1- "Was habt ihr getan?"

"Lyanna Tiàlan war die einzige magisch begabte Tochter Kaelchons. Sie war Lady Lenlays Tochter in zweiter Ehe. Unter tragischen Umständen verschwand sie nur wenige Wochen vor ihrer Hochzeit, dicht gefolgt von ihrem Halbbruder Jamah Lenlay (Sohn der Lady Lenlay aus erster Ehe und Mitglied der Una Fil und Vierten Garde).
Obwohl man weitläufig die Rebellenorganisationen für ihre Entführung zur Verantwortung zog, konnten nie wieder weitere Informationen über den Verbleib der Kronprinzessin gefunden werden.
Vier Jahre nach ihrem Verschwinden wurde sie offiziell von der Krone als tot erklärt."

- (Lional Frank, "Die Geschichte der letzten fünf Jahrzehnte". S. 232)

  ✥✥✥  

          Die Behausungen der Elfen liegen tief in unseren eigenen Wäldern, gerade abgeschieden genug, dass es keinem Wanderer die Mühe wert wäre, sich so weit vor zu wagen. Dort ist der Boden von menschenhohen Wurzeln überwuchert und Gräser wachsen bis zu deinen Schultern. 

Schrecklich still ist es dort drinnen. Wäre es nach mir gegangen, wäre ich für immer bei ihnen geblieben."

„Und doch stehst du vor uns, als wärst du aus einer meiner lange vergangenen Erinnerungen gefallen", erwiderte Jamah Lenlay, unfähig den Spott aus seinen Worten zu verbannen. Er lehnte auf der anderen Seite der Küche, direkt neben der Tür, und beobachtete die kleine Versammlung um den Tisch aus argwöhnischen Augen.
Seine abweisende Haltung war verständlich. Nicht jeden Tag tauchten verschollene Geschwister auf und noch seltener brachten sie gute Neuigkeiten mit sich. Die Situation wäre für jedermann überfordernd gewesen und Lewis Vater entschied sich, erst abzuwarten, ehe er in vorzeitigen Jubel ausbrach.

Im Gegensatz zu ihm fing sein Sohn jedoch sehr wohl den scheltenden Blick seiner Mutter auf, die immer noch einen Arm um seine Tante geschlungen hatte. So lange die eigentlichen Hausbesitzer unterwegs waren, war sie die Gastgeberin. Und Elayn sah es in keinem Fall sonderlich gerne, wenn man Gäste rüpelhaft behandelte. Noch weniger, wenn sie zur Familie gehörten.

Doch dieses besondere Familienmitglied brauchte kaum so viel Beistand gegen ihren großen Bruder, als man von ihrer zierlichen Gestalt annehmen mochte.
„Das nächste Mal bitte ich die Elfen, dir eine Postkarte zu schicken", erwiderte sie spitz, „Vielleicht gleich an den Palast, damit Papa auch informiert ist?"

Balthar fiel klappernd der Löffel in die Holzschüssel.
Den König mit 'Papa' zu betiteln, war eindeutig zu viel für seinen übernächtigten Verstand. Es war schon schwierig genug ‚Tante' Lyanna und Lewis vermeintliche Zwillingsschwester auseinanderzuhalten, wenn alle durcheinanderredeten. Konnte diese Familie eigentlich noch komplizierter werden?
Sein Blick husche hinüber zu Lewi.
„Du bist tatsächlich mit Kaelchon verwandt?"

Jamah antwortete an Stelle seines Sohnes. „Nicht wirklich. Lyanna und ich haben nur dieselbe Mutter. Der König ist nicht mein Vater und teilt mit mir genauso viel Blut, wie mit einem Huhn."

Balthar konnte nur starren und mit der Zunge schnalzen. Emsig bemüht, die Kontrolle über seinen Unterkiefer zu erlangen, entschuldigte er sich nuschelnd bei den Umstehenden und beeilte sich aus dem großen Topf vom Herd noch einmal Nachschlag zu nehmen.
Essen, erschien ihm in jeder Hinsicht eine gute Tätigkeit, um nicht noch selbst in die angespannte Situation hinein gezogen zu werden.

Lewi war es schleierhaft, wie der Junge gerade so viel in sich hineinstopfen konnte. Die vielen brennenden Fragen auf der Zunge und seine Unfähigkeit den Löffel unfallfrei zum Mund zu bringen hatten ihm eindeutig den Appetit verdorben. Auch wenn sich geklärt haben mochte, von welcher Seite ihrer Eltern Lya dieses Temperament geerbt hatte.
Lya. Die Erinnerung an seine Schwester war wie ein Schlag in den Magen.
Lya, die in den Händen des Königs gefangen war. Lya, die sie jetzt mehr brauchte als jemals zuvor, während er es nicht schaffte, einen Eintopf zu löffeln.
Seine Frustration steigerte sich mit jedem verstreichenden Tag.

„Ich habe dich drei Jahre lang überall in diesem verfluchten Land gesucht!", brauste Jamah in dem Moment auf und stieß sich von der Wand ab, um sich vor seiner kleinen Halbschwester besser aufzubauen. Auch wenn man ihm noch immer die Strapazen der letzten Monate und die ein oder andere wache Nacht ansah, war er eine beeindruckende Erscheinung.

Nicht jedoch für Lyanna „Lya" Tiàlan. Behutsam aber bestimmt, schob sie Elayns Arm von sich fort und würgte ihre Verteidigungsversuche mit einem milden Lächeln ab.
An ihren Bruder gewandt, sagte sie lediglich: „Ich bin dir unendlich dankbar für deine Mühen und verstehe, dass diese Zeit hart für ich gewesen sein muss. Doch du wirst in einer ruhigen Minute einsehen, dass ich keine Wahl hatte. Die Elfen lassen niemanden in ihr Reich spazieren und einfach wieder gehen. "

Und mit einem kleinen Grinsen fügte sie hinzu: „Außerdem meine ich, dass du auf deiner Suche stattdessen deine Frau gefunden hast?"

Die Erinnerungen an dieses Ereignis zauberte eine strahlende Wärme in die braunen Augen Elayns, ehe sie vorsichtig nach der Hand ihres Mannes griff und beruhigend zudrückte.

Ein wenig besänftigt in seinen gekränkten Gefühlen, fuhr Jamah sich durch seine kurzgeschorenen Haare und setzte sich endlich neben Balthar, dem er wortlos die fünfte Schüssel Eintopf wegnahm und selbst zu essen begann.
Der Sucher sah so verletzt über den Verlust drein, dass Lewi ihm sein Unangetastetes mit dem Armstumpf hinüberschob. Auch wenn er sich Mühe gab sein Schicksal anzunehmen, spürte er den leise brodelnden Selbsthass mit jedem Blick auf seine fehlende Schwerthand deutlicher.
Er hatte seinen Vater um Heilung gebeten, doch er konnte keine Gliedmaßen nachwachsen lassen und Glorya hatte die Hand mitgenommen.
Nun war er nutzlos, degradiert und ohnmächtig in Anbetracht der kommenden Herausforderungen.

Auf dem Herd pfiff ein Teekessel und seine Mutter stand auf, um nach dem kochenden Wasser zu sehen.

„Das erklärt aber immer noch nicht, warum du jetzt hier bist", brachte Jamah, unberührt von Balthars Leid, zwischen zwei Löffeln hervor. Auch er hatte nichts essen können, bevor nicht einige wichtige Dinge geklärt worden waren.

„Und wo alle aus der Burg der Kinder sind", fiel Lewi nachträglich ein, mit einer ganz besonders drängenden Frage, die Lyanna auf ihrem gesamten Weg hierher erfolgreich umgangen hatte. Eine Strähne der blonden Haare kitzelte an seinen Augenbrauen, doch er ignorierte sie gekonnt.

Die Frau legte den Kopf schief. Sie sah so viel jünger aus, als seine Eltern. Aber dann wiederum auch viel älter, als er oder Lya. Tatsächlich war ihre Haut makellos und seidig blass. Keine Spuren ließen sich darauf finden, dass vor ihnen ein Mensch weit über die dreißig hinaus saß. Die Jahre bei den Waldelfen waren wahrhaftig spurlos an ihr vorbeigezogen, doch in ihren Augen sah man, wie viel sie schon erlebt hatte. Schatten huschten hinter dem eisigen Blau, das jeden im Raum so lange fixierte, bis selbst die Gedanken in den Köpfen ihrer Opfer innehielten.

Für einen kurzen Augenblick schöpfte Lewi Hoffnung. Wesen, die so stark waren, dass sie sogar der Zeit trotzten, wären sicherlich auch in der Lage seine Hand wiederherzustellen. Oder?
Sie beherrschten noch die ältesten aller Magien.
Doch dann wiederum konnten die meisten Elfen kaum sprechen vor lauter Dummheit. Und wenn doch waren sie hinterlistige Biester, denen nicht getraut werden durfte.

„Die Gazel haben für Aufruhr gesorgt. Ihnen ist zu Ohren gekommen, dass eine von ihnen in Tenur gefangen gehalten wird. Man hat mich losgeschickt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ihr habt nicht zufällig Gerüchte in dieser Art aufgeschnappt?"

Der Knoten in Lewis Magen schoss hoch in seinen Hals. Allein die Erinnerung an Eves Schicksal ließ alles Blut aus seinem Gesicht fließen. Es verdeutlichte nur mehr, wie viel Zeit sie eigentlich vergeudeten, während das Mädchen schreckliche Qualen durchlitt.

„Doch nicht die Gazel, die Lewi durchs halbe Land geschleppt hat?", meldete sich in dem Moment Balthar, der inzwischen auch die sechste Schüssel geleert hatte und sich zufrieden über den Bauch strich.

Lewi versetzte ihm unter dem Tisch einen Tritt. Einmal davon abgesehen, dass es offensichtlich war, dass es sich um Eve handelte, wusste er nicht genau, warum er es bevorzugt hätte die Karten nicht vor seiner Tante offen zu legen. Doch die Gedankenlosigkeit des grauhaarigen Jungen weckte seinen Ärger.
Es war typisch! Niemand dachte jemals mit! Balthar am Allerwenigsten.

Dieser schoss ebenfalls einen zornigen Blick aus onyxfarbenen Augen zurück, ehe er sich würdevoll erhob und nach seinem siebten Nachschlag Ausschau hielt, den er wohlweislich neben dem Topf und außerhalb von Jamahs Reichweite essen würde.
Elayn beobachtete ihn, während ihre Finger unablässig an ihrer goldenen Kette spielten.

Was habt ihr getan?", erkundigte sich Lyanna höflich, doch der Horror ihrer Gedanken sickerte durch jedes Wort. Sie ging sogar so weit, der Kette einen langen Blick zuzuwerfen, sodass Elayn in ihrer Beschäftigung innehielt.

Bevor Balthar seinen Mund leerte und zu einer weiteren Antwort ansetzen konnte, räusperte Lewi sich lautstark. Jetzt war es an ihm zu sprechen und er würde diese Gelegenheit nicht vertun. Eve war seine eigene Angelegenheit, seine Verantwortung, etwas, das er nicht so einfach aus der Hand gab.
„Der Ziehsohn des Königs hat uns in die Irre geführt. Uns alle. Er hat Beanna und Lya gegen einander ausgespielt, hat Eve gefangen gesetzt und meine Schwester verschleppt. Und er wusste auch, wo die Burg der Kinder ausfindig zu machen ist. Deshalb liegt es genauso in unserem Interesse, zu erfahren, was den Bewohnern zugestoßen ist, bevor wir ein weiteres Mal auf ihn hereinfallen."

Die starken Worte des jungen Mannes blieben nicht wirkungslos bei seiner Tante. Bedächtig wie eine Totensängerin faltete sie die Hände vor sich auf dem Tisch und zog das Kinn an.
„Ich kam selbst zu spät. Aber ich habe einen Verdacht. Und sollte ich richtig liegen, würde dieser Umstand glücklich mit meinem nächsten Ziel zusammenfallen."

„Und das wäre?", mischte Elayn sich ein, die jedem unter ihnen eine dampfende Tasse Tee vor die Nase stellte. Dabei hingen ihre Augen merkwürdig lange auf Balthar, ohne eine direkte Regung zu zeigen.

„Erinnerst du dich an die Rebellenorganisation, mit der du später den Palast meines Vaters angegriffen hast?", erkundigte Lyanna sich scheinheilig, aber machtlos gegen das dämonische Grinsen in ihren Mundwinkeln.

„Du glaubst, sie sind bei Hillow? Ich wüsste noch nicht mal, ob die Hand des Lichts überhaupt noch existiert!", rief Elayn aufgebracht aus und Lewi nahm ihr vorsichtshalber seine Tasse ab, ehe sich deren Inhalt noch über seine Hose ergoss.

„Sie existiert noch- gar nicht allzu weit von den Feenwäldern entfernt."

„Du willst nicht ernsthaft meine Familie noch einmal quer durch das halbe Land schleifen!", polterte Jamah los, bestätigt von Balthars anhaltendem Nicken.

Natürlich hatte der Bastard keine Lust sich zu bewegen!
Es war schwierig genug Balthar zu selbst der kleinsten Tätigkeit zu motivieren, auch ohne, dass sein Vater ihn darin bekräftigte.

„Und was willst du stattdessen machen? Die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass deine Tochter von alleine aus dem Palast des Königs entkommt? Die Straßen sind leer Jamah! Alle Soldaten sind zurück in die Hauptstadt gezogen worden! Wir brauchen Hillows Hilfe, um deine Familie überhaupt vollständig beieinander zu wissen!"

Lewi hatte nicht bemerkt wann er ebenfalls aufgestanden und zu dem kleinen Fenster der Küche gelaufen war. Träumerisch wanderte sein Blick auf die riesigen Schneemassen, die sich davor auftürmten.
Es war ein Tag vor der Wintersonnenwende. Morgen würden Kerzen in die Scheiben gestellt und aufgesparte Mahlzeiten auf den Tisch gebracht werden. Seine Mutter liebte diese Feier. Und er sollte verflucht sein, wenn er nicht alles daransetzte, sein nächstes Fest mit jedem Einzelnen seiner Familienmitglieder zu verbringen. Seinetwegen auch mit Eve.

„Bist du nicht bereits verflucht?", machte Balthar ihn darauf aufmerksam, dass er seinen letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte, „Ich meine... steckt das nicht quasi in der Namensgebung?"

Lewis Gesicht verlor jeden Ausdruck. Dieser Kerl profitierte von allen ammeisten davon, dass er keine Kräfte mehr hatte. 

  ✥✥✥  

Yeah! We're back!

Oh ich bin so aufgeregt :D Meine Herren haben sich wirklich wahnsinnig ins Zeug gelegt und mit mir jeden weiteren Schritt zum Finale durchgekaut, damit auch ja alles passt, weswegen wir dieses Mal ganze 20 (!!!) Kapitel haben werden :D

Außerdem gebe ich mir Mühe dieses Mal meinen Protas auch das ein oder andere Kapitel Ruhe und Frieden zu schenken :D (Aber nicht zu viel, sonst wird's langweilig!)

Wir befinden uns also ab jetzt offiziell im Endspurt, die letzten Handlungsfäden werden verknotet, Schicksale besiegelt und Todesurkunden unterzeichnet:D 

Um die größte Verwirrung zu verhindern, findet ihr oben einen kleinen (unvollständigen) Stammbaum :)

Das nächste Kapitel gibt es in einer Woche und ab dann wieder regelmäßig Montags und an einem anderen Tag der Woche :D

Wie immer, 
                        xoxo

Und natürlich FROHE WEIHNACHTEN <3

PS: Weil die liebe Lea mich gefragt hat, ob ich "böse begeistert" oder einfach so begeistert wäre von meinem Ende... ich glaube ganz entschieden beides!

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