren in einem wirklich tollen Izakaya und ich hoffe, ich finde ihn hier wieder."

„Hauptsache es gibt dort etwas zu Essen", warf ich ein, mein Magen war ein Loch. Niall nickte: „Das Essen ist der Grund, wieso ich dort hin will. Sie haben mehr als nur kleine Snacks. Es wird dir gefallen, vertrau mir."

„Na, das mit dem Vertrauen ist so eine Sache", ärgerte ich ihn. Zu meiner Verblüffung verstand er mich: „Tut mir leid, Harry. Ich wollte dich wirklich nur ablenken und als ich die Karten für die Grabsch-Bar bekam, da dachte ich, das ist alles nur völlig überspitzt dargestellt. Ich konnte nicht ahnen, dass Japan echt so ein Grabschproblem hat, dass sie dafür extra Bars anschaffen, damit die Leute ihren Fetisch dort legal ausleben!"

„Fetisch genug, um das auszuprobieren hast du allerdings auch", warf ich ihm vor.

Laut lachte Niall: „Ach Quatsch, glaubst du echt, ich hätte an der Oberschülerin rumgegraben? Oh – warte, hier müssen wir rein."

Wir standen nun vor einem abgenutzten Laden mit diesen roten Lampions und Niall hatte mich tatsächlich nicht angelogen.

Ein Izakaya war ein Etablissement mit ein bisschen Wohnzimmerflair. Im super engen Vorraum mussten wir die Schuhe ausziehen und in Fächer stellen.

Kaum betraten wir den Izakaya, da verließen andere Gäste den Laden zufrieden und in heller Stimmung. An den Wänden hingen alte Bilder, fast wie in einer verschrobenen Kneipe. Man konnte an normalen Tischen sitzen, aber Niall steuerte direkt die Theke an. Die Jacken hingen wir auf und befreit vom Mundschutz atmete ich tief die verschiedenen Gerüche ein.

Scheiße, roch das lecker.

Ich beobachtete, wie Niall angestrengt mit dem Koch in Weiß hinter der Theke sprach und der Mann lächelte breit, dann deutete er auf zwei Plätze, ganz rechts von sich. Sichtlich überrumpelt begriff ich, dass Niall durchaus ein wenig Japanisch konnte.

„Wann hast du das gelernt?"

„Auf Solo-Tour, hier und da nebenbei, kein großes Ding", fand er. „Trinkst du zum Sake ein Bier?"

Ich nickte und konnte kein einziges Wort auf der Karte lesen, also sprach ich: „Bestelle du uns, was richtig gut ist, ich könnte einen Elefanten vertragen. Hopp, hopp, sorge für Essen!"

„Isogaba maware", warf Niall ein. „Oder wir wir sagen würden, Eile mit Weile."

Und er bestellte.

Ich hatte schon oft Japanisch gegessen, aber dieser kleine Laden übertraf sich selbst. Vor den Getränken bekamen wir einen Snack, der nach Gemüse gefüllte Teigtaschen schmeckte. Erst dann bekamen wir unser Bier im Glas und eine kleine Flasche mit Sake.

Außer uns waren nur noch drei andere Gäste da, die sich angeregt unterhielten. Mir lief jedoch das Wasser im Mund zusammen, als ich dem Koch dabei zusah, wie er unser Futter zubereitete.

Kaum stießen Niall und ich mit unserem Bier an, als wir die erste kleine Sushiplatte kamen und ab da riss der Strom von Essen nicht ab. Alles war auf extra Tellern und Schüsselchen serviert. Die Portionen waren nicht sehr groß, dafür aber gut angerichtet und unglaublich lecker. Zum Glück hatte ich keine Probleme mit Stäbchen umzugehen.

Karaage, in Öl gebratenes und mit Mehl paniertes Huhn und Fisch war voll mein Ding, genauso wie Kushiyaki, so etwas, wie Grillspieße mit Fleisch, Fisch oder Gemüse.

Neben mir goss Niall das runde Schälchen für den Sake ein und ich hielt inne: „Du wolltest mich was fragen als wir ins Tal der Grabscher mussten?"

Nachdenklich bediente er sich am Sashimi, einer japanische Delikatesse aus dünnen Scheiben von rohem Fisch, die ich nicht anrühren würde. Dann stellte Niall völlig überraschend die Gegenfrage: „Bist du glücklich mit Isabell?"

„Total", antwortete ich ohne zu zögern. Ich wollte gerade nach einem Maki-Sushi mit den Stäbchen greifen, als ich bemerkte, dass Niall mich abwartend ansah, also setzte ich hinzu: „Mir fiel das Anständig sein am Anfang sehr schwer, aber mittlerweile-", ich zuckte mit den Schultern und fügte hinzu: „- ich vermisse es nicht, mich kopflos in irgendwelche Schwierigkeiten zu stürzen."

„Pff", kam es von Niall. „Wirst du jetzt langweilig?"

Kurz wurden wir unterbrochen. Der Koch reichte mir eine große heiße Schüssel über die Theke und ich genoss den köstlichen Duft der Ramenbrühe. Alleine dafür hatte sich der Abend gelohnt.

„Das hat mit Langeweile nichts zu tun. Sie macht die kleinen, völlig banalen Dinge zum Abenteuer. Es ist mir total egal was wir machen, so lange ich sie mit Isabell mache."

Niall schwieg und vernichtete die Platte mit dem Sashimi. Ich wollte mich gerade der Schüssel Ramen widmen, als ich inne hielt, denn ein schweigender Niall war nie ein gutes Zeichen. Sofort ließ ich die Stäbchen sinken: „Okay... was ist wirklich los?"

Als würde er Zeit schinden wollen, leerte er sein Schälchen Sake, dann sprach er gelassen: „Ich sitze in der Danielle-Falle."

Augenblicklich ließ ich die Stäbchen fallen. „Nein!", dramatisch wehrte ich mit der Hand ab. „Das bildest du dir ein, du glaubst nur, dass du in der Danielle-Falle sitzt. Niemand von uns gerät da rein, nur Louis, und der hat daraus gelernt."

Die Danielle-Falle war die Zeitspanne, als Louis eine Beziehung mit Danielle Campbell hatte und ewig brauchte, um die Beziehung zu beenden. Denn das Problem war, dass sie eine großartige Frau war. Viel zu gut für Louis. Freundlich, lustig, niedlich, sexy, für ihn da, eine große Stütze – auf den Punkt gebracht, sie war eine Freundin, die sich ein jeder nur wünschte.

Louis wusste all dies. Er mochte sie sehr, respektierte und bewunderte sie.

Doch er liebte sie nicht und das machte es zum eigentlichen Problem.

Wie sagte man einer so großartigen Frau, dass man die Beziehung beendete? Allen voran, weil Louis sie  nicht absichtlich verletzt wollte.

Getan hatte er es am Ende trotzdem und ihm schmerzte weniger das Ende der Beziehung, sondern mehr die Tatsache, dass er Danielle mit der Wahrheit so weh getan hatte.

Es war schwierig das zu erklären. Aber jeder, der emotional schon einmal zurückgewiesen wurde, der wusste, dass die Wahrheit manchmal brutaler war, als wenn man körperlich gesehen fremdging. Ich  verstand den schweren Weg, den Louis hatte gehen müssen auch nur teilweise.

„Wir sind noch ewig mit Hailee auf Tour", erinnerte ich Niall überflüssigerweise. „Weißt du was los ist, wenn du die Danielle-Falle auflösen willst?"

„Ja", gab Niall zu. „Bis nach Amerika haben Hailee und ich ein Hotelzimmer, sie bleibt schließlich unser Vorcast." Aber das war nicht das größte Desaster. Notfalls konnte Niall immer ein anderes Bett finden.

„Okay, malen wir nicht gleich den Teufel an die Wand", fing ich pragmatisch an. „Vielleicht seid ihr beide auch nur gestresst und braucht etwas Abstand. Überstürze das nicht."

Beziehungsdrama dieser Art auf Tour würde noch mehr Stress bedeuten und niemand war besonders scharf darauf. Da hätten wir auch gleich Cheryl samt Bear mitnehmen können und es gab gute Gründe, genau dies nicht zu tun. Liam wusste das wahrscheinlich am Besten, auch, wenn er darüber kein Wort verlor.

Niall positionierte seine Stäbchen neu: „Mir ist klar, was das alles bedeuten kann."

„Sicher?", ich wandte mich ihm zu. „Ich dachte immer, dass Hailee genau das ist, was du immer gesucht hast."

„Das dachte ich auch. Sie ist wunderbar", gab er zu, doch dann schob er hinterher: „Aber ich bin es nicht."

Ich hörte Niall zu und was er mir schließlich beschrieb, erinnerte mich an Louis. Hailee war gefühlt zu perfekt für ihn, sie war hell, warm, die passende Begleiterin. Aber ihm fehlte das Gefühl für sie, was sie ihm entgegenbrachte. „Es ist, als würde sie mehr in mir sehen, als wirklich da ist."

„Das ist oft in Beziehungen so, ich weiß auch nicht, was Isabell an mir findet", gab ich zu. Doch Niall meinte: „So meine ich das nicht. Eher... ich sehe Hailee nicht so, wie sie es verdient hat. Mir fehlt... was du beschrieben hast. Nämlich das alleine ihre Anwesenheit ein Teil des Abenteuers ist. Wenn wir zusammen sind, ist es zu normal, zu austauschbar."

Das klang nach Zuneigung, aber nicht nach Liebe.

Mein Gefühl verriet mir, dass Niall tatsächlich in der Danielle-Falle saß, aber statt es laut auszusprechen, meinte ich: „Überstürze das nicht. Vielleicht ist das einfach der Tourstress, der jetzt einsetzt. Wäge das in Ruhe ab. Am Ende irrst du dich noch."

„Vielleicht", gab er zu.

„Ganz sicher", bekräftigte ich. „Jede Beziehung hat Phasen, die schlechter laufen und dann wieder besser. Du hattest nie Zeit für eine längere Beziehung und kennst das einfach nicht. Gib die mehr Mühe und hör auf mit so Quatsch wie Grabsch-Bars!"

„Du stellst dich aber auch an", Niall zwang sich zu einem Grinsen. „Früher haben wir ständig Mist ausprobiert. Erinnerst du dich an Amsterdam? Paul ist an die Decke gegangen als er uns im Rotlichtmilieu hatte abholen müssen, weil wir den Weg zum Hotel nicht mehr fanden."

Unweigerlich musste ich schmunzeln. Damals hatten Niall und ich einfach nur zu viel getrunken und uns hatten freundliche Transvestiten in Schaufenstern eiskalt adoptiert und eingesammelt. Wir waren nicht auffällig in sexueller Hinsicht geworden, sondern hatten nur Alkohol mit einem 'netten' Muffin in Kombination nicht vertragen.

Das Glück hatte uns an diesem Tag schlicht den Hintern geküsst.

„Irgendwann wirst du froh sein, dass wir so viel Quatsch gemacht haben", behaupte Niall und reichte dem Koch leere Platten und Schüssel, damit er neues Sushi bestellen konnte. Ich schnaubte, weil ich das nicht zugeben wollte, aber doch irgendwo wusste, dass er recht hatte.

Ich halbierte die Ramen und nahm einen großen Schluck von meinem Bier. Es war lange her, seit Niall und ich in Ruhe miteinander gesprochen hatten und mir wurde klar, dass ich so etwas vermisste.

„Übrigens", sprach Niall als er sein neues Sushi bekam, „wie kommst du mit der Gebärdensprache zurecht?"

Verblüfft musterte ich ihn: „Was meinst du?"

„Louis hat erzählt, dass Fizzy sie lernt und ich dachte, das tust du doch sicher auch", fasste er zusammen. Ich runzelte die Stirn: „Nein, ich kann mit Isabell ganz normal reden."

„Mit ihrem Umfeld auch?"

Nialls Neugier irritierte mich und ich wich aus: „Nicht mit allen, aber Isabell übersetzt für mich, wenn es wichtig ist. So einfach ist das."

„Aha", machte mein Kumpel und verschlang einen Kushiyaki-Spieß. „Nervt dich das nicht, ich meine, alles übersetzten zu lassen, wenn du die Sprach selbst lernen könntest?"

„Nein, ich meine, ich brauche diese Sprache nicht wirklich und ich denke, es ist in Ordnung sie nicht zu können", gab ich zu.

Im gleichen Moment begriff ich jedoch selbst, dass diese Aussage wie eine Lüge klang. Also fügte ich hinzu: „Außerdem glaube ich nicht, dass man die Gebärdensprache so leicht lernen kann, wie eine andere. Ich kann schließlich nicht einfach so Kurse besuchen, dafür sind wir zu viel unterwegs."

„Vielleicht gibt es eine App", warf Niall ein.

„Warum interessiert dich das?", horchte ich und er zuckte mit den Schultern: „Wieso nicht? Ich meine, ich weiß, du kannst ein, zwei Wörter, richtig? Wieso nicht einfach noch mehr?"

Das stimmte. Ich konnte mich bedanken, aber das hatte ich eher durch Zufall gelernt und fast schon vergessen. „Das weiß ich selbst nicht", das war zumindest ehrlich. „Willst du sie lernen?"

„Keine Ahnung", Niall lehnte sich leicht zurück. „Um sie wirklich zu beherrschen, müsste ich sie anwenden, sonst vergisst man eh wieder die Hälfte und es ist ja nicht so, als hätte ich jemanden zum austauschen."

Ich wechselte das Thema. Zum Glück ging Niall drauf ein. Die Männer auf der anderen Seite des Izakayas begannen lauter zu reden und schalteten einen alten Fernseher ein. Karaoke begann schief und überschwänglich. Nur mit Mühe verkniff ich mir das Lachen und zum ersten Mal an diesem Abend fand ich es schade, dass wir nur 24 Stunden frei hatten.

Viel zu wenig, um sich wirklich eine Stadt abseits des Tourismus vernünftig anzusehen. Aber so war es halt und als ich viel später Niall hinaus in die Dunkelheit von Tokio folgte, den Mundschutz wieder angebracht und die Mütze ins Gesicht gezogen, da nahm ich mir vor die magere Freizeit auf dieser Tour sinnvoller zu nutzen.

Statt ein Taxi zu nehmen, gingen wir zu Fuß und genossen noch einmal den Vorteil zu gehen, wohin wir wollten. Bis unter die Ohren satt, schlenderten wir regelrecht und erreichten durchgefroren das große Hotel.

In der Lobby trafen wir überraschend auf Liam, er sah uns genauso verblüfft an, wie wir ihn. Neugierig löcherte Niall ihn mit Fragen: „Na, wo warst du? Hast du ein paar nette Drinks ausgegeben?"

„Geht dich nichts an, du neugierige Nase", wandte sich Liam geschickt und wir holten an der Rezeption unsere Schlüssel. Für Niall war etwas abgegeben worden, also ging ich mit Liam zum Fahrstuhl.

Er roch nach Alkohol und Parfüm. Doch ich sagte nichts dazu. Liam gähnte und drückte den Knopf für das passende Stockwerk. Auch ich spürte nun die Müdigkeit in meinen Gliedern und bemerkte mit einem Blick auf das Handy, wie spät es mittlerweile schon war.

„Warst du alleine unterwegs?", fragte ich und er antwortete knapp: „Nein, hatte einen Dolmetscher und Jerry  dabei."

Der Fahrstuhl hielt und die Türen glitten wieder auf. Ich trat als erstes über die Schwelle und hielt prompt inne, als Liam sprach: „Harry."

Ungeübt nahm ich mir den Mundschutz und die Mütze ab, da es im oberen Flur sehr warm war. „Was ist?"

Liams Blick veränderte sich, die Müdigkeit verschwand aus seinen Augen und er blickte kurz nach rechts und links, so als würde er sich vergewissern, dass wir alleine waren. Sein Verhalten machte mich nervös und schließlich sprach er aus, was mir wie ein Donnerschlag durch Mark und Bein ging.

„Ich weiß, was du mit Eleanor in Las Vegas getan hast."



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Kurzes Nachwort: wie geht es euch heute?

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