18- "Wenigstens ist niemand Wichtiges gestorben."

"[...] Die Gefangene soll in den Palast gebracht werden. Das Kind wird noch nicht benötigt [...]"

-(Befehlsschreiben an Tenur, gelesen eine Woche, bevor das Gefängnis gestürmt wurde)

✥✥✥ 

          Ravns Muskeln schmerzten derartig, dass es selbst eine Last war die goldene Türklinke zum Thronsaal herunter zu drücken. 

Dahinter erwartete ihn der König, entspannt vor einer kleinen Tafel mit Speisen sitzend. Zu seiner Rechten stand die rothaarige Frau, die eigentlich schon lange tot sein sollte und kämpfte um einen blanken Ausdruck.
Sie hatte beide Hände hinter ihrem Rücken verschränkt und hielt sich aufrecht, doch ihre Lippen kräuselten sich zu einem unfreundlichen Zug.

Ravn nahm es ihr nicht übel. Er freute sich auch nicht sonderlich darauf, mit ihr den Rest seines Lebens zu verbringen. Doch es war ihm ein angemessenes Opfer für jemanden der ihm etwas bedeutete.
Warum sie eingewilligt hatte, wusste er allerdings nicht.

Das kleine Kind sah er erst, als der König ihn mit einem Fingerzeig anwies, die Obstplatte näher zu bringen. Es war der Vorkoster und Hausmagier, den Lya so freundlich ein paar Jahre zurückgeschickt hatte, um über seine beruflichen Entscheidungen nachzudenken.
Ravn hatte gehört, dass seine magischen Talente zwar noch da waren, er jedoch Schwierigkeiten hatte sie zu fokussieren.

„Ihr hattet mich gerufen?", machte er den König auf sich aufmerksam, die offene Tür in seinem Rücken. Er wollte das Gespräch möglichst schnell hinter sich bringen.

Kaelchon bemerkte die fehlende Verbeugung und seine schlecht verborgenen Gefühle sehr wohl, doch wie immer änderten sie nichts an seiner Gleichgültigkeit. Mit einer nachlässigen Handbewegung winkte er Ravn näher, bis dieser neben dem Tisch zum Stehen kam.
„Wir müssen unseren nächsten Zug besprechen", informierte er ihn, während seine Augen interessiert auf den kauenden kleinen Jungen gerichtet waren.
Als dessen abrupter Tod erst einmal ausblieb, griff er selbst nach einem Stück Apfel und biss hinein.

Seine Tochter zuckte unwillkürlich unter dem Geräusch zusammen, drehte ihren Kopf jedoch schnell fort, ehe Ravn erkannte, was sie wirklich dachte.

„Du wirst die Lichterbin natürlich zurückholen", fuhr Kaelchon ungerührt fort und deutete auf eine bläuliche Frucht, deren Namen Ravn noch nicht mal kannte, „Ich sehe zwar den Nutzen darin ihr Vertrauen zu erschleichen, aber wir können uns nicht leisten, dass sie die Rebellenlager erreicht."

Seine Welt machte einen Kopfstand. Es kostete Ravn viel Konzentration, nicht zu blinzeln. Der König wirkte abgelenkt, doch es war nichts weiter, als eine kluge Täuschung um ehrliche Reaktionen aus seinen Untergebenen heraus zu kitzeln.

Lyanna hatte dies seit ihrem letzten Aufenthalt am Hof vergessen.
Ihr Kopf fuhr herum wie ein Peitschenschlag, ehe sie erst den König und Ravn mit anklagenden Augen anstarrte. Genau wie er hatte sie also wirklich gedacht, dass ihr Vater die gefährlichste Waffe im Krieg dieses Landes einfach so ziehen ließe. Dass er das Risiko eingehen würde, dass Lya eines Tages mit ihren voll ausgebildeten Kräften vor seinem Palast stehen und sein Imperium niederreißen würde. Sie waren dumm. Alle beide.

Lyanna öffnete bereits den Mund, doch Ravn schüttelte unmerklich den Kopf.
Eine Geste, die sofort die Aufmerksamkeit des Königs hatte. Amüsiert drehte er sich, um seiner Tochter in das entsetzte Gesicht zu blicken.
„Frauen", wandte er sich abfällig an Ravn, „Nur Gefühle und keinen Sinn für Taktik."
Er pickte zwei Früchte auf und schob sie selbstgefällig zwischen die blassen schmalen Lippen.
Er kaute sein Essen noch nicht einmal zu Ende, die Worte an seine Tochter gewandt.
„Deine dummen Forderungen haben mir mein Druckmittel genommen. Keiner hätte sie mehr kontrollieren können ohne ihren Bruder."

Am liebsten hätte Ravn aufgestöhnt, als ihm klar wurde, dass sein kleiner Akt der Rebellion, die Auflehnung gegen die Hochzeit und sein Handel mit dem König, nichts weiter als ein Spiel zu dessen Gunsten gewesen war. Er hatte sich geopfert und Kaelchon gegeben, was er verlangte. Dafür hatte er Lyas Zuneigung zurückgewonnen und wenn sie erst einmal wieder am Palast sein würde, würde dieser Sieg ihnen beiden das Genick brechen. Er war das neue Druckmittel.
Und ihm blieb nur noch eine Möglichkeit, Lya zu retten.
„Nein."

Der König beugte sich tiefer über die Fruchtauswahl und studierte die einzelnen Exemplare eingehender, als habe er Ravn nicht gehört. Doch Ravn fiel die feine blaue Ader an seiner Nase auf, die langsam sichtbar wurde.

„Ich werde ihr nicht hinterher reiten", wiederholte er die Worte und drückte den Rücken durch. Seine Entscheidung würde hässliche Konsequenzen für ihn hinterherziehen, doch er hatte in diesem Punkt keine Wahl. Er konnte Lya nicht noch mehr antun.

Mit einem Seufzen lehnte sich der König auf dem Thron zurück und sah Ravn für einige Sekunden wortlos an. Als er zu einem Schluss gekommen war, bedeutete er der Wache am Hintereingang des Saals, die kleine Tür zu öffnen.
Stolpernd und humpelnd wurde eine Frau herein geschubst. Ketten rasselten um ihre abgemagerten Fußgelenke, ihr Haare waren bis zur Kopfhaut abrasiert worden. Dreck und eine zerfetzte Kleidung machten es beinahe unmöglich zu erkennen, was für ein wunderschönes Gesicht sie eigentlich hatte.
Doch Ravn hätte sie überall erkannt.
„Suan", ihr Name kam eher wie ein Atemstoß heraus. Unkontrolliert tat er einen Schritt nach vorne, fing sich in der letzten Sekunde jedoch und blieb stehen.
Sein Magen drehte sich um. Etwas krachte in seine Welt hinein und ließ sie zitternd zurück.

„Lyanna, würdest du mir die Ehre erweisen und Ravn daran erinnern, dass ich kein Bittsteller bin, sondern sein König?", fragte Kaelchon ungerührt.

Seine Tochter stand wie festgefroren neben ihm. Ihre Augen waren riesig, während sie die Erscheinung der misshandelten Frau in sich aufnahm.
Die Soldaten zogen sich wieder hinter die Tür zurück, bis sie vollkommen verloren zwischen den Säulen verharrte.

Auch Ravn glaubte, mit jeder Sekunde mehr Verletzungen an seiner Tante zu sehen, bis keine Fläche mehr unberührt geblieben war. Dunkelheit öffnete ein Loch in ihm und verschlang alles. Suan hatte niemals an diesem Krieg teilhaben wollen und jetzt stand sie hier, weil sie einem scheinbar heimatlosen Jungen eine Familie gegeben hatte. Und Ziro war fort.

„Lyanna, ich möchte nicht warten", erinnerte Kaelchon an seine Anweisung, die ersten Anzeichen von Verstimmung in den Augen blitzend.

„Dann musst du dir jemand anderes suchen, um deine Drecksarbeit zu machen", erwiderte Lyanna gepresst und für einen kurzen Moment glaubte Ravn, dass Lya zu ihnen zurückgekehrt sei.
Trotzig reckte sie das Kinn vor, entschlossen alles entgegenzunehmen, was ihr Vater für sie bereithielt.

Der Schlag kam von der einzigen übriggebliebenen Wache im Raum, der eben noch hinter dem Thron gestanden hatte. Stumm holte er aus und warf ihren Kopf in den Nacken. Kaelchon hatte also nicht mit ihrer Kooperation gerechnet.
„Bringt sie auf ihr Zimmer", ordnete der Landesführer mit einem abfälligen Schnauben an, ohne seine Tochter noch eines Blickes zu würdigen.

„Fass mich ja nicht an", fauchte diese den näherkommenden Soldaten an. Er wollte sie im Genick packen und aus dem Saal schleifen, doch sie duckte sich unter seinem Arm weg.

Ravn konnte seine Aufmerksamkeit kaum zwischen seiner verängstigten Tante und Lyanna teilen. Er hatte noch nie so viel Aufruhr in diesem Raum erlebt. Die Schwärze in seinen Adern verschwand und wurde von einem kribbelnden Gefühl abgelöst.

Der Mann hatte sie inzwischen an den Haaren gepackt und ruckte kräftig daran, bis die Frau vor Schmerzen aufschrie.
Ravn wollte ihr zur Seite eilen, die Wache in seine Grenzen verweisen, doch im nächsten Augenblick stand ein ausgewachsener Schneeleopard auf den glatten Fliesen, die Nackenhaare zu einem bedrohlichen Kamm gestellt. Schlitternd kam er zum Stehen.
Große, weißblitzende Zähne wurden sichtbar und ihr Schwanz zuckte angespannt hin und her, während die Krallen bei jedem langsamen Schritt klickende Geräusche von sich gaben.

Ohne nachzudenken, zog Ravn sein Schwert, eilte zu seiner Tante und schob sie hinter seinen Rücken. Er hörte sie zwischen lautlosen Schluchzern seinen Namen flüstern, doch er hatte keine Gelegenheit sie zu beruhigen.

„SCHLUSS JETZT!", dröhnte die Stimme des Königs durch die Halle und ließ sie alle zusammenfahren, „Ravn, bring sie zur Vernunft!" Er hatte sich von seinem Platz erhoben und machte seine volle Körpergröße geltend. Sein blausilbriger Mantel verwandelte ihn in eine Statue seiner selbst.

Ravn blieb noch nicht einmal Zeit zu reagieren, als sich die Raubkatze umdrehte und mit einem tiefen Fauchen auf den Mann stürzte.
Für einen kurzen Moment vergaß er zu atmen.

Ein weißer Schatten prallte gegen den König und wurde mit noch höherer Geschwindigkeit wieder von ihm fortgeschleudert, bis sie mit dem Rücken gegen eine der dicken Marmorsäulen krachte und daran herunterrutschte.
Der kleine Junge hinter der Tafel zuckte unter der Beanspruchung seines Schutzschildes zusammen. Offenbar war es einer der ersten Zauber gewesen, die er erneut gelernt hatte.
Unverletzt, aber rasend vor Zorn, richtete sich Kaelchon neben ihm auf. Der Zusammenprall hatte ihn zurück in den Thron geworfen.
„Lass sie brennen, Ravn", war alles, was er zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor zischte.

Ravns Kiefer wurde fest. Lya würde ihm nie verzeihen, wenn er sich jetzt dem König beugte. Sie, seine Tante und jeder, den er gernhatte, würde immer in Gefahr vor ihm sein, wenn er sich nicht widersetzte.

„RAVN!", der Ruf des Königs rollte wie ein Donnerschlag über ihn hinweg. Die unbewegte Maske von unberechenbarem Kalkül bröckelte weg und offenbarte eine Fratze des Wahnsinns.

Ravn spürte, wie sich die Aufmerksamkeit des Mannes auf ihn zurückverlegte. Wie sein Blick intensiver wurde, als er versuchte ihn über ihre Verbindung dazu zu zwingen seine Fähigkeiten einzusetzen.
Mechanisch trat er einen Schritt nach vorne, weg von der Frau, der er sein Leben schuldete. Die wachsende Distanz erfüllte ihn mit Leere, vertrieb jedes Mitgefühl, das Lya ihn gelehrt hatte. Sie schuf Platz für das Feuer, das immerzu unter seiner Haut züngelte, bereit die Welt zu verschlingen.
Bereitwillig floss es in seine Finger und sammelte sich dort zu einer pulsierenden Kugel.

Lyanna, gerade so bei Bewusstsein, versuchte sich mithilfe der Säule aufzurichten, doch ihre Pfoten fanden kaum Halt auf den glatten Fliesen. Rutschend schob sie sich von seinen näherkommenden Schritten fort, bis der einzig zurückgebliebene Soldat ihr von hinten aufs Genick trat und sie so auf den Boden pinnte.

Ravn knirschte mit den Zähnen. Er konnte Leute nicht leiden, die kein Herz für Tiere hatten.
Ein Schnipsen seiner Finger schoss eine Kugel purer Hitze gegen den Harnisch des Mannes und schmolz prompt einen Durchbruch hinein.
Er gab keinen überraschten Laut von sich, als dort, wo vorher seine Lunge gewesen war, ein faustgroßes Loch klaffte.
Scheppernd ging er zu Boden und gab den Blick frei auf den kleinen Jungen, der versuchte hinter dem Tisch zu kauern. Er zitterte am ganzen Körper, unfähig seine Atmung zu kontrollieren.

Ravn hob lediglich die flache Hand.

Die Blase des Zauberers entleerte sich und seine Augen drehten sich zurück in den Schädel, ehe er unter den Tisch fiel.

Mit einem überraschten Laut ließ Ravn seinen Arm sinken. Es war besser so. Er war auch kein Freund von Leuten, die Gewalt auf Kindern ausübten. Ganz gleich ob sie eigentlich ein dicker Mann in seinen Wechseljahren waren.

Das kratzende Geräusch von Tatzen hinter ihm, sagte Ravn, dass Lyanna sich doch auf die Beine gekämpft hatte.

„Was tust du da?" Sämtliche Wut war aus dem König gewichen. Schock und die kleinste Spur von Angst sammelten sich an ihrer statt in den alternden Zügen des Mannes, als er ungeachtet der Raubkatze den Tisch umrundete, um den Jungen besser in Augenschein zu nehmen.
Er rief nicht nach den Soldaten, die vor jeder Tür warteten.

„Anscheinend gibt es durchaus Frauen mit einem Sinn für Taktik", knurrte Ravn drohend, als er ihm zu nahe kam, „Lya hat mir gerade einmal die Kräfte eines fünfjährigen Feuerbändigers gelassen." Ein kleines Lächeln stahl sich bei der Erinnerung auf seine Lippen. Sie war so viel klüger als sie alle zusammen.

„Die Lichterbin hat unsere Verbindung gekappt!", hob der König anklagend einen dürren Finger und machte noch einen Schritt auf ihn zu. Immer schneller ging er auf Ravn zu, beide Hände ausgestreckt, bereit, den Burschen zu erwürgen, den das Anrecht auf den Thron gestohlen hatte.

Es war eine deutlich kleinere Energiekugel, die sein Herz traf und in nichts weiter, als eine Aschewolke verwandelte. Ihm blieb sein gehetzter Ausdruck ins Gesicht gemeißelt, als sein letzter Atemzug von dem harten Boden aus seinen Lungen geschlagen wurde.

Ihm folgte vollkommene Stille.

Ravn schüttelte den Kopf. Der Mann hatte wirklich gedacht, dass Ravn es nicht wagen würde. Nach allem, was er ihm angetan hatte.

„Du hast es geschafft!" Die brüchige Stimme seiner Tante riss ihn aus seiner Starre. Auf wackeligen Beinen wankte sie zu ihm hinüber, das Gesicht von Tränen und einem überglücklichen Lächeln eingenommen. Kraftlos schloss sie Ravn in die Arme, ihren kahlen Kopf gegen seine Brust gedrückt.

Neben ihnen stand eine inzwischen menschliche Lyanna auf.
„Glück gehabt", murmelte sie mehr zu sich selbst, als sie den Raum genauer in Augenschein nahm, „Wenigstens ist niemand Wichtiges gestorben."

Ravn atmete auf. Sie waren frei. Und er konnte es gar nicht erwarten, es die Welt wissen zu lassen. Er fühlte sich, als wäre er seit Jahren wach gewesen und jetzt wäre die Zeit gekommen sich endlich auszuruhen.

„Was wird deine erste Amtshandlung als neuer König sein?", riss Lyanna ihn aus den Gedanken.

Darüber dachte er nicht sonderlich lange nach. Sein Blick fiel auf seine Tante, die trotz ihrer Wunden ein warmes Lächeln zustande brachte. Er würde nicht zulassen, dass sich noch einmal eine Mutter in diesem Land fürchtete.
„Ich werde die verschwundenen Kinder nach Hause bringen."

✥✥✥

"Voted und ich zwinge die Autorin euch den Epilog ein bisschen früher zu geben!"- Ravn, neuer König des Landes.

YEAH. Ich konnte euch das nicht wirklich vorenthalten. Ich bin so happy mit Ravn und Lyannas Teamwork.

Und ich habe eine Überraschung für euch! Nach dem Epilog wird es ein GIVE AWAY geben :D
(Oh weia, meine Zeiten als Youtuber kommen wieder durch xD)
Mehr dazu im nächsten Kapitel :D

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