2- "Ich probe für deine Ermordung."

"[...] deshalb wird jeder Bedienstete im Palast und jeder Soldat ein Brandzeichen erhalten, das ihn als solchen ausweist. Diese Merkmale sind am Unterarm anzubringen und beim Betreten oder Verlassen  des Palasts am ersten Tor vorzuzeigen. 

Genauso wird mit Straftätern verfahren, um ihre Flucht zu erschweren und ihre Mitbürger zu warnen. Verweigerung eines solchen Symbols wird mit öffentlichem Auspeitschen geahndet. [...]"

- (Königliches Dekret, vor einer Woche auf den Marktplatz der Hauptstadt verlesen)

✥✥✥

          EIN BLECHENER TRINKKELCH krachte scheppernd gegen die Tür und spritzte seinen roten Inhalt über den Boden. Ich stellte mir vor, dass es Blut wäre. 

Das Blut eines bestimmten Jemands. Mit einem wütenden Schnauben griff ich den Teller von dem kleinen Tablett und schmetterte ihn gegen die Wand. Brot und Käse flogen durch die Luft, nur um nacheinander in die Weinpfütze zu platschen. Kleine Tropfen davon landeten auf der geröteten Haut meines linken Unterarms.

Das reichte alles nicht! Ich wollte sie jemandem an den Kopf werfen. Ich wollte Ravn mit einem trockenen Stück Brot erschlagen und Glorya mit Wein vergiften!
Mein Blick flog hinüber zu dem kleinen spitzzulaufenden Fenster, vor dem sich friedlich der Schnee anhäufte und meinen Blick in den Himmel verbaute.
Zähneknirschend packte ich den kleinen Beistelltisch, fegte das Tablett herunter und hob ihn hoch über meinen Kopf.
Ich würde der schlimmste Albtraum sein, den sich Kaelchon in seinen Palast geholt hatte! Wenn ich nur immer noch mit Tieren kommunizieren könne, ich würde einen Aufstand auslösen! Ich würde keinen Stein aufeinander lassen! Keine ruhige Minute würden diese ... Diese ...

„Halt!"

Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ den kleinen Beistelltisch sinken. Jemand trat hinter mir durch die Tür.
Katzenartig fuhr ich herum und funktionierte den Tisch zum Schutzschild um.

Schwarze, verstrubbelte Haare, stechend grüne Augen und die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben. Vor mir stand Ravn. Und er trug den niedlichsten Ausdruck verschmitzter Reue, den ich je in seinem Gesicht gesehen hatte.
Falls er hoffte, das würde seine Haut retten, hatte ich eine böse Überraschung für ihn.

Die Mordgelüste schmeckten wie bittersüßer Honigwein in meinem Mund. Ich packte den Tisch noch ein wenig fester.
„Du dreckiger Bastard." Meine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Zischen, doch in Ravns Gesicht konnte ich sehen, dass die Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Es war nur ein kleiner Ausrutscher seiner sonst so perfektionierten Selbstkontrolle, in der ich seine Sorge aufblitzen sah, doch er war mir nicht entgangen.
„Du hättest mich wirklich nicht verraten sollen. Ich habe eine jahrelange Ausbildung im Töten!"

Kapitulierend hob Ravn die Hände und kickte mit der Ferse die Tür hinter sich zu. Er wirkte, als wäre er auf einer Mission, von der ich ihn nicht abbringen durfte.
Sein Blick fiel auf die Pfütze, in der er stand. Ein feines Zucken der Mundwinkel- doch er sah nicht wirklich in mein Gesicht.
„Richtest du dich bereits häuslich ein?"

Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen.
„Ich probe für deine Ermordung."

Meine Drohung prallte an ihm ab. Ich konnte ihr dabei förmlich zusehen. Mit einem desinteressierten Schulterzucken ließ er die Hände sinken und schlenderte lässig zu dem einzigen Stuhl in dem kleinen Zimmer.

Ihm brannte eine bissige Antwort auf der Zunge, wenn ich mich nicht in jedem seiner Charakterzüge getäuscht hatte. Doch aus irgendeinem Grund schluckte er sie herunter.

Wurden wir beobachtet? Schaute ihm jemand über die Schulter, dass er ja keine verdeckten Zeichen an mich sandte? Oder sah ich ihn heute das erste Mal wirklich? So wie er eigentlich war, wenn er sich keine Mühe gab dummen Mädchen um den Finger zu wickeln?

„Wie wäre es damit, dass du den Tisch sinken lässt, bevor dir die Arme schwer werden und wir unterhalten uns wie Erwachsene?"

Alles- wirklich alles an ihm- bettelte mich an ihm mit einem der Tischbeine so kräftig auf den Kopf zu hauen, dass sein Verstand aufwachen möge. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte ihn schütteln, kratzen und beißen, bis ihm klar wurde, was für einen fatalen Fehler er begangen hatte mich zu belügen. Ich wollte Rache.

Leider war das in diesem Raum, mit nichts weiter als einem Holztischchen als Waffe, nicht sonderlich leicht. Was nicht unmöglich bedeutete.
Worte würden allerdings vorerst reichen müssen.

Mein Schild demonstrativ erhoben, marschierte ich zu meinem Bett hinüber und ließ mich darauf plumpsen.
Eine kleine Ascheflocke meiner zerstörten Gefühle flatterte durch meinen Verstand. Sie wollte Ravn davon berichten, dass ich noch nie in einem so wunderbar weichen Bett gelegen hatte und dass ich mich eigentlich wie ein kleines Kind über den Schnee dort draußen freuen wollte.
Doch ich schnippte sie nachlässig fort. So etwas würde er nie wieder aus meinem Mund hören.

Ravn seufzte und fuhr sich mit der Linken übers Gesicht. Jetzt wo ich Zeit hatte ihn genauer zu beobachten, sah ich erst wie müde und blass er wirkte. Dunkle Ringe hatten sich unter seine Augen gegraben, als hätte er die letzten Wochen keine Nacht geschlafen, und seine Wangen waren eingefallen.
Irgendetwas stresste ihn, setzte ihn unter Strom wie ein Irrlicht.

„Es gibt keine Worte, die ausdrücken könnten wie leid mir alles tut, Lya. Ich hatte nichts davon so geplant und du hast jedes Recht wütend auf mich zu sein", begann er endlich, ohne den Kopf zu heben. Immer wieder verknotete er seine langen Finger ineinander und löste sie wieder, wie er es gerne mit seinen Gedanken gemacht hätte.

Der Zorn in mir kochte höher. Wie kam er darauf, dass ich ihm glauben würde? Er hatte meine Freunde angegriffen, hatte mich verraten und in den Palast geschleppt. Mein Verstand konnte immer noch nicht verarbeiten, dass er wirklich für den König arbeiten könnte. Es wollte nicht in meinen Kopf!
Und ein ‚Ich hatte das nicht so geplant' war die größte Dreistigkeit von allem!

Meine Hände verkrampften sich noch mehr um die Tischbeine.
„Du hast also nicht geplant, mich von Anfang an zu belügen? Dir mein Vertrauen zu erschleichen und im nächsten günstigen Moment meine Familie auseinanderzureißen? Erzähl mir mehr! Ich glaube, ich habe ein vollkommen falsches Bild von dir!"

Er zuckte unter meinen Worten zusammen wie unter Peitschenhieben. Aber immerhin hob er den Kopf, um meinen Blick zu erwidern. Ähnlich lodernder Zorn lag darin, kaum zurückgehalten von dem kleinen Bisschen Trauer, das mit jeder Sekunde mehr verdrängt wurde. Er war ein elender Schauspieler! Und ich sah in ihm genau das, was er mir präsentieren wollte. Nicht mehr und auch nicht weniger.

„Wäre ich von Anfang an ehrlich zu dir gewesen, wärst du heute tot! Wäre dir das lieber?", platzte es aus ihm heraus, noch ehe er auf die Füße gesprungen war.

Unbewusst tat ich es ihm gleich. Krachend fiel der Stuhl zur Seite, als ich einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu machte.
„Ganz recht! Ich wäre lieber tot, als mich von deinem König beherrschen zu lassen!"

Ravn stieß ein abfälliges Lachen aus, ehe er noch ein Stückchen näherkam. Seine Augen sprühten Funken und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich kleine knisternde Flammen zwischen seinen Fingerspitzen hervor lecken zu sehen.
„Wie kann man nur so engstirnig und verbohrt sein, um nicht zu sehen, dass diese Welt nicht schwarz und weiß ist?", fauchte er mich an.

Natürlich wünschte er sich das. Ich wollte mir selbst auch nicht eingestehen, dass ich den rechten Pfad ein ums andere Mal verlassen hatte. Und dass diese Umwege auch ihre Spuren auf meiner Seele hinterlassen hatten. Ich war nicht mehr unschuldig. Aber er war noch weiter davon entfernt.
„Du bist lediglich besser darin, dich selbst zu belügen."

Ich war inzwischen nah genug für eine Kopfnuss. Doch im letzten Moment manövrierte Ravn mich mit seinen Schritten so, dass ich plötzlich die nackte Wand im Rücken hatte und er sich gefährlich vor mir aufbauen konnte.
Heißer Atem schlug mir ins Gesicht. Ich wollte zurückschlagen.
Wo war mein Tisch noch gleich?

Er lag umgestürzt einige Schritte hinter Ravn, der mich dazu zwang ihm ins Gesicht zu sehen.
Sein Zorn hatte seiner Haut ein wenig Farbe verliehen, sein Kiefer war wie aus Stein gemeißelt und jeder seiner Muskeln war bis zum Zerreißen angespannt.
„Gerade du solltest wissen, dass ich immer noch zwischen den Stühlen stehe. Ich habe mich für keine Seite entschlossen und ich habe darüber auch nicht gelogen."

Ich wollte ihm so gerne eine verpassen. Meine Gewaltbereitschaft war erschreckend und es dauerte dementsprechend ein wenig länger, bis ich den Inhalt seines Satzes verstand. Ich wusste, was er mir sagen wollte, wusste, welche verdrehte Logik dahinter lag. Doch dieses Mal würde ich ihn nicht damit durchkommen lassen.
Um Zeit zu gewinnen, holte ich tief Luft und konzentrierte mich darauf jeden einzelnen rebellierenden Muskel zu beruhigen.
„Ravn, du bist der Stuhl. Der König benutzt dich für seine Pläne, alles andere ist eine Lüge."

Sein linkes Auge zuckte leicht. Die einzige Regung, die den tobenden Sturm in seinem Inneren verriet. Explodierendes Feuer, das in großen Wellen gegen seine Innenwände krachte.
Gleich würde er mir eine reinhauen und er stand mir schon wieder so nahe, dass ich noch nicht einmal meine Hände hochreißen könnte, um mein Gesicht zu schützen.

Doch stattdessen schüttelte er nur den Kopf und trat von mir fort. Die Hitze, die immerzu seinen Körper umgab, ließ den Abstand wie eine kalte Leere erscheinen.
„Vielleicht ist es auch zu viel verlangt, vernünftig mir dir zu reden. Du bist gerade mal ein Kind, das nur die sinnlosen Worte seiner Eltern nachplappern kann."

Jetzt zuckte mein Gesicht. Hatte er gerade meine Eltern beleidigt? Es mochte nicht seine Absicht gewesen sein, aber es hatte sich verdammt danach angehört. Wie auch immer ... Er war ein toter Mann.
Mit einem heulenden Aufschrei stürzte ich mich auf ihn, nur um im letzten Moment von einer anderen Gestalt am Kragen gepackt und zurückgezogen zu werden.

Für einen Moment keuchte und japste ich, wie ein Bärven-Hund an der Leine, dann wurde ich zurück auf die Füße gelassen.

Ravn hatte gerade mal einen Schritt zurückgemacht und klopfte sich betont gelassen die Ärmel aus. Doch ich konnte seine Finger zittern sehen. Diese wütende Energie in ihm war immer noch da- der Rest nur nachlässige Fassade.

„Du musst ja unglaublich überzeugend gewesen sein, Sinner", kicherte Gloryas Stimme hinter mir.

Ich kippte fast aus den Schuhen. Wie ein Rila wand ich mich in ihrem Griff, bis ich sie sehen konnte.

Goldene Locken, herablassendes Lächeln.
Großartig! Die zwei einzigen Mitglieder meiner Mordliste hatten sich hier versammelt! Wir konnten anfangen!

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