2: Lykke und Socia (09.01.25)
Socia fand Lykke beim Gärtnern. Also, wahrscheinlich hätte nicht jeder das als Gärtnern erkannt, doch für lustige Leute war es eindeutig. Lykke hockte auf dem Gehweg auf dem Boden und grub in den Kräutchen in den Ritzen herum. Im Stadtlöwenzahn. In den City-Disteln. Ihre Haare hingen ihr ins Gesicht und ihr Körper war ganz klein, die Ellenbogen staksten fast etwas affenarmig links und rechts heraus, während sie hantierte. Das war direkt eine Sache, die Socia interessierte. Und Sachen die interessieren, werden direkt angesprochen. Vieles wird direkt angesprochen. So funktionierte das bei ihr.
Socia ist natürlich gebildet und wissend und so fragt sie Lykke, deren Namen sie in diesem Moment noch nicht kennt. "Machst du da Tile whipping?". Lykke sieht hoch. In ihrem zerfransten, und doch klarem Wesen schaut sie hoch, und schaut ein bisschen böse. Keine einzigen der Haarspitzen auf ihrem Kopf scheinen die gleiche Länge zu haben, einige scheinen ihr in die Augen zu stechen, Lykke zwinkert, vielleicht deshalb, vielleicht aus Misstrauen. "Was?" ihre Stimme rau und genervt, aber hell und aufrichtig. Socia ist überrascht, doch völlig unbeirrt.
"Tegelwippen?", sagt Socia. Lykke zuckt hektisch die Affenschultern und gärtnert weiter "Was ist das? Ich gärtnere hier einfach." - "Oh, das ist so ein Trend aus den Niederlanden. Die lockersten Bodenplatten in der Stadt rausnehmen und dann was reinpflanzen." - "Naja, dann mach ich gerade sowas ähnliches, oder zumindest helfe ich dem Grün.". Socia ist begeistert (das ist meist ihr Naturzustand, neben ihrem Naturkatastrophenzustand, doch der kommt später, und er kommt eh immer früher als man denkt.)
"Ist das ein Kunstprojekt." fasziniert Socia sich weiter. "Joa so ungefähr.". Daraufhin geht die Begeisterte auch in die Hocke, die Geistreiche schaut sie an. Die Begeisterte lässt den Blick schweifen. "Du befreist die Hauskantenrandpflanzen und die Pfützenpflanzen vom Müll?" - "Ja ganz genau.". Nun ist Lykke schon freundlicher geworden.
"Cool.", sagt Socia. "Ja." sagt Lykke. Kurz hocken die beiden still nebeneinander auf dem Boden, die eine arbeitend, die andere zuschauend. Ein Elektriker fährt auf einem breitreifigen Rad nach Hause und wundert sich. Er hat Feierabend und seine Knie tun weh.
"Das ist so schön, dass du dich dem widmest.", sagt Socia. "Ich bin einfach extrem unausgelastet und mein Handy hat eine Seebestattung erhalten", sagt Lykke.
"Warum bist du unausgelastet?", fragt Socia und ignoriert das verstorbene Handy mit professioneller Konsequenz. Und eröffnet sich dazu die Tür zu einigen kleinen Paralleluniversen. Aber das weiß sie in diesem Moment nicht.
"Sind junge Menschen in unserer Generation nicht meistens unausgelastet?", fragt Lykke. Socia überlegt kurz. "Ich glaube die, die Ideen oder Verpflichtungen haben, die sind überlastet. Aber die zu viel Zeit haben, haben das vielleicht umso mehr." - "Genau.", sagt Lykke "Aber ich glaube insgesamt durch das 'umso mehr' irgendwie halt - mehr."
"Oder irgendwas dazwischen. Ich bin immer mal eins von beidem." sagt Socia. Lykke versteht es. Sagt aber nichts.
Vielleicht gibt es auch einfach deutlich normalere Menschen und sie selbst und die andere haben einfach keine Ahnung oder Vorstellung davon.
Lykke kennt die Langeweile. Sie kennt sie sehr gut. Und sie weiß aber auch, wozu sie wichtig ist und warum sie in ihrem Dienst steht. Wochenlang ist Lykke immer die selbe Linie mit der Tram gefahren, immer zur gleichen Zeit. Sie schaute aus dem Fenster, immer. Ist aufmerksam. Eine Beobachterin. Das ist ihre Aufgabe. So hat sie die rauchende alte Frau und den rauchenden alten Mann auf ihren Balkonen des Wohnblocks gesehen, nebeneinander, getrennt durch einen weiteren Balkon, und - dessen Sichtschutz links und rechts. Eines Tages stieg sie auf dem Rückweg aus und machte durch mehrmaliges Klingeln in verschiedenen Parteien schließlich den Sichtschutzbesitzer ausfindig. Es ist nicht einfach, Menschen die sich schon einen Sichtschutz bauen, anzusprechen, und noch weniger, sie davon zu überzeugen, diesen abzubauen. Doch Lykke schaffte es. Auch wenn das nicht zu ihren liebsten Aufgaben zählte: Menschen ins Boot holen. Lykke war eher eine Bootsbauerin. Sie half auch dem Mann, den Sichtschutz abzubauen. Der musste eh die nächsten Tage auf Montage und zuckte nur die Schultern. "Ihr jungen Leute habt echt nichts weiter im Kopf.", sagte er.
Nach ein paar Wochen rauchten der alte Mann und die Alte Frau gemeinsam auf dem Balkon der alten Frau, und schauten dabei wie immer auf die vorbeifahrenden Trams. Und Lykke schaute sie an. Und war glücklich. Wieder stieg sie auf dem Heimweg aus und versuchte bei dem Sichtschutzbesitzer zu klingeln. Der war aber nicht da. Sie musste es mehrmals versuchen. Irgendwann schaffte sie es, doch alles was er dann sagte, war: "Ich geh eh nie auf meinen Balkon." und: "Schön und gut. Aber was bekomme ich jetzt dafür?". Das fand Lykke schwierig zu erklären, obwohl es so leicht war. Vielleicht weil es so leicht war, und er es doch nicht verstanden hatte. Er verabschiedete Lykke mit einer Stimmung der Enttäuschung. Lykke wechselte die Tramlinie, kam in der nächsten Zeit mehrmals zu spät und verlor den komischen Minijob, und damit auch den regelmäßigen Weg. Der Verlust des regelmäßigen Wegs tat eigentlich am meisten weh.
Lykke ertrug die Langeweile monatelang, um ein mal im Quartal irgendwo eine notwendige Veränderung vorzunehmen - oder es zumindest zu versuchen. Dann füllte sich kurz alles mit Sinn. Dann war er schon bald wieder verflogen, und das Leben begann, sich wieder sehr sehr komisch anzufühlen. Natürlich wusste sie, dass das Leben bestenfalls aus Routine und regelmäßigen kleinen Erfolgen bestand, die aufeinander aufbauten. Und eine notwendige Menge an Spaß. Sie hatte sich bewusst dagegen entschieden. Sie war ein bisschen bescheuert. Schon immer gewesen. Vielleicht war auch alles nur eine Ausrede und in Wahrheit tat sie nur eines: Warten.
"Wie heißt du eigentlich?" - "Lykke.", sagt Lykke "Und du?" - "Socia, hi!". Socia hält ihr die Hand hin. Lykke nickt und gibt ihr ebenfalls die Hand. Komischer Name, denkt Lykke.
Und versteht es. Sagt aber nichts.
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