#55 - Eine wahre Ferroni.

Jetzt reichte es Sam.

„Es dir zu sagen? Es dir zu sagen?", echote sie mit schneidender Stimme.

Ich klappte den Mund zu, als hätte mir jemand den Stecker gezogen.

Sam war ganz ruhig, und genau das war so beängstigend. Ich war es gewohnt, wenn sie laut wurde, ihr Temperament wie flüssiges Gold durch ihre Adern wallte – aber ich war es nicht gewohnt, dass sie mit scharfer, kontrollierter Stimme sprach und sich dabei nicht bewegte. Nicht einmal blinzelte.

„Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, Jana, aber das Universum dreht sich nicht um dich."

Ich starrte meine Cousine an und fühlte mich einfach ...taub. Ich verspürte keine einzige Emotion, während ich in ihre katzengrünen Augen sah, die einen harten Ausdruck angenommen hatten.

„Du bist erwachsen."

„Ich weiß", gab ich tonlos zurück.

„Dann benimm dich auch so", knallte Sam mir entgegen.

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Also tat ich das, was ich am besten konnte: Schweigen und weinen.

Eine einsame Träne lief mir die Wange herab. Ich schniefte.

Im Augenwinkel sah ich, wie Harry die Stirn runzelte und das Mitleid auf seinem Gesicht abzulesen war.

Sam war das genaue Gegenteil von ihm. Ihre steinerne Miene rührte sich keinen Millimeter. Im Gegenteil. Sie wirkte beinahe noch genervter, als ich angefangen hatte, zu heulen.

„Also wusstet ihr es wirklich?", fragte ich flüsternd und meine Stimme versagte am Ende meiner Frage.

Keiner antwortete. Harry wollte sich sicher nicht einmischen, weil er genau spürte, dass das eine Sache zwischen Sam und mir war. Und Sam? Sam schwieg. Sie sagte einfach überhaupt nichts. Und das verletzte mich umso mehr.

„Jetzt sag was!", bettelte ich sie schluchzend an. „Sag mir, wie dumm und kindisch ich bin, schrei mich an, lach mich aus – aber bitte, sag einfach irgendwas!"

Stille.

Dann stieß Sam die Luft aus.

„Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Jana."

„Das glaube ich dir nicht", schnitt ich ihr grimmig das Wort ab. „Du hast immer was zu sagen, weil du intelligent bist und alles observierst und die beste objektive Meinung hast."

„Meine Meinung ist hier alles andere als objektiv", korrigierte sie mich, weiterhin ohne die Miene zu verziehen.

„Erzähl doch mal. Was ist in New York passiert."

Sam ließ die Frage nicht wie eine Frage klingen.

„Wir haben miteinander geschlafen."

„Und dann?"

„Dann war alles komisch." Ich kapierte nicht, worauf sie hinauswollte, aber ich war einfach nur heilfroh, dass sie mit mir sprach, also erzähle ich ihr alles freiwillig.

„Warum?"

„Weil wir nicht drüber gesprochen haben."

„Weil ihr nicht drüber gesprochen habt oder weil du ein Gespräch abgeblockt hast?", hakte Sam wieder in diesem schneidenden Tonfall nach.

Für einen Augenblick blieb mir die Stimme weg.

„Weil ... hm." Wie erklärte ich das am besten? Ohne dass ich total dumm rüberkam? Ohne ihr rechtzugeben?

„Ich habe recht", schlussfolgerte Sam aus meiner abgebrochenen Erklärung. Sie zog die Mundwinkel nach unten und mein Magen sackte hinab. So enttäuscht hatte ich sie noch nie gesehen.

„Oder etwa nicht?"

„Weiß nicht so genau", jammerte ich und ließ mich an Ort und Stelle auf den Boden sinken. Das Glas, das ich ja immer noch festhielt, stellte ich neben mich auf den Boden. Mein Handy ließ ich nicht los.

Ich zog die Beine an die Brust und schlang die Arme um meine Schienbeine. Dann wippte ich leicht vorwärts und rückwärts, als wollte ich mir selbst ein wenig Trost spenden.

„Was genau ist im Club passiert?", führte Sam ihr Verhör weiter.

Ich blickte verwirrt zu ihr auf. Mein ausgedörrtes Hirn war nicht mehr so schnell.

„Was ist passiert, das dich dazu gebracht hat, dich auf der Toilette zu verstecken?", half sie mir auf die Sprünge.

Sie klang weder genervt oder ungeduldig noch verständnisvoll. So emotionslos hatte ich Sam irgendwie noch nie so wirklich gesehen.

Ich presste die Lippen aufeinander. Ich konnte es nicht noch einmal aussprechen.

„Du hast mit Luke geredet. Oder?"

Doch Sam ließ nicht locker. Sie würde mich wahrscheinlich niemals die Küche verlassen lassen, bevor ich ihr nicht alles erzählt hatte.

Also Augen zu, Arschbacken zusammenkneifen und durch.

„Ich habe mich bei ihm entschuldigt."


„Sorry wegen allem", stammelte ich und starrte auf meine Hand, deren Knöchel schon weiß hervortraten, weil ich mich so sehr festhielt.

„Wie bitte?"

Luke machte Anstalten, wieder einen Schritt näher zu kommen, doch ich wich noch weiter zurück.

„Es tut mir leid!", rief ich – lauter als ich gedacht hätte, dass ich imstande war.

Luke blieb stumm.


„Und dann habe ich ihm gesagt, dass alles mein Fehler war, damals und heute und alles und dass wir einander nicht mehr sehen sollten, weil wir nicht gut füreinander sind."

Aua. Aua aua aua mein Herz. Mir wurde schon wieder schlecht. Gleich würde ich auf den Küchenboden kotzen.

„Noch was?"


„Und jemanden zu betrügen, ist außerdem echt beschissen."


„Nein", log ich aalglatt.

Ein Blick nach oben sagte mir, dass Sam mir kein Stück glaubte. Ich sah gerade noch, wie sie die Augen verdrehte und den Mund verzog.

Dann seufzte sie.

„Und in New York?"

„Was soll in New York gewesen sein?", fragte ich jammernd.

„Bist du da nicht auf die Idee gekommen, ihm zu sagen: Hey Luke, du hast doch eine Freundin, vielleicht sollten wir nicht übereinander herfallen ­– nein?"

„Sam", kam leise von Harry, doch sie ignorierte ihn.

Stattdessen starrte sie mich an, eine ihrer Augenbrauen war nach oben gewandert.


Ich spürte seine Lippen auf meinen, seinen Atem auf meinen Wangen, seine Hand in meinen Haaren.

Dann zuckte ich wieder zurück.

„Aber Sierra..."

Es war nur ein Hauchen, was ich hervorbrachte zwischen zwei Küssen.

Er antwortete nicht.

Also riss ich den Kopf zurück und sah ihn an.

Doch er rückte nach und küsste mich wieder. Fordernd. Verhungernd. Verzweifelt.


„Ich habe ihn nach Sierra gefragt!", verteidigte ich mich laut.

„Und was hat er dir geantwortet." Wieder eine Frage, die nicht wie eine Frage klang.


„Luke."

Auf einmal hielt ich sein Gesicht zwischen den Händen und starrte in seine mitternachtsblauen Augen (also in dieser Dunkelheit).

„Sierra."

„Denk nicht an Sierra", war alles, was er zurückgab.


„Das hat er gesagt?", hakte Sam nach und endlich zeigte sich eine Emotion – Erstaunen.

„Und du hast ihm das einfach so geglaubt?"

... und dieses Erstaunen galt nicht Luke, sondern meiner Naivität.

„Nein", grummelte ich, doch dann fiel mir ein, wie das Gespräch weitergegangen war. Ich vergrub das Gesicht in den Armen und gab ein paar klagende, undefinierbare Laute von mir.

Was, Jana?"

„Er hat dann angefangen, was zu sagen...", sagte ich, gedämpft von meinen Armen, und meine Stimme verlor sich, als ich nicht weitersprach.

„Und du hast ihn unterbrochen", stöhnte Sam. „Was genau hat er gesagt?"

Aber ich bin, und dann aber ich wollte dir sagen", wiederholte ich so leise, dass ich mir sicher war, dass die beiden es nicht hören konnten. Hoffte ich zumindest.

„Oh mein Gott, JANA!"

„Eine wahre Ferroni", kommentierte Harry von der Seite.

„Schnauze", grummelte Sam, dann schüttelte sie den Kopf und schob hinterher: „Okay, das nehme ich zurück, schließlich hast du absolut recht, baby. Typisch Ferroni. Wieso hast du ihn nicht einfach ausreden lassen, du Ultrapfosten?!"

„Du hast Harry doch damals auch nie ausreden lassen und es gab tausend Missverständnisse zwischen euch!", klagte ich – in dem absoluten Wissen, dass es sowas von dämlich war, davon jetzt wie ein trotziges Kind anzufangen.

„Ich war damals jung und dumm und gerade für gefühlt zwei Minuten aus der Schule draußen und hatte keine Ahnung vom Leben oder von Beziehungen!", rief Sam aufgebracht und warf die Hände in die Luft. „DU hingegen bist um einiges älter und warst in einer langjährigen Beziehung und du hast am anderen Ende der Welt gewohnt, zuvor hast du am anderen Ende des Landes gewohnt, du bist erwachsen, Jana!"

Ich saß da nun also auf dem Fußboden und starrte meine Cousine mit glasigem Blick an. Für eine gute halbe Minute sagte überhaupt niemand etwas.

Tausende Gedanken jagten sich gegenseitig durch meinen Kopf. Sie waren so schnell, dass ich nach keinem einzigen greifen konnte. Alles flimmerte und leuchtete und alles, was ihr hörte, war ein hohes Fiepen.

„Also sind sie nicht mehr zusammen?", flüsterte ich und starrte hinunter auf meine Finger. Meine Beine befanden sich nun im Schneidersitz und ich saß so gekrümmt da, dass mein Kinn beinahe auf meiner Brust lag.

„Nein."

Harry war derjenige, der diese Antwort gab.

„Sie haben sich in der Woche nach unserer Hochzeit getrennt."

Mein Herz sackte hinab.

„Also war er Single", schlussfolgerte ich waaahnsinnig intelligent.

„Yes."

„Die ganze Zeit."

„Yes."

„Und er wollte es mir sagen. In New York."

„Yes."

„Und ich habe ihn nicht ausreden lassen."

„Yes."

„Wieso hat er dann nicht deutlicher versucht, mir das mitzuteilen?!", fragte ich verwirrt.

„Kein Plan", meinte Sam schulterzuckend. „Wenn du eh schon halbnackt auf ihm saßt, hat sein Hirn wahrscheinlich nicht mehr so viel auf Konversation gegeben."

„Guter Punkt."

Fuck.

Fuck fuck fuck.

„Okay. Ich muss zu ihm. Jetzt sofort", erklärte ich den beiden mit einer roboterartigen Stimme.

Ich musste einfach.

Mir war egal, was die beiden dachten. Ich musste zu ihm.

„Wenn es auch nur die kleinste Möglichkeit gibt, dass ich ihm mein dummes Verhalten erklären kann, dann muss ich das jetzt sofort tun."

Und dann kehrte endlich das Leben in mich zurück und ich sprang schwer atmend auf.

„Wieso habt ihr euch eigentlich nicht eingemischt?", fragte ich, während ich mein Glas vom Boden aufklaubte und auf den Küchentisch stellte.

„Muss ich dir die Rede über das Erwachsensein noch einmal halten?", erkundigte Sam sich zynisch, doch da war ich schon aus dem Raum gefegt.

Luuukeeeeee, I'm cooomiiiiiing!!!!

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