10- "Warum blutet Ravn?"
„[...]
Irrlichter:
-Magische, Glühwürmchen-ähnliche Wesen, nur in grün.
-Leben überall, wo nur Idioten alleine hingehen.
-Ernähren sich von diesen Idioten.
-Können Gestalt in Koboldform ändern, was auch nicht besser ist.
-Sammeln sich gerne an Orten mit alter Magie (so wie Elfen) [...]
- ( Aus Lyas Aufschrieben in Wesenslehre; liegen verstreut und zerfleddert in einem verwüsteten Zimmer der Burg der Kinder)
✥✥✥
Im Spiegelbild des Sees sah ich Rakes kleine Hand in meiner. Er hatte die letzten Schritte auf die Lichtung alleine tun wollen und nun hängte er sich mit seinem gesamten Gewicht in meinen Arm, nur um die glatte Oberfläche zu berühren.
Ich ließ ihn nicht.
Dieses Wasser hatte bisher nur Unheil und Probleme gebracht, obwohl es eigentlich eine so wundervolle Wirkung haben sollte. Selbst ich stand andächtig vor dem Ufer und sträubte mich innerlich, noch einmal damit in Verbindung zu kommen. Vielleicht hatte der Hass des Königs es verdorben? Vielleicht sollte es gar nicht in diesem abgesperrten Wald sein, sondern unter den hohen Bergen, nahe den tosenden Wasserfällen?
Das mitgebrachte Irrlicht hatte seine schwarzen Äuglein ebenfalls auf die spiegelnde Oberfläche geheftet, als wisse es, worum es sich hierbei handelte. Stumm und bewegungslos hockte es in dem Käfig, die spinnenfeinen Finger um zwei Gitterstäbe geschlungen.
Bestimmt erinnerte dieser Tümpel an die großen Moorflächen, die sonst die kleinen Wesen beheimateten.
Der Gedanke an mein eigenes Heim ließ mich erschaudern. Es lag ebenfalls an einem See, doch das Haus war vollkommen verlassen und verwüstet. Niemand würde dort für eine lange Zeit einziehen. Es war an mir dies möglich zu machen.
Mit einem Seufzen hob ich Rake trotz leiser Proteste auf einen moosüberwachsenen Stein.
„Bleib dort sitzen. Wenn alles gut geht, wirst du gleich ein grässlicher Volltrottel", flüsterte ich ihm beruhigend zu, als er sofort darum bettelte wieder auf den Arm genommen zu werden. Er war unglaublich Nähe bedürftig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihm jemand all die Zuwendung gegeben hatte, als er mit seiner Mutter hierhergebracht worden war. Sicherlich kannte er Abweisung viel besser, als ehrliche Liebe. Kein Wunder, dass er heute so unausstehlich war.
Gedankenverloren strich ich ihm durch die Haare.
Er war ein so unschuldiges Kind, ohne jegliche Ähnlichkeiten zu seinem späteren Selbst. Und ich tat Theenan Schreckliches an, indem ich den alten Rake zurückholte. Auch wenn er darüber kein Wort verloren hatte und mich ganz selbstverständlich in meinen Bemühungen unterstützt hatte, es war kaum zu übersehen in den angsterfüllten Blicken, die er dem Kind zuwarf.
All diese Gedanken machten die Schritte zurück zum Wasser so viel schwerer. Stumm reflektierte es das grüne Licht, als wäre es nichts weiter als ein einfacher Tümpel. Ich kniete mich daneben und versuchte erfolglos unter die Oberfläche zu sehen.
Gleichzeitig überkam eine kaum wahrnehmbare Anspannung meine Nerven. Was auch immer jetzt passieren würde, Veränderungen folgten.
Und damit tauchte ich die gesamte Hand ins Wasser.
Als hätte die Magie hinter dem Spiegel der Götter meine abfälligen Gedanken gehört, ließ sie mich warten. Es hätte allerdings genauso gut meine Erwartung gewesen sein können, die mir jeden Herzschlag in den Ohren klingen ließ, in dem nichts passierte.
Nur ganz zögerlich zeigte sich ein winziger Funken. Er spielte um meine Finger, ein schwaches Leuchten im Dunkel der anhaltenden Nacht. Als er meine Haut berührte, spürte ich das bereits bekannte Kribbeln, das mir durch den Arm bis in die Brust wanderte. Es war warm und beruhigend, wie die Umarmung meines Vaters, oder die Kerzen im Zimmer meiner Mutter.
Und mit der Erinnerung, kamen auch andere kleine Glitzerpartikel, die wie Staub im Sonnenlicht schimmerten. Sie stoben hin und her, breiteten sich weiter aus, bis das Licht beinahe zu hell für meine Augen wurden.
Gefesselt starrte ich darauf hinunter, als wäre es mein ganz eigenes Feuerwerk im Spiegelbild des Nachthimmels. In diesem Moment wäre ich auch glücklich, wenn das all mein Talent gewesen wäre. Nur Wasser zum Leuchten bringen. Mehr nicht. Es war etwas Prachtvolles, auch wenn es mich in Schwierigkeiten brachte. Die Wärme, die durch meine Haut kroch, ließ feine goldene Adern unter ihr glitzern.
Eine dünne Stimme sang hinter mir. Es war eine wunderschöne wenn auch traurige Melodie, viel heller, als ich sie je gehört hatte. Und auch wenn sie mir einen gehörigen Schrecken einjagte, schaffte ich es, mich umzudrehen, ohne meine Verbindung abbrechen zu lassen.
Das Irrlicht hatte den übergroßen Kopf gegen die Gitterstäbe gepresst, beide Arme in meine Richtung ausgestreckt. Ich verstand die Worte aus seinem Mund nicht, doch selbst in dem verzerrten Gesicht war die Hingabe dahinter gut leserlich. Es folgte jeder meiner Bewegungen mit den feingliedrigen Fingern, als sehne es sich nach meiner Berührung.
Eine absurde Vorstellung. Obwohl Irrlichter entfernt wie groteske grüne Menschen ohne Haare aussahen, war ihr Begriffsvermögen noch instinktiver angelegt, als der von Waldelfen. Sie jagten und leuchteten. Mehr gab es in den meisten Büchern nicht über sie zu berichten.
Doch dieses Exemplar sang und es starrte mich dabei an, als flehe es um irgendwas. Eine Gänsehaut zog sich über meine Arme, als ich vorsichtig die andere Hand ausstreckte und den Riegel von der Gittertür öffnete.
In einer leichten Wellenbewegung der Luft hob sich der Glockenzauber über dem Käfig auf und nahm seinen Bann von den kleinen Wesen.
Das hier war eine schrecklich schlechte Idee. Nicht, dass ich fürchtete, es würde mich oder Rake angreifen. Aber verblasste das Licht des Sees erst einmal wieder, würde mein Weg zurück im Dunkeln stattfinden. Warum ich ihm trotzdem die Freiheit schenken wollte, war sogar für mich schwer zu begreifen.
Im Nu verwandelte es sich in die kleine grüne Leuchtkugel, die kaum genug Helligkeit für sich selbst spende und kurz im Inneren seiner alten Behausung schwebte. Genauso schnell verstummte das Lied und hinterließ nichts als die unartikulierten Laute von Rake, der vollkommen selbstvergessen auf seinem Stein saß.
Das Irrlicht schwirrte aus seinem Gefängnis heraus und mein Herz sank. Was genau hatte ich mir eigentlich erhofft? Es erschien lächerlich in Anbetracht der Stille um uns herum. Ich verschleuderte wichtige Zeit. Rake musste zurückverwandelt und die Bevölkerung aus ihrer Angst befreit werden. Irrlichter spielten dabei keine Rolle. Und falls ab jetzt eines im Labyrinth des Königs sein Unwesen trieb und Höflinge verschleppte, war mir das auch recht.
Resigniert zog ich die Hand aus dem Wasser.
Rake gluckste fröhlich, als ich zu ihm zurückkam und mich vor ihn kniete. Das Kribbeln war nicht sonderlich schwer in meine Hand zu fokussieren. Es kam mir vor wie Muskeln strecken- eine vollkommen natürliche Sache, über die man selbst keine Gedanken verschwendete.
Worauf ich mich jedoch sehr wohl konzentrierte, war das gewünschte Ergebnis. Ich wollte Rake nicht versehentlich noch jünger werden lassen. Es sei denn, der Fluch ließ nichts anderes zu. Das wäre ungeschickt.
Da ich allerdings keinerlei Erfahrung in sowas aufwies, versuchte ich mich stattdessen, daran zu erinnern, wie Lewi immerzu seine eigene Gabe beschrieben hatte. Er hatte immer darauf bestanden, dass seine Kräfte etwas mit mentaler Stärke zu tun hätten, die ich nicht aufweisen würde.
Klar doch. Wenn er damit Starrsinn gemeint hatte, war er mir bestimmt überlegen.
Aber all das erschien mir so lange her. Ich fühlte mich alt.
Unschlüssig rieb ich mir die Stirn und sandte kleine Funken in die Luft. Eine tiefe Falte bildete sich unter meinen Fingerkuppen und erschrocken riss ich meine Hand fort, doch es war bereits zu spät. Ein blendendes Licht verschluckte alles um mich herum.
Was ich als Nächstes sah, war meine eigene Hand, die eben noch wie verrückt über meine Augen gerieben hatte. Sie war von merkwürdigen, dunklen Flecken übersäht und als ich zurückzuckte, fiel mir eine graue Strähne in die Stirn.
Oh nein! Nein, nein nein! Verflucht noch eins!
Rake lachte mich aus. Er hatte das breiteste, dreisteste Grinsen in seinem feisten Gesicht, als mein großmütterliches Selbst panisch den eigenen Körper abtastete. Da, wo in meiner Jugendzeit Muskeln gewesen waren, fand sich jetzt nur noch weiches Gewebe. Und meine Knochen schmerzten bei den hektischen Bewegungen. Ich sollte mir schleunigst ein warmes Feuerchen suchen. Die Abenteuer nachts im Wald waren Gift für meine Knie.
Rake jauchzte noch einmal und bekam meinen Rocksaum in seine Finger. Entschieden zog er daran, nach Aufmerksamkeit heischend.
„Ja doch, ja doch. Ich bin nicht deine Mutter", erwiderte ich argwöhnisch. Behutsam kämpfte ich mich in eine aufrechtere Position. Immer wollte sie etwas, die Jugend von Morgen! Zur richtigen Arbeit zu fein und dann jagten sie die Alten im Dunkeln durchs Gebüsch!
„Wenn du nicht ein wenig geduldiger bist, altere ich nur deinen Körper und lasse deinen Geist genau da, wo er jetzt gerade ist!", drohte ich mich krächzender Stimme, einen krummen Finger verstimmt erhoben. Wäre die Gesundheit nicht das Privileg der Junge Leute, ich würde meine Gelenke verjüngen. Nur ein bisschen, damit sie diesem hundsmiserablen Klima gewachsen wären.
Mit nichts weiter als einem schmerzhaften Fingerschnippen und meinen darauffolgenden Stöhnen, tauchte ich das Kleinkind in einen goldenen Schauer. Ich hoffte, dass sein kurzer Ausflug zurück in seine Jugendtage ihn als einen besseren Menschen wiederbrachte. Ich nutzte die Elfenmagie schließlich nicht für jeden. So etwas kostete das Wasser viel zu viel Kraft!
Ohne wirklich Interesse, an der vorangehenden Verwandlung zu zeigen, schlurfte ich zurück zu dem Teich, über dessen Oberfläche Minx tanzte.
„Unnützes Irrlicht", brummte ich meinen Begleiter an, doch das kleine Wesen störte sich an der schlechten Laune nicht. Eifrig sauste es um meinen Kopf wie eine lästige Fliege und ließ sich auf meinen hängenden Schultern nieder, damit ich besser sehen konnte.
Meine Augen waren kaum mehr als sein schwaches Licht gewöhnt. Hätte meine Haut jemals wieder Sonne gesehen, ich würde sicher verbrennen.
„Ich sehe schlimmer aus, als Kaelchon", erklärte ich ihm, meine wässrigen Iriden auf das Spiegelbild gerichtet. Ich sah sogar älter aus, als meine Eltern. Ich fühlte mich auch-...
Etwas in mir stutze. So natürlich es sich für mich anfühlte, dass das Irrlicht leise Melodien in meine schlechten Ohren hauchte, ich erinnerte mich bei allen Göttern nicht daran, ihm einen Namen gegeben zu haben. Minx?
Ein Teil von mir schob es auf die Vergesslichkeit, die mich mit der fehlenden Sonne über die Jahre eingeholt hatte. Doch dann wiederum fehlte die Sonne erst seit knapp einem Tag.
Ich runzelte die Stirn. Kein schöner Anblick. Genau genommen sollte ich mich auch nicht so nach vorne lehnen. Das war eine ganz unglückliche Kombination mit meiner erschlafften Haut.
Nur ein kleiner Zauber und ich könnte das beheben. Aber das würde der Geist des Wassers kaum als uneigennützig durchgehen lassen und noch einen unüberlegten Zauber wollte ich nicht riskieren. Das hatten mich schlussendlich erst in diese Situation gebracht.
...vor zwei Minuten.
Warum dachte ich dauernd, dass das bereits Jahrzehnte zurücklag? Warum fühlten sich meine Gedanken generell so an, als wären sie näher an den achtzig, als an den Zwanzigern?
„Weil du alt bist, verwirrte Vettel", schalt ich mich selbst, „Du hast schließlich nicht nur dein Äußeres verändert. Du drehst die Sanduhr der Zeit um. Großartiges Talent, schon vergessen?"
Fast hätte ich aufgelacht. Dieser Satz klang so sehr nach mir und wiederum auch gar nicht. Ich sprach meine sarkastischen Gedanken nicht aus! Ich war ja nicht irre. Und woher ich dieses ganze Wissen nahm, war mir ebenfalls rätselhaft.
Allerdings ... Wenn ich genauer darüber nachdachte, erhaschte ich verschwommene Erinnerungen, die mir viele meiner Fehlversuche zeigten, die ich noch gar nicht begangen hatte. Aus meiner gealterten Perspektive hatte ich das lästige Ausprobieren und Lernen bereits hinter mir. Ich kannte die dämlichen Regeln, die meine Kräfte einschränkten und ich wusste ganz genau, dass ein warmer Tee meine kalten Gliedmaßen besser als jedes Feuer aufwärmte. Es war, als wäre die Zeit über sechzig Jahre für alle anderen stehen geblieben, während meine eigene Uhr freudig weiter getickt hatte.
Energisch schüttelte ich den Kopf. Mein älteres Ich kämpfte jede Sekunde darum, die Führung zu übernehmen. Wenn ich mich nicht wirklich auf die Erinnerungen der letzten Augenblicke konzentrierte, war es leicht sich in den Beschwerden meines neuen Lebens zu verlieren. Von denen es mehr als genug gab. Ich würde noch eine Erkältung hinzufügen dürfen, wenn ich in diesem viel zu sommerlichen Kleid ohne Mantel im Schnee stand. Man wollte meinen, Erfahrung machte weise aber ...
Ich kniff mich in den eigenen Arm. Schluss jetzt! Ich war sechzehn, nicht achtzig. Und auch wenn meine Kräfte massiv darunter litten, dass das hier ein vollkommen eigennütziger Zauber war, ich würde mich zurück ändern.
Die Rückenschmerzen ließen prompt nach, noch bevor ich das feine Glitzern meiner Hände gesehen hatte, oder das Licht mich neuerlich blendete.
Mit knackenden Wirbeln richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf, von der ich überhaupt nicht bemerkt hatte, dass sie geschrumpft war.
Mir war zwar immer noch kalt, aber zumindest würde ich nicht morgen mit Schüttelfrost aufwachen. Meine Kräfte dagegen würden sich selbst durch ein zweites Bad im See nicht allzu bald erholen.
„Lya?"
Ich zuckte zusammen. Rake! Den hatte ich vollkommen ausgeblendet!
Doch mit ihm kamen auch alle anderen Erinnerungen zurück, die mein altes Ich so gut unterdrückt hatte. Ich war alleine mit einem erstklassigen Vollidioten mitten in einem verbotenen Abschnitt des Gartens und er hatte gesehen, wie ich den Teich in ein Leuchtfass verwandelte. Wie hoch waren meine Chancen, dass nichts davon an den König weitergetragen wurde?
Ganz langsam drehte ich mich auf dem Absatz um, bemüht den bitteren Geschmack in meinem Mund zu vertreiben.
Vor mir stand Rake und irgendwie auch nicht Rake. Bartstoppeln warfen ihren Schatten auf sein Kinn, wo vorher dieser struppige Ansatz eines Bartes gewesen war und seine komplette Erscheinung war weniger massig. Auch wenn er immer noch viel zu viele Muskeln zeigte.
Aber die größte Veränderung lag in seinen Augen. Sie hatten diesen lüsternen Blick verloren, der gehässig auf jeden herabgesehen hatte. Stattdessen waren sie von einem warmen Braun und beinahe... weich?
Hatte ich meinen Zauber falsch gemacht? Er sah eigentlich genauso alt wie vorher aus ...
Rake setzte sich in Bewegung.
„Du hast es wirklich geschafft!" Er klang vollkommen begeistert. Und stolz. Als hätte er nichts anderes erwartet.
Und noch ehe ich ein weiteres Mal blinzelte, hatte er die kurze Distanz zu mir überwunden, mein Gesicht mit beiden Händen gegriffen und küsste mich direkt auf den Mund.
Mein Verstand reagierte sogar zu langsam, um ihm eine gehörige Ohrfeige zu verpassen.
Ich musste irgendetwas falsch gemacht haben. Seine Geste war leidenschaftlich und fremdartig liebevoll. Und so gar nicht unsicher oder fragend. Er benahm sich, als gäbe es überhaupt keinen Zweifel, dass ich seine Zuneigung erwidern würde.
An meiner statt reagierte dafür jemand anderes.
In einem Augenblick spürte ich Rakes feste Lippen auf meinen, im Nächsten taumelte ich ins Leere und wäre fast auf die Knie gefallen.
Stattdessen öffnete ich meine Augen (Wann hatte ich die denn jetzt schon wieder geschlossen?) und sah gerade noch so, wie Ravn seinen Schwertbruder mit einem einzigen gezielten Hieb zu Boden schlug.
Hinter ihnen stand Theenan und starre mit ebenfalls erstauntem Ausdruck zu Rake hinunter, dessen Gliedmaßen vollständig erschlafft waren.
Ob er auch gesehen hatte, wie Rake mich küsste, wollte ich mir gar nicht ausmalen. Er musste sich fürchterlich fühlen.
Aber Ravn hatte in diesem Leben sein Anrecht auf derartiges Benehmen verspielt! Gerade er, der sich nachts mit Prinzessinnen im Labyrinth traf! Er konnte doch nicht einfach jemanden niederschlagen!
„Geht's dir noch gut?" Er hatte sogar die Dreistigkeit verraten dreinzublicken. Und wütend.
Meine Finger ballten sich von alleine in Fäuste. In meinen Augen hatte er eben ein unschuldiges Kleinkind bewusstlos geschlagen. Dachte er wirklich, dass ich sein breitschultriges Beschützerauftreten brauchte?
„Ob es mir noch gut geht?" Ich merkte sehr wohl, dass meine Stimme hysterische Tonlagen erreichte, doch es kostete mich bereits alle Kontrolle nur langsam schrittweise auf ihn zuzugehen.
„Wie kommst du dazu, hier hereinzuplatzen und jemandem umzuschlagen?"
Zu meinem immer größer werdenden Zorn sah Ravn nicht im mindesten schuldbewusst drein.
„Er hat dich geküsst!", war kaum eine Entschuldigung, die Ravn zwischen den Zähnen hervor presste.
Ich verschränkte meine Arme und lehnte mich auf meine Fersen zurück. Früher hätte mich die Vorstellung, dass Ravn eifersüchtig wäre, bestimmt lachen lassen, doch jetzt war eher das Gegenteil der Fall. Die Bilder der kindlichen Prinzessin blitzten vor meinem inneren Auge auf und mein Mund wurde trocken.
„Ach so ist das. Du triffst dich nachts mit den Prinzessinnen des Hofes, aber wenn ich geküsst werde, haust du ihn, ohne nachzufragen, um?" Ich versuchte, genug Sarkasmus in meine Worte zu legen, dass sogar die beiden schwerfälligen Trottel vor mir verstanden, wie wütend ich gerade wirklich war. Was, wenn Ravn mit seiner Aktion den alten Rake zurückgeholt hatte? Alle Arbeit und die ganze Nacht wären umsonst gewesen.
Ravn kniff die Augen zusammen, als versuche er, in meinen Kopf zu sehen.
„Das ist etwas anderes, ich habe Verpfl-..." Er unterbrach sich selbst, ein brodelnder Vulkan an unkontrollierbaren Emotionen.
Ich atmete in den Bauch hinein. So würden wir nirgendwo hinkommen.
„Theenan, lässt du uns für einen kurzen Moment alleine?"
Der angesprochene Junge bekam riesige Augen, als meine Aufmerksamkeit auf ihn fiel. Er hatte alle Absicht nicht in diesen Streit gezogen zu werden und egal wie verwirrend es für ihn war, er war nur allzu bereit sich schnell zurückzuziehen.
Seine Erklärung, er würde auf dem befestigten Weg in Rufweite warten, ließ uns beide schweigend zurück, ehe auch der letzte Ast hinter ihm zur Ruhe gekommen war.
Ich wandte mich wieder dem Thronfolger zu.
„Ich glaube nicht, dass das derselbe Rake ist. Er... er hat eine andere Kindheit gehabt."
„Und deshalb knutschst du mit ihm im Wald herum?" Ravn war nicht im Mindesten besänftigt.
Irgendwo in meinem Hinterkopf war ich mir bewusst, dass er nicht verstehen würde, woher ich wusste, dass Rake nicht mehr gleiche war. Doch ich hatte es am eigenen Körper gespürt. Niemand sprang in der Zeit und nahm keine Veränderungen mit.
Aber Ravn... er hörte mir noch nicht einmal zu! Er dachte ehrlich, dass ich ihn betrogen hätte! Als wäre er in irgendeiner Position, um sich über sowas zu beschweren.
Grimmig beobachtete er mich, wie ich langsam näherkam. Er meinte wirklich, er sei im Recht. Als wäre es vollkommen legitim an einem Abend mit einem Mädchen zu turteln und am Nächsten Besitzansprüche auf das andere zu erheben. Als würde sein riesiger Verrat nichts zwischen uns ändern.
„Eigentlich gibt es nur eine Sache, aus der ich Theenan heraushalten will", erklärte ich, so ruhig es mir möglich war. Jeden einzelnen Schritt war ein Kampf mit mir selbst.
Um meinen Kopf herum flatterte Minx und stahl für einen kurzen Moment Ravns Aufmerksamkeit. Seine Augen folgten ihm und weitere Fragen schreiben sich in seine Stirn. Wie hatte ich nur geglaubt, dass das Irrlicht unnütz wäre?
Dann krachte meine Faust gegen seine Nase und beendete den Spuk für uns beide. Es war etwas, das ich schon seit meiner Ankunft im Palast hatte tun wollen. Eine kleine Gerechtigkeit, die unsere Beziehung so dringend benötigte, sonst wäre ich niemals in der Lage ihm auch nur ins Gesicht zu sehen.
Mit einem halbunterdrückten Brüllen taumelte Ravn zurück und wäre gegen Theenan geprallt, der im nächsten Moment zwischen den Bäumen hervorkam. Er brauchte kurz, ehe er jegliche drohende Gefahr ausschloss, dann fiel sein Blick auf Ravn.
„Warum blutet er?", fragte er aufgesetzt ruhig. Da war es wieder: Dieses Straßenjungen- Grinsen, als kenne er keine Sorge der Welt. Irgendetwas an der Situation war unglaublich komisch für ihn.
Ich ahmte Ravns unbeeindruckte Haltung von vorher nach, ganz gleich welche Dolche er mir in den Rücken rammen wollte. „Weil er ein Idiot ist."
Theenan nickte, als würde er verstehen. Erstaunlich gelassen beugte er sich zu Rake herunter und überprüfte dessen Puls. Auch er spürte, dass es sich nicht mehr um seinen großen Bruder handelte. Stattdessen war es beängstigend, wie leblos er da lag. „Ich wusste gar nicht, dass Dummheit zu spontanem Nasenbluten führt."
„Nicht?" Meine Augenbrauen verschwanden imHaaransatz. „Ist ein verbreitetes Phänomen, da, wo ich herkomme."
✥✥✥
'Voted und ich demonstriere noch weitere Phänomene, die Machohaftes Verhalten mit sich bringt.' - Lya, dieses Mal ohne Falten und graue Haare.
Laaaaanges Kapitel, aber ich muss aufhören immer zwei draus zu machen :D das zieht sich langsam :D
XOXO
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