3: Leidens- und Linoldruck (15.01.25)

Mein Herz klopft schon wieder so. Diese innere Unruhe immer. Mir wurde von mehreren Seiten gesagt, ich solle mich auf ADHS testen lassen, aber weil gerade alle davon reden, allen vorn dran das Internet, sträube ich mich. Es sei denn, ADHS steht für: abartig-dolles-Herzklopfen-Syndrom. Dann würde es vielleicht Sinn machen. Ich könnte bei vorhandenem Leidensdruck kostenlos eine Diagnose bekommen. Doch wo ist der Leidensdruck? 

Nicht in den 1000€ die ich jährlich verliere, an verschlafene Flüge, falsch abgeschlossene und zu spät gekündigte Abos und an verbummelte Bürokratie-Richtlinien. Dafür kann ich auf Arbeit meistens richtig gut durchziehen und die 1000 sind wieder drin. 

Nicht in den wöchentlich wechselnden Oberthemen und Obsessionen, die mein Leben regelmäßig an den Rand der Leitplanken lenken, ohne nie ganz durch zu brechen und allenfalls zufällig doch mal an den Abfahrten abzubiegen. Denn meist komme ich an schöne Orte. 

Nicht in der Fähigkeit, im Radio zu sprechen und trotzdem in einer kleinen Gruppe neuer Menschen vor Aufregung fast zu heulen. Sich danach aber ungetrübt  über die neuen Freunde zu freuen. Es geht mir gut, vielleicht könnte es mir besser gehen. Vielleicht ist es dann aber auch einfach zu einfach. 

Vielleicht klopft mein Herz auch so, weil ich heute zum ersten mal einen Job kündige. Ich habe immer befristet oder in Projekten gearbeitet, ich weiß nicht, wie man einen Job kündigt. In Partygesprächen war ich sonst immer die mit den drei Jobs. "Naja, so krass ist es auch nicht, ich habe nicht einmal eine 20 Stunden Woche!", hab ich dann immer gesagt. Und dachte dabei meist an eine ehemalige Arbeitskollegin, die einmal zu mir meinte, sie hätte 5 Jobs. 

Ach ich weiß es doch auch nicht. Ich durfte viel zu früh im Radio sprechen, eine Ausstellung eröffnen, eine repräsentative Rolle auf einer Werbetour einnehmen, großen Schriftsteller*innen die Hände schütteln, Projekte managen, allein Coworkingspaces leiten - und hab eine Doktorarbeit mitpubliziert. Obwohl ich nicht einmal meine eigenen Hausarbeiten ohne fremde Hilfe schaffe. Ich bin mit 21 freie Redakteurin beim Radio geworden, obwohl ich dachte, das werde ich mal mit 30. In Bewerbungsgesprächen habe ich damals mehrmals "Ohh, noch so jung.", gehört, meist in einem mütterlichen Ton. Ich hab es nie verstanden. Ich habe immer auf meine Kolleginnen geschaut und gedacht: wenn sie das kann, muss ich das auch können. Das sie älter als ich waren, habe ich nie in meine Beobachtungen mit einbezogen. Irgendwie war ich auch die ganze Zeit stolz, habe es aber nie als wirklich gut empfunden. Eher so, als wäre ich ein Kind, das auf irgend etwas Belangloses stolz ist. Dann hab ich geweint und gedacht: ich schaff' mein Studium nicht. Bin ich dumm? Warum darf jemand Dummes eine Doktorarbeit mitpublizieren? Ich hab auch immer darüber nachgedacht, ob ich viel oder wenig mache. Und weil ich es nie beantworten konnte: hab ich einfach immer gemacht. Und dabei permanent beobachtet: Andere machen mehr. Oft war dem auch so, aber manchmal machten sie auch nicht mehr. Sie machten es einfach fokussierter.

Und eigentlich will ich gar nicht die ganze Zeit arbeiten und mich selbst reflektieren. Ich will einfach was Basteln! Und dann die Küche putzen. Aber ich sitze gerade in meinem Büro, in dem ich bald nicht mehr sitzen werde, und schiebe mehrere Mails vor mir her und nehm mich selbst auseinander.

Vor einer halben Stunde habe ich meinen Job als studentische Hilfskraft gekündigt. Ich habe lange nicht mehr im Radio gesprochen, eine Ausstellung eröffnet, eine Dienstreise gemacht, etwas repräsentiert oder jemand Repräsentatives kennengelernt. Ich habe lange nichts mehr organisiert und schaffe es kaum, mein Studium zu strukturieren. Weil ich verstehen will, warum, mache ich mir eine Liste: mit Stärken und Schwächen. Als die fertig ist nicht sitze ich davor und weiß endgültig nicht mehr, was ich überhaupt kann. Wenn ich jemandem diese Liste zeigen würde, würde er wahrscheinlich sagen: "Du wärst eine gute Sekretärin, Barista, Rezeptionistin, Telefonseelsorgerin, Handwerkerin. Du wärst keine gute Wissenschaftlerin, Projektleiterin, Selbstständige.". War das jetzt also alles Vitamin B, Hochstapeln und - Glück? An sich war es nicht einmal etwas Großes, aber vielleicht doch relativ Viel, in kurzer Zeit.

Als ich da vorhin meinem Chef gesagt habe, dass ich kündige, um mich auf den Bachelor zu konzentrieren, meinte er: "Das verstehe ich. Und du bist doch trotzdem nicht aus der Welt.". Das rührt mich. Ich fühl mich aber wie eine Verräterin, als ich auf seine Frage, was ich nach dem Bachelor machen möchte, antworte: "Mich auf ein Volontariat beim Radio bewerben.". Ich will im Büroboden versinken, als ich das sage. So ist das, wenn man zu sehr Beruf und Privates vermischt. Dann ist eine Kündigung Verrat. Aber er nickt mir nur freundlich zu: "Und vorher erstmal Bachelor.". Ich nicke zurück und winke nervös, als ich mich fluchtartig verabschiede.

Danach gehe ich erstmal eine Runde um den Block, dann zur Sekretärin. Ihre Reaktion ist ein emotionales "Oh, du, wie schade!". "Ja, finde ich auch.", sage ich. Es fühlt sich an, als wären wir beste Freundinnen und ich würde ihr gerade eröffnen, dass ich in eine weit entfernte Stadt ziehe. Irgendwann sagt sie: "Wir haben so ein Glück mit unserem Chef, oder? So freundlich. Finde mal so einen Chef. Findest du nicht nochmal. Da habe ich schon ganz anderes erlebt.". Ich nicke lebhaft und frage mich gleichzeitig: "Stimmt. Warum gehe ich? Vielleicht findet man so etwas ja wirklich nicht nochmal. Oder ist das heute anders? Und Heute wechselt man seine Jobs ja auch öfter.". Und in der Wissenschaft oft den Standort. Und im Radio weiß man nie, wie schnell man vielleicht das Medium wechseln muss, weil das alte ausstirbt. Und bei Projekten nie, ob neue kommen. Ich hab immer so gearbeitet, in der Wissenschaft und im Radio und in Projekten, und es lief immer viel zu gut. Ich war so sorgenfrei. Und jetzt denke ich, obwohl bisher alles so einfach war: Ich brauche Sicherheit. Und durch den Gedanken an die Suche danach - bekomme ich Angst.

Komische Welt. 

Mein Herz klopft schon wieder so. Vielleicht bekommen auch nicht wir Menschen alle immer mehr ADHS und Autismus. Vielleicht wird die Welt einfach autistischer. Vielleicht ist sie es schon immer gewesen und diagnostiziert sich nur mittlerweile besser. Vielleicht ist auch alles total okay, und ich bin einfach nur jung und noch durcheinander - und sollte mir das mal zugestehen. 

Oder vielleicht  (bevor ich jetzt noch eine Veschwörungstheorie aufstelle)

hab ich ja auch einfach wirklich ADHS.

So wie meine Omi und ihr Vater. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top