45 Das Gewicht von Seifenblasen.
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Die Eskalation kam so plötzlich, dass ich mir vorkam wie im falschen Film.
Louis flippte aus, ging mit einer unbändigen blanken Wut auf Harry los und ich reagierte viel zu langsam. Erst nach dem dritten Schlag schaffte ich es mich direkt zwischen die beiden zu stürzen und unterschätzte die Kraft meines besten Freundes ungemein.
Durch die Wucht des Schlages, mitten in die Fresse, stolperte ich und knallte wie ein nasser Sack gegen die Wand. Sofort schmeckte ich Blut und in meinem Kopf klingelte es. Der Schmerz knipste mir kurz das Licht aus und ich merkte, dass Louis nicht mehr haltlos auf Harry einprügelte.
Viel zu spät rissen Liam und Jerry ihn herum und erst da begann er sich so heftig zu wehren, als wäre er nicht mehr Herr seiner Sinne. Mein Puls schoss durch die Decke und ich sah, dass Paul auf Harry zustürzte, in meinen Ohren rauschte es, ich hörte zwar, dass Paul herumbrüllte, aber ich verstand nicht was.
Ich zuckte zusammen als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Basil beugte sich herunter, ich starrte auf seine Lippen, während er leise sprach: „Geht's?"
Hart schluckte ich: „Ja... ich denke schon."
Was zum Teufel war hier nur los?
Ich sah nur noch, wie Jerry und Liam Louis in einen anderen Raum hievten und endlich kam jemand mit einem Erstehilfekasten. Ratlos bemerkte ich, dass Harry sich nicht gewehrt hatte. Stattdessen war er einfach liegen geblieben und hatte nicht mal die Hände schützend vor das Gesicht gehalten.
Louis schien ihm die Nase gebrochen zu haben, Blut floss, sein Gesicht veränderte sich und mir wurde klar, dass... es ihm egal war. Das er die Trennung von Isabell schlecht wegsteckte war auch Liam aufgefallen.
Fix und fertig ließ ich mir von Basil aufhelfen. Kaum stand ich auf den eigenen Beinen, da taumelte ich an dem Pulk um Harry vorbei. Ich musste atmen, frei und tief. In der Tiefgarage war es dunkel, es roch nach Benzin und die Wucht von Louis' Schlag ließ Übelkeit in mir aufsteigen.
Eh ich mich versah, kotzte ich. Ich fing an zu zittern, schwitzen und mir war heiß und kalt zugleich. Mir war bereits nicht gut gewesen, als wir zum Konzert fuhren. Das scheiß Interview mit den zahlreichen Youtubern brachte mich nach all den Stress der letzten Wochen an meine Grenzen.
Ich gab nur kurze und unpersönliche Antworten, weil ich nicht immer die Fragen sauber verstand. Das Mundbild war für die Tonne, die Akustik des Raumes zum Schreien und ich so schrecklich erschöpft. Meine Konzentration schien nicht mit mir, sondern neben mir zu laufen.
Aber um ehrlich zu sein, ich hatte die Fragen auch einfach nicht verstanden. In den Gesichtern der Youtubern konnte ich nicht richtig lesen, sie alle waren völlig überdreht von ihrem Gegrinse. Als Rita dann meinte, wir würden die kompletten Interviews noch einmal machen müssen, da war mir danach mich einfach auf den Boden zu setzen und dort zu bleiben.
Das Konzert selbst war die Hölle. Es war so unglaublich anstrengend rechtzeitig zu reagieren, auf das zu hören, was die Jungs von sich gaben und sich immer und immer zu konzentrieren.
Doch das Schlimmste war, ich verpasste akustisch immer wieder meinen Einsatz, denn ich hörte mich selbst nicht mehr richtig. Ich traf die Töne nicht, in meinen Ohren klang alles schrecklich falsch.
Und ich wusste genau, woran das lag.
Mein Gehör war schlechter geworden und hatte sich erneut verändert.
„Ist der Dreck raus?", Basil stand hinter mir. Mein Magen war nun leer und automatisch griff ich nach der Wasserflasche und den pappigen Tüchern. Nachdem ich mir den Mund ausgespült und abgewischt hatte, da bemerkte ich, wie sehr ich schwitze und mein rechter Wangenknochen anfing zu schmerzen.
Lautes Getöse war zu hören, hinter Basil liefen Sanitäter vorbei und er sprach ruhig: „Ich bringe dich nach Hause. Rita will euch morgen sprechen."
„Rita kann mich mal!", murmelte ich und wollte wieder zurück in den Flur, doch Basil hob die Hand: „Nein, ich soll dich nach Hause fahren. Man wird sich um Louis und Harry kümmern."
Kurz zögerte ich, aber dann gab ich diesem drängenden Gefühl nach. Denn ich wollte weg hier. Basil war ein schweigsamer Fahrer und ich machte keine Anstalt das zu ändern. Wortlos verließ ich eine Stunde später das Auto, nickte ihm zum Abschied zu und betrat mein Haus. Dunkel lag es vor mir und ich schritt automatisch in die Küche. Dort nahm ich mir ein Kühlakku aus dem Gefrierfach und drückte es gegen meine Wange.
Louis hatte einen unglaublich heftigen Schlag drauf.
Schwerfällig setzte ich mich auf die Couch und regte mich eine ganze Weile gar nicht mehr. Ich war so kaputt, ausgelaugt und merkte, dass ich nur noch auf Sparflamme lief. Als hätte mein Handy nur darauf gewartet mir den Rest zu geben, vibrierte es und ich zog es aus der Hosentasche.
Seit ich den Ton nicht mehr höre, hatte ich die Vibration eingestellt. Nur durch Vibration wurde ich morgens überhaupt noch wach. Mein Wecker war zu leise und ich konnte ihn nicht mehr lauter stellen.
Eine E-Mail war eingetrudelt und als ich sie öffnete, da war mir, als würde unter der Boden aufbröckeln und mich schließlich verschlingen. Eine Liste von 25 Punkten und Terminen schlug mir entgegen.
Das neue Interview mit den Youtubern, Radio, Aufnahme zwei kleiner Werbespots, Gespräche mit dem Marketing, mit den Produzenten, Judy wollte eine neue Garderobe für die Fortsetzung der Tour mit uns ausmachen und dann sah ich all die Daten, die noch auf mich zukommen würden.
Ich erstickte.
Das konnte ich nicht.
Ich wollte nicht mehr!
Auf keinem Fall würde ich mich durch all diesen Stress schleppen, durch all diese Gespräche. Mein Sicherheitsnetz unter den Füßen riss Strick für Strick.
Mein Fass war voll, ich bekam den Spagat zwischen all dem Stress nicht mehr hin. Nelson würde mich anbrüllen, Rita auch, ich würde nicht mitkriegen, worum es bei der Besprechung mit unserem Management ging, schon das letzte Mal hatte ich mir eine blöde Ausrede einfallen lassen, um meinen Vertrag zu Hause in ruhe lesen zu können. Es würde auffallen, besonders, wenn unsere Anwälte vorher noch zusammenfassten, worum es ging.
Aber ich kam trotzdem nicht mit, weil alle gleichzeitig redeten, jeder mit seinen Mandanten.
Jetzt brannte meine Haut, mein Kopf dröhnte und ich warf den Kühlakku weg. Hier konnte ich nicht bleiben. Basil sammelte mich ein, irgendein Schwachkopf überredete mich all diesen Scheiß mitzumachen und ich war sicher der nächste, dem man die Faust in die Fresse rammte. Ich hatte Liam angesehen, dass ihm klar war, etwas würde nicht stimmen.
Dass auch Harry und Louis ein extremes Problem hatten war etwas, was ich mir jetzt im Augenblick wirklich nicht aufbinden lassen konnte. Ich kam ja nicht mal mit meinem Mist klar!
Automatisch zog ich die Sporttasche aus meinem Schrank, warf ein paar Klamotten rein. Hastig sah ich im Internet nach Flügen. Ich würde keine verdammte Stunde mehr hierbleiben und abhauen. Am besten so weit weg, dass man mich nicht so schnell einsammeln konnte.
Japan war cool. Deutschland, Hamburg.
Ich hielt inne. In drei Stunden ging ein Flug nach London. Prompt dachte ich an Noah. Er antwortete seit Chicago nicht mehr all zu oft. Wir hatten angefangen zu schreiben. Erst regelmäßig und oft und ganz plötzlich ließ das von seiner Seite aus nach.
Warum war mir rätselhaft.
Jedem logisch denken Menschen wäre klar, dass er kurz davor war mich zu ghosten. Ich war noch nie geghosten worden und er würde verdammt noch mal nicht der Erste sein!
Ich stürzte regelrecht in unauffällige Klamotten und saß schließlich klatschnass im Taxi. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Mein verdammtes Glück war es, dass auf dem Flug nach London in der Business Class noch etwas frei war. Ein hoch auf die völlig überzogenen Preise. Die Touristenklasse hätte ich nicht gepackt.
Tief zog ich mir selbst während des Fluges eine Snapback ins Gesicht und schaltete mein Handy komplett aus. Ich schaltete es nicht mal mehr ein, als ich ein halbes Leben lang später in London landete.
Mir war, als hätte ich Fieber und merkte selbst, dass das Shirt unter meinem Hoodie nassgeschwitzt war. Es war mir so scheiß egal und meine Schritte führten mich, ohne zu zögern, durch den Heathrow Flughafen. Nachdem die Glastüren vor mir aufglitten, da schnappte ich wie ein Ertrinkender nach Luft.
Es war halb acht abends, ich hatte einen ganzen Tag wegen der Reise verloren und mittlerweile dürfte man in Los Angeles gemerkt haben, dass ich weg war. Mein Gewissen sagte mir, ich sollte zumindest Basil bescheid sagen, doch ich tat es nicht. Stattdessen nahm ich ein Taxi.
Während des Fluges hatte ich lange darüber nachgedacht, wo ich nun hinsollte. Ich wollte nicht in mein Loft, dort würde man mich suchen. Eigentlich möchte ich doch nur verschwinden und keine Spuren hinterlassen. So, wie ein Geist.
Ich hatte London an sich nicht die Spur vermisst. Laut, hektisch und genauso chaotisch wie das Tourleben. Aber als ich den Fahrer nach einer Weile bezahlte und vor einem Haus stand, wo ich bereits einmal gewesen war, da hatte ich einen Kloß im Hals.
„Ich bin dämlich", sprach ich mit mir selbst und klingelte. Nervös trat ich von einem Bein auf das andere.
Wieso glaubte ich, dass Noah mir überhaupt die Tür aufmachte? Wie kam ich überhaupt dazu einfach bei ihm aufzutauchen?
Was sollte ich ihm sagen?
Darüber hätte ich mir vorher Gedanken machen sollen.
Zu meinem Glück oder auch Pech machte mir niemand die Tür auf. Ich klingelte immer wieder, aber die Tür blieb zu. Erschöpft und mit schweren Gliedern ließ ich mich auf der ersten Stufe zur Haustür nieder und vergrub den Kopf in den Händen.
Meine Augen fielen zu und ich dämmerte leicht weg. Ich sollte mir überlegen, ob ich in ein Hotel ging oder ich auf sonst was für Ideen kam. Doch jetzt gerade im Moment wollte ich einfach gar nichts. Nur bleiben wo ich war. Mir tat jeder Knochen im Körper weh, innerlich fühlte ich mich völlig ausgelaugt und war fix und fertig. Ich schwitzte, fror und fröstelte. Dann fing es auch noch leicht an zu nieseln.
Beinahe erschrocken fuhr ich hoch als ich etwas an meinen Füßen spürte und riss die Augen auf. Ein haariges Pony beschnüffelte mich und ich erkannte den Hund erst auf den zweiten Blick. Desorientiert blinzelte ich und zog meine Füße näher zum Körper. Der Hund hechelte fröhlich und ich hob den Kopf.
Sichtlich überrascht musterte Noah mich. Sein braunes Haar stand chaotisch vom Kopf, er trug einen verwaschenen grünen Pullover und schien schwer bepackt mit Lebensmittel. Er sah ausgeschlafen, erholt und ganz gegensätzlich aus, wie ich mich fühlte. Ich wünschte, er würde schief grinsen, ich mochte es, wenn er lachte. So direkt und nicht die Spur zurückhaltend. Aber den Gefallen tat er mir nicht.
Stattdessen wälzte mich das Pony nieder und Noah stellte drei pralle Einkaufstüten ab. Mit einer Hand machte er Gebärden, aber ich verstand sie nicht. Als er das merkte, da kramte er nach seinem Haustürschlüssel und schob sich an mir vorbei.
Das Pony stieg einfach über mich drüber und hechelte in den ersten Stock. Dort öffnete ein alter Mann seine Wohnungstür und ließ das Monster rein. Der Alte machte die Danke-Gebärde und ich erkannte, dass er erklärte: »Ich mache die nächste Runde. Komm erst Morgen wieder.«
Von Noah kam das simple Okay-Zeichen. Die Wohnungstür des Opas knallte zu und Noah wandte sich um, erneut musterte er mich und obwohl sein Gesicht sonst immer ausdrucksstark an Emotionen war, so wirkte er dieses Mal merkwürdig zurückhaltend. Er hob die zahlreichen Einkäufe und stampfte die Treppen hoch. Ich dagegen wusste nicht, was das nun bedeuten sollte.
Gehemmt blieb ich, wo ich war. Noah hielt inne und bemerkte, dass ich mich nicht regte, er seufzte und nickte mit dem Kopf nach oben. Nur langsam setzten sich meine Beine in Bewegung. Die kleine Reisetasche kam mir furchtbar schwer vor und obwohl Noah definitiv mehr schleppte als ich, inklusive des vollen Rucksacks samt den zahlreichen Tüten, nahm er die Treppen bis unter das Dach spielend leicht.
Die WG war merkwürdig ordentlich, nichts stand im Flur herum, die Küche war leer und ich begriff, dass Noah sturmfrei hatte. Isabell und dieser Benny waren ausgeflogen. Während Noah die Einkäufe anfing einzuräumen, bemerkte ich einen Zettel am Kühlschrank. Seine Mitbewohner waren unterwegs für einen Fotokurs und würden in fünf Tagen zurückkommen. Was mich innehalten ließ, waren die Sätze darunter. Die Schrift war kringelig und mädchenhaft, zweifelsohne waren es Isabells Worte.
‚Schlaf dich aus und schalte einen Gang zurück. Apple frisst dich auf und kaut dich durch, Urlaub heißt Urlaub. In deinem Fall eher Überstunden abfeiern. PS: Vergiss nicht einzukaufen und nicht nur Scheiße in dich reinzustopfen.'
Scheiße... meinte sie Fastfood?
Ich nahm den Blick vom Kühlschrank und bemerkte, dass Noah mich ansah, er machte unmissverständliche Gebärden: »Du solltest ganz dringend duschen, denn du stinkst furchtbar.«
All die hoppeligen und aufwendigen Übungen Gebärdensprache zu lernen, zahlte sich aus. Allerdings hatte ich bereits festgestellt, dass ich die Gebärden besser verstand, als sie selbst zu nutzen. Deshalb nickte ich knapp und deutete auf die Richtung, wo ich das Bad vermutete.
Wenig später betrat ich den engen Raum. Man sah sofort, dass drei Leute mühsam versuchten sich ein wenig Platz zu erkämpfen. Ich zog mich aus und roch an meinem Shirt. Noah hatte recht, ich roch wirklich müffelig und stieg in die Badewanne. Die WG hatte keine extra Dusche, sondern nutze alles in einem.
Ob das Wasser heiß oder kalt war, spürte ich nicht. Blind griff ich nach irgendeinem Shampoo und gab mir nur halbherzig mühe. Nachdem ich fertig geduscht hatte, kramte ich in meiner Sporttasche herum und zog eine frische Boxershorts und irgendein Shirt an.
Jeder Zentimeter meines Körpers war müde, erschöpft und fertig. Aber ich merkte zumindest, dass dieses nagende Gefühl von Angst langsam gedämpft wurde.
Nur notbedürftig rubbelte ich mir die Haare trocken und ließ alles stehen und liegen. Ohne darüber nachzudenken, verließ ich das Bad und ging automatisch die Treppen hoch. Ich wusste wo Noahs Zimmer war und als ich die Tür aufstieß, da blinzelte ich leicht. An sich hatte sich nicht viel verändert, nur, dass statt dem Fußballposter nun lauter Formeln an der Dachschrägen klebten.
Merkwürdig geordnet und aufgeräumt wirkte der Raum, aber ich schenkte dem keine Beachtung. Stattdessen fiel ich nahezu ins Bett und schloss die Augen. Ich würde mich um alles kümmern, später, irgendwann. Um die Fragen, die Noah bestimmt hatte, um mein Handy, das aus war und die ganze To Do Liste, die bis zum Mond ging.
Der Schlaf überrollte mich wie eine Lawine, mein Körper entspannte sich. Das erdrückende Gefühl schwand. Ich konnte wieder ruhig atmen.
Denn ich war sicher.
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Wow, dieses Kapitel hat mich sehr gequält. Es kommt wenig wörtliche Rede vor, aber das war auch beabsichtigt. Ich hoffe, es las sich deshalb für euch nicht unglaublich zäh :(
Danke, dass ihr weiter dabei seid und endlich, endlich, endlich haben wir Noall. Jetzt passieren zeitlich viele Sachen zugleich, aber bleiben wir an dieser Front. Ist das okay für euch?
So... wer ist denn von euch nicht eingeschneit? xD und wer ist schon Schlitten gefahren und wer mit dem Hintern, so wie ich, im muckeligen Warmen geblieben?
PS: Antworten auf eure süßen Kommis sind unterwegs :D
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