Kapitel 29:

Am nächsten Montag in der Mittagsstunde saß ich gemeinsam mit Cho und Luna bei den Erstklässlern, die bereits über die Abschlussprüfungen am Ende des Schuljahres bangten. Es war das Gesprächsthema Nummer 1 am Tisch und sie fragten uns ständig, ob sie so schlimm seien, wie die anderen Häuser sagen. Ich wünschte mir, dass dies meine einzigste Sorge wäre, aber leider hatte ich viel anderes um die Ohren.

Nachdem ich meine Suppe fertig gegessen hatte und aufstand, um mich für die nächste Schulstunde bereit zu machen, kam Harry mir entgegen. Er schien darauf gewartet zu haben, dass ich fertig war, oder es war purer Zufall, dass er mich erblickte und mit mir reden wollte.

„Jade, wie geht's dir?"

„Gut... soweit, und bei dir?"

„Auch gut, ich wollte dich was fragen..." Ich wusste schon, dass ihm mein Gutgehen wenig interessierte, denn seine Augen funkelten vor Neugier über etwas. „Das, was vor den Weihnachtsferien passiert ist..."

Ich kam direkt zum Punkt. „Du meinst, als ich verflucht wurde?"

„Genau!" Er verkleinert seine Augen. „Weißt du denn wirklich nicht, von wem du die Halskette bekommen hattest?"

„Nein... tut mir leid. Wieso fragst du jetzt auf einmal?"

„Ich wollte dir nach dem Brand im Fuchsbau deine Ferien nicht noch mehr verderben und dich an etwas Schlechtes erinnern."

Ich schüttelte den Kopf und dachte wieder scharf nach, aber es war mir wirklich so, als wäre das niemals passiert. Jeder konnte sich an das erinnern, außer ich nicht. Es machte mir schon etwas Angst, dass mich jemand verhext hatte, und dieser jemand vielleicht jemand sein könnte, dem ich nahe stehe.

Harry starrte erwartungsvoll zu mir und wartete ungeduldig auf eine Antwort.

„Ich habe keine Ahnung, wer mich verhext hat, Harry." Ich seufzte. „Ich habe versucht, mich daran zu erinnern, ehrlich... aber ich kann's nicht." Ich kratze mich nervös am Kopf. „Es macht mir selbst Angst."

Dann fiel mein Blick über Harrys Kopf hinweg nach hinten und augenblicklich fiel mir etwas auf. Draco stand nervös zwischen den zwei langen Tischen und sah, wie ich mich mit Harry unterhielt. Unser Augenkontakt schien ihn nur noch mehr nervöser zu machen.

Harry bemerkte, dass ich abgelenkt war und folgte meinem Blick. Da rannte Draco auch schon weg, als er bemerkte, dass Harry ihn erwischt hatte und verließ hastig die Große Halle, wo Harry ihm im Lauf folgte.

„Jade? Alles in Ordnung?", fragte Cho, nachdem sie das seltsame Gespräch zwischen uns gehört hatte. „Jade?"

Ich antwortete ihr nicht mal, würdigte ihr keinen Blick und sah so lange zu Harry, bis er um die Ecke verschwand. Cho wurde es mittlerweile zu blöd und stellte sich neben mir.

„Sag mal, geht's dir wirklich gut?"

In mir machte sich etwas groß; eine Angst oder bloß eine Ahnung darüber. Und dann fiel mir diese verfluchte Halskette wieder auf, die mir ausgehändigt wurde. Die Bilder stießen mir in den Kopf. Ich sah Draco in den verwischenden Bildern, und dann hörte ich einen kreischenden Schrei, der Cho gehörte. Der Schrei, den sie auslöste, als ich verflucht wurde.

Von da an war die Ignoranz – die ich Draco während der Schulzeit in der Klasse des neuen Halbjahres schenkte – verschwunden und ich musste dringend mit ihm reden. Ich war mir sicher, dass er etwas davon wusste, sogar vielleicht etwas damit zu tun hatte.

Und dann rannte ich los.

Cho schrie mir hinterher, doch ich konnte mich nicht umdrehen. Ich musste Harry hinterher laufen, um ihn einzuholen. Er hatte den gleichen Geißtesblitz wie ich, doch er schien alles schneller kapiert zu haben.

Ich kam in den Flur, in dem keine Schüler mehr zu sehen waren und wo ich noch mit Harry, Cho und Luna vor wenigen Tagen Draco spioniert hatten.

Mittlerweile war der Vogelkäfig leer und ich fragte mich, was Draco mit dem letzten angestellt hatte. Und dann hörte ich es. Ein Kampf zwischen zwei Zauberstäben. Ich hörte das Plätschern und laute Fließen von Wasser und rannte dem Kampf näher, bis ich beim Eingang des Jungenklo stand, das mittlerweile knöchelhoch unter Wasser stand und den Flur langsam mit Wasser überflutete.

Ohne zu zögern rannte ich dorthin und entdeckte ganz hinten neben den Kabinen, Harry, der seinen Zauberstab auf jemanden hielt.

„Ich weiß, was du gemacht hast, Malfoy! Du hast sie verhext, nicht? Du hast Jade verhext!"

Auf Harry wurde ein Fluch abgefeuert, den er abwendete. „Sectumsempra!", schrie er dann und dann hörte ich einen sehr lauten Schmerzensschrei, der noch über den ganzen Flur zu hören war. Das war Draco.

Ich kannte diesen Fluch nicht, aber ich rannte über das Wasser, das immer mehr anstieg. Einige Waschbecken waren kaputt, aus denen das Wasser bloß in alle Richtungen schoss. Das musste die Überschwemmung verursachen.

Als Harry mich erblickte, starrte er mich gefühllos an und rannte davon. Und dann erblickte ich Draco, welcher blutüberströmt auf dem Boden lag. Er hatte große Wunden am Oberkörper und das Blut verfärbte das Wasser um ihn herum rot.

Ich konnte es kaum fassen, was Harry getan hatte. Ich kannte diesen Sectumsempra-Fluch nicht, aber er schien sehr mächtig zu sein. Ich erinnterte mich außerdem daran, dass Harry vor den Weihnachtsferien fast jeden fragte, ob er diesen Fluch kannte. Er hatte ihn womöglich bei Draco versucht und bemerkte erst zu spät, dass es ein tödlicher Fluch sein könnte.

Harry mochte Draco nicht, aber das war noch lange kein Grund ihn zu töten. Wäre ein Lehrer zur Stelle da, wäre das ein großes Missverständnis. Draco schnappte nach Luft und spannte seinen ganzen Körper an. Ich kniete mich neben ihn ins Wasser hin, zog meinen Zauberstab heraus und legte ihn auf seinen Oberkörper. Seine Augen trafen meine und er rang schwer nach Luft.

Vulnera Sanentur." Das Blut aus dem Wasser floss wieder zurück zu seinem Körper hoch. „Vulnera Sanentur." Die Wunden schlossen sich langsam und das Blut an seinem Hemd war kaum noch zu sehen. „Vulnera Sanentur."

Draco entspannte seinen Körper wieder und ließ ihn im Wasser fallen. Dann seufzte er laut auf und blickte dann wieder zu mir hoch. Er schreckte kurz auf und bemerkte dann, dass ich ihm womöglich sein Leben gerettet hatte.

Ich stand auf und hielt ihm die Hand hin, wobei er diese annahm und ich ihn langsam hochzog. Er schaute mich zu lange an und wäre das Plätschern des Wassers nicht, dann würde man bloß unsere nervösen Atemzüge hören.

Dann riss er an meinem Arm und zog mich zu sich. Er umarmte mich fest, sodass sich meine Uniform mit dem Wasser durchnässte. Er erdrückte mich fast. Die Dankbarkeit war definitiv zu spüren.

Ich jedoch erwiderte die Umarmung nicht und weichte einen Schritt zurück.

„Ich habe gehört, was Harry gesagt hat... deshalb werde ich dich nur ein einziges Mal fragen..."

Draco versuchte seinen Atem zu kontrollieren und ballte stattdessen seine Hände zur Faust, als wolle er mich nun erschlagen, nachdem ich ihn gerettet hatte. Sein Mund zitterte vor Angst, und ihm tropfte das Wasser die Haare herunter.

„Hast du mir die Halskette gegeben, damit ich sie Dumbledore überreiche?", fragte ich ihn.

Er sagte nichts. Er sagte einfach nichts und verzerrte sein Gesicht. Dann wischte er sich die Tränen oder das Wasser – eines von den beiden – aus den Augen und wimmerte vor sich hin.

„Draco..."

„ICH HATTE ES DIR VERBOTEN SIE ZU ÖFFNEN!"

Ein Riss macht sich in meinem Herz breit. Meine Vorahnung hatte sich bestätigt.

„Du hättest sie nicht öffnen sollen!"

„Meine Güte, Draco!", schrie ich und schüttelte den Kopf. Mir ging es nicht mehr darum, dass ich verflucht wurde, sondern, weil dieser Fluch jemand anderes treffen sollte. „Wieso willst du Dumbledore verfluchen?!"

„DU VERSTEHST DAS NICHT!"

Er schubst mich nach hinten, sodass ich auf den Boden falle und meine ganze Hose nun komplett nass wurde. Ich wusste, dass er etwas vor mir und womöglich allen anderen verheimlichte und ich war so nahe daran es zu erfahren. Er hatte das Herz auf dem rechten Fleck, aber irgendetwas in ihm zwang ihn etwas zu tun, was er nicht tun wollte. Irgendetwas Schlimmes.

Ich zitterte diesmal vor Angst und vor Kälte und hatte die Befürchtung, dass er mich wieder zu Boden schubst, wenn ich wieder aufstand. Doch dann kniete er sich vor mir hin, fasste mich an meinen Schultern und half mir unsanft hoch. Er stand wieder so nahe vor mir, wie er es vor Monaten beim Astronomieturm war, diesmal nur seine Hände fest auf meinen Schultern und ich konnte nicht entkommen.

„Wenn ich es dir sage, bist du in größter Gefahr und ich auch..."

Ich zog die Augenbrauen zusammen und verstand nicht, was er damit meinte. Es gibt Gefahren überall, das sagen doch immer die Eltern und Lehrern, aber die größte Gefahr hatte mir noch nie jemand gesagt. Was hatte das alles zu bedeuten?

Dracos Hände zitterten auf meinen Schultern und er hielt sie immer noch fest.

Und dann verstand ich es.

Auf einmal wurde mir alles so klar, wenn ich mir Harrys Benehmen von den letzten Tagen vornahm. Ich verstand alles. Todesser. Lucius. Familie. Draco. Todesser. Er.

Wenn er es mir verraten würde und der dunkele Lord dies herausfinden würde, wären wir beide geliefert und dazu womöglich die gesamte Malfoy Familie. Ich ließ meine Gedanken bei Seite, schüttelte seine Hände von meinen Schultern weg und weichte einen Schritt zurück.

Und ich konnte nichts mehr tun, außer ihn angewidert ansehen.

Und das tat er auch.

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