- 10 -

Schließlich war da eine verwitterte Holztür, die jedoch unter dem ersten Tritt ihres Anführers nachgab. Dahinter ging es weiter in die Tiefe hinab, kaum vermochte Maro die Stufen zu zählen. Unwillkürlich verkrampften sich seine Hände um den Schaft des Bogens. Gab es wirklich den Hauch einer Möglichkeit, dass dies alles gut ausgehen sollte?

Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Die Stiegen endeten vor zwei weiteren Türen, eine zur linken, die andere gleich geradeaus. Hinter letzterer erhoben sich spitze Schreie, kaum da sie aufgerissen wurde.

„Aus dem Weg!", brüllte Dietwald die hier versammelten Mägde an. Kreischend wichen sie zur Seite aus und suchten Schutz hinter den groben Tischen, die sie wohl gerade gesäubert hatten. Geschirr ging zu Bruch, Reste von Getreidebrei spritzten weit über den rauen Steinboden.

Mit raschen Schritten durchquerte die Truppe den schlichten Speisesaal, in dem vermutlich die Soldaten am Morgen verköstigt worden waren. Kurz warf Maro einen Blick über die Schulter und versicherte sich, dass Laina noch immer gleich hinter ihm war.

Levin hielt sich dicht an sie und würde ihr den Rücken freihalten, wie der Jäger erleichtert feststellte. Lora fest umschlingend war sie kaum in der Lage, sich zu verteidigen. Ein heißer Stich fuhr durch Maros Herz – was hätte er nur darum gegeben, seinen geliebten Siran wieder an sich drücken zu können.

Rasch wandte er sich ab und schob den Schmerz beiseite, da Dietwald und Erhardt bereits in den nächsten Raum einfielen. Wer hier an Bediensteten noch nicht geflohen war, drückte sich eng an die rauchgeschwärzten Wände der Küche.

Lang, das war Maro klar, würde es nicht dauern, bis es hier von Soldaten wimmelte. Die Zielstrebigkeit, mit der ihr Anführer nun jedoch durch eine unscheinbare, niedrige Holztür entschwand, vertiefte den Eindruck, dass er sich bestens auskannte und genau wusste, was er tat.

Erhardt als auch zwei weitere Männer der Gruppe hatten sich mit Ölfackeln bewehrt, die in geschmiedeten Halterungen über die Wände der Küche verteilt waren. Ein erneutes Zeichen, wie genau der Fluchtplan ausgearbeitet worden war, denn die schmalen Stiegen, die es nun hinabging, verloren sich in tiefster Finsternis.

Ein Vorratskeller schien es zu sein, die raue Steindecke so niedrig, dass Maro den Kopf einziehen musste. Lange Reihen mit Säcken beladener Regale, unzählige gestapelte Kisten und Fässer zogen sich schier endlos durch das gewaltige, kühle Gewölbe. Gewiss gab es hier ebenfalls einen Zugang zur herrschaftlichen Küche, die Menge an Vorräten überstieg den Bedarf der Soldaten bei Weitem.

Ein Krachen in seinem Rücken ließ Maro herumfahren, um festzustellen, dass die letzten Männer mehrere Regale nahe der Treppe zum Einsturz gebracht hatten und diese nun den Zugang blockierten. Erhardt und Dietwald indes hatten nicht innegehalten und liefen weiter voran, ab und an einen scharfen Haken in den nächsten Gang zwischen den aufgetürmten Gütern schlagend.

Der Jäger hatte schon nach kurzer Zeit die Orientierung verloren, die leise Hoffnung auf ein gutes Ende der Flucht verlor sich gemeinsam mit dem dumpfen Echo der Schritte in den Weiten des Kellers. Welch Wahnwitz zu glauben, der bestens bewachten Burg entkommen zu können! Ein einziger Gedanke nur verlieh ihm Trost – hilflos und ohne einen letzten Kampf würde er nicht sterben.

Als sie in einen weitaus breiteren Gang einbogen, konnte Maro an dessen Ende endlich einen Ausgang erkennen. Ein breites, zweiflügliges Tor, durch das auch ein voll beladener Karren gut  passieren konnte und vermutlich den Anlieferungen neuer Vorräte vorbehalten war.

Unerwartet verringerte Dietwald seine Geschwindigkeit. „Sammeln, allesamt, Feind voraus!", verkündete er gedämpft über die Schulter hinweg, woraufhin die Männer aufschlossen und sich um ihren Anführer scharten, allesamt mit Bögen bewehrt und bereit, diese zu nutzen. Levin und Laina mit ihrer Tochter wichen in den Schatten der Regalreihen zurück, Maro hingegen schloss sich den Bogenschützen an.

Sämtliche Muskeln in seinem Körper spannten sich, da Erhardt nun vortrat und den Torflügeln einen deftigen Tritt versetzte. Überraschte Ausrufe folgten dem, die nur einen Herzschlag später in Todesschreie übergingen. Aus dem Lauf heraus hatten die Bogenschützen ihre Pfeile in den von Mauern umrandeten Hof entsendet.

Während die ersten Soldaten hoch oben auf der Mauer und vor dem gewaltigen Tor darunter zusammenbrachen, gingen Dietwald und seine Männer wie auch der Jäger in Deckung. So rasch und geordnet sich dies vollzog, war Maro überzeugt davon, dass sie kurz zuvor erst den Standpunkt sämtlicher Fässer, Kisten und Karren ausgekundschaftet hatten.

Die Pfeile der Gegner fanden kein einiges Ziel, ihre Alarmrufe hingegen würden auch noch im letzten Winkel der Burg zu vernehmen sein. Da nutzte es wenig, dass ihrer Viele der zweiten Salve zum Opfer fielen, aus dem Schutz der Verstecke abgefeuert.

„Vorwärts!", befahl nun Dietwald, woraufhin sich  auch Levin und Laina hastig in Bewegung setzten, gerade auf das Tor inmitten der Mauern zu, umringt und gedeckt von den Bogenschützen. Maro hingegen spürte wieder einmal Zweifel in sich aufwallen.

Schon auf die ersten Warnrufe hin war gewiss jeder Einlass in die Burg verriegelt worden – von innen wie von außen. Da nutzte es wenig, dass man hier, augenscheinlich ein der Anlieferung von Gütern zugedachter Hintereingang, nicht damit gerechnet hatte, auf die Flüchtigen zu stoßen.

Doch wieder hatte der Jäger zu kurz gedacht. Als sie sich dem Tor näherten, nahm er dahinter gedämpfte Schreie wahr, nur einen Herzschlag später erzitterten die mächtigen Holzflügel. Erhardt war der erste, der dort ankam und begann, den breiten Holzbalken in die Höhe zu stemmen, der sie von innen versperrte, bald gefolgt von weiteren Männern, die mit anpackten.

Als der schwere Riegel endlich hart gegen das steinerne Torfundament schlug, drückten sie einen Flügel beiseite und wurden von weiteren Bewaffneten empfangen. Sie alle waren in schlichte Bauerntrachten aus schumtzigweißem Leinen gewandet und hatten so wohl jene Soldaten genarrt, zwischen deren gefallenen Körpern sie nun standen.

Sogleich bildeten sie eine Gasse, um den Flüchtigen Platz zu machen, Dietwald mit knappen Grüßen bedenkend. Verblüfft nahm Maro den unerwarteten Zuwachs ihrer Truppe zur Kenntnis. Wie nur hatten es die Brüder geschafft, derart fähige Hilfe auf die Beine zu stellen?

Zum ersten Mal verspürte er ernsthafte Hoffnung, dass sein und auch das Leben seiner Freunde an diesem Tag doch kein Ende finden könnte. Gebannt war die Gefahr jedoch keineswegs, schon erhob sich erneutes Geschrei in ihrem Rücken und ein erster Pfeil verfehlte einen der Männer nur knapp.

Maro ging ihnen sogleich zur Hand, den Beschuss zu erwidern, derweil sie sich stetig zurückzogen. Dietwald hingegen, wie der Jäger mit einem knappen Blick über die Schulter feststellen konnte, trieb Laina, Levin und Erhardt zur Eile an.

Nun fiel auch die bewaffnete Truppe in den Laufschritt, nur noch ab und an einen Pfeil gen der Mauern entsendend. Viel zu offen und ohne die geringste Deckung lag der breite Weg da, sich sanft einen Hang hinabziehend, lediglich von gerade ergrünenden Feldern und einigen schlichten Hütten gesäumt.

Wer auch immer sich auf die Burg zubewegte oder ihr zu entkommen suchte, war ein leichtes Ziel für die Schützen hoch auf den Mauern. Dass diese allmählich besetzt wurden und sämtliche Streitkräfte nun dem östlichen Tor entgegenstrebten, zeigte sich bald.

Gleich neben Maro warf es einen seiner Mitstreiter zu Boden, den Schädel gespalten von einem präzisen Schuss. Mehrere Schreie knapp hinter ihm kündeten von weiteren Treffern, doch als der Jäger sich umwandte und blitzschnell zwei Pfeile entsandte, stellte er fest, dass bis auf jenen einen sämtliche Männer noch auf den Beinen waren.

Auch sie hielten ab und an inne, um die sich formierenden Soldaten mit ihren Bögen auf Abstand zu halten. Wie durch ein Wunder fand lediglich ein weiterer von Dietwalds Männern den Tod, bevor die flüchtende Schar außer Reichweite der gegnerischen Waffen war.

Der Waldsaum lag nun nicht mehr weit entfernt. Ein verheißungsvolles, von Felsen durchzogenes Dickicht, das sich dem Schaffen der Menschen standhaft widersetzt hatte, bestens geeignet, Verfolger abzuschütteln, wenn man denn nur über ein wenig Geschick verfügte.

Wäre da nicht der sich nähernde Hufschlag vieler Pferde gewesen, der plötzlich an die feinen Ohren des Jägers drang. „Reiter", brüllte er aus vollem Hals. „Eilt euch!"

Schneller kamen sie dennoch nicht voran, ein jeder hatte bereits gegeben, was er nur konnte. Als zwei der von Pfeilschüssen verletzten Männer zurückfielen, mühte sich Maro nach Kräften, ihnen zu helfen. Einen mit seinem linken, den anderem mit dem rechten Arm umschlingend zog er sie dem schützenden Wald entgegen.

Gerade, als weit vor ihnen Levin, Erhardt und Laina samt ihrer Tochter die Deckung beinahe erreicht hatten, geschah etwas Unerwartetes. Die Jägerin zögerte in ihrem Lauf, ein heller Warnruf drang aus ihrer Kehle. Anstatt weiter auf den Wald zuzuhalten, wich sie unerwartet auf das Feld zu ihrer Rechten aus.

Nur einen Herzschlag später begriff Maro. Weitere Gegner kamen ihnen entgegen, schon sah er die ersten Pfeile fliegen. Dietwald reagierte sofort und bedachte die ihm nachfolgenden Mannen mit einem scharfen Befehl.

„Pfeile los!", brüllte er, die Hand in Richtung des sich in Düsternis verlierenden Weges senkend, dann brachte er sich mit einem Sprung aus der Gefahrenzone heraus, um Laina und den Brüdern zu folgen. Wer um Maro herum noch dazu in der Lage war, dem Aufruf nachzukommen, spannte sogleich den Bogen und entließ seinen Pfeil den nach wie vor verborgenen Gegnern entgegen.

Auch der Jäger schloss sich dem an, die zwei Verletzten aus seinem Griff entlassend. „Lauft, hinaus aufs Feld mit euch", wies er sie barsch an, darauf hoffend, dass sie die Distanz bis hin zu den ersten Bäumen allein überwinden konnten.

Das fortwährende Trommeln der Hufen in seinem Rücken indes wurde lauter, kaum noch wusste Maro, welcher Gefahr er sich entgegenwenden sollte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top