#7 - Wer ist denn jeder?

„Nee, nichts passiert, nur einfach ... anstrengend halt", log ich aalglatt.

Wenn ich selbst nicht dabei gewesen wäre, würde ich mir selbst glauben. So überzeugend konnte ich inzwischen schon lügen.

„Na, dann ist es ja gut, dass du hier bist und dich erst einmal ausruhen kannst", meinte Pierre und lächelte mich aufmunternd von der Seite an.

Ich versuchte, zurückzulächeln, doch es fühlte sich wie eine Fratze an, die ich zog, also nickte ich und hustete leicht und hielt mir die Hand vor den Mund, um meine Gesichtszüge zu verdecken, damit Pierre keine Zweifel bekam.

„Gibt's sonst irgendwas Neues bei dir?", fragte er mich, als er meinen Koffer in den Kofferraum seines schicken Audis verfrachtet hatte und ich mich gerade die Beifahrertür öffnete.

„Nö. Bei dir?"

„Warte mal kurz, ich geh kurz das Parkticket zahlen", sagte er und ich wartete im warmen Auto, bis mein Freund zurückkam.

Er schwang sich elegant neben mir ins Auto und lächelte mal wieder. Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Also, um an das Gespräch anzuknüpfen – nicht wirklich. Alles, was es Neues gibt, habe ich dir in der Sprachnachricht vor paar Tagen erzählt."

„Hmh", machte ich und nickte, während ich aus dem Fenster sah und schwer schluckte.

Shit.

„Die hast du doch angehört, oder?", fragte er und ich ging innerlich in Deckung.

Shit, shit, shit. Ich hatte nur kurz auf die Nachricht getippt, damit das Mikrofon blau wurde, um einen Streit zu vermeiden. Tja, das hatte ich jetzt davon. Lügen hatten eben wirklich kurze Beine...

„Jana?"

Ich seufzte. „Nein, habe ich nicht ..."

„Im Ernst jetzt?"

Ich warf Pierre einen Blick zu und sah den anklagenden Ausdruck auf seinem Gesicht. Er war enttäuscht, und das zu recht.

Doch das wollte ich nicht zugeben. Deswegen war meine Verteidigung nun Angriff.

„Sorry! Aber ich hab's halt zeitlich einfach nicht geschafft!", meinte ich augenverdrehend.

Bevor ich mich weiter rausreden konnte, sagte er verbittert: „Ja, genauso wenig wie du Zeit hattest, dass wir telefonieren."

Mein Mund klappte zu und ich starrte ihn schockiert von der Seite an.

„Was?! Schau mich nicht so an!", schnauzte er jetzt genervt. „Ich hätte mal mitzählen sollen, wie oft ich entweder versucht habe, dich zu erreichen, oder wie oft ich dich gefragt habe, ob wir telefonieren. Das ist lächerlich, Jana! Ich bin lächerlich, dass ich mich von dir so rumschubsen lasse!"

Er hatte sich jetzt richtig in Fahrt geredet, und ich wusste eh nicht, was ich darauf sagen sollte, deswegen ließ ich ihn weiterschimpfen.

„Jeder sagt zu mir, ich soll mich von dir trennen, weil das absolut keinen Sinn hat und du nie da bist und dich vollkommen verändert hast –"

„Ach ja?! Das sagt jeder? Wer ist denn jeder?!", fuhr ich jetzt dazwischen und sah ihn finster von der Seite an. Ein schweres, unangenehmes Gefühl war von meinem Magen in meinen Hals gestiegen und blockierte meine Atemwege.

Heiße Tränen waren mir in die Augen gestiegen.

Was war das hier? Ein Trennungsgespräch?

„Egal wer! Egal ob meine Freunde – unsere Freunde –, ob meine Schwester, meine Mutter – sie sagen es alle! Sie sehen, dass ich nicht glücklich bin, wenn du so weit weg bist und ich keinen Kontakt zu dir habe! Denn genau das fuckt mich so up, Jana! Ich will mich nicht von dir trennen, ich will nicht, dass das, was wir haben, einfach weg ist!"

Das Licht der roten Ampel, an der wir standen, strahlte ihn frontal an und ich konnte sein definiertes Kinn sehen, seine gerade Nase, seine dunklen Augenbrauen. Nur seine Augen, die lagen im Verborgenen für mich.

„Willst du nicht?", flüsterte ich mit heiserer Stimme.

Alles in meinem Kopf drehte sich. Ich bekam schon wieder keine Luft. Das Auto schien sich zu drehen und zu wackeln, doch an dem Talisman, der am Rückspiegel hing, konnte ich sehen, dass es sich eigentlich nicht bewegte.

Ich hatte schon wieder eine.

Eine Scheiß Panikattacke.

Ich krallte meine Finger in den Sitz neben meinen Oberschenkeln und starrte Pierre wieder an.

Atmen, Jana. Atmen.

„Nein! Natürlich nicht!", rief er aus und trat aufs Gas, als die Ampel grün wurde. Ich wurde ruckartig gegen meinen Sitz gedrückt und im nächsten Moment sah ich ihn wieder klar.

„Mann, aber so funktioniert das auch nicht, wenn du immer weg bist! Mann, ich liebe dich, Jana, das weißt du doch!"

Ja? Wusste ich das?

Na gut, ja, das wusste ich.

Vielleicht war es das Einzige, was ich noch wusste. Ich wusste, dass er mich liebte. Ich wusste aber nicht, was ich wollte. Wo ich leben wollte. Was ich in meinem Leben erreichen konnte. Wie ich diese Panikattacken überwinden konnte. Wie ich wieder glücklich werden konnte.

„Jana. Schau mich bitte an."

Ich hatte nicht gemerkt, dass Pierre rechts rangefahren war und mich nun ansah. Ich sah in seine dunklen Augen. Hier in der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen, wo seine Pupille aufhörte und seine Iris anfing. Er streckte die Hand aus und strich mit den Fingern behutsam über meine Haut. Eine schräge Falte war zwischen seinen Augenbrauen entstanden und ich konnte den Kummer in seinen Augen sehen.

Ich sah nach unten auf meine Hände, weil ich den Anblick nicht ertragen konnte.

Er war unglücklich. Und das war er meinetwegen. Ich machte nicht nur mich selbst unglücklich, sondern raubte auch den Menschen um mich herum ihr Glück. Vielleicht war er ja einfach besser ohne mich dran.

Aber das wollte er ja auch wieder nicht, das hatte er ja gerade gesagt! Er wollte nicht, dass wir uns trennten.

Wollte ich es?

Ich war mir nicht sicher. Ich wollte mich weder von ihm trennen noch wollte ich in dieser Situation bleiben.

Es gab schlichtweg keine Lösung für mich, hatte ich das Gefühl, deswegen verharrte ich einfach reglos und blieb in meiner Lebenslage. Weil das einfach den kleinsten Aufwand mit sich brachte. Nicht den kleinsten Kummer oder Schmerz oder Probleme. Nein, nur den kleinsten Aufwand.

„Du musst jetzt erst einmal richtig ausschlafen, okay? Wir können in den nächsten Tagen nochmal in Ruhe darüber reden, wenn du wieder richtig hier angekommen bist", sagte Pierre sanft und ich nickte, dankbar für diesen Vorschlag, weil ich so erst einmal noch ein bisschen Schonfrist bekam.

Dafür nagte das schlechte Gewissen an mir. Ich log ihn an, egal was ich zu ihm sagte. Egal ob ich sagte, dass ich ihn liebte und mit ihm zusammen bleiben wollte, oder ob ich sagte, dass es das Beste war, wenn wir uns trennten, weil ich ihn nicht mehr liebte.

Es stimmte beides nicht.

Und das ließ mich die Entscheidung fällen, dass ich schlichtweg einfach verwirrt war und natürlich weiterhin mit ihm zusammenbleiben würde.

Ich musste einfach nur wieder ein wenig glücklicher und mit mir selbst zufriedener werden, dann wurde ich auch wieder die alte Jana, die mit Pierre gemeinsam so ein perfektes Dream-Team ergeben hatte.

So. Ganz einfach.

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