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Die Nacht senkte sich bereits über die Lande, da die Jägerin endlich fand, wonach sie gesucht hatte. Kurz nachdem sie Hanteggen passiert hatten, waren die Soldaten Adalberts gen Süden abgebogen und hatten einige Meilen später ihr Lager auf einer leerstehenden Weide aufgeschlagen.

Der Ort war weise gewählt, wie Laina zugeben musste. Keinerlei Deckung gab es hier, viel zu weit entfernt lag der Saum des Waldes. Sollte sich Maro tatsächlich in der Gewalt dieser Soldaten befinden, würde sie kaum etwas für ihn tun können.

Zunächst galt es jedoch, sich Erhardt zu offenbaren, dessen Spuren die Jägerin bereits ausgemacht hatte. Gemeinsam mochte es ihnen vielleicht gelingen, eine Lösung zu ersinnen, so unwohl es ihr auch war, sich auf einen ihr bisher Unbekannten verlassen zu müssen.

Schon lange war Laina allein unterwegs und tat sich schwer daran, ihr Vertrauen in andere Menschen zu setzen, diesmal jedoch würde sie sich überwinden müssen. Lautlos schlich sie weiter durch die Dunkelheit, aufmerksam auf ein jedes Geräusch lauschend und ganz darauf konzentriert, den Gefährten Maros inmitten des Dickichts aus Hasel- und Holundersträuchern aufzuspüren.

Schließlich verrieten ihr leise Atemzüge, wo sich der Mann verbarg. Er hatte sich in eine felsige Senke zurückgezogen und ein wenig wunderte sich Laina gar, dass er ohne die Augen eines Jägers dieses so gut geschützte Versteck gefunden hatte. Zwar stand der Mond hoch am Himmel, doch bis hinab in den Wald reichte das fahle Licht nicht.

Gern hätte sie sich ihm bemerkbar gemacht, doch zu groß war die Gefahr, dass der überraschte Mann sie unbedacht an die Soldaten verriet. So pirschte sich Laina behutsam weiter an Erhardt heran, der angestrengt durch das Laubwerk in Richtung des Lagers spähte.

Die letzte Distanz überwand sie mit einem Satz. Blitzschnell presste sie eine Hand auf seinen Mund, gleichzeitig fand die scharfe Klinge den ungeschützten Hals. Ob des unerwarteten Zugriffs bäumte sich der Körper des Mannes auf, wie auch Levin bewies er jedoch ein höchstes Maß an Beherrschung, da er sogleich erstarrte.

„Ich bin es, Laina", wisperte die Jägerin. „Kann ich dich loslassen?"

Ein winziges Rucken seines Kopfes stimmte ihr zu, während die breiten Schultern spürbar erschlafften. Ebenso schnell, wie sie vorgeprescht war, löste sich Laina von Erhardt und zog sich zurück.

Kurz geriet er ins Taumeln, um sich dann zu der Jägerin umzuwenden. Verblüfft registrierte sie, wie bekannt ihr sein Gesicht erschien – scharfe Züge, die gekrümmte Nase und besonders das blaugraue Funkeln seines Blicks, der wohl inmitten des nachtschwarzen Waldes kaum mehr ausmachen konnte denn das leuchtende Grün der Augen Lainas.

„Warte", flüsterte sie, „du und Levin, seid ihr ..."

„Er ist mein Bruder", erwiderte Erhardt gedämpft, die Brauen finster gerunzelt. „Das aber muss dich nun wirklich nicht interessieren. Hier geht es einzig darum, Maro zu helfen!"

„Was konntest du in Erfahrung bringen?", forschte die Jägerin sogleich nach.

„Sie waren soeben dabei, die Kiste zu öffnen, als du mich abgelenkt hast", grummelte Erhardt. „Lass uns sehen, was daraus geworden ist!"

Abrupt wandte er sich ab und spähte durch das dichte Zweigwerk in Richtung des Lagers, in dessen Mitte inzwischen ein loderndes Feuer helle Funken von Glut hinauf in den klaren Nachthimmel sandte.

Laina entfuhr ein leises Schnauben, ehe sie sich an seiner Seite einfand. Als ob seine schwächliche Sehkraft etwas ausmachen konnte, das von Belang war! Dass der Mann augenblicklich ein Stück von ihr abrückte, entlockte der Jägerin einen weiteren abfälligen Laut, derweil ihr scharfer Blick nun das Fuhrwerk fand.

Verlassen stand es unweit des Feuers, gleich daneben machte sie hingegen etliche Soldaten aus, die zu ihrer Verblüffung straff gespannte Bögen in den Händen hielten. Nur einen Herzschlag später erkannte sie jedoch deren Ziel und obwohl sie es bereits geahnt hatte, fuhr Laina ein Stich durch den Körper.

Unverkennbar war es Maro, den die Soldaten eskortierten. Die Arme hatte man ihm gebunden, dennoch schritt er hoch aufgerichtet zurück auf das Feuer zu. Vermutlich hatte er sich abseits des Lagers kurz erleichtern dürfen, was Laina ein Grauen gewesen wäre, von vielerlei Augen beobachtet und zudem von Pfeilen bedroht.

Erhardt verzog keine Miene, wie sie feststellen musste, obwohl ihm offensichtlich nicht entging, was geschah. Kühl verfolgte er, wie man den Jäger ans Feuer führte, wo er, weiterhin gut bewacht, immerhin eine Mahlzeit zu sich nehmen durfte.

Lang währte der Freigang jedoch nicht, denn schon bald wurde Maro erneut aufgescheucht. Anstatt sich seinen Häschern sofort zu fügen, hob er zu sprechen an. „Was soll das, Sigbald? Ich stehe auf eurer Seite und jene Probe, die mir bevorsteht, werde ich ohne zu zögern bewältigen! Es gibt keinen Grund, meine Ergebenheit anzuzweifeln!"

Unwillkürlich fuhr Laina zusammen. Der Jäger konnte kaum glauben, dass seine Worte etwas ändern würden und so laut er sie von sich gegeben hatte, verfolgten sie offensichtlich nur einen Zweck – womöglich anwesenden Verbündeten einen wichtigen Hinweis zu geben.

Dass zudem Sigbald, der oberste General, die Truppe begleitete, war ein weiteres Zeichen, dass vielleicht noch nicht alles verloren war. Dieser reagierte wie erwartet. „Du wirst dich wohl oder übel fügen müssen, Jäger! Still nun, sonst wirst du es büßen!"

Ohne weiteren Protest ließ sich Maro erneut zu der schmalen Kiste geleiten, die nun in der Mitte des Lagers Platz gefunden hatte. Laina schauderte es, dem untätig zusehen zu müssen, insgeheim bewunderte sie den Jäger für seine Ruhe, mit der er in sein winziges Gefängnis herabsank.

Seine Botschaft indes war nicht ungehört verhallt. „Was hat er gesagt?", wisperte Edhardt erregt, was die Jägerin daran erinnerte, dass seine Ohren über diese Entfernung hinweg zweifelsohne versagt haben mussten.

„Es scheint, als habe Fürst Adalbert Zweifel an Maros Ergebenheit und stellt ihn nun auf die Probe", fasste Laina knapp zusammen. „Und bevor du fragst, ich habe keine Ahnung, was diese Probe wohl sein soll. Und erst recht nicht, warum sie ihn dazu ihn diese Kiste stecken müssen!"

„Aber das bedeutet, dass es noch Hoffnung gibt", erwiderte ihr Gegenüber. „Gewiss wird Maro diese Probe bestehen, und wenn er Adalbert erst überzeugt hat, wird er in Erfahrung bringen können, wo deine Tochter steckt! Allerdings dürfen wir in diesem Fall keineswegs eingreifen und lediglich beobachten, wohin die Reise geht."

Dumm war Erhardt nicht, wie Laina erleichtert feststellte. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das er, wie ihr nur einen Herzschlag später bewusst wurde, in der Dunkelheit jedoch kaum sehen konnte.

„Ganz recht", flüsterte sie. „Bleiben wir Maro also auf den Fersen und warten ab."

„Ich übernehme die erste Wacht", murmelte er, den Blick bereits wieder aufmerksam durch das Gesträuch gen Lager gerichtet. „Ruh du dich etwas aus, nachdem die letzte Nacht so ganz und gar nicht in deinem Sinne verlaufen ist."

Beinahe wäre Laina eine spitze Antwort entfahren. Doch Erhardt hatte Recht – weiterhin angeschlagen würde ihr der Schlaf gut tun. Mit einem Seufzen rollte sie sich im trockenen Laub zusammen, der Mantel Maros ihr einziger Schutz vor der kühlen Luft.

Als die Jägerin erwachte, erhellten erste Anzeichen morgendlicher Dämmerung den östlichen Himmel. Erschrocken fuhr sie auf, doch zu ihrer Erleichterung stellte sie sogleich fest, dass Levins Bruder weder verschwunden noch eingenickt war.

Ein wenig müde wirkte Erhardt, da er sich Laina zuwandte, was kaum verwunderlich war, nachdem er kein Auge zugetan hatte. „Was sollte denn das?", schnappte sie erzürnt. „Vor uns liegt ein straffer Fußmarsch, auch du hättest dich ausruhen sollen!"

„Plustere dich nicht so auf, Jägerin", brummte der Mann. „Du bist vielleicht mit besonderen Kräften gesegnet, aber eine Nacht ohne Schlaf bringt mich nicht aus dem Gleichgewicht. Ein Dank wäre wohl eher angebracht als Vorwürfe, schließlich weiß ich darum, wie übel Maro dich erwischt hat."

Finster runzelte Laina die Brauen. Dem Jäger gegenüber hatte sie ihre Schwäche gerade eben zugeben können, doch was verstand ein niederer Mann wie Erhardt schon von ihrem Volk? Er hingegen beachtete sie nicht länger und zog stattdessen ein kleines Säckchen aus seinem Gepäck hervor.

„Hier, bedien dich. Wenn du dir denn nicht zu fein bist, etwas von mir anzunehmen."

Hin- und hergerissen zwischen Zorn und leiser Verlegenheit schob die Jägerin ihren Stolz beiseite und nahm die freundliche Gabe an. Getrocknetes Fleisch als auch Nüsse fand sie darin, bestens geeignet, ihren Körper mit neuer Energie zu versorgen.

Zwei Hände voll gönnte sich Laina, dann reichte sie den Proviant an Erhardt zurück. Ihren knapp gemurmelten Dank schien er zu überhören, um die Jägerin nun hingegen mit einer auffordernden Handbewegung an seine Seite zu winken.

„Schau, sie brechen bald auf. Und ich möchte wetten, dass unsere Reise in Windrath endet."

Auch Laina ging davon aus, da der unwirtliche Norden des Fürstentums außer weniger Dörfer nur diese eine Stadt zu bieten hatte. Sicher hingegen schien jedoch einzig zu sein, dass die Reise nicht über die Grenzen Rabensteins hinausführen würde.

Etwa zwanzig Meilen hatten die Soldaten am Vortag bereits hinter sich gebracht, weitere vierzig lagen vor ihnen, wenn denn die Stadt wirklich ihr Ziel war. Was bedeuten würde, dass Maro noch zwei volle Tage in seinem winzigen Gefängnis würde ausharren müssen.

Beklommen verfolgte Laina, wie der Jäger nach kurzem Freigang zurück in die Kiste stieg. Selbst ihr gelang es auf die Entfernung kaum, seine Züge auszumachen, doch allein die straffe Haltung nötigte ihr höchsten Respekt ab.

Niemals hätte sie ertragen, was ihm dort widerfuhr, und wäre wohl ungeachtet der Übermacht vollkommen außer sich geraten, wenn sie denn nicht bereits zuvor den Verstand verloren hätte.

Auch Erhardt stieß ein leises Schnauben aus. „Ich hoffe, dass Fürst Adalbert noch dafür zahlen wird, was er Maro da antut! Welch Jammer, dass es so anders gelaufen ist als geplant!"

„Was war denn der Plan?", horchte die Jägerin auf.

Levins Bruder musterte sie scharf. Schwach nur drang das Licht der Morgendämmerung in ihr Versteck hinab, dennoch schienen die graublauen Augen Laina genau zu erfassen, voller Argwohn und der offensichtlichen Frage, ob man ihr wahrhaft trauen konnte.

„Maro hat es dir nicht offenbart?", wich Erhardt ihrer Frage aus. Auf ihr Kopfschütteln hin seufzte der Mann leise auf.

„Also gut. Ich hoffe, ich muss dies nicht irgendwann bereuen, aber da du nun an unserer Seite bist, solltest du wohl alles wissen. Ursprünglich hatte Maro geplant, Fürst Adalbert den Aufenthaltsort deiner Tochter unter Zwang abzuringen und auch den Seelenstein wieder an sich zu nehmen. Dummerweise war dieser Mistkerl scheinbar weniger leicht zu überzeugen denn erwartet."

Innerlich seufzte Laina tief auf. Es hätte alles so einfach sein können, stattdessen war sie nun gezwungen, mit diesen lästigen Brüdern zusammenzuarbeiten, die nicht einmal in der Lage waren, ihr den nötigen Respekt zu erweisen.

„Wie wird Levin zu uns stoßen?", wechselte sie das Thema, indes sie beobachtete, wie die Soldaten samt des Karrens zurück auf den Weg kehrten. „Glaubst du ernsthaft, dass er uns einholen kann, wenn er bis zum heutigen Mittag vor Burg Rabenstein ausharrt?"

„Er kann und er wird", gab Erhardt knapp zurück. „Wir waren mit Pferden unterwegs, aber auch zu Fuß würde ihm dies gelingen, noch bevor wir Windrath erreichen. Nicht jeder, der deinem Volk nicht angehört, ist so schwächlich, wie es dir erscheint!"

Den Vorwurf missachtend nickte Laina. „Schön, dann sind wir wohl morgen zu dritt." Ob Levin dies wirklich schaffen sollte, bezweifelte sie, wenn auch jegliche Verstärkung wünschenswert war.

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