- 18 -

„Eine Antwort auf meine Fragen, mehr will ich nicht hören", gab Maro kühl zurück, seine Verwirrung für sich behaltend. „Was ist in Rabenstein geschehen, warum tauscht ihr die Truppen aus?"

Tankred verlieh der Forderung Nachdruck, indem er die Waffe ein wenig fester in die weiche Haut gleich neben der Kehle des Mannes drückte. Ein einziger Ruck, und der Soldat würde binnen weniger Herzschläge sein Leben aushauchen.

Zu beeindrucken schien ihn dies jedoch nicht. Nahezu amüsiert musterte er sein Gegenüber, besaß gar die Frechheit, den Kopf ein wenig zu drehen, um auch einen Blick auf Tankred zu erhaschen. Die Bewegung ließ seine Haut unter dem scharfen Eisen reißen, doch der Gefangene zuckte nicht einmal.

Stattdessen lachte er höhnisch auf. „Nun, dann viel Spaß mit diesem Rätsel!" Damit warf er sich so plötzlich zur Seite, dass die Messerklinge tief in seinen Hals eindrang.

„Nein!", entfuhr es Maro und auch Erhardt und Tankred gaben einen Laut des Entsetzens von sich, doch zu spät war es ohnehin. Tiefrotes Blut schoss aus der Wunde, dann mit einem gurgelnden Lachen auch aus dem Mund des Mannes.

Und während der warme Regen des Jägers Gesicht benetzte, lachte der Sterbende noch immer, bis sämtliche Spannung aus seinen Gliedern wich und die hellblauen Augen schließlich glasig wurden.

„Was, bei den Göttern ...", stammelte Erhardt und entließ den Soldaten aus seinem Griff, schwer schlug der Körper am Boden auf. Tankred, das besudelte Messer noch immer fest umklammert, stand ebenso fassungslos da und auch Maro rührte sich nicht, obwohl ihm das Blut tränengleich über die Wangen lief und auf sein Wams tropfte.

Ein übles Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Keinesfalls war es dem blutigen, selbst gewählten Ende des Gefangenen geschuldet, vielmehr der Tatsache, dass der Mann wie besessen gewirkt hatte.

Niemand ging freiwillig in den Tod, schon gar nicht ein einfacher Soldat, der sich zumindest durch eine Lüge Schonung ersucht hätte. Es sei denn, die Macht des Seelensteins war bereits hier im Spiel und Maro spürte, dass er mit dieser Ahnung richtig lag.

Schließlich wischte er sich dann doch das Blut aus dem Gesicht, was den Bann zu brechen schien. Tankred ließ das Messer sinken und Erhardt stolperte einige Schritte zurück, als wäre ihm selbst noch der Tote nicht geheuer.

„Hast du so etwas je erlebt?", raunte er und bedachte den Jäger mit einem Blick, der nahezu flehentlich wirkte. „Warum hat er sich umgebracht?"

Stumm schüttelte Maro den Kopf, dann horchte er jedoch auf. Durch das Brausen des Windes nahm er den fernen Tritt vieler Stiefel wahr. „Wir müssen fort von hier. Da scheint sich ein ganzer Trupp an Soldaten zu nähern!"

„Du meinst, sie kommen auf uns zu?", erkundigte sich Tankred, die schmalen Brauen über den hageren Zügen erhoben.

„Ja", knirschte der Jäger unwillig zurück. Dass derartiges Aufheben um einen einzigen, verschwundenen Mann veranstaltet wurde, war nicht annähernd so beunruhigend wie das soeben Erlebte, doch seltsam war es allemal.

Als ob Maro und seine Gefährten wissen sollten, dass ihre Anwesenheit nicht länger ein Geheimnis war.

„Und ich denke, wir sollten uns nun trennen", fuhr er fort, in Gedanken bereits voller Hoffnung, dass er fortan vielleicht doch allein unterwegs sein würde. „Jemand muss den Soldaten weiterhin folgen."

„Das sehe ich auch so", murmelte der Hauptmann Ostfalls. „Es sind weitaus nicht genug, uns ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen, aber dennoch sollte die Bewegung von Rabensteins Truppen nicht unbeobachtet bleiben!"

Erleichtert über den Zuspruch stieß Maro sogleich nach. „Ganz Recht. Kümmert ihr euch darum, dass Ostfall im Zweifel rechtzeitig gewarnt wird, ich hingegen sehe zu, was ich über die Hintergründe in Erfahrung bringen kann."

„Du willst uns schon ganz gern loswerden, nicht wahr?", knurrte Erhardt und zeigte zum unpassendsten Zeitpunkt den sonst seinem Bruder eigenen Scharfsinn. „Warum ist es dir so wichtig, allein unterwegs zu sein?"

„Weil mich euer Gezockel wertvolle Zeit kostet", stieß der Jäger verärgert hervor. Vielleicht würde ihn Offenheit weiter bringen denn schale Ausreden, obwohl er auch diesmal nur einen Teil der Wahrheit preisgab. „Und je nachdem, was uns erwartet, kann ich nicht auch noch für eure Sicherheit sorgen!"

„Wie gut du allein auf dich achtgeben kannst, haben wir ja kürzlich erst gesehen", schnaufte Erhardt, die graublauen Augen voller Zorn und auch Sorge. „Du willst wirklich ohne jegliche Rückendeckung erneut in ein Wespennest stechen?"

Bevor Maro antworten konnte, mischte sich Tankred erneut ein. „Er hat Recht, Erhardt. Wir können einfach nicht mithalten! Da aber Eile geboten ist, dürfen wir keine Zeit vergeuden. Lass ihn ziehen, Maro weiß schon, was er tut."

Überzeugt schien Erhardt keineswegs, doch schließlich nickte er knapp. „Also gut – geh deinen Weg. Aber ob wir dich noch einmal raushauen können, wenn du in Schwierigkeiten gerätst, kann ich dir nicht garantieren!"

„Ich werde vorsichtig sein", versicherte der Jäger. „Vergiss nicht, dass ich diesmal nur beobachten werde, anstatt mich auszuliefern!"

„Das hoffe ich doch!", brummte Erhardt und schlang kurz seine Arme um den Freund. „Mögen die Götter mit dir sein – komm heil wieder zurück!"

Tankred legte Maro eine Hand auf die Schulter. „Wage nicht zu viel, hörst du? Im Zweifel finden wir uns alle innerhalb der Mauern Ostfalls ein und halten der Bedrohung gemeinsam Stand."

„Das werden wir", versicherte der Jäger. „Seid auch ihr auf der Hut und bleibt den Soldaten fern – ihr habt selbst erlebt, dass hier Seltsames am Werke ist! Und nun sollten wir uns sputen, sie sind nicht mehr weit! Verschwindet von hier!"

„Wir sehen uns bald in Ostfall", rief Erhardt noch, dann folgte er Tankred ins Dickicht hinein. Maro tat es ihnen in entgegengesetzter Richtung gleich. So erleichtert er hätte sein können, die Männer endlich losgeworden zu sein, war er dennoch um ihr Wohl besorgt.

Nur mühsam schüttelte der Jäger den Gedanken ab, was seinen Gefährten wohl blühte, so simpel ihre Aufgabe auch schien. Die seine war von weitaus größerer Wichtigkeit, keinerlei Ablenkung durfte er fortan zulassen.

Da er sich nun nicht länger zügeln musste, schoss Maro leichtfüßig durch den Wald. Den schmalen Pfaden der Tiere folgend hielt er sich unweit des Wegs, ein waches Auge auf die kleinen Dörfer an dessen Rande gerichtet, in denen sich nach wie vor nur wenig regte.

Inzwischen ballten sich bleigraue Wolken am westlichen Himmel, deren Ausläufer rasch gen Osten übergriffen. Der Wind hatte an Stärke gewonnen, wirbelte herabgerissenes Blattwerk vor sich her. Maro kümmerte das Unwetter nicht, vielleicht würde es ihm gar wertvolle Hilfe sein, unentdeckt zu bleiben.

Seine Aufmerksamkeit wurde geweckt, als er wenig später eine ganze Schar an Menschen erspähte, von Soldaten begleitet und in gleicher Richtung unterwegs wie der Jäger. Einfache Bauersleute waren es, Männer, Kinder und Frauen. Sie wirkten verunsichert, hielten einander bei den Händen, ängstliche Blicke sowohl gen Himmel als auch auf die Soldaten gerichtet. Fast schien es, als ob man sie gegen ihren Willen vorantrieb.

Was dahintersteckt, war dem Jäger ein Rätsel. So gern er dies  auch ergründet hätte, trieb ihn die Eile weiter voran. Der ereignisreiche Tag senkte sich bereits seinem Ende entgegen, doch die Ausläufer des Rabenwaldes lagen bereits vor ihm. Wenn er sich nur sputete, würde er das Zentrum allen Übels wohl im Schutze der Nacht erreichen.

Inmitten der einbrechenden Dämmerung erhaschte Maro ab und an von einer der Hügelkuppen aus einen Blick auf den nachtschwarzen Himmel in der Ferne, über den erste Blitze hinwegzuckten. Weit mehr interessierte ihn jedoch das Treiben im nächsten Dorf, das so gänzlich im Widerspruch zu der Starre stand, die sämtliche anderen Siedlungen befallen hatte.

Was die Situation umso unwirklicher erscheinen ließ, war die Ruhe, mit der ein jeder ans Werk ging. Ein aufziehendes Unwetter verleitete oftmals dazu, hektisch zu agieren, doch hier herrschte erstaunliche Disziplin.

Niemand schrie, fluchte oder eilte sich sonderlich, während einige Männer Schafe in einen Pferch trieben, andere hingegen Fenster und Türen verrammelten oder letzte Reste frisch geschlagenen Holzes verräumten.

Zielsicher leerten die Frauen ihre Wäscheleinen, verstauten Werkzeuge in Schuppen und wurden dabei von zahlreichen Kindern unterstützt. Gerade deren Verhalten jagte Maro einen Schauer über den Rücken – kein Geschrei, kein Gelächter drang ihm an die Ohren. Als ob eine unsichtbare Rute über ihren Rücken schwebte, packten sie stumm mit an.

Lang war es her, da der Jäger seinen eigenen Sohn in den Armen gehalten hatte, doch unvertraut war es ihm noch lange nicht, wie Kinder sich für gewöhnlich gaben. Was er hier verfolgte, glich eher gut abgerichteten Soldaten, denen jegliches Gefühl abhanden gekommen war.

Zutiefst verunsichert hielt Maro inne, indes der Sturm sein langes, schwarzes Haar zauste, so sorgfältig er es auch im Nacken zusammengebunden hatte. Sollte er es wagen, einen der Dörfler in seine Gewalt zu bringen, bevor er seine Reise fortsetzte?

Dem Bersten vom Sturm gebeutelten Ästen in seinem Rücken und dem Grollen des sich nähernden Donners lauschend rang Maro mit sich. Vielleicht würde er hier wichtige Antworten erlangen, vielleicht aber würde ihn dies wertvolle Zeit kosten.

„Verdammt noch eins", murmelte er in sich hinein, traf dann jedoch die Entscheidung, das Wagnis einzugehen. Lautlos huschte der Jäger dem Dorf entgegen, jeden verbliebenen Baum als Deckung nutzend.

Mittlerweile hatten sich die meisten Menschen in den Schutz ihrer Behausungen zurückgezogen, doch auf der Rückseite eines der kleinen Höfe war eine ältere Frau allein damit beschäftigt, letzte Wäsche einzuholen.

Es gefiel Maro nicht, die wehrlose Alte anzugehen, eine andere Möglichkeit sah er in diesem Moment hingegen nicht. Tief in das wogende Gras geduckt pirschte er sich näher heran, jene Augenblicke abpassend, wenn sein Ziel ihm den Rücken zuwandte.

Hinter einem kleinen Holzschuppen verborgen wartete er ab, bis die Gelegenheit allzu günstig war. Schnell wie eine Kreuzotter stieß der Jäger vor, legte der Frau eine Hand über den Mund und riss sie gleichzeitig an sich.

Dass auch sie, ähnlich dem Soldaten, nicht einmal zusammenzuckte, geschweige denn sich gegen den Übergriff wehrte, ließ Maro eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Alles in ihm schrie danach, auf der Stelle herumzufahren, um sich in den Tiefen des Rabenwalds zu verbergen, doch gleichzeitig wuchs sein Drang, endlich zu erfahren, was um der großen Mutter Willen in Rabenstein vor sich ging.

Mühelos zog er den knochigen Körper mit sich, als mit einem Schlag nicht nur die Tür des Schuppens und der Hintereingang des Bauernhauses aufgerissen wurden, sondern ebenso mehrere Fenster. Augenblicklich stieß Maro die Frau von sich.

Noch während die Alte ins Gras stürzte, erkannte er, dass es für eine Flucht jedoch zu spät war. Etliche Pfeile waren auf ihn gerichtet, weitere Schützen kamen um die Ecken des Hofes gelaufen.

Wie erstarrt stand der Jäger da. In von Entsetzen geprägter Verwirrung dachte er nicht einmal daran, nach seinen Waffen zu greifen, so wenig ihm dies ob der erdrückenden Übermacht auch gebracht hätte.

Ein einziger Gedanke schwirrte ihm durch den Kopf – wäre er nur seinem Gefühl gefolgt!

Dass keiner der Männer, allesamt Soldaten Rabensteins, einen Laut von sich gab, vertiefte Maros Schrecken, zu unwirklich wirkte der stumme Aufmarsch.

Doch als sich stattdessen die alte Frau im zuckenden Licht der Blitze mit einem Ächzen aufrappelte, um ihm dann erhobenen Hauptes entgegenzutreten, erwachte eine Furcht in seinem ohnehin wild rasenden Herzen, die der Jäger bisher selten verspürt hatte.

Das faltige Gesicht war von beunruhigender Leere geprägt. In den trüben, hellbraunen Augen indes erstrahlte ein eisiges Funkeln, derweil sich die schmalen Lippen spöttisch kräuselten.

Plötzlich zerriss ein blendendes Licht die Dunkelheit, gleich gefolgt von einem berstenden Krachen. Instinktiv duckte sich der Jäger, doch als er wieder aufsah, hatten sich weder die Soldaten noch die Alte ihm gegenüber auch nur um einen Deut gerührt.

„Du bist beharrlich, Maro, das schätze ich sehr an dir", sprach sie, als der Donner endlich verhallt war. „Es ist mir eine Freude, dich bald an meiner Seite zu wissen!"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top