#6 - Heartbreak Girl
Der Flug war grauenhaft.
Also bestimmt war er eigentlich ein ganz normaler, regulärer Flug – aber für mich war er der schrecklichste Flug, den ich je erlebt hatte.
Gestern Abend hatte ich noch gedacht, dass ich meine Unsicherheit einigermaßen im Griff hatte.
Tja, da hatte ich auch noch keine Panikattacke auf der Flugzeugtoilette gehabt.
Ich konnte nicht mehr atmen, ich hatte das Gefühl, die Wände und die Tür kamen immer näher und würden mich hier drin einsperren und im Endeffekt ersticken.
Ich wollte hier raus. Ich. Musste. Atmen.
Mein Blickfeld wurde am Rand schon schwarz und flimmerte leicht. Mein ganzer Rücken war nass.
Atmen.
Ich schnappte nach Luft, doch nichts erreichte meine Lungen.
Komm schon, Jana, komm schon!
Atmen!
Und dann tat ich das, was mein Bruder mir immer gesagt hatte.
„Wenn du allein bist und das passiert, dann musst du summen, Jana. Lenk dich ab. So dämlich dir das vorkommt, aber tu es. Erinnere dich immer daran, dass ich das gesagt habe!"
Und seit Manu das zu mir gesagt hatte, war Summen wirklich meine Rettung.
Ich versuchte, meine Stimmbänder zu animieren, doch erst ging das nicht. Mit gerunzelter Stirn konzentrierte ich mich nur darauf, dass ich einen verdammten blöden Ton von mir gab. Jetzt konnte ich eh schon nicht singen, da sollte ich doch wenigstens kurz summen!
Und dann summte ich drauf los.
Das erste Lied, das mir einfiel.
Ich summte und summte und summte und konnte endlich wieder atmen. Die Wände wichen zurück und ich konnte wieder aufrecht stehen (obwohl sich die Decke ja niemals bewegt hatte. Scheiß Panik.).
Da checkte ich erst, welchen Song ich summte.
Ich schnappte nach Luft. Oh man!
„That I can take away you hurt, heartbreak girl, hold you tight straight through the day light,
I'm right here, when you gonna realize that I'm your cure, heartbreak girl? – Im Ernst, Hirn? Jetzt ziehst du die 2013-5SOS-Songs aus den Tiefen meiner Gehirnwindungen?", knurrte ich angepisst und schloss mit einem Ruck die Tür auf.
Dass ich gerade den Namen der Band laut ausgesprochen hatte, versuchte ich geflissentlich zu ignorieren.
Wieder auf meinem Platz angekommen (Gott sei Dank hatte ich einen Gangplatz, ich hasste Fensterplätze), war die Ablenkung durch diesen sechs Jahre alten Song leider verflogen und meine düsteren Gedanken suchten mich wieder heim. Gegen sie war ich machtlos.
War ich einfach lediglich zu schlecht, als dass ich eine richtige Schauspielerin werden konnte?
Hatte ich einfach zu wenig Talent?
War ich zu eindimensional?
Woran lag es, dass ich nur einmal eine große Rolle bekommen hatte und seitdem nicht mehr?
Das liegt daran, dass du nie zu richtigen Auditions gehst..., flüsterte diese blöde kleine Stimme wieder in meinem Kopf.
Ich schob sie unwirsch beiseite. Ich konnte jetzt nicht gebrauchen, dass ich mich selbst auch noch niedermachte. Das schaffte das Universum auch bestens ohne meine Hilfe.
Den Rest des Flugs versuchte ich ein wenig zu schlafen. Klappte nicht wirklich, aber naja. Meine Hände zitterten immer noch ein wenig.
Als wir ins Stockholm ankamen, war ich froh, dass ich nur zwei Stunden Aufenthalt hatte. Insgeheim war ich übrigens auch sehr froh, dass ich nicht über London, sondern Stockholm flog, denn dann wäre ich sicher einfach aus dem Flughafen spaziert und zu Sam gefahren.
Oh, ging gar nicht, weil dann hätte ich mein Gepäck nicht gekriegt, das wäre dann ohne mich weiter nach Berlin geflogen.
Naja, war schon gut so, dass ich gerade in den Flieger nach Berlin stieg.
So viele Dinge in meinem Leben waren von der Bahn abgekommen. (Ich sträubte mich dagegen, zu denken, dass schlichtweg ... ich von der Bahn abgekommen war. Im mich selbst Anlügen war ich schon immer gnadenlos gut gewesen...)
Ich musste irgendwie auch mal an meiner Beziehung arbeiten, sonst würde die demnächst auch den Bach runter gehen oder sogar das Zeitliche segnen. Und davor hatte ich unfassbar Schiss.
Pierre und ich hatten uns zwei Monate lang nicht gesehen. Diese Tatsache war eigentlich nicht das Problem. Auch dass ich ihn anfangs total vermisst hatte, war auch nicht das Problem. Das Problem war, dass dies nach und nach nachgelassen hatte und ich ihn im Endeffekt nicht mehr wirklich vermisst hatte, wie man seinen Freund eigentlich vermissen sollte. Ich wusste selbst nicht, woran es lag. Ob ich einfach in einer ganz anderen Welt gelebt hatte als alle anderen, oder ob LA mich von innen aufgefressen hatte – keine Ahnung.
Und deswegen fühlte ich mich absolut schlecht. Dass ich ihn nicht wirklich mehr vermisst hatte. Wie oft er mich gefragt hatte, ob wir facetimen können, und ich jedes Mal verneint hatte, weil ich entweder auf dem Weg ins Bett gewesen war oder schlichtweg keinen Nerv mehr für ein Telefonat gehabt hatte.
Mein Gewissen fraß mich von innen auf, das konnte ich euch sagen!
Dankend nahm ich die kleine Schokolade an, die die Stewardess mir hinhielt, als ich das Flugzeug in Berlin verließ. Ich sah in dem Schlauch zwischen Flugzeug und Flughafengebäude durch die Glasscheiben und spähte durch die Dunkelheit. Gott, ich war wirklich fix und fertig. Wie viel Uhr war es eigentlich? Ich wusste nicht einmal, was meine innere Uhr sagte. Tickte sie überhaupt noch?
„Nee, bei der ist der Akku alle...", murmelte ich und schob mich an einem Kinderwagen vorbei. Vor dem Gepäckband setzte ich mich kurzerhand auf den Boden. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr stehen.
Als ich meinen Koffer hatte, trottete ich Richtung Ausgang. Ich hatte Pierre zwar geschrieben, wann ich landete, doch ich rechnete nicht damit, dass er mich abholen würde.
Überrascht entdeckte ich ihn dann aber doch zwischen den paar Wartenden, die vor dem Ausgang standen. Mein Herz machte einen müden Hüpfer, als ein Lächeln auf seinem Gesicht erschien, als er mich ebenfalls erblickte.
„Hey", begrüßte er mich lächelnd und drückte mich fest an sich.
„Hi", antwortete ich leise und sein vertrauter Geruch stieg mir in die Nase. Ja, so roch Zuhause für mich. Schlichtweg, weil wir zusammenwohnten und es deswegen in meinem Zuhause auch nach ihm roch.
Er drückte mir erst einen Kuss auf die Stirn und dann lächelte er mich nochmal an. „Ich freue mich so, dass du hier bist."
Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich sanft. Als seine Lippen auf meine trafen, fühlte es sich einfach so natürlich an. So wie immer. So wie die letzten zweieinhalb Jahre.
„Wie geht's dir? Wie war der Flug?", fragte er mich und nahm mir den Koffer ab.
Er strich mit der Hand durch seine dunklen Haare und griff mit der anderen nach meiner Hand. Unsere Finger verschränkten sich miteinander und wir gingen Richtung Ausgang.
„Anstrengend ...", gab ich zurück und zuckte mit den Schultern.
Ich hoffte einfach, dass er mich heute nicht mehr ausfragen würde. Oder dass wir uns in die Haare kriegen würden. Das konnten meine Nerven wirklich nicht mehr abhaben.
„Wieso? Einfach normal anstrengend oder ist etwas passiert?"
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