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Als Laina nach ungewisser Zeit wieder zu sich kam, drang der flackernde Schein eines Feuers durch ihre blinzelnden Lider. Abrupt fuhr sie auf, verwirrt und desorientiert, bis sich ihr Blick klärte.

Ihr gegenüber, gemütlich an den verwitternden Stamm eines umgestürzten Baumes gelehnt, saß der Jäger. Aufmerksam verfolgte er über die tanzenden Flammen hinweg eine jede Bewegung, den raschen Griff Lainas an ihren Gürtel, wo sie zu ihrer Erleichterung das Messer vorfand, kommentierte er mit erhobenen Brauen.

„Hatten wir uns nicht auf einen Waffenstillstand geeinigt? Wie du siehst, habe ich davon abgesehen, deine Schwäche auszunutzen."

Verlegen ließ sie die Hand sinken und musterte Maro dann fragend. „Was soll das alles? Was willst du von mir? Ich kann nicht glauben, dass du mich einzig aufgrund unser gemeinsamen Wurzeln hast entkommen lassen!"

„Du bist weder dumm noch allzu ungeschickt", erwiderte er mit einem verdeckten Schmunzeln. „Und genau das ist der Grund, warum Fürst Hadmar dich gern weiterhin in seinen Diensten sähe – allerdings ohne den kleinen, lästigen Zusatz, dass du seine Geheimnisse an einen anderen weiterträgst."

„Dann waren all deine Worte nichts als Geschwätz?", entfuhr es Laina, die sich ob allem, was sie von sich verraten hatte, unangenehm entblößt fühlte. „Alles darüber, du wollest niemanden deines eigenen Volkes töten?"

„Du irrst", gab Maro ruhig zurück, eine Strähne seines tiefschwarzen Haares zurückstreichend. „Es war mein Vorschlag, dich für uns zu gewinnen und Fürst Hadmar hat bereitwillig zugestimmt."

„Für uns? Er muss ein guter Geldgeber sein, wenn du dich ihm so zugehörig fühlst", brummte Laina, woraufhin sich Maros grüne Augen verengten.

„Du irrst dich erneut. Er hat mich um Hilfe gebeten, weil wir seit langen Jahren gute Freunde sind."

„Freunde?", entfuhr es Laina überrascht. „Wie kann das sein? Ich habe dich niemals auf Burg Ostfall gesehen, und glaube mir, ich kenne einen jeden dort!"

„Das glaube ich dir gern", murmelte der Jäger. „Allerdings war ich in den letzten Jahren auf Reisen, weit entfernt von Thioskland. Der Zufall wollte es, dass ich zurückkehrte, als du nicht zugegen warst. Obendrein haben Hadmar und ich unsere Freundschaft stets im Stillen gepflegt."

„Wie kann man nur mit einem Fürsten befreundet sein?", konnte Laina es noch immer nicht fassen, was Maro allerdings in höchsten Zorn versetzte. Wild blitzten seine Augen und er richtete sich auf, Laina mit einem mörderischen Blick bedenkend.

„Dein Kummer in Ehren, aber selbst die Sorge um deine Tochter kann dich nicht so sehr blenden! Ist dir nicht aufgefallen, dass Fürst Hadmar einer der wenigen ist, die ihr Volk weise und gerecht anführen? Hast du niemals nachgedacht, wenn du seinen Aufträgen nachgegangen bist, hast du nicht bemerkt, dass es oft darum ging, ungerecht handelnde Untergebene abzustrafen? Oder jene benachbarten Fürstentümer daran zu hindern, ihre gierigen Finger nach Ostfall auszustrecken?"

„Ich ... das war mir in der Tat recht einerlei", musste Laina zugeben, doch was sie an Verteidigung gern noch hinzugefügt hätte, wurde harsch abgewürgt.

„Du hast dir also nicht einmal die Mühe gemacht, herauszufinden, wer dieser Mann ist, den du betrügst?"

Da packte auch sie der Zorn. „Nein!", fauchte Laina zurück und kam auf die Beine. „Ich hatte gewiss anderes zu tun, und wie sollte ich auch nur noch einem von ihnen vertrauen, nachdem Fürst Adalbert mir meine Tochter geraubt hat?"

„Du solltest in Zukunft jedoch daran denken, dass Hadmar weit mehr als ein simpler Auftraggeber für mich ist und ich dich ohne zu zögern töten werde, solltest du ihn ein weiteres Mal hintergehen", entgegnete Maro kühl, die mit ledernen Schienen versehenen Arme vor der Brust verschränkt.

„Schön, ich werde versuchen, mich daran zu erinnern", schnaubte Laina und ließ sich zurück ins Laub sinken. „Aber was habt ihr mir denn nun zu bieten? Ich bin weiterhin an Fürst Adalbert und seine Befehle gebunden, solange er Lora hat."

„Im Namen Fürst Hadmars stelle ich dich frei, all deine Kraft darauf zu verwenden, nach ihr zu suchen", eröffnete der Jäger. „Und mehr noch hast du gewonnen – ich werde dich dabei unterstützen."

Verblüfft starrte Laina ihn an. Kaum konnte sie glauben, was Maro ihr da anbot – eine leise, vorsichtige Stimme in ihrem Inneren erinnerte sie daran, dass nichts in dieser grausamen Welt ohne entsprechenden Preis zu haben war.

„Du hilfst mir, meine Tochter zu finden, und dann soll ich wahrhaft in den Dienst Fürst Hadmars eintreten? Mehr ist es nicht?", vergewisserte sich die Jägerin.

Maro nickte schlicht. „Ja, genau so soll es geschehen, wenn du denn zustimmst."

Andernfalls, dies hatte Laina nicht vergessen, war ihr lediglich ein kleiner Vorsprung vergönnt. Nach wie vor überzeugt davon, dass es einen Haken geben musste, konnte sie nicht anders, als sich dem Abkommen zu beugen. Der Gedanke, ihre Tochter wiederzusehen, wischte sämtliche Zweifel hinfort, benebelte ihren klaren Verstand.

„Ich stimme zu", meinte sie leise und erhob sich. Der Jäger tat es ihr gleich und trat auf sie zu.

„Dann ist es also abgemacht?", forschte er nach, seine Rechte auffordernd ausgestreckt. Fest griff Laina danach, ihren Blick in dem seinen versenkend, auf Suche nach weiteren Antworten, die sie dort jedoch nicht fand.

„Abgemacht."

Kurz sahen sie einander noch in die grünen Augen, bevor ihrer beider Hände sich auseinander lösten. Schwerfällig sank Laina zurück auf ihren Platz, derweil Maro verharrte. Intensiv musterte er die Jägerin, insbesondere deren Verletzungen, wie ihr sofort auffiel.

„Oh, bevor ich es übrigens vergesse – entschuldige die Treffer, die auf mein Konto gehen. Doch zugegeben musste ich wissen, wie gut du wirklich bist und ob du einer derartigen Belastung standhältst. Ich hoffe, du kannst mir das nachsehen."

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig", brummte Laina, im Stillen musste sie Maros Beweggründen hingegen zustimmen. Wenn ihn wirklich eine enge Freundschaft mit Fürst Hadmar verband, würde er nur die Besten in dessen Diensten sehen wollen.

„Gut", fuhr Maro dann fort. „Du solltest etwas essen, bevor wir aufbrechen. Hier, ich hoffe, du bist nicht allzu wählerisch." Er nahm einen Spieß von den sorgfältig um das Feuer verteilten Steinen auf und reichte ihn Laina. „Ein Marder war das erste, was mir vor den Bogen gelaufen ist."

Der herbe Geschmack des zähen Fleisches kümmerte sie wenig. Begierig füllte die Jägerin ihren Magen, zu beschäftigt, Maro auch nur mit einem Wort des Dankes zu bedenken. Viel gab das kleine Tier nicht her, doch nachdem sie auch noch den kleinsten Knochen abgenagt hatte, war ihr entschieden wohler zumute.

„Danke", holte Laina ihr Versäumnis nun nach, während sie die Reste den langsam ersterbenden Flammen übergab. Die ersten Anzeichen morgendlicher Dämmerung fanden nun langsam ihren Weg durch das dichte Blattwerk, der Gesang verschiedenster Vögel erfüllte die klare Luft.

Maro nickte nur knapp, dann betrachtete er sie erneut. „Wenn du dich dazu in der Lage fühlst, sollten wir aufbrechen. Wo hast du dein Gepäck verstaut?"

„Ach, das immerhin ist dir nicht bekannt?", entfuhr es der Jägerin spitz, wenn auch sie gewiss nichts dagegen einzuwenden hatte, die dort verbliebenen Waffen an sich zu nehmen als auch die verdreckte Wäsche gegen neue zu tauschen.

Maro lachte kurz auf und griff nach einem Bündel, das wohl sein Gepäck enthielt. „Nein, das immerhin nicht! Geh du also voran, falls du es wagst, mir deinen Rücken zuzuwenden!"

„Pffff", schnaufte Laina halb belustigt, halb verärgert. „Dass du mir schon weitaus früher den Garaus hättest machen können, habe ich inzwischen begriffen – du musst mich nicht alle Nase lang darauf hinweisen."

Damit erhob sie sich energisch. „Lass uns gehen. Ich komme schon klar."

In der Tat hatte die heilende Wirkung des Mohnsaft ihren ohnehin widerstandsfähigen Körper bereits bestens unterstützt, wenn auch ihr Bein unter der Belastung zitterte. Wie schon so oft zuvor dankte Laina im Stillen der großen Mutter, dass das Volk der Jäger simplen Menschen in so vielem überlegen war, denn jeden anderen hätten die erlittenen Verletzungen wohl für viele Tage ans Krankenbett gefesselt.

Immer noch spürte sie jegliche Wunde, doch Schlaf und nun auch Nahrung hatten den größten Teil der Erschöpfung beseitigt. Erst langsam und dann immer schneller verfiel Laina in den Trab, zwischen Felsen und uralten Riesen hindurch, manch einer davon bereits von Verfall gezeichnet, bereit, in den ewigen Kreislauf von Leben und Tod einzugehen.

Ganz von allein trug es ihre Füße zurück gen Osten, denn vertraut war ihr ein jeder Pfad hier. Seitdem es die Jägerin in Fürst Adalberts Dienste gezwungen hatte, war sie oft hierher gekommen, auf der Suche nach ein wenig Frieden und Ruhe.

Ein wahres Wunder war dieser Wald, seit Urzeiten unberührt von den Äxten der Menschen. Diesmal konnte sich Laina dem Zauber jedoch nicht hingeben, zu viele Fragen schwirrten noch immer in ihrem Kopf umher.

„Wie hast du es eigentlich fertiggebracht, mir inmitten der Mauern meines eigenen Auftraggebers einen Hinterhalt zu bereiten?", fragte sie über die Schulter hinweg.

„Oh, lass uns das nicht jetzt besprechen", erwiderte Maro, der sich dicht hinter ihr hielt.

„Du vertraust mir noch immer nicht", stellte Laina fest.

„Sagen wir es so – ein paar Trümpfe möchte ich weiterhin in der Hand behalten", gab der Jäger zurück. „Schließlich hast du auch Fürst Hadmar dein Wort gegeben, ihm treu zu dienen."

An dieser Stelle verzichtete Laina darauf, einen Streit zu entfesseln, denn sie beide wussten, warum dieser falsche Eid geleistet worden war. Mit einem leisen Seufzen setzte sie ihren Weg fort, tiefer und tiefer in den Wald hinein.

Allen ungelösten Fragen zum Trotz beflügelte Hoffnung ihre Schritte, ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr verspürt hatte. Sollte es ihr gemeinsam mit Maro tatsächlich gelingen, ihr geliebtes kleines Mädchen zu finden, würde sie jegliches weitere Ungemach in Kauf nehmen, wenn man ihr denn nur ihre Tochter ließ.

In Gedanken an die zartgrünen Augen und das herzige, kleine Gesicht versunken, das sie nun schon so lange nicht mehr hatte sehen dürfen, vergaß Laina gar, dass sie nicht allein unterwegs war. Ihr Herz weitete sich, ein leises Lächeln lag auf ihren Lippen, da sie zielsicher den kleinen Wildpfaden unter dem dichten Blätterdach folgte.

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