#67 - Die Eine.

„Kein Plan. Wird schon seinen Grund haben", meinte Sam betont unbeeindruckt, doch als ich verwirrt zu ihr hinüberblickte, um meinem Ärger über ihren Tonfall Luft zu machen, sah ich ihre zusammengezogenen Augenbrauen.

Sie fand es also genauso komisch wie ich. Da konnte ich ja beruhigt sein.

„Vielleicht–"

Ich stoppte meine Vermutung – die sowieso total dämlich gewesen wäre – und sah hinunter auf mein Handy, das ich in der Hand hielt und das gerade angefangen hatte zu vibrieren.

„Na siehst du", war alles, was Sam kommentierte, als sie auf mein Handy blickte.

Es war Luke.

„Hey", meldete ich mich und hatte natürlich das breiteste Grinsen überhaupt im Gesicht, während ich mich umdrehte, damit ich nicht mehr Sierras umwerfende Figur sehen musste.

„Hi love", erklang von der anderen Seite. „Bist du schon auf der Party?"

„Ja, bin vor einer Minute angekommen." Und starre deiner Ex auf den Pferdeschwanz.

Natürlich hatte ich mich doch wieder umgedreht, doch ich riss mich wieder zusammen und schob mich zum Rand der Bar, sodass ich über das gläserne Geländer hinunter auf LA schauen konnte.

„Cool! Und, wie ist es bisher?"

„Gut."

Luke lachte. „Na, das klingt ja begeistert. Wir sind vor fünf Minuten gelandet und fahren direkt vom Flughafen zur Party."

„Gott sei Dank", seufzte ich und fuhr mit dem Finger über die Kante des Glases, „alles gut bei dir sonst?"

„Ja. Bin echt fertig, aber nach dem heutigen Auftritt haben wir drei Tage frei und–"

„Nach dem heutigen Auftritt?", unterbrach ich ihn.

„Yes", antwortete Luke und ich konnte sein Grinsen quasi vor mir sehen, das in seiner Stimme mitschwang, „fuck, ich bin doch blöd, ich wollte dich eigentlich damit überraschen. Wir performen heute."

Mit leicht zusammengekniffenen Augen drehte ich mich um und suchte mit den Augen das Rooftop ab und –

„Aha", machte ich, als ich fand, was ich suchte, „jetzt sehe ich die Bühne und die Instrumente. Dass mir das noch gar nicht aufgefallen ist! Dabei ist ja sogar euer Logo auf dem Schlagzeug."

„Du hast doch gesagt, du bist gerade erst angekommen. Das wäre dir sicher noch aufgefallen", lachte Luke.

„Wahrscheinlich. Wie viele Song perfomt ihr denn?"

„Weiß gar nicht genau, aber es wird nicht mal eine halbe Stunde dauern, wir–" Luke hielt mitten im Satz inne, dann sagte er: „Okay, ich komme gleich, Ash. Jana, wir fahren jetzt los. Wir sehen uns gleich, okay?"

„Beeilt euch", ploppte mir heraus, und Luke schmunzelte.

„Kann's kaum abwarten, dich zu sehen", sagte er noch und da hatte er schon aufgelegt, bevor ich etwas erwidern konnte.

„Na, war das Prince Charming?", erklang eine amüsierte Stimme hinter mir und ich drehte mich um.

Vor mir stand ein breit grinsender Nick, der den Arm um seine Freundin Samantha gelegt hatte, die nun sagte: „Ach komm, lass sie, Nick. Hi Jana, schön dich zu sehen!"

Sie schmiss begeistert die Arme um meinen Hals und drückte mich fest an sich.

„Hey Sammy, cool, dass du hier bist! Wie geht's dir?", begrüßte ich sie lächelnd.

„Was macht eigentlich die Ex von deinem Freund hier?", fragte Nick, während er Sierras schmale Figur mit dem Blick verfolgte.

„Keine Ahnung, don't know, don't wanna know", gab ich kurz angebunden zurück und wollte Samantha schon etwas Belangloses fragen, um das Thema zu wechseln, doch Nick ließ das nicht zu.

„Wieso willst du es nicht wissen? Ich will es schon wissen", sagte er und erhob nun die Stimme: „Hey, Sierra!"

Da die Hintergrundmusik nicht sonderlich laut lief, hörte Sierra ihren Namen und drehte sich suchend um. Nick winkte ihr zu und sie lächelte, als sie ihn entdeckte. Sie entschuldigte sich kurz bei den Leuten, mit denen sie gerade gesprochen hatte, und kam zu uns herüber.

„What the fuck, sie kommt echt her?", fragte ich grummelnd und bereute die Tatsache, dass ich mir noch keinen Drink gesucht hatte. Jetzt hingen meine Arme komisch neben meinem Körper und ich wusste nichts mit ihnen anzufangen.

Also lehnte ich mich möglichst lässig gegen die Glaswand hinter mir und stützte die Ellbogen auf der breiten Kante auf, nur damit ich etwas hatte, das mir Halt gab.

Denn meine Knie, oh Freunde, meine Knie waren so weich wie Wackelpudding. Wie ich noch stehen konnte, war mir ein Rätsel.

Und wieso ich ihnen noch nicht vor die Füße gekotzt hatte, war mir ein noch viel größeres Rätsel.

Mein Magen rumorte und mein Herz klopfte wie verrückt und mir war schlecht und ich konnte nicht mehr atmen und ich –

„Hi Jana", begrüßte Sierra mich ein wenig zurückhaltend, als sie bei uns ankam, dann drehte sie sich zu Nick: „Nick, oder? Ich kenne dich aus Love, Simon, und waren wir nicht schon mal auf dem gleichen Geburtstag irgendwann..?"

„Ja, ich kann mich nur nicht mehr erinnern, bei wem das war", gab Nick zurück, doch da schaltete sich die breit grinsende Samantha ein: „Ich aber. Das war bei Chloe. Ihr beide wart total betrunken und ich war nüchtern."

„Chloe?", fragte Nick.

„Chloe Grace Moretz", half Samantha ihm kichernd auf die Sprünge. „Ich bin Samantha, Nicks Freundin, an die du dich wahrscheinlich auch nicht mehr erinnern kannst."

„Oh Gott, so peinlich!", lachte Sierra und lief ein wenig rot an. Sie drehte sich lächelnd zu mir. „Dafür kann ich mich an dich erinnern. So ein erstes Aufeinandertreffen vergisst man, glaube ich, nie."

„Stimmt", sagte ich und rang mir ein Lächeln ab.

„Wir haben uns auf Harry Styles' Hochzeit auf der Toilette kennengelernt, als der Reißverschluss von Janas Kleid geklemmt hat und ich ihr geholfen habe, während ein Kleinkind in der Badewanne gesessen hatte."

„Bitte was?", prustete Samantha.

Ich erklärte, dass Rafael das Kind von Harrys Schwager-Schrägstrich-meinem Cousin Leo war und erntete dafür ein zweistimmiges „Ahhh" von Samantha und Nick.

„Wie geht's dir denn so, Sierra?", fragte Nick und ich merkte ganz genau, dass er sich jetzt zu dem Thema, wieso sie hier war, rantastete.

„Ganz gut, danke", sagte sie schulterzuckend, „Hochs und Tiefs, wie man das halt so kennt, aber es geht schließlich immer irgendwie bergauf."

„Bist du hier wegen 5SOS?"

Wow, der lässt nichts anbrennen. Direkt rein in das Fettnäpfchen (schließlich wusste er ja, dass die beiden nicht mehr zusammen waren, aber nahm trotzdem die Peinlichkeit in Kauf. I could never).

„Oh. Ähm. Nein." Sierra lächelte tapfer. „Luke und ich haben uns getrennt."

„Oh. Das tut mir leid."

Wenn ich nicht so aufgeregt wäre, hätte ich jetzt laut gelacht. Nick hatte nicht umsonst die Hauptrolle unseres Films bekommen, er war wirklich ein phänomenaler Schauspieler. Er sah wirklich erschrocken aus und runzelte die Stirn, als er sagte: „Sorry, dass ich so blöd nachgefragt habe."

Alter Lügner.

„Macht nichts. Kannst du ja nicht wissen", winkte Sierra gelassen ab. „Man könnte ja auch meinen, alles wäre gut, da ich hier bin, richtig?"

Richtig.

„Aber, wieso bist du denn dann hier?", fragte nun Samantha.

„Ich wurde schon vor einigen Wochen zu dieser Party eingeladen, da waren Luke und ich noch zusammen, weil hier viele Leute arbeiten, die ich kenne. Ich war im Gespräch für eine der Nebenrollen, aber kriege leider die Dreharbeiten nicht unter, da ich bald mit Anne-Marie auf Tour gehe und ihr Opening Act bin."

Das konnte ja nur eine Rolle sein.

„Meinst du Maddison?", fragte ich.

„Wie bitte? – Ach so, du meinst die Rolle! Ja, ich glaube, der Charakter heißt so. Sie ist eine Mitschülerin von deinem Charakter", antwortete Sierra und starrte mich nachdenklich aus ihren dunklen Augen an.

„Die Rolle hat jetzt Quila", informierte ich sie.

Keinerlei Reaktion.

„Quila?", schob ich hinterher. „Kennst du sie nicht?"

„Quila?", echote Sierra verwirrt. „Noch nie gehört."

Ein Grinsen erschien auf meinem Gesicht, sodass Sierra nachhakte: „Wieso?"

„Ach, nichts, sie hat heute nur damit geprahlt, dass Sierra Deaton ihre bestie ist", erklärte ich ihr breit grinsend und Sierra seufzte augenverdrehend.

„Nein, ich kenne sie nicht."

Wieso wunderte es mich wenig, dass Harry mal wieder recht behalten hatte? Von wegen ich habe sie vorgestern gesehen, von wegen sie hat mir ein Selfie geschickt. Wahrscheinlich hatten die Jungs in ihrer Insta Story gepostet, dass sie in Vegas waren, und da hatte Quila sich die Information hergeholt und dann so getan, als hätte Sierra ihr ein Foto geschickt. Wetten, sie hätte herumgedruckst und gesagt, sie zeigt mir das Selfie aus Privatsphäregründen nicht, wenn ich sie danach gefragt hätte?!

Ich war überrascht – ich war nicht einmal sauer.

Ich war einfach nur erleichtert.

„Wie geht es dir denn nach der Trennung?", erkundigte sich Samantha gerade und ich widmete dem Gespräch wieder meine Aufmerksamkeit.

„Relativ gut eigentlich. Wir haben uns schon seit längerem auseinandergelebt. Wir waren nur noch zusammen, weil wir uns mochten. Aber mehr eben nicht. Deswegen tut es jetzt nicht so weh, glaube ich. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich in der Beziehung mehr gegeben habe als Luke. Es war einfach nicht für immer bestimmt, und das ist vollkommen in Ordnung. Ich weiß, dass da draußen jemand für mich ist, der absolut richtig ist. Ich bin auch nicht sauer oder bereue irgendetwas. Ich wünsche ihm nur das Beste und hoffe, dass er diejenige findet, die ihn blind versteht. Und an der er nicht vorbeiredet, wenn er versucht, zu erklären, was er fühlt. Eine, die weiß, wie sie mit seinen manchmal komischen Launen umgehen muss. Eine, die kapiert, wie er eben tickt. Ich habe es am Ende eben einfach nicht mehr. Aber das ist das Leben."

Sierra hatte an uns vorbei gestarrt und ich hatte mich eine halbe Sekunde später umgedreht, denn ich hatte Lukes Präsenz einfach gemerkt. Sierra hatte sowieso in Blickrichtung der Treppe gestanden, deswegen hatte sie den hochgewachsenen Mister Hemmings sofort gesehen, aber ich – ich hatte es einfach gemerkt.

Denn ich war diese Eine, von der Sierra gerade gesprochen hatte.

Ich war sie.

Ich verstand ihn blind. Ohne Worte. Ohne Erklärung.

Ich wusste, wie er tickte.

Ich wusste, wie er fühlte, selbst wenn er es mal nicht in Worte fassen konnte.

Lukes Blick wanderte über die Menschenmenge, und ich wusste genau, wen er suchte.

Nicht Sierra.

Mich.

Mich.

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