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Als Maros winziges Gefängnis geöffnet wurde, musste er feststellen, dass sich die Welt diesmal keineswegs so sehr weitete wie noch am Morgen. Über ihm erstreckte sich eine aus rauen Steinen gemauerte Decke, an der einzelne Tropfen aus Wasser glitzerten.
Hastigen Schritten folgten das schauerliche Kreischen alten Metalls, ein schmerzhaft lautes Scheppern und dann das unverkennbare Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss gedreht wurde. Der Jäger hatte es, aufmerksam lauschend auf seine Umgebung, bereits geahnt, wo die Reise enden würde – im Kerker einer ihm bis jetzt unbekannten Stadt.
Mühsam und mit steifen Gliedern richtete sich Maro auf. Die Soldaten waren bereits fort und hatten nichts hinterlassen denn einen Eimer mit Wasser als auch etwas Nahrung in Form des widerlichen Getreidebreis, den er nur schwerlich herabwürgen konnte.
Darüber hinaus war die enge Zelle leer, nicht einmal ein Lager gab es hier. Dennoch war Maro schlichtweg dankbar, sich endlich bewegen zu können. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, trabte er zwischen Gitter und Rückwand auf und ab, streckte seine Arme genussvoll gen Decke und vertrieb so die bleierne Schwere aus seinem Körper.
Allmählich klärten sich Maros Gedanken, das erlittene Grauen verblasste ein wenig und wich einer beruhigenden Nüchternheit. Warum auch immer Fürst Adalbert ihn auf derart unschöne Weise behandelt hatte, war da noch Hoffnung, dass er den Jäger tatsächlich lediglich auf die Probe stellte.
Wenn er ihn hätte töten wollen, wäre dies längst geschehen, was nur einen einzigen Schluss zuließ – da wartete wirklich eine Aufgabe auf ihn. Und diese, so war sich Maro sicher, würde er leicht bestehen können.
Zudem waren da Erhardt und Levin, denen er zutiefst vertraute. Sie mussten die rechten Schlüsse gezogen und auch Laina informiert haben, weit konnten sie nicht sein.
Schließlich zwang sich Maro dazu, den Brei hinabzuwürgen. Jedes Bisschen an Energie war willkommen, weshalb er sich schon bald zur Ruhe begab. In die Kiste würden ihn freiwillig keine zehn Pferde mehr hineinbringen, doch immerhin bot der hölzerne Deckel ein wenig Schutz vor der Kälte, die dem Steinboden entsprang.
Als der Hall sich nähernder Schritte Maro aus dem Schlaf riss, war er sofort hellwach. Der fensterlose Kerker ließ keinerlei Schluss auf die Tageszeit zu, doch so wohl erholt sich der Jäger fühlte, musste die Nacht bereits vergangen sein.
Flackernder Lichtschein stach ihm unangenehm in die Augen, da eine ganze Abteilung schwer bewaffneter Soldaten vor der Zelle verhielt. Gespannte Bögen und gezückte Schwerter richteten sich auf den Gefangenen, dem ein gereiztes Schnauben entfuhr.
„Beruhigt euch, alle miteinander", brummte er und streckte den Männern die überkreuzten Hände entgegen. „Ich habe gewiss keine Dummheit im Sinn und möchte nun endlich jene Aufgabe erledigen, die Fürst Adalbert mir auferlegt hat!"
„Das Warten hat ein Ende, es ist gleich so weit", versicherte Sigbald, der General des Fürsten, derweil man den Jäger in Fesseln legte. „Und dann wirst du verstehen, warum all diese Widrigkeiten nicht ohne Grund erfolgt sind."
Ein unbehaglicher Stich fuhr Maro durch den Körper. Da war etwas in den blassblauen Augen des bulligen Mannes, das ihm nicht gefiel. Ein Anflug von Hohn vielleicht, doch um dies abschließend zu beurteilen, kannte er Sigbald nicht gut genug.
Äußerlich gelassen ließ sich der Jäger durch die düsteren, engen Gänge geleiten. Eine Treppe ging es empor, dann passierten sie zweierlei Türen, die zuvorkommend geöffnet und sogleich wieder ins Schloss geworfen wurden, sobald der letzte Soldat hindurchgetreten war.
Das nun folgende Tor offenbarte endlich Tageslicht und gar einen Blick auf den Himmel. Bleigraue Wolken türmten sich dort, ein scharfer Wind fuhr durch den von Mauern gerahmten Innenhof. Sogleich huschte Maros Blick umher, erfasste eine jede Stiege hinauf auf die Wehrgänge und auch jede Tür, die größte Aufmerksamkeit indes schenkte er der gewaltigen Eiche.
Im hinteren Teil des Hofes ragte sie, von Steinen umfasst, hoch empor. Ihr knorriges Astwerk überschattete die rückwärtige Mauer und konkurrierte gar mit den klobigen Türmen zu deren Seiten.
Unter dem frühlingsgrünen Blätterdach hatten sich weitere Soldaten versammelt. Ihre Tracht war es, die Maro endlich verriet, wohin man ihn verschleppt hatte – Windrath. Noch während er sich im Stillen darüber wunderte, traten die Männer auseinander, den General Adalberts mit einem höflichen Gruß bedenkend.
Was Maro dann hinter ihnen entdeckte, traf ihn wie ein Schlag. Man hatte das Mädchen mit einem Strick an den Stamm des Baumes gebunden, scharf hob sich das Schwarz ihrer sanft gelockten Haare vom unschuldigen Weiß ihres Kleides ab.
Die grünen Augen, von Unverständnis und offener Furcht gezeichnet, fanden sogleich die des Jägers und als ob ihr der Anblick eines der Ihrigen Kraft verlieh, wich das Entsetzen in ihren Zügen einem Anflug von Hoffnung.
Maro indes glaubte, sich übergeben zu müssen. Es konnte nicht sein, was hier geschah, niemals hätte er derartige Grausamkeit erwartet. Anders als das Mädchen hatte er bereits begriffen, was seine Aufgabe war.
Unter Aufbietung aller Kräfte nur gelang es Maro, kühl weiter voranzuschreiten, von den derben Händen seiner Häscher getrieben. Im Inneren hingegen überschlugen sich Gefühle und Gedanken – Fürst Adalbert hatte ihn in eine Falle getrieben, aus der es kein Entkommen gab.
Dass der General ihn genaustens im Auge behielt, entging dem Jäger nicht. Schließlich, als sie die gewaltige Eiche beinahe erreicht hatten, scheuchte Sigbald die in Windraths Tracht gehüllten Soldaten mit einer energischen Handbewegung beiseite.
Sie gesellten sich zu den Männern Adalberts in Maros Rücken und das leise Singen gespannter Bogensehnen verriet, dass jeglicher Protest wohl sogleich in seinem Tode münden würde.
Auf ein weiteres Zeichen hin zwangen die Soldaten an seinen Seiten den Jäger zum Stehen. „Nun, du weißt wohl, was zu tun ist", verkündete der General mit einem schmalen Lächeln.
Maro, das Gesicht seines Sohnes vor Augen, den er so früh hatte verlieren müssen, hörte die weiteren Worte nicht einmal. Er würde heute sterben, dies war ihm in aller Deutlichkeit bewusst, doch ganz gewiss nicht ohne ein letztes Aufbäumen.
Als der Jäger spürte, wie sich die Fesseln um seine Handgelenke lösten, wirbelte er augenblicklich herum. Einen der überraschten Soldaten riss er heran und brachte ihn zwischen sich und die Bogenschützen.
Zeitgleich trat er dem anderen heftig vors Knie. Das Knirschen brechender Knochen mischte sich mit den Schreien seiner Gegner und dem scharfen Schnappen vieler Bögen. Kurz streifte Maro die vor Entsetzen geweiteten Augen des Mannes, den er an sich gezogen hatte, dann fanden die Pfeile ihr Ziel.
Die Wucht der Geschosse, die den Körper des Soldaten trafen, ließ den Jäger zurückstolpern. Nur am Rande nahm er die gebrüllten Befehle Sigbalds wahr, zielsicher fand seine Hand das Messer im Gürtel des sterbenden Mannes in seinen Armen.
Mehr als einen weiteren Gegner mit in den Tod zu reißen blieb Maro nicht. Doch eben da schien ein Wunder zu geschehen – jäh brachen einige der Bogenschützen unter grellen Todesschreien in sich zusammen. Heiß zuckte ein Funken an Hoffnung durch Maros angespannte Glieder. Die Brüder?
Er verwendete indes keine Zeit darauf, herauszufinden, woher die unerwartete Unterstützung kam. Kraftvoll stieß er der den von Pfeilen durchbohrten Soldaten in Richtung der Gegner und nutze den Schwung, indem er eine rasche Rolle auf das steinerne Rund des Baumes zu vollführte.
Mehrere Geschosse fetzen über ihn hinweg, eines streifte Maros Seite und riss einen schmerzenden Streifen auf Höhe der Rippen. Ungeachtet dessen kam er auf die Beine, gleich neben dem Mädchen, das sich schockstarr an die Rinde des Baumes in ihrem Rücken presste.
Eine erneute Salve an Schüssen forderte ihren Tribut unter den verwirrten Soldaten, die kaum mehr wussten, wohin sie sich wenden sollten. Maro zögerte nicht und war mit einem Satz bei dem verängstigten Kind, durchtrennte den Strick und warf sich den zierlichen Körper ungeachtet des durchdringenden Jammerlauts über die Schulter.
Ein weiterer Satz und seine freie Hand ergriff den untersten Ast der Eiche, dann stemmte er sich an der rauen Rinde empor und schnellte mit einem kräftigen Ruck seiner Beine dem nächsten Ast entgegen.
Dem Geschrei in seinem Rücken, das sich bereits über die gesamte Burg auszubreiten begann, schenkte der Jäger keine Beachtung. Dicht neben ihm fuhr ein weiterer Pfeil in den Stamm, dann endlich verschluckte ihn das Laubwerk. Auch die Äste standen nun dichter beieinander, sodass es leichter fiel, sich mit nur einem freien Arm fortzubewegen.
Ein einziger Gedanke irrte durch Maros Kopf – welch Wahnwitz, welch törichte Hoffnung, den Mauern einer Stadt wie Windrath entkommen zu wollen! Alles Vertrauen in seine Freunde half da nicht, diese leise Stimme zum Verstummen zu bringen.
Dennoch kämpfte er sich weiter voran. Das Wimmern des Mädchens als auch die gebrüllten Kommandos von allen Seiten her waren wie ein Dorn in Maros Herzen, das fortwährend härter in seiner Brust pochte.
Dann endlich machte er inmitten des Astwerks die Zinnen der Mauer aus. Auf einen letzten, nun weitaus schmaleren Ast zog sich der Jäger noch hinauf, um diesem dann zu folgen. Kurz bevor dieser endgültig unter seinem Gewicht nachgab, stieß er sich heftig ab und sprang dem Wehrgang entgegen.
Kaum sicher gelandet stürzte eine dunkle Gestalt auf Maro zu. Instinktiv zum Schlag ausholend erkannte er gerade im rechten Moment, um wen es sich handelte, und hielt inne. Aufschluchzend schlang Laina ihre Arme um das Mädchen und zog es an sich.
„Bewegung, verdammt!", ertönte gleichzeitig eine wohlvertraute Stimme. Erhardt!
„Komm", entfuhr es Maro, so verblüfft er ob des unverhofften Beistands auch noch immer war. Er schlang einen Arm um die Hüften der Jägerin, um sie rechts in Richtung des Turmes zu zerren, aus dessen Schutz heraus die Stimme seines Freundes erklungen war.
Laina erwachte augenblicklich aus ihrer Starre und stürmte an seiner Seite voran, ihre schluchzende Tochter fest an sich gepresst. Aus dem Hof abgeschossene Pfeile zischten nur knapp an ihnen vorbei, indes der Beschuss weiterhin erwidert wurde und den Schreien nach zahlreiche Opfer fand.
Dies konnte kaum einzig den Bögen der Brüder entspringen, so gut sie diese auch beherrschten. Nur einen Herzschlag später entdeckte Maro die Lösung des Rätsels – ganze sieben Männer hatten sich rund um den Turm hinter der steinernen Brüstung verschanzt, alle in die Trachten Windraths gekleidet.
„Nun eilt euch doch!", empfing sie einer von ihnen – Erhardt. „Folgt mir und Dietwald, uns bleibt nicht viel Zeit! Und hier, du wirst es brauchen", wandte er sich Maro entgegen und drückte ihm Bogen samt Köcher in die Hand.
Dann wirbelte er herum, auf die schmale Treppe zu, die sich im Inneren des Turmes sowohl dessen Spitze entgegen als auch hinab in die Tiefe wand. Dort wartete bereits ein gut bewaffneter Mann, der gemeinsam mit Erhardt sogleich abwärts stürmte, alle beide mit Bögen bewehrt.
„Bleib dicht hinter mir", wies der Jäger Laina an, die alle Hände voll damit zu tun hatte, ihre schluchzende Tochter zu halten und selbst geblendet von Tränen war. Aus dem Augenwinkel heraus nahm er wahr, dass sich nun auch Levin anschloss, gefolgt von weiteren Männern, die ihm allesamt unbekannt waren.
Den Köcher über die Schulter werfend und einen Pfeil bereits auf die Sehne gelegt trabte Maro die sich im Kreis windenden Stiegen hinab. Das Trappeln vieler Füße auf dem kalten Gestein dröhnte in seinen Ohren, gleichzeitig war ihm zumute, als müsse er all dies nur träumen.
Wie nur war es Erhardt und Levin gelungen, derartiges auf die Beine zu stellen? Fähige und findige Männer waren sie ohne Frage, doch dass sie einen Weg gefunden hatten, aus den gut bewachten Mauern Windraths zu entfliehen, konnte der Jäger kaum glauben.
Der Mann an der Spitze ihrer Truppe – Dietwald, wie sich Maro entsann - wählte indes auf dem nächsten Absatz plötzlich einen schmalen Durchgang, anstatt den Stufen weiter in die Tiefe zu folgen. Auch Maro musste den Kopf einziehen, so niedrig sich die Decke über ihm erstreckte. Unangenehm nah rückten die grob gemauerten Wände zusammen, erfüllten ihn mit der Sorge, was wohl geschehen würde, sollte der Weg von Gegnern versperrt werden.
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