8- LESENACHT V

"[...] Die Beruthanische Inquisition fand während den ersten drei Regentschaftsjahren von König Kaelchon statt. Sie wurde von den Beruthans Mönchen vorgenommen, um Kinder mit besonderen Fähigkeiten für ihr Kloster zu finden. [...]Heute sind alle Kloster niedergebrannt und die letzten Mönche in den Untergrund gegangen [...]"

  - (Picae, Forscher der Magie an der Universität Belhem, im Bereich: Naturkatastrophen und Volksschutz; S. 208 und 211)  

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          Angst fing bei mir da an, wo der Sarkasmus endete. Und alle Götter der Welt wussten, dass mir in diesem Moment kaum etwas ferner lag, als eine schneidende Antwort auf die ruhige Frage des Königs zu geben.

Er saß auf dem Thron und musterte uns alle nacheinander, als hätte er uns dabei ertappt, wie wir versuchten, seine Morgenpantoffeln zu stehlen: Nicht sicher, ob wir noch ganz bei Trost waren, aber entschieden, dass er nichts mehr von diesem Blödsinn hören wollte.
Ihn interessierte allein, wie ich es geschafft hatte den ältesten Una Fil in den daumennuckelnden Windelträger auf meinem Arm zu verwandeln.

Und ganz ehrlich? Das wollte ich auch gerne wissen. Es gehörte nämlich eigentlich nicht zu meinen Angewohnheiten nervtötende Jungen in ihre wahre Lebensphase zurückzuverwandeln, sonst wäre Ravn niemals ohne sein Fläschchen unterwegs.
Erst das Wasser und jetzt das? Irgendjemand musste mir etwas in mein Frühstück getan haben.

„Ich fasse zusammen", erhob der König erneut die Stimme, eine kleine Spur ungeduldiger, „Meine Enkelin und Theenan treffen sich zufällig in der verlassenen Bibliothek um ... um was auch immer zu tun. Mein ältester Ziehsohn taucht ebenfalls vollkommen unvorhergesehen dort auf und wird als Reaktion darauf in ein Kleinkind verwandelt." Er machte eine kurze Pause, um die Absurdität unserer Geschichte zu unterstreichen und sich entspannt zurückzulehnen, ehe er fortfuhr: "Und was hattest du dort zu suchen?"

Die letzte Frage war an Ravn gerichtet und hätte genauso gut von mir kommen können. Er hatte mich wütend genug gemacht, dass ich ihm am liebsten Allerlei an den Kopf geworfen hätte. Ravn hatte nicht mit sich reden lassen. Seine Argumentation war dabei nicht ganz unschlüssig gewesen: Früher oder später würde der König erfahren, was sich in der Bibliothek zugetragen hatte und dass ich dafür verantwortlich war. Doch dass er uns wirklich noch mitten in der Nacht zu ihm geschleift hatte ... nur um nach Art der Beruthanischen Inquisition befragt zu werden.
Doch jetzt gerade fischte der König lediglich nach Gründen, um Ravn wiederholt für etwas zu bestrafen, das er nicht getan hatte.

Der Thronfolger verkrampfte sich sichtlich unter dem bohrenden Blick seines Vaters, doch er zuckte nicht zurück, wie es Theenan jedes Mal tat, wenn der König auch nur in seine Richtung blickte. Er hielt den Kopf gesenkt, als könne er sich so im spärlichen Mondlicht des Saals unsichtbar machen.
Rake seines Zeichens war vollkommen unwissend gegenüber der gesamten Situation und spielte mit meinen Haaren.

Ironischerweise war es ausgerechnet seine unbedarfte Nähe und die Ignoranz im Kontrast zu dem leise brodelnden Zorn des Königs, die mich immer noch ruhig atmen ließ. Genau genommen klammerte ich mich genauso sehr an ihm fest, wie er an mir. Wenn er mir nicht gerade mit seiner kleinen Hand ins Ohr fasste.

Für einen kurzen Moment flatterte Ravns Blick zu mir hinüber, doch er blieb vollkommen unleserlich, bis er sich endlich an seinen Vater wandte.
„Mein Schlafgemach ist nicht allzu weit entfernt. Ich hörte Stimmen und habe nachgesehen."

Ich zuckte nur ein klein wenig zusammen unter der offensichtlichen Lüge. Schlafgemach mein Fuß! So viel wie ich wusste, hatte er sich draußen mit Marijan vergnügt. Und allein dafür wollte ich ihn viel zu gerne in die Pfanne hauen.

Tat ich aber nicht. Weil ich gerade größere Probleme hatte, als ein verwirrtes Herz, das Gleichgültigkeit mit Eifersucht verwechselte.

„Selbst Lyanna erkennt die dreiste Lüge, Ravn!", schnarrte in dem Moment der König höhnisch, „Du warst zu keinem Zeitpunkt dieser Nacht in deinem Zimmer und glaube ja nicht, dass ich mich von dir an der Nase herumführen lassen würde. Aber darüber sprechen wir später zu zweit."

Aus irgendeinem Grund drehte sich mein Magen, als hätte er mir das Gespräch angedroht. Schuldgefühle über meine mangelnde Körperbeherrschung rollten über mich und ließen mein Rückgrat in sich zusammensinken.
Unauffällig versuchte ich unter meinen Wimpern hindurch einen Blick auf Ravn zu stehlen oder ihm meine Entschuldigung zu vermitteln. Doch er starrte genauso unbewegt geradeaus, als hätte er nichts anderes in diesem Moment erwartet.

Mir war schlecht.

„Und gerade von dir, Theenan, hätte ich angenommen, dass du deine Zeit besser verwendest, als erst im Palastgarten herum zu streunen und danach meine Büchersammlung zu stören. Weißt du denn nicht, was das mit der Gesundheit deiner Schwester anrichtet?"

Eine eiskalte Hand legte sich um mein Herz, als der Junge neben mir leise mit den Zähnen knirschte. Es war eine so subtile Geste, doch es war alles, was Theenan sich an Trotz erlaubte. Angst entstellte sein sonst eigentlich ansehnliches Gesicht zu einer versteinerten Fratze. Doch dahinter hörte ich den abgrundtiefen Hass gegen den König arbeiten.
Und ganz allmählich wurde auch mir klar, warum er sich ohne Zögern mir dort draußen geöffnet hatte. Theenan brauchte Verbündete. Und wenn ich ihn so neben mir kauern sah, war ich mehr als nur bereit seine Verbündete zu sein.

„Theenan hat mich lediglich reingebracht, als er mich im Heckenlabyrinth gefunden hat." Ich trat einen entschiedenen Schritt nach vorne, Baby Rake ausbalancierend wie einen zu schweren Schild.

Ravn blickte auf und sandte mir einen warnenden Blick, den ich gekonnt ignorierte. Wenn er sich Sorgen machte, dann bitte- ich hielt ihn nicht davon ab. Aber nur weil er sich seinem Sklavenhalter nicht widersetzen konnte, würde ich nicht genauso unter dessen Pantoffel stehen. Ich war eine alleinstehende Mutter-... oder so fühlte ich mich zumindest.

Der König war nur milde interessiert an meinem heroischen Moment. Emotionslos glitten seine Augen von mir zu dem Kleinkind und zurück. Es war unmöglich zu erraten, was hinter dem Gesicht vor sich ging. Er könnte in seinem Inneren brüllen vor Wut oder ganz entspannt einen Unfall planen, der mir das Leben nehmen würde. Ich wusste es nicht.

„Manieren, Lyanna", ermahnte er mich kühl, der Blick frostiger als Eiszapfen, „Sicherlich haben deine Eltern dir ein paar davon beigebracht? Man spricht nur, wenn man aufgefordert wird."

Mein Mund reagierte schneller als mein Kopf.
„Ich fühlte mich aufgefordert."

Die Stille, die folgte, hielt den Atem an. Meine Muskeln zuckten, wehrten sich gegen die immer stärker werdende Müdigkeit, die meine Sinne eindämpfte und den Verstand lahmlegte.
Ich war tot. Dieses Mal sicher.

Der König blinzelte noch nicht einmal. Wie eine Schlange fixierte er mich, das ekelhafte Gefühl in meinem Bauch absichtlich nährend. Er wusste, dass ich eine schreckliche Strafe erwartete und er ließ sich Zeit damit diese Angst zu bestätigen.

Ganz unauffällig rückte Ravn ein Stückchen näher an mich heran, bis unsere Arme sich beinahe berührten. Der geringe Abstand raubte mir sämtliche Konzentration. Die Versuchung nur eine winzige Bewegung in seine Richtung zu machen, kämpfte gegen mein Selbstwertgefühl an.

„Ich denke wir können alle von Glück sprechen, dass dieser Abend nicht vollkommen unnötig gestört wurde. Obwohl es zu früh wäre uns festzulegen, welche weiteren Fähigkeiten dir innewohnen, kann ich nicht sagen, dass ich enttäuscht bin", überging der König meine dreiste Antwort und erhob sich von seinem Sitzplatz.

Weitere Fähigkeiten? Es gab nur ein Talent, mit dem man geboren wurde. Selbst bei zwei talentierten Eltern schloss eine Begabung die nächste aus.
Was auch immer in dieser Nacht geschehen war, es hatte nichts mit mir zu tun.
Ich legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzublicken. Beinahe nachlässig schlenderte er an unserer kleinen Reihe vorbei und für einen kurzen Moment konnte ich mein Glück nicht fassen, dass ich tatsächlich vom Haken war.

Vor der Tür zu seinen eigenen Gemächern hielt der König kurz inne. „Natürlich wirst du Rake in seine alte Form zurückverwandeln. Ich kann kein Kleinkind in meiner Garde gebrauchen."

Das Blut in meinen Adern gefror zu einem soliden Block und ließ mein Herz stottern. Zurückverwandeln? Jetzt gleich? Wie hatte ich ihn überhaupt erst in diese Lage gebracht? Und um ganz ehrlich zu sein, gefiel er mir so auch deutlich besser!

Ein wenig langsam begann ich in mir nach derselben Hitze zu suchen, die mich überkommen hatte, als Rake mich bedrängte. Sie hatte sich kaum so sehr wie der Fremdkörper angefühlt- war von ganz alleine und ohne meinen Einfluss aufgetaucht. Sie nun mit allen Blicken auf mir zurück zu locken, war allerdings eine unmögliche Aufgabe!

„Lyanna, wir warten." Die Stimme des Königs klang unverändert, doch mir entging sein kleines wissendes Lächeln nicht. Er hatte mir eine Falle gestellt und ich konnte gar nicht anders als hinein treten.

Meine Lippen kräuselten sich. Ich hasste es, wenn man mit mir spielte. Und schon gar nicht ‚Die Jagd des Königs' mit dem Hauptdarsteller. Ich hatte das Spiel bereits damals mit Lewi gehasst und ich fand es auch jetzt nicht besser.
Von einem zornbefeuerten Wagemut gepackt, drückte ich Theenan den kleinen Rake in die Arme, sodass dieser einen Schritt zurück stolperte.
„Ich kann es nicht", verdeutlichte ich und presste dem Kleinkind meinen Finger auf die Stirn. Sofort versuchte er, ihn zu fangen und in seinen Mund zu stecken. Ich ließ es geschehen.
„Mein Talent wurde mir von dem letzten Verfluchten Kind genommen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wo diese Magie jetzt herkam, ich weiß lediglich, dass sie mich mit meinem Zauber verlassen hat."

Das Lächeln des Königs wurde noch eine Spur verzerrter. Ganz gemächlich schloss er die Tür und trat zurück in die Halle.
Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass er uns mit ihm hier drinnen einschloss.

„Dann hoffe ich doch, dass du all deine Möglichkeiten ausschöpfen wirst, um schnell eine Lösung zu finden." Der Satz war eine einzige verwinkelte Drohung, die ihm vorauseilte.

Sie ließ mein Blut kochen. Ich war es leid von jemandem zur Mitarbeit gezwungen zu werden, der mich auch noch gegen meinen Willen hier festhielt. Wenn ich Kontrolle über die fremden Kräfte erreichen würde, würde ich enden wie Ravn und Theenan. Nichts weiter als eine mächtige Spielfigur, die meinen eigenen Freunden schaden würde. Und so etwas konnte ich nicht zulassen.

„Also ich finde Rake in diesem Zustand viel angenehmer", entgegnete ich betont unbekümmert, doch die Finger in meinen Fäusten zitterten.
Dieses Mal würde er mich nicht damit durchkommen lassen. Doch egal was er mir antat, ich würde es in Kauf nehmen, wenn das bedeutete, dass meine Freunde und Familie weiter ruhig schliefen.

Das bittere Lächeln auf den Lippen des Königs breitete sich noch weiter aus. Kein Zweifel, er genoss, wohin diese Auseinandersetzung führte. Egal was ich dachte, ich spielte ein Spiel nach seinen Regeln.
„In dem Fall denke ich, dass eine kleine Motivation nützlich wäre, findest du nicht auch Ravn?"

Mein angsterfüllter Blick ließ Ravn zusammenzucken. Sein Name hatte mich überrascht und aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich erwartete eine Attacke vom König aus, doch diese Aufgabe seinem Thronfolger zu übertragen, machte es nur noch widerwärtiger.
Ravn bemühte sich immer noch um einen gleichmütigen Gesichtsausdruck, doch wenn ich sah, welche Zweifel in ihm tobten, bestimmt auch der König.

„RAVN!" Das Brüllen kam so unverhofft, dass wir alle drei gleichzeitig zusammenfuhren, als hätte uns eine Feuerkugel getroffen. Rake begann zu weinen und in einer panischen Bewegung händigte mir Theenan das Kind wieder zurück.

Jeder sah meine zitternden Finger, als ich Rake auf den Arm nahm und an mich drückte. Ich machte all das hier für meine Familie. Zumindest wiederholte ich den Satz wie eine Zauberformel in meinem Kopf, in der Hoffnung, dass sie dadurch wahr würden.

Mit einem leisen Seufzen streckte Ravn die flache Hand vor sich, als erwarte er, etwas vom König zu bekommen. Stattdessen geschah für einen kurzen Augenblick nichts, in dem Rake immer noch erschrocken wimmerte, bis plötzlich das Feuer der nächsten Fackeln in seine Hand gesogen wurde.

Es passierte so ruckartig, dass ich meinen Augen kaum glaubte. Ravn war ein Feuerbändiger? Der Gedanke erschien mir merkwürdig und fehl am Platz.

Doch noch während ich über diese Information nachbrütete, verschwand auch das Mondlicht um uns herum in der Hand des Ziehsohnes und mit einem dumpfen Schnipsen ließ er es dort erlöschen.

Ravn war kein Feuerbändiger. Der Spiegel der Götter hatte ihm die Macht über Tag und Nacht verliehen.  

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Geschafft, meine Freunde der Nacht!!

Hab ich euch zu viel versprochen?

Wer hat es von euch an irgendeiner Stelle der Trilogie schon einmal geahnt, dass es Ravn ist, der das Licht an und aus macht? :D

Das letzte Kapitel widme ich @TatzeTintenklecks für ihre wundervolle... äh... Fanart? :D 
In der Form von Elfchen und Gedichten! :D

Schlaft schön meine Lieben, xoxo

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