Jeden Tag
Wie jeden Morgen um diese Zeit steht sich auf, macht sich fertig, frühstückt und geht dann zur Bahn. Sie setzt sich auf den Platz, auf dem sie immer sitzt und schaltet die Musik ein. Nach exakt sechseinhalb Liedern steigt sie aus und geht den gleichen Weg, wie immer zu ihrer Arbeitsstelle. Dort geht sie acht Stunden still ihrer Arbeit nach und geht dann zu dem Café an der Ecke. Dann bestellt sie, wie üblich, einen Blaubeermuffin und einen Espresso und geh dann zur Bahn, um wieder nach Hause zu gehen. Sie zieht sich dann eine Jogginghose und ein T-Shirt an und sieht drei Folgen ihrer Lieblingsserie. Danach macht sie sich etwas zu Essen und geht nach dem Abendbrot ins Bett.
Ihr Leben ist strikt durchgeplant. Sie hat es geplant, als sie sechzehn war und alles läuft genau so, wie sie es sich vorstellt. Sie hat keine nervigen Freunde oder eine anstrengende Beziehung. Eine Familie, die sie ständig besuchen muss, hat sie auch nicht. Es geht ihr gut. Mehr braucht sie nicht. Das sagt sie sich jeden Tag. Es ist wie ein Mantra, das sie am Leben hält.
Doch an einem Tag soll sich ihr Leben schlagartig ändern. Alles beginnt mit einem Stromausfall. Sie verschläft eine Stunde. Völlig geschockt sieht sie auf ihr Handy. Der Akku ist leer. Sie hetzt durch die Wohnung und geht wenig später ungeduscht, mit zerzausten Haaren und schiefen Eyeliner Strichen aus dem Haus. Sie eilt zur Bahn. Ihr Platz ist schon besetzt, also muss sie stehen.
As sie in ihre Jackentasche greift, um ihr Handy raus zu holen, fällt ihr auf, dass sie es auf dem Nachttisch liegen gelassen hat. Zum ersten Mal sieht sie sich die Menschen, mit denen sie täglich Bahn fährt an. Sonst hat sie immer auf ihrem Platz gesessen, Musik gehört und aus dem Fenster gestarrt. Nun fällt ihr auch der junge Mann, der sie jeden Tag bewundert ansieht, zum ersten Mal auf.
Er ist überrascht, als sie zu ihm sieht, lächelt sie aber an. Sie kann nicht anders und lächelt zurück. Er gefällt ihr. Das kleine Kind mit dem Froschgrünen Mantel und dem pinken Schulranzen neben ihm steht auf und steigt aus. Er sieht erst auf den leeren Platz und dann zu ihr. Sie versteht den wink mit dem Zaunpfahl und setzt sich neben ihn. Sie sehen sich an und müssen beide grinsen. Keiner sagt ein Wort. Er holt eine alte Fahrkarte und einen Kugelschreiber aus seiner Jackentasche. Dann schreibt er seine Handynummer auf die Karte, steht auf und gibt sie ihr. Er lächelt sie noch einmal an, dann steigt er aus. Lächelnd steckt sie die alte Fahrkarte in ihr Portemonnaie.
Ihr Herz macht einen Sprung, als sie ihn noch einmal durchs Fenster sieht, bevor die Bahn los fährt. An der nächsten Station muss sie aussteigen. Sie drängt sich, wie jeden Tag durch die Menschen und geht den gleichen Weg wie immer zu ihrer Arbeit.
Als sie acht Stunden später in dem Café steht und den Blaubeermuffin und den Espresso bestellt, hat sie den jungen Mann schon fast wieder vergessen. Sie isst und will dann bezahlen. Da fällt ihr die alte Fahrkarte ins Auge. Sie fragt einen Kellner, ob sie Telefonieren darf, tippt die Nummer in das Telefon ein und wartet gespannt. Es tutet drei Mal, ihr Herz schlägt viermal so schnell, da meldet sich eine Männerstimme.
„Hallo?"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top