#63 - verstanden & unverstanden
Nun hatte ich also verkackt.
Ich hatte direkt gleich mal, bevor die Dreharbeiten überhaupt losgegangen waren, bevor überhaupt das Table Reading stattgefunden hatte, schon meinen ersten Netflix-Job verloren.
Wie dumm und bekloppt und unfähig und bescheuert und unprofessionell konnte man eigentlich sein.
„Sam?"
Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass Luke das Bad betreten hatte.
„Hi Luke. Kannst du Jana aus ihrer Trance bitte einmal aufwecken?", hörte ich die Stimme meiner Cousine.
Mit glasigen Augen sah ich auf. Luke hielt mein Handy in der Hand und hielt es mir entgegen, sodass ich Sam sehen konnte und sie mich.
„Du bist nicht gefeuert, Herzilein, wo denkst du denn schon wieder hin."
„Was ist passiert?"
Da Sam, nachdem sie die Sprache gewechselt hatte, um mit Luke zu reden, weiterhin Englisch gesprochen hatte, hatte Luke sie verstanden und sah mich nun alarmiert an.
„Jana hat ihren Flug nach LA verpasst und somit auch ein Meeting", erklärte Sam sachlich, „ist aber nicht so wild."
„Nicht?", echote Luke. Gott sei Dank, denn ich bekam immer noch keinen Ton heraus.
Er ließ sich neben mir auf dem Badewannenrand nieder, sodass er ebenfalls im Bild war, während er mit meiner Cousine sprach.
„Jana, jetzt chill mal!", fuhr Sam mich nun an. „Du bist nicht rausgeflogen. Wir haben ihnen einfach erklärt, dass du noch in New York bist und andere Termine dort wahrnehmen musst und dass das zu spontan war und du also heute Abend fliegen wirst."
„Wer ist ihnen?", fragte ich und fand endlich meine Stimme wieder.
„Netflix basically", erklärte Sam schulterzuckend. „Es wäre ein Meeting gewesen, um über das Potenzial einer Trilogie zu sprechen. Heißt, ihr würdet jetzt erst einmal den ersten Film drehen, dann wird geschaut, wie er ankommt, wenn er online kommt, und dann könnte man das Ganze zu einer Trilogie ausbauen." Sie grinste. „Und da der Film ja von einem der Lieblingsmenschen dieser Weltbevölkerung ist, gehe ich stark davon aus, dass sowieso viele Leute ihn anschauen werden, plus Titelsong von 5SOS, plus du als Protagonistin – wenn das also kein Hit wird, weiß ich's auch nicht."
Und da erschien auch schon der Lieblingsmensch des Planeten neben meiner Cousine, einen Schokomuffin mampfend, und präsentierte mir gut gelaunt seine Grübchen.
„Hey love", begrüßte er mich kauend.
„Hi Harry."
„Mach dir keinen Kopf, es ist alles gut. Nick war auch nicht da."
Ach ja, den gab's ja auch noch.
„Theoretisch hatten wir geplant, euch beide dabei zu haben, aber da du nicht da bist, habe ich Nick auch nicht mitgenommen, so hat Netflix nichts gemerkt."
Clever.
Aber ich hatte auch nichts anderes von Mister Styles erwartet.
„Ist Nick schon in LA?"
„Ja."
„Trotzdem bewegst du jetzt bitte deinen Hintern zu JFK." Sam holte mich natürlich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „In der Zwischenzeit lasse ich dir von Ava ein neues Ticket buchen, okay? Sie schickt es dir per Email."
Ava war Sams Personal Assistant und ungefähr der netteste Mensch, dem ich je begegnet war.
„Luke, wann fliegst du nach LA?", erkundigte Harry sich.
„Weiß noch nicht. Vielleicht fliege ich direkt mit Jana mit", überlegte er laut und Harry nickte.
„Mach das."
„Dann bucht Ava dir ein Ticket mit."
„Cool, danke!"
Im Hintergrund konnte ich die helle Stimme von Sams Assistentin hören, als Sam für einen Moment aus dem Bild verschwand.
„Es ist wirklich alles in Ordnung, Jana", sagte Harry nochmals. Ihm war mein sparsamer Gesichtsausdruck nicht entgangen. „Was meinst du, wie viele Termine ich in meinem Leben schon verpasst habe."
„Aber du bist auch Harry Styles", murmelte ich.
Schon war Sams Gesicht wieder erschienen.
„Los, packt eure Sachen, hol deinen Koffer aus dem Hotel oder lass ihn dir zum Flughafen bringen, mir egal, Hauptsache, ihr bewegt euren Hintern an die Westküste."
Samantha Marina Styles, everybody, such a sweetheart.
„Aye, captain", kommentierte Luke grinsend und wir verabschiedeten uns ihnen.
Erst einmal seufzte ich tief, als ich Luke mein Handy abnahm und es auf den Rand des Waschbeckens legte, und schüttelte den Kopf.
„Wieso bin ich immer so dämlich und ziehe die Probleme magisch an", grummelte ich, als Luke die Arme um mich legte und mich in eine tröstende Umarmung zog. „Da schaffe ich es, mich selbst beinahe aus meinem ersten Netflix-Projekt zu kicken."
„Ist ja noch gut gegangen", entgegnete Luke leichthin. „Lernen wir einfach draus, dass wir uns vielleicht nicht mehr so abkapseln sollten, wenn wir nicht frei haben. Deal?"
„Deal", seufzte ich und richtete mich auf, damit ich in seine wunderbaren Augen blicken konnte.
„Was habt ihr in LA zu tun?"
„Studio", gab er kurz angebunden zurück und zuckte mit den Schultern. „Wenn wir nicht auf Tour sind, schreiben wir Songs. Das einfache Leben eines Musikers."
„Total einfach...", murmelte ich, denn Lukes Lippen befanden sich schon wieder an meiner Wange.
Er arbeitete sich vor zu meinem Mundwinkel und küsste mich – niiiicht, aaahhh, sondern hob mich schnell hoch, was mir ein hohes Quietschen entlockte, und trug mich hinüber zum Bett, wo er mich runterließ und sich mit mir eng umschlungen durch die Federn wälzte, bis ich selbst nicht mehr wusste, wo ich aufhörte und wo er anfing.
Halleluja, dieses Gefühl, das durch meine Adern schoss, wollte ich für immer, immer, immer behalten.
Wir lagen nebeneinander und Luke lächelte mich verträumt an.
„Ich liebe dich", flüsterte er, bevor er mich küsste.
Sofort schloss ich die Augen und meine Hand wanderte hinauf zu seiner Wange. Lukes Griff um meine Taille wurde ein wenig fester und er zog mich näher zu sich heran (was überhaupt nicht möglich war und irgendwie doch).
„Luke, wir sollten ...", murmelte ich in seinen Mund, doch als er mein Shirt nach oben schob, hatte ich schon wieder meinen Faden verloren.
Automatisch richtete ich mich ein wenig auf, damit er mir das Shirt über den Kopf ziehen konnte. Sofort fanden sich unsere Lippen wieder und ich wünschte mir schon wieder, ich könnte für immer hier mit ihm bleiben.
„Du bist so schön", hörte ich ihn sagen und ich hätte gern geheult, thank u very much.
Lukes Shirt folgte meinem auf den Fußboden.
Hose.
Nochmal Hose.
Noch nie hatte ich mich so fallen lassen, so wenig nachdenken müssen, wenn ich jemandem so nahe war. Immer hatte ich darauf geachtet, weiterhin das zu tun, was der andere von mir erwartete. Sollte ich mich aufrichten? Auf die andere Seite drehen? Die Hände zu seinem Hinterkopf? Einen Ton von mir geben? Warten, was er tat?
Doch bei Luke musste ich das nicht. Es war, als würden unsere Körper miteinander kommunizieren, ohne dass unsere Köpfe sich einmischen und Befehle geben musste. Wenn er sich ein wenig drehte, folgte ich ihm, und wenn ich mich aufrichtete, wusste er schon, was ich tun wollte.
Noch nie hatte ich mich so verstanden gefühlt.
~
~
~
„Meine Güte, du siehst ihn doch bald wieder, als ob er morgen nicht hier aufschlagen wird, also schau nicht so", seufzte Sam zum vierten Mal in den letzten zehn Minuten und verdrehte die Augen.
Noch nie hatte ich mich so unverstanden gefühlt.
Sie musste gerade reden! Sie hatte ganz am Anfang auch keine fünf Minuten ohne ihren Harold ausgehalten und war jedes Mal zu einer durchdrehenden Furie mutiert!
Seit einer Viertelstunde befand ich mich in Sams und Harrys Haus in LA – yes, Ehepaar Styles besaß auch hier ein Haus, was habt ihr denn gedacht! – und jammerte in einer Tour, dass ich Luke vermisste. Er hatte direkt zum Studio fahren müssen, wo die anderen drei von 5SOS schon auf ihn warteten.
Auch sie hatten logischerweise Verpflichtungen mit ihrem Label, die sie einhalten mussten.
„Halt doch einfach mal den Rand und betrachte den schönen Sonnenuntergang", schlug Sam wie immer in ihrer trockenen Art vor, „ich muss mal eben Ilona anrufen."
„Liebe Grüße", grummelte ich ihr hinterher, als sie hinaus auf die riesige Terrasse ging und die Glasschiebetür hinter sich schloss, und hatte schon wieder Instagram geöffnet, um auf Lukes Profil zu gehen und meinen wunderschönen Freund zu betrachten – wenn ich ihn schon nicht in echt anschmachten konnte.
Meinen Freund.
Dude, I can't wrap my head around it.
Als ob.
Als ob er mein Freund war.
Ich war mir ja immer noch nicht sicher, ob ich das nicht doch alles geträumt hatte.
... Als ich aber nun den Fehler beging und auf seine markierten Bilder ging und daran erinnert wurde, wie perfekt seine letzte Beziehung gewesen war und wie sehr seine Fans seine Exfreundin liebten und deswegen Millioooonen edits erstellten und posteten, war ich mir sicher, dass ich nichts geträumt hatte.
„Wiesooo bist du auch so dumm und schaust dir das alles an, Janaaa...", murmelte ich vor mich hin, doch schließen tat ich die App trotzdem nicht.
Ich starrte sie an. Sie und ihre perfekten Haare, ihre perfekten Augen, ihre perfekten Augenbrauen, ihre perfekten Lippen, ihre perfekte Figur, ihren perfekten Style, meine Fresse, selbst ihre Brüste in diesem Bikini hier vor meiner Nase waren einfach kotzperfekt.
Sierra war so schön, ich hätte weinen können. Und wie nett zu mir gewesen war, als ich sie an der Hochzeit getroffen hatte! Sie hatte mir aus der Patsche geholfen.
Vor dem Spiegel versuchte ich nach dem Händewaschen, mein Kleid wieder zu schließen.
Für einen Moment schloss ich die Augen. Der Reißverschluss hatte sich verhakt. Wieso musste ich beinahe lachen? Wieso war es irgendwie kein Wunder, dass ich hier im Bad stand und mit meinem Kleid kämpfte, während der Rest der Menschheit den Spaß seines Lebens hatte und zu 5 Seconds of Summer tanzte?
Ich hätte das Kleid auch einfach hochschieben können, aber nein, ich hatte ja den Reißverschluss aufmachen müssen, ich hirnamputierte Amsel!
„Fuck!!!", rief ich in voller Lautstärke meinem Spiegelbild entgegen und starrte es finster an.
Auf einmal klopfte es an der Tür.
„Ist alles in Ordnung bei dir?"
Super, das fehlte mir gerade noch, dass mich jemand in diesem Dilemma fand.
„Ja, sorry", rief ich zurück. „Oder eigentlich nein."
„Kann ich dir helfen?", fragte die Frauenstimme.
Was blieb mir schon Anderes übrig?
Ich hielt mein Kleid fest, ging zur Tür hinüber und entriegelte sie. Sie ging auf und eine besorgte Frau stand vor mir. Sie hatte lange dunkle – richtig dunkle – Haare, trug ein dunkelblaues Cocktailkleid und sagte gerade: „Hi. Was ist denn los?"
Für einen Moment war ich nicht in der Lage, ihr zu antworten, denn ich starrte sie an, dann fing ich mich Gott sei Dank rasch.
„Hey. Ach, der Reißverschluss muss sich verhakt haben." Ich drehte mich um, um ihr das Dilemma zu zeigen.
„Ach Mist." Sie untersuchte mein Kleid und sagte: „Ich muss wahrscheinlich ein wenig daran ziehen, ich hoffe, ich mache nichts kaputt."
„Zieh ruhig", meinte ich schulterzuckend, „wenn es kaputt geht, habe ich wenigstens eine Ausrede, wieso ich Jeans und T-Shirt anziehen kann."
Ich hörte sie lachen und dann zog sie an dem Reißverschluss, der sich wohl löste, denn ein paar Sekunden später war das Kleid wieder geschlossen.
In der Zwischenzeit grübelte ich und suchte in meinen grauen Zellen nach der Antwort auf die Frage: Wer zur Hölle war sie?!
Ich kannte sie! Das wusste ich! Das Gesicht hatte ich schon mal gesehen – allerdings konnte ich sie nicht einordnen. Absolut nicht. Und das fuchste mich.
„Danke! Du bist meine Rettung", sagte ich und strich mein Kleid glatt.
„Kein Thema. Aber weißt du eigentlich, dass da ein Kind in der Badewanne sitzt und uns anschaut?"
„Ja, das ist mein ...Neffe" (nicht ganz, aber wen interessierte das schon – grad war er eher mein Sohn als Caros) „Rafael."
Ich hob den Kleinen heraus und setzte ihn auf meinem Hüftknochen ab, während die Augen der Frau groß wurden, als sie feststellte, wie zuckersüß Rafi war.
„Sierra? Bist du hier?"
Eine Sekunde später stand niemand Anderes als Luke im Türrahmen des Badezimmers.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich!
Das war Sierra Deaton.
Und anscheinend gab es kein Alex & Sierra mehr.
Jetzt war es Luke & Sierra, denn sie war wohl seine Freundin. Oder wieso küsste man sonst eine Frau?
Ich fand, ich sollte einen Preis dafür bekommen, dass mein Körper es hinbekam, Rafael nicht fallen zu lassen und meine Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen.
Als ob Luke lieber mich haben würde als Sierra Deaton.
„Was genau mache ich eigentlich... Wieso begehe ich diesen Fehler...", flüsterte ich und lachte im nächsten Moment einmal laut auf.
Ich schleuderte das Handy auf den Tisch und fuhr mir mit den Händen durch die Haare.
„Als ob ich ihr das Wasser reichen kann. Nach ein paar Wochen wird er feststellen, wie viele Macken ich habe und dann ciaokakao", sagte ich laut.
Ich war so doof.
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