#62 - brain out of order

„Also ist das der erste Song über mich, den ich zu hören kriege?"

Luke verdrehte die Augen, konnte ein Grinsen aber trotzdem nicht unterdrücken. Er strich mir eine Haarsträhne von der Wange und ich hatte meine Frage schon wieder vergessen. Als er mit seiner Nase meinen Kieferknochen entlangfuhr, wusste ich nicht einmal mehr, wie ich hieß. Brain out of order due to butterflies.

„Das kann man noch nicht einmal einen Song nennen", murmelte er, rückte ein Stück von mir ab und seufzte. „Bis das ein Song ist, wird es noch Wochen dauern."

„Echt?", fragte ich interessiert nach, als ich mein Spatzenhirn wieder in Betrieb gesetzt hatte.

„Ja. Ich muss erst ins Studio, muss den Song richtig einspielen, einsingen, produzieren... Langer Prozess."

Lächelnd zuckte Luke mit den Schultern. Er griff wieder nach der Gitarre und spielte die Akkorde nochmals.

You've got ...", murmelte er und schloss die Augen, während er den Kopf gegen die Wand hinter sich lehnte. „You've got a million reasons to walk away ... Ne. ... to hesitate."

Auf einmal öffnete er die Augen wieder und sah mich an. Dieses Stahlblau bringt mich uuum, Leute! Sabberalarm!

But darling, the future's better than yesterday."

"Na hoffentlich", murmelte ich und rollte mich auf den Rücken.

Wieder vibrierte mein Handy auf meinem Nachttisch. Die letzten Stunden hatte ich es geflissentlich ignoriert. Auf Wolke 7 gab es keinen Handyempfang, hatte ich entschieden. Wer auch immer es war, die Person konnte warten.

Bestimmt war es eh Sam.

„Möchtest du nicht mal rangehen?", schlug Luke vor. „Vielleicht lässt sie dich dann in Ruhe."

Selbst ihm war klar, dass das nur meine Cousine sein konnte.

„Los, geh ran!", trieb er mich grinsend an und ich verdrehte die Augen, als ich nachgab und nach diesem dämlichen Gerät griff.

Und dann saß ich senkrecht.

Es war schon wieder Pierre, und oh boy, ich hatte wirklich kein gutes Gefühl dabei.

Bring's hinter dich, Jana, er lässt dich eh nicht in Ruhe. Hilft nichts.

Also stand ich vom Bett auf, nachdem ich Luke nochmal einen Kuss gegeben hatte – der zu lange gedauert hatte. Pierre hatte schon wieder aufgelegt.

Leise schloss ich die Badtür hinter mir und atmete tief durch. Also war ich endlich mal zur Abwechslung ein erwachsener Mensch und rief meinen Exfreund zurück, allerdings leuchtete zuvor mein Display auf und sagte mir, dass meine schon mehrfach erwähnte Cousine mir knapp 50 Nachrichten geschrieben hatte.

Ihre letzte Nachricht lautete: ‚Entweder du rufst mich an oder ich komme vorbei und schleife dich aus den Haaren aus diesem Hotel.'

Ups, ja. Ich hätte mich doch mal bei ihr melden können, da hatte sie sogar recht. Ich scrollte ein Stück weiter und erfuhr, dass Pierre auch bei ihr angerufen hatte, er ihr aber nicht gesagt hatte, was er wollte.

Also rief ich ihn an.

Nach einmal Klingeln ging er schon ran. Ich hatte also nicht mal Zeit, den Anruf frühzeitig abzubrechen, denn schon erklang seine Stimme: „Jana! Schatz!"

Oh.

Mein.

Gott.

Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

Zehn Euro, dass er mich zurückhaben wollte, weil er mich ja sooo liebte und er den größten Fehler seines Lebens gemacht hatte.

„Hi Pierre. Was gibt's?", begrüßte ich ihn möglichst neutral – okay, streicht das, ich klang superunfreundlich und das ja wohl auch zu Recht! Er hatte an der Hochzeit meiner Cousine in meinem Zimmer mit einer anderen geschlafen und ich hatte es auch noch sehen müssen!

„Hi. Hallo. Hey."

Meine Güte, war er nervös. Beinahe hätte ich angefangen zu lachen, aber das wäre selbst für mich ein wenig fies gewesen.

„Wie geht's dir? Wo bist du?"

„Mir geht es gut, ich bin in New York", beantwortete ich tonlos seine Fragen.

„Okay. Cool. Cool, cool. Aha."

Oh mein Gott, hatte er das früher schon gemacht!? Er war so komisch, dass es mich richtig nervte.

„Wieso rufst du mich an?", kam ich endlich zum Thema.

„Jana, ich liebe dich."

BINGO, zehn Euro für mich, ding ding ding!

„Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist, ich weiß gar nicht, was ich ohne dich machen soll, ich–"

„Okay, stopp", fuhr ich mit harter Stimme dazwischen. „Pierre, hör auf. Egal, was du–"

„Ich kann ohne dich nicht! Kannst du zurück nach Berlin kommen? Ich–"

„Du hast mich–"

„Ich liebe dich, Jana, ich weiß–"

„Du spinnst doch, wie–"

„Ich weiß gar nicht, wieso–"

„PIERRE, HALT DIE FRESSE!", brüllte ich in mein Handy und hätte es am liebsten mit voller Wucht gegen die Wand geschmissen.

Ich konnte kaum noch atmen.

Ich sah schon Sternchen, ich sah rot, ich wollte schreien.

So wütend hatte ich mich in meinem Leben noch nie gefühlt.

„Du bist wirklich so dreist und willst wieder mit mir zusammen sein?!", zischte ich durch zusammengebissene Zähne.

Jetzt war er still.

„Du betrügst mich, schläfst mit einer anderen – und jetzt bist du so respektlos und scheiße, dass du wieder zu mir zurückkommst?! Wie widerlich bist du eigentlich!?"

Mir war gerade so egal, dass ich ihn verletzte. Dass er sich wahrscheinlich bis zu seinem letzten Atemzug an dieses Telefonat erinnern würde.

„Du bist das Allerletzte. Verpiss dich einfach, ich will nie wieder was mit dir zu tun haben. Kontaktier mich nie wieder oder irgendwen aus meiner Familie oder von meinen Freunden. Ich hasse dich."

„Darf ich mich wenigstens noch erklären?"

„NEIN! Meine Fresse, NEIN!"

Ich riss mir das Handy vom Ohr und legte auf. Was wollte er noch erklären?! Was gab es da zu erklären?

Ich bin mir ihr in die Kiste gesprungen, weil ich dich liebe, Jana. Laut schnaubte ich, dann ließ ich mich auf dem Klodeckel nieder und stierte finster durch das Badezimmer.

Wieder vibrierte mein Handy. Stöhnend sah ich aufs Display.

Sam.

„Hi", meldete ich mich, als ich den FaceTime-Anruf angenommen hatte.

Sams Gesichtsausdruck spiegelt meinen ziemlich gut wider. Sie sah genauso angepisst aus wie ich.

Sie sprach keinen Ton, sondern starrte mich nur aus ihren katzengrünen Augen an. Nicht einmal erwartungsvoll oder neugierig oder sauer oder gespannt oder besorgt. Es war keinerlei Emotion zu sehen.

„Er will mich zurückhaben."

Jetzt schnaubte sie laut.

„Ich habe ihn nicht einmal ausreden lassen", erklärte ich ihr und strich mir mit der Hand über die Stirn, als könnte ich so die Erinnerung an dieses Gespräch mit Pierre beseitigen. „Er wollte sich echt erklären, wieso er mit ihr geschlafen hat. Der spinnt doch. – Kannst du eigentlich auch sprechen?"

„Du hast deinen Flug verpasst", sagte Sam.

„Hä? Ich? Luke wäre heute eigentlich geflogen", entgegnete ich verwirrt.

„Du auch. Aber da du nie an dein Handy gehst und auch nicht einmal Nachrichten oder Emails liest, hast du deinen Flug verpasst, obwohl du schon Termine in LA hättest."

Mein Herz sank hinunter bis zu meiner Blase.

„Ach du Scheiße", rutschte mir heraus. „Fuck! Kriege ich jetzt Probleme?"

Sam schwieg.

„Haben sie mich gekickt? Bestimmt haben sie mich gekickt, oder?"

Und schon heulte ich los. Tränen liefen über meine Wangen und ich war zu schwach, mein Handy noch festzuhalten. Also legte ich es auf dem Rand des Waschbeckens ab, sodass Sam die Decke betrachten konnte und nicht mehr mein verheultes Gesicht.

Hören konnte sie mich deswegen natürlich trotzdem noch, da ich lautstark schluchzte.

„Wir sind schon in LA."

Ergeben schloss ich die Augen und presste mir eine Hand auf den Mund.

„Jana? Alles okay?", klang von außen durch die Badtür.

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