4 Ashita wa ashita no kaze ga fuku.

┊  ┊  ┊          ★ HARRY

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Es war kalt in Tokio und ich fröstelte. Mit Mundschutz durch die Gegend zu laufen war ungewohnt, doch viele Japaner taten es uns gleich und ich verließ mich auf Niall. Er schien genau zu wissen, wo er lang musste und kannte das U-Bahnsystem halbwegs.

Obwohl auch ich mehrfach Japan besuchte, so bewegte ich mich nie in so einem großen Radius, wie Niall es tat. Immer dabei hatte er sein Handy um mit einer App fix etwas zu übersetzen. Wir tauchten zwischen all den Menschen unter, die am Abend das Nachtleben genießen wollten. Bunt und Schrill leuchteten die Lichter.

„Wo willst du überhaupt hin?", fragte ich, während Niall ein paar Selfies schoss. Mein Kumpel klang dumpf durch den Atemschutz: „Lass dich überraschen. Wird bestimmt echt cool."

Kam eben drauf an, was man als cool definierte.

Niall sah mich an: „Erst erleben wir ein bisschen Action und dann gehen wir was Essen, okay?"

„Klar", nickte ich und vergrub die kalten Hände in der Jackentasche. Kurz erinnerte ich mich daran, dass Preston uns mit einem nachdenklichen Gesicht hatte gehen lassen. „Wieso hast du eigentlich nicht Louis für dein Abenteuer mitgeschleppt?"

Ich roch Essen an Straßenecken und trat einer Gruppe kichernder Oberschülerinnen aus dem Weg. Niall neigte leicht den Kopf: „Weil du die Ablenkung mehr brauchst. Außerdem wollte ich dich ein paar Dinge fragen."

Nun war ich aber gespannt. Wir verließen das Schaufenster von einem Katzen-Café, das Niall so interessant fand und ich wartete. Doch mein Kumpel bestaunte weiter sein Umfeld und drehte hier und da mit seinem Handy einen kurzen Film. Wie ein Flummi sprang er hin und her.

Ein Kinderwagen wurde an uns vorbeigeschoben, doch statt einem Hosenpupser, saß ein Hund darin. Mehr als ein „Tz", konnte ich nicht von mir geben.

„Worauf hättest du mehr Lust, auf ein Maid-Cafés oder einer Hostessen-Bar?", warf Niall plötzlich schwungvoll ein. Ich seufzte: „Gehört das zu deinen Fragen?"

„Nein", wehrte er ab und ich ließ mir erklären, wie das in so einer Hostessen-Bar ablief. Im Endeffekt würden wir dafür bezahlen müssen, dass uns hübsche Japanerinnen Gesellschaft leisteten. Noch dazu gingen die Getränke, die sie in sich kippten, auf unsere Rechnung.

Langsam schlenderte ich hinter Niall her: „Wieso soll ich bezahlen, damit mit mir hübsche Frauen reden? Das habe ich auch so."

„Wir könnten ja trotzdem Mal reinschnuppern", meinte mein Kumpel und ich runzelte die Stirn: „Hast du nur perversen Kram auf deiner Sightseeing Tour? Entweder bezahlen wir Kellnerinnen im Maidkostüm mit uns Vier gewinnt zu spielen und Miau bei einem Foto zu sagen oder wir bezahlen Frauen, damit sie die Drinks trinken, die wir ihnen ausgeben?"

Er musste doch selbst merken, wir kurios das klang. Doch stattdessen zuckte er nur mit den Schultern: „Na ja, ich dachte, so eine Roboter-Show würde dich langweilen. Bist ja schließlich auch nicht der Typ für Videospiele."

Da hatte er allerdings recht. Ich zeigte mich kompromissbereit: „Was hast du sonst noch auf den Plan?" Prompt bemerkte ich, dass Niall mit den Augenbrauen wackelte und von mir verlangte: „Das verrate ich nicht, aber du müsstest bereit sein, trotzdem mitzukommen."

Ja klar, ich könnte mich auch gleich wieder ins Spa begeben, zur angeblichen Massage. Wobei, eine Massage hätte es werden können, nur bei den falschen Körperteilen. „Versprich mir, dass es nichts ist, wofür wir Ärger kriegen könnten."

„Ach Quatsch", wehrte Niall ab und zog den Mundschutz etwas herunter: „Ich habe dafür gesorgt, dass wir zu einer Attraktion Zutritt haben, wo es normalerweise heißt; Nur Japaner. Nicht einmal Journalisten sind dort willkommen."

Ein Gutes hatte das Ganze dann. Wir würden nicht zufällig entdeckt und in der Presse landen. Zumindest so lange wir weiter schön unauffällig durch die Gegend krochen.

Niall übernahm nun weiter das Kommando unserer kleinen Tour und zu meiner Verblüffung führte er mich schließlich zu einer Bahnstation für die Metro. Sofort dachte ich wieder an Isabell und wurde wütend.

Sie hätte die dämliche Tube gar nicht erst nutzen dürfen, aber gleichzeitig wusste ich, wie sehr sie darauf pochte selbstständig zu bleiben und es nicht mochte, wenn man sich ihretwegen Umstände machte.

Aber in Zukunft würden die Umstände nicht ausbleiben, wenn ich nicht wollte, dass ihr noch einmal etwas passierte. Ich sollte mir echt Gedanken darüber machen, wie ich ihr das am Besten verkaufte.

„Meine Fresse", nervte Niall neben mir. „Du hast heute aber auch ein Tempo drauf, wie eine Schlaftablette, jetzt penne nicht ein!"

Ich bewegte mich trotzdem nicht schneller vorwärts und rieb an der kalten Station die Hände aneinander. „Mit welcher Bahn fahren wir?" Es war nicht viel los und mir fiel im ersten Moment überhaupt nicht auf, dass wir nur Männer waren, die auf die Metro warteten.

Niall ließ hier und da was übersetzten und fuchtelte mit seinem Handy herum und ich ließ den Blick schweifen. Geschäftsmänner in Anzügen, Arbeiter, der durchschnittliche Mittelsmann, sie alle zogen eine merkwürdige Fahrkarte aus ihren Jackentaschen und kurz darauf tat Niall es ihnen gleich.

Er reichte mir meine, doch da ich kein japanisch konnte und es keine Bildchen darauf gab, hatte ich keinen Plan, wo genau es nun hingehen würde. Innerhalb von fünfzehn Minuten fuhr nicht eine Metro ein. Und als endlich eine kam, da wechselte Niall von einem Bein auf das andere.

Obwohl die Metro zwei Wagons hatte, war nur einer zugänglich und an den Eingängen standen uniformierte Männer, die unsere Fahrscheine sehen wollten. Normalerweise lief das doch irgendwie anders ab.

In der Metro gab es die Sitzplätze nur seitlich, man saß auf langen Sitzbänken und ich nahm automatisch Platz. Niall dagegen blieb vor mir stehen und hielt sich an einer Stange über unseren Köpfen fest.

„Wie lange fahren wir?", fragte ich und er meinte leichthin: „Och, eine Weile."

Aha.

Die eisigen Hände in den Jackentaschen vergraben, sah ich mich in der Bahn um und musterte die anderen Fahrgäste. Tatsächlich, alles Männer. Waren wir in einem Wagon, wo nach Geschlechtern getrennt wurde? Eine Gruppe junger Studenten wirkte erschreckend aufgeregt, während der alte Kerl dahinter nervös mit seinen Fingern spielte.

Konnte es sein, das wir hier alle zur selben Veranstaltung wollten?

Niall zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht und obwohl er den Mundschutz trug, war ich mir sicher, dass er grinste. Weshalb eigentlich, was war an dieser Bahnfahrt bitte so witzig?

Die Metro kam zum Stehen und die Tür glitten auf. Niemand stieg aus, stattdessen traten zahlreiche Frauen ein und langsam begriff ich, was das hier war. Wahrscheinlich irgendeine neue Art des Speed-Dating.

Doch ich irrte, denn keiner von den Männern sprach eine der Frauen an. Stattdessen reckte jeder den Kopf und ich checkte die Neuankömmlinge ab. Oberschülerinnen in netten Schuluniformen, schöne Frauen mit ultra kurzen Rücken, die normale Hausfrau, sie verteilten sich in der Metro.

Nun ratterte der Wagon weiter, Musik dudelte aus Boxen, verstummte, dudelte wieder und ich lehnte mich zurück. Doch dann beobachtete ich es aus den Augenwinkel zum ersten Mal. Keinen Meter von mir entfernt begrabschte ein alter Knacker eines der Schulmädchen. Doch es war so voll und eng, dass ich erst glaubte, mich vertan zu haben.

Allerdings wanderte seine Hand noch einmal über ihren Po. Hatte der einen Schuss weg? Sie sollte ihm eine Klatschen. Aber sie tat es nicht.

Irgendwann blieb die Metro stehen und zwar sehr lange. Hinter Niall presste sich einer der Studenten hinter die Hausmutti und als die Bahn kurz ruckelte, da tat er, als wäre er ganz rein zufällig an ihren Busen gekommen.

Was lief nur falsch bei diesen Leuten hier?

„Niall", sprach ich gedämpft, fast flüsternd. „Wenn der Typ hinter dir noch mal stolpert oder so tut, dann stolpere ihm mal gegen die Eier."

„Hä?", kam es unintelligent von meinem Kumpel. „Wieso?"

„Weil der Kerl da die Frau in der roten Jacke belästigt", raunte ich angewidert. Leicht neigte Niall den Kopf, um ihn zu sehen, doch stattdessen wurde es plötzlich noch enger in der Metro und er stand so dicht vor mir, dass die Frau mit der roten Jacke aus meinem Blickfeld verschwand.

Irgendwo hörte ich, dass eine Frau laut schimpfte und reckte den Kopf. Sie schimpfte eine Halbglatze aus und ich vermutete, dass auch der seine Griffeln nicht bei sich behalten konnte. Gut so, jetzt musste nur noch jemand den Perversen festhalten und anzeigen.

Doch stattdessen passierte gar nichts. Die Frau schob sich wo anders hin und der Mann kam damit davon. Verdient hätte er eine peinliche Szene vor der Polizei und der Ehefrau, die ganz sicher zu Hause auf ihn wartete.

Angeekelt sah ich weg.

Dafür entdeckte ich das nächste skurrile und anstößige Verhalten. Zwei Sitze von mir entfernt starrte ein Arbeiter, der noch seine Uniform trug, unverhohlen in den Ausschnitt der Damen vor ihm. Außerdem war da eine Hand auf ihrem Hinter, die da nicht hingehörte.

Das reichte. Ich wollte aufstehen und diesen Perversen ordentlich eins auf die Nüsse geben.

„Was machst du da?", flüsterte Niall plötzlich und drückte mich zurück auf den Sitzplatz. Ich verzog verstimmt das Gesicht: „Die Frau dort wird belästigt, ich kann mir das nicht länger mitansehen! Der Sack tut als wenn er das dürfte."

„Das darf er doch auch", meinte Niall und ich sah ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle: „So ein Schwachsinn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine Art japanischer Kultur in der Metro ist."

Statt mich loszulassen, drückte mich Niall noch einmal auf den Sitzplatz und dann bemerkte ich zu meiner Verwirrung, dass er Mühe hatte nicht laut loszulachen. Ich fand Belästigung alles andere als witzig, doch bevor ich meinen Unmut laut durch die Gegend posaunen konnte, beugte sich Niall zu mir runter.

„Doch, der darf das, Harry. Wir sind in einer so genannten Grabsch-Bar."

...

Regungslos sah ich ihn an. Nur langsam ratterte die Information wirklich in mein Hirn vor.

Grabsch-Bar.

Wir.

Hier.

Dieser... Steckdosenbefruchter!

Mir wurde eiskalt, heiß und schlecht. Und so dauerte es, bis ich die richtigen Worte fand. Mit der Hand griff ich in Nialls Jacke und zog ihn ruppig zu mir runter, er knallte fast mit der Nase gegen meine Stirn: „Was läuft in deinem Kopf falsch, dass... dass du uns hier hin schleppst!"

„Na ja", Niall räusperte sich amüsiert, „einer der Dolmetscher hat mir davon erzählt, als wir in Osaka waren und ich wollte das mit eigenen Augen sehen, weil ich nicht glauben konnte, dass es so was wirklich gibt. Also hat er mir zwei Karten besorgt."

„Wer ist die arme Sau, die eigentlich an meiner Stelle mitsollte?", der sollte mir Schmerzensgeld zahlen, weil ich diesen... Schweinekram ertrug.

Niall schien das alles ganz anders zu sehen: „Basil, verpasst er eben ordentlich was."

Ja, Grabscher, Perverse und... ich brach den Gedanken ab und zwang mich nur Niall anzusehen und nicht noch eine Hose zu erhaschen, wo sich jemand an dieser Situation aufgeilte. Gezwungen ruhig atmete ich durch und frage: „Wie... lange müssen wir hier noch bleiben?"

„Halbe Stunde", antwortete Niall, dann nickte er mit den Kopf auf ein Schulmädchen, das sich zu uns drängelte. Sie trug eine niedliche Matrosenuniform und ganz dreist frage mein Kumpel mich: „So rein theoretisch, wir haben ja hierfür Eintritt bezahlt und dann ist es ja kein Fremdfummeln, ne?"

Dieses Mal roch ich den Braten und griff zur Tasche seiner Jeanshose und zog ihn zu mir. Da es im ganzen Wagon echt eng war und hier sowieso jeder grapschte, beugte ich mich nur dem Gruppenzwang. Meine freie Hand glitt zwischen Nialls Beine und ich drückte zu, sodass er eine gute Vorstellung davon bekam, wie sich zerquetschte Eier anfühlten.

„Uh, Harry, du-", seine Stimme klang beängstigend hoch

„Psssst", zischte ich. „Zieh hier keine Aufmerksamkeit auf dich, sonst darfst du Preston erklären, was wir an so einem Ort zu suchen hatten. Und jetzt stell dir besser nicht vor, was deine Mutter dazu sagen würde, oder deine reizende Freundin. "

Ganze 28 Minuten hielt ich locker in dieser Position durch. Niall eher weniger. Nervös und verschwitzt hatte er Mühe sich in der fahrenden Metro nicht zu bewegen.

Zuerst wurden die Frauen schließlich an einer Station rausgelassen und wir perverse Schweine mussten noch eine weiter fahren. Wie konnten diese Männer sich morgens eigentlich noch im Spiegel ansehen? Das war doch einfach nur noch ein Grund sich bis ins nächste Jahrhundert zu schämen!

Niemand redete als die Metro ausspuckte und ich nahm meine Hand von Niall, sofort stieß er pfeifend ein erleichtertes Geräusch aus. Am Bahnsteig schüttelte ich mich.

„Jetzt bleib doch Mal locker", meinte Niall schien zu testen, ob bei ihm das Blut in die richtige Richtung floss. „Was bist du so wütend, ich meine, du hast schon schlimmeres getrieben, als in einer Grabsch-Bar abzuhängen. Ist ja nicht so, als hätten wir uns beim Grabschen noch ein Bierchen gezischt." Völlig unangebrachter Weise lachte Niall.

Und irgendwie steckte er mich damit an.

Ich konnte nicht glauben, auf was für bekloppte Ideen er kam. Irgendjemand musste ganz dringend auf Niall aufpassen, sonst landete er noch da, wo er richtig fett Ärger für bekam. Lachend machten wir uns wieder auf dem Weg an die frische Luft und dort musste ich mir erst einmal über das Gesicht reiben.

„Du bist krank, Niall, wir müssen dir Hilfe suchen", sprach ich, doch der grinste nur und zog den Mundschutz über das Kinn: „Ach nein, so dramatisch würde ich das jetzt nicht ausdrücken. Du hast nur vergessen, wie es ist sich in der Grauzone zu bewegen, seit du krampfhaft versuchst anständig zu sein."

Darauf ging ich gar nicht ein, stattdessen vermutete ich: „Ich würde all meine Kohle darauf verwetten, dass du nur so getan hast, als hättest du dir die falsche Massage für dich gebucht."

An uns zogen die Nachtschwärmer vorbei und mein Kumpel grinste noch breiter: „Jedenfalls ist dein Kreislauf ordentlich in Schwung gekommen." Er legte einen Arm um meine Schulter und zog mich in den Strom des Nachtlebens. „Jetzt habe ich Hunger."

„Bitte sag mir, dass wir unser Essen nicht noch selbst jagen müssen, dir würde ich mittlerweile sogar zutrauen, dass wir in der Kanalisation irgendeinen Fraß bestellen", murmelte ich und gab nach. Amüsiert darüber kniff Niall mir in die Wange: „Laber keinen Scheiß und hör auf jetzt wütend zu sein. Ashita wa ashita no kaze ga fuku."

„Was heißt das schon wieder?"

„Morgen ist ein anderer Tag."

„Das macht absolut keinen Sinn."

Japan tat Niall nicht gut und wir wussten das beide.

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