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Es dunkelte bereits, da Laina zurückkehrte. Auf ihr Klopfen hin erhielt sie keine Antwort, stattdessen öffnete sich die Tür. Verblüfft wich die Jägerin einen Schritt zurück, da sie Levin gegenüberstand, in dunkles Leinen und lederne Tracht gekleidet wie bei ihrer ersten Begegnung.
Selbst seinen Waffengurt hatte er umgelegt, bestückt mit Schwert als auch einigen kürzeren Stichwaffen. Knapp nickend grüßte er Laina und machte dann Anstalten, hinauszutreten.
„Meinst du nicht, du solltest dich lieber ausruhen?", merkte sie vorsichtig an, ohne den Weg freizugeben.
„Ich weiß gut, wie weit ich mich belasten kann", beschied Levin sie jedoch kühl. „Nur weil ich kein Jäger bin, heißt das noch lange nicht ..."
„Nein, so habe ich es nicht gemeint", unterbrach Laina ihn hastig. „Ich habe mir doch lediglich Sorgen gemacht!"
Ehrlich betroffen starrte sie den Mann an, dessen harter Blick schon im nächsten Moment weicher wurde. „Oh, dann entschuldige", erwiderte er. „Mein Fehler."
„Nein, ich bin doch selbst Schuld daran", murmelte Laina leise und machte ihm Platz.
„Nun, du fängst langsam an, dich zu machen, Jägerin", gab Levin ernst zurück. Diesmal fand sich keine Spur eines Spaßes in seinen graublauen Augen, vielmehr ein Hauch von Anerkennung.
Es erleichterte Laina, dass sich der Mann auch schon wieder abwandte. Unsicher, ob sie ihm zürnen oder das scheinbar ernst gemeinte Kompliment stillschweigend annehmen sollte, folgte sie ihm den Korridor entlang.
Erst, als sie die Stiegen hinab zum Burghof erreichten, fanden sich ihre Blicke erneut. „Was, glaubst du, ist in Rabenstein geschehen?", fragte Levin leise.
Laina zögerte mit ihrer Antwort, nicht zuletzt, da ihnen freundlich grüßend einige Bedienstete entgegenkamen. Als deren Schritte verklungen waren, schüttelte sie zweifelnd den Kopf, derweil sie Seite an Seite abwärts schritten.
„Ich weiß es nicht. Aber auch ich glaube nicht an derartige Zufälle – es muss mit dem Seelenstein zusammenhängen, und das kann nichts Gutes sein, fürchte ich."
Stumm schüttelte auch Levin den Kopf, doch auf seine Einschätzung würde Laina wohl noch warten müssen. Der von Öllampen erhellte Burghof war zu bevölkert von dort postierten Soldaten und anderen neugierigen Ohren, kein Ort, an dem man Dinge von Dringlichkeit besprechen sollte.
„Komm", murmelte Levin und tauchte in den Schatten einer schmalen Gasse ein. Zielsicher fand er seinen Weg durch Ostfalls verwinkelte Straßenzüge, mal nach links, dann wieder nach rechts schwenkend.
Die Jägerin, so wenig Interesse sie den hier lebenden Menschen bisher entgegengebracht hatte, wusste in jedem Moment ebenso gut, wo sie sich befanden und was wohl Levins Ziel sein würde. Den Aufbau der Stadt samt dem letzten, kleinen Schleichweg hatte sie gründlichst studiert und hätte ihn wohl im Schlaf aufzeichnen können.
Der Gedanke daran, dass vielerlei detaillierte Karten Ostfalls, durch ihre Hand entstanden, in Fürst Adalberts Bibliothek ruhten, erfüllte sie mit Übelkeit. Morgen, so war es angedacht, sollte sie Hadmar in Gänze berichten, welche Informationen sie weitergegeben hatte.
Der freundliche Fürst hatte ihr längst verziehen, das hatte die Jägerin gespürt. Doch die gesamte Tragweite ihres Verrats offenzulegen würde höchst unangenehm werden, das wusste sie ebenso. Umso verwunderter war Laina gewesen, dass Hadmar nicht sofort auf diesen Austausch bestanden hatte.
„Der Feind steht wohl kaum bereits vor dem Tor und ihr solltet erst einmal in Ruhe ankommen, du und deine Tochter", waren seine Worte gewesen. „Zudem scheint Rabenstein vorerst andere Probleme zu haben!"
Wenn denn nicht diese Probleme auch zu denen Ostfalls werden würden. Levin schien von der gleichen Befürchtung getrieben, sonst hätten ihn seine Schritte gewiss nicht zur westlichen Mauer getragen, die nun vor ihnen aufragte.
Alles in Laina drängte danach, endlich zu erfahren, warum er Maro derart scharf angegangen war. Doch ob sie hier, wo doch unzählige Soldaten ebenfalls besorgt gen Rabenstein spähten, vertrauliche Worte würden austauschen können?
Levin indes strebte unbeirrt voran, die Treppe gleich neben dem Tor hinauf. Einen jeden Soldat, der ihnen begegnete, begrüßte er kameradschaftlich und wurde ebenso freundlich empfangen. Da der Wehrgang hier gut bevölkert war, kamen sie kaum noch voran, was die Geduld der Jägerin auf eine harte Probe stellte.
Schließlich erreichten sie jedoch einen der Türme im Mauerwerk. Weitere Stiegen führten empor und dort angekommen, verwies Levin den hier abgestellten Soldaten seines Postens. „Wir übernehmen hier kurz die Wacht. Zeit genug, sich ein wenig die Beine zu vertreten!"
Der junge Bursche grinste dankbar. „Oh, das kommt mir nur recht – ich muss verdammt noch mal pissen, und die da unten hätten sich sicher nicht über einen Regen gefreut!" Als er im Halbdunkel die Jägerin entdeckte, lief er auf der Stelle feuerrot an, um sich dann hastig aus dem Staub zu machen.
„So, nun können wir in Ruhe sprechen", meinte Levin, sich gegen die Brüstung lehnend. Das belustigte Schmunzeln ob des jungen Soldaten und seiner Wortwahl wich so rasch von seinem Gesicht, als hätte man ihn geschlagen.
„Was weißt du?", entfuhr es Laina sofort gedämpft, derweil auch sie ihre Arme auf der rauen Mauer verschränkte. „Warum glaubst du, dass Maro den Seelenstein leichtfertig fortgegeben hat?"
Levin zuckte zusammen, deutlich unangenehm berührt. „Wie kommst du denn darauf?"
„Ich bin weder taub noch dumm", erwiderte Laina scharf. „Du hast ihn genau dies gefragt. Und mir ist darüber hinaus nicht entgangen, wie nervös er seit dem Vorfall in Rabenstein war! Ach, was sage ich – furchtsam! Er hat sich gefürchtet und ganz sicher etwas damit zu tun!"
„Du weißt also nicht, was Fürst Abalbert an Informationen über die Seelensteine und ihre Macht besaß?"
„Verflixt, natürlich nicht! Bis vor wenigen Tagen habe ich ihre Existenz noch für ein Märchen gehalten! Und nun hör auf, abzulenken! Du hast doch eine Ahnung, warum Maro den Stein abgegeben hat!"
„Ich weiß nicht, warum ich das gerade mit dir teilen sollte", murrte Levin und spähte düsterer Miene gen Westen, das Kinn auf seine gekreuzten Arme gestützt.
„Du wolltest mich lediglich sprechen, weil du geglaubt hast, ich wüsste mehr über die Seelensteine und Fürst Adalberts Pläne, nicht wahr?", stieß die Jägerin hervor. Erneut machte sich ihr Magen bemerkbar, diesmal jedoch war es tiefste Enttäuschung.
Levin hatte sie lediglich aushorchen wollen und dachte nicht einmal daran, sich Laina zu öffnen. Schwer schluckte sie an dieser Erkenntnis, gleichzeitig wandte sie sich zum Gehen. Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte die ihre unwillkürlich zum Griff ihres Messer.
„Warte", bat Levin rau und ließ sofort ab von ihr. „Ich glaube, du hast mich falsch verstanden. Ich will dir nichts vorenthalten, aber das Problem ..." Hilflos brach er ab und bedachte die Jägerin mit einem ratlosen Blick.
Kurz sahen sie einander an, Laina wieder einmal dankbar dafür, dass ihr Gegenüber inzwischen kaum mehr ausmachen konnte denn ihre Augen. Wie sehr sie Levins Zurückhaltung getroffen hatte, wollte sie lieber für sich behalten.
„Es liegt nicht an dir", fuhr dieser leise fort. „Weißt du, Maro ist wie ein zweiter Bruder für mich und ich ... ich möchte nicht schlecht über ihn reden."
Insgeheim fiel Laina ein Stein vom Herzen, beinahe hätte sie sich durch ein Seufzen verraten. Stattdessen nickte sie knapp. „Ich verstehe. Aber glaube mir, ich werde sicher nicht schlecht von Maro denken, was auch immer er getan hat. Er hat mich und meine Tochter aus Adalberts Fängen befreit, und selbst dann, wenn wir vielleicht nur ein Steinchen auf seinem Spielbrett waren, bin ich ihm auf ewig zu Dank verpflichtet."
Ganz der Wahrheit entsprachen diese Worte nicht. Laina hatte dem Jäger voll und ganz vertraut, seine Absichten waren ihr redlich erschienen. Sollte er ihre Not für seine Zwecke missbraucht haben, blieb da abseits der Tatsache, dass er ihr Lora zurückgegeben hatte, nicht mehr viel, was sie verband.
Levin hingegen überzeugte sie damit nicht. „Ich an deiner Stelle würde ihm das dennoch übel nehmen, Rettung hin oder her", brummte er und wandte sich erneut der Brüstung zu. „Und so wie ich dich bisher kennengelernt habe, wird dir das ähnlich ergehen, also mach mir nichts vor."
„Na schön", seufzte Laina auf und rückte ein wenig zu ihm heran, den Blick in die Ferne gewandt und wider Willen auf ein Neues vom Scharfsinn des Mannes beeindruckt. „Ja, ich würde es Maro übel nehmen, wenn er uns einfach so benutzt hätte. Aber gleichzeitig glaube ich nicht, dass er aus purem Eigennutz gehandelt hat. Da muss doch etwas dahinterstecken, und du weißt, was es ist."
„Ich denke, ich weiß es", erwiderte Levin düster und fuhr sich über die Stirn. Dann sah er die Jägerin plötzlich offen an, prüfenden Blicks, der ihr durch Mark und Bein ging.
„Ich vertraue dir, wie du auch Maro vertraut hast, obwohl du ihn nicht einmal kanntest", meinte er dann leise, ohne den intensiven Kontakt zu lösen. „Und ich hoffe, dass alles, was ich dir nun sage, unter uns bleibt. Ich muss es einmal loswerden und Hadmar möchte ich nicht noch mehr beunruhigen, als er es ohnehin schon ist. Wenn ich richtig liege, muss Maro das eines Tages mit ihm klären, da möchte ich mich nicht einmischen."
„Ich behalte es für mich, versprochen", wisperte Laina und legte ihre Hand bekräftigend auf die Schulter des Mannes. Anders als erwartet wich er nicht vor ihrer Nähe zurück, noch schien ihm diese zu Kopf zu steigen.
„Ich nehme dich beim Wort, Jägerin", meinte er ernst. „Ich hoffe, du enttäuschst mich nicht."
„Das werde ich nicht", flüsterte Laina und zog ihre Hand zurück. „Das will ich nicht."
Dass Levin verstand, wie ernst es ihr war, verriet ihr der Hauch eines Lächelns auf seinen Zügen. Nur einen Herzschlag später verging es jedoch und er straffte sich, angestrengt gen Westen spähend.
„Es ist an die fünfzehn Winter her, dass Maros Familie durch Adalberts Wirken den Tod fand", kam er sogleich zum Punkt. „Ich weiß nicht genau, wie sie in seine Hände gerieten, doch ähnlich, wie es dir ergangen ist, suchte der Fürst Maro zu erpressen. Er hat sich wohl zu lange geweigert, unwissend, wie ungeduldig und vor allem herzlos Adalbert ist."
Vergeblich schluckte Laina gegen den Klumpen in ihrer Kehle an, nichts konnte sie gegen die aufsteigenden Tränen ausrichten, zu sehr nahm sie das Gehörte mit.
„Tu, was ich von dir verlange, oder du wirst deine Tochter nie wieder sehen!"
Ein qualvolles Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, dann war sämtliche Beherrschung dahin, hilflos weinend sackte die Jägerin auf der Turmbrüstung in sich zusammen. Den Arm, der sich um ihre Schultern schlang, hätte sie im ersten Moment nur zu gern abgeschüttelt, dann jedoch war sie froh über den Halt, der sich ihr bot.
Da war so lange niemand gewesen, mit dem sie ihren Kummer hätte teilen können, und Levins Anteilnahme schien so ernsthaft zu sein, dass sie nun nicht widerstehen konnte. Erst zögerlich nur lehnte sie sich an seine breite Gestalt, ein Teil in ihr begehrte gegen die Nähe auf.
Gleichsam genoss Laina die Wärme, den tröstlichen Geruch nach Bucheckern und letztendlich gar die feste Umarmung, die Levin ihr schenkte. Er sprach kein Wort, war einfach nur da, und als die Jägerin mit einem letzten Schniefen von ihm zurückwich, gab er sie sofort frei.
Die Hände auf den Mauerrand starrte der Mann Richtung Rabenstein. „Nun weißt du vielleicht, warum ich nicht glaube, dass der Seelenstein zufällig an Adalbert übergegangen ist. Tod und Verderben soll er wohl jenen bringen, die nicht wissen, wie er handzuhaben ist, und das war sicher auch Maro klar."
Zutiefst dankbar dafür, dass er ihre Schwäche mit keinem Wort erwähnte, fuhr sich Laina rasch über Augen und Wangen. „Du meinst, Maro hat den Seelenstein nach Rabenstein gebracht, um sich zu rächen für das, was damals geschehen ist?", erkundigte sie sich heiser.
„Ja, das fürchte ich. Und gleichzeitig, dass sein Plan ganz furchtbar nach hinten losgegangen ist. Und das werden wir alle noch zu spüren bekommen."
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