#53 - Schwarzes Loch
„Ich will mir die Haare braun färben."
„Was?"
Sam drehte sich zu mir um und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich hüpfte ein paar Schritte und war dann neben ihr.
„Ich will mir die Haare braun färben!", wiederholte ich und grinste Sam breit an.
„Wieso das denn?", fragte sie und sah mich verwirrt an. Klar, sie wusste, wie gern ich eigentlich meine Haarfarbe mochte.
„Weil Luke mehr auf Brünetten steht!"
„Seine Exfreundin war doch blond?", entgegnete Sam.
Da fiel mir im ersten Moment prompt nichts drauf ein.
„Ich will sie trotzdem braun färben!", meinte ich nachdrücklich.
Mit gerunzelter Stirn drehte ich mich zu Luke und sah ihn für einen Moment an. Ich schob nachdenklich die Unterlippe vor und überlegte. Dass ich ihn noch nicht einmal begrüßt hatte, vergaß ich komplett.
Sein Blick wanderte unsicher ein wenig nach rechts, dann nach links und dann wieder zu mir.
„Sag mal", fing ich an und stützte das Kinn in die Hand, während ich ihn aufmerksam – so aufmerksam mein Pegel es eben zuließ – ansah, „stehst du eigentlich mehr auf braune oder auf blonde Haare?"
„Was?", entgegnete Luke perplex.
Sein Mund blieb ein wenig offen stehen und beinahe hätte ich angefangen zu kichern, weil er so unglaublich verwirrt aussah.
„Naja, ich bin blond, Sierra hat aber dunkle Haare." Ich runzelte die Stirn und versuchte nachzudenken, doch der Matsch in meiner Birne tanzte Macarena. „Verdammt, ich kann mich grad nicht mehr erinnern, mit wem du sonst noch so zusammen warst in den letzten Jahren... Dabei habe ich es mal gelesen... Wie hießen die denn nochmal..."
„Du hast dir durchgelesen, mit wem ich zusammen war?", fragte er berechtigterweise und ich sah, wie seine Augenbrauen einen Zentimeter nach oben wanderten. Er war sich wohl nicht so sicher, ob er eher schockiert oder belustigt sein sollte.
„Klar, was denkst du denn", schnaubte ich und ärgerte mich im nächsten Moment über meine Ehrlichkeit. Mist.
Okay, jetzt war es eh schon zu spät.
Gerade wollte ich Luft holen, um ihm mit tiefendem Sarkasmus zu sagen, dass es wohl zu viele gewesen waren, als dass ich es mir hätte merken können, da entgegnete Luke auf einmal: „Das ist unfair. Mein Liebesleben steht im Internet und ich weiß rein gar nichts über deine vergangenen Beziehungen."
„Ist auch gut so", war alles, was ich erwiderte.
„Nein."
Fragend zog ich die Augenbrauen hoch.
Ich musste zugeben – ich hatte echt Spaß. Ich mochte diese lockere, spielerische Konversation, die wir führten. Es musste ja nicht immer alles so ernst und schmerzhaft sein.
Tja, aber indem wir mit diesem Thema anfingen, kamen wir doch wieder in die Gefilde der ernsten und schmerzhaften Gesprächsstoffe.
„Komm schon, erzähl mir was. Egal ob spannend oder langweilig."
„Ne."
„Bitte", lachte Luke und lächelte mich breit an. Gott, das war so entwaffnend, ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, wieso ich nein gesagt hatte.
„War's so schlimm, dass du nicht drüber reden willst?", hakte er auf einmal erschrocken nach und ich wusste, dass er sich gleich entschuldigen würde, also schüttelte ich schnell den Kopf.
Huuuii, das war jetzt nicht die beste Idee, die ich hätte haben können. Ich hielt mich schnell mit der Hand am Tresen fest, sonst wäre ich umgefallen wie ein nasser Sack. Oder eher wie ein betrunkener Seemann bei Seegang.
„Nö, schlimm war's nicht."
„Nicht wie bei mir – eine meiner Exfreundinnen ist inzwischen verheiratet und hat ein Kind. Also."
Er zuckte mit den Schultern und grinste.
„Echt? Krass", mehr fiel mir dazu nicht ein. Seine Exfreundinnen interessierten mich ehrlich gesagt nicht die leiseste Bohne. Und auch nicht die lauteste.
„Sag mal, wollen wir irgendwo hingehen, wo wir uns nicht so anschreien müssen?", schlug Luke vor, doch ich schüttelte vehement – aber nur leicht, damit ich nicht wieder fast umkippte – den Kopf.
Nein nein nein, wenn ich mit ihm irgendwo anders hinging, dann würde ich ihm noch mehr verfallen und das war nicht gut und hier war Sam und Harry und Liam und Calum und die würden mich schon aufhalten, wenn ich was Dummes tun wollte, und das war gut so und das musste so sein und warum sah er eigentlich so gut aus und –
„Jana?"
„Hm?"
Ich sah zu Luke auf und spürte, wie ich leicht rot anlief.
„Ich habe gesagt, dass du umwerfend heute aussiehst", rief Luke über die Musik hinweg.
Es war so komisch. Ein so schönes Kompliment so entgegen geschmettert zu bekommen. In einer so unromantischen, unsensiblen Atmosphäre.
Ich brauchte einen Moment, bis ich überhaupt reagieren konnte.
Und was tat ich?
Ich knickste einmal, als wäre ich eine Schauspielerin auf einer Bühne, legte den Kopf schräg und klimperte mit den Wimpern.
Himmeeeel, tu die Erde aaauf und verschluck miiiiich!
Dieser Alkohol war wirklich mein Ende.
Doch Luke lächelte einfach nur, als er meine Reaktion sah.
„Du hast mir immer noch nicht meine Frage beantwortet", fiel mir jetzt wieder ein und ich schwenkte meinen ausgestreckten Zeigefinger vor seiner Nase herum.
„Welche der vielen?"
„Brünett oder blond", erinnerte ich ihn und verschränkte kokett die Arme vor der Brust.
„Vollkommen egal", gab er zurück.
Ich verdrehte die Augen. Gott, wie ich diese Antwort hasste.
„Mir kommt es nicht auf die Haarfarbe an", ließ er dann verlauten. Er rückte ein Stück näher zu mir, damit er seine Erklärung nicht ganz so sehr schreien musste.
Er war mir nah.
Viel zu nah.
Viel, viel, viel zu nah.
Ich konnte ihn riechen, ich konnte die Hitze seines Körpers meinem entgegenwabern spüren.
Ich konnte beinahe den Geschmack seiner Lippen auf meinen schmecken.
Oh oh oh, no no no!
„Die Haarfarbe ist vollkommen irrelevant, es kommt auf den Menschen drauf an. Auf das Herz, die Seele, die Aura. Das ist das, was zählt. Fühle ich mich wohl mit dieser Person, fühle ich mich geborgen, fühle ich mich verstanden. Dann kann sie blonde, braune, schwarze, grüne oder rote Haare haben, das spielt keine Rolle."
„Vielleicht sollte ich mir die Haare grün färben", murmelte ich und sah im nächsten Moment auf, als Luke lachte. Ich hatte nicht gedacht, dass er mich hören konnte.
„Es kommt auf den Humor an", fuhr er fort und sein Blick verhakte sich mit meinem. Wir standen einander so nah, dass ich den Kopf ein wenig in den Nacken legen musste, um ihn überhaupt anblicken zu können. „Ob wir uns unterhalten können und uns dabei perfekt verstehen."
Ich biss mir von innen auf die Lippen.
Panik. Pure Panik machte sich in mir breit.
Denn alles, was ich vor mir sehen konnte, war Sierras Gesicht. Sierra Deaton. Hübsch, attraktiv, smart, tiefgründig, lustig, nett, freundlich. Perfekt.
Nichts davon war ich.
Nicht eine der Sachen, die er aufgezählt hatte, trafen auf mich zu.
Meine Güte. Mein Herz in meiner Brust zersprang in tausend Splitter, als ich einen Schritt zurückstolperte und mich wieder am Tresen festklammerte.
Es war so grotesk.
Mitten in einem Club in Manhattan, in einer Partyszene mit guter Musik und gut gelaunten Menschen, zerbrach mal wieder alles.
Das gesamte Selbstbewusstsein, das ich mühevoll in den letzten Tagen aufgebaut hatte. Das Selbstwertgefühl, das ich mir dank Sam wieder erkämpft hatte.
Alles zerbrach. Und ich konnte nur dabei zusehen. Denn der Kopf, er tat, was er wollte.
Die Schwärze holte mich wieder ein. Sie verschluckte mich in einem riesigen Loch, aus dem ich niemals wieder rauskommen würde.
„Sorry wegen allem", stammelte ich und starrte auf meine Hand, deren Knöchel schon weiß hervortraten, weil ich mich so sehr festhielt.
„Wie bitte?"
Luke machte Anstalten, wieder einen Schritt näher zu kommen, doch ich wich noch weiter zurück.
„Es tut mir leid!", rief ich – lauter als ich gedacht hätte, dass ich imstande war.
Luke blieb stumm.
„Sorry wegen allem. Das war mein Fehler. Alles war mein Fehler. Damals ... letzte Woche ... heute ... Ach scheiße. Wir sollten einander einfach nicht mehr sehen, wir sind nicht gut füreinander. Und jemanden zu betrügen, ist außerdem echt beschissen."
Auf dem Absatz drehte ich mich um und stürzte mich in die Menschenmenge, ohne überhaupt zu wissen, in welche Richtung ich lief und wo ich hinwollte und wieso ich eigentlich so depressiv und scheiße und arm dran war.
Fuck. Die nächste Panikattacke klopfte mir an die Schläfe. Mein Blickfeld wurde außen schon schwarz. Es begann zu flimmern.
Toiletten. Damen-Toiletten.
Ich krachte gegen eine Tür, zog sie dann mühevoll auf und kauerte mich auf dem Boden zusammen.
Atmenatmenatmen. Atmenatmenatmen.
Ich machte die Übung, von der ich mal gelesen und sie aber noch nie ausprobiert hatte. Einatmen, währenddessen bis vier zählen, stoppen, ausatmen, währenddessen wieder bis vier zählen.
Nach weiteren fünf bis achtmal atmen wurde es besser.
Dafür kamen jetzt die Tränen.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich hier auf dem Boden kauerte. War es eine Viertelstunde? Eine Stunde? Länger? Kürzer?
„Jana?"
Da hörte ich sie. Meinen teuflischen Schutzengel.
„Jana? Bist du hier?"
Selbst wenn ich ihr hätte antworten wollen, ich hätte es nicht gekonnt. Ich war immer noch wie gelähmt.
„Hey, habt ihr ein blondes Mädchen gesehen? Ungefähr so lange Haare, schwarze Strumpfhose, dunkelgrünes Shirt? ... Nein? ... Okay, danke. ... Jana? ... Meine Fresse, wetten sie ist hier irgendwo ... Wie bitte? ... Oha, das ist aber schon lange her. ... Jana?"
Jetzt stand Sam direkt vor den Toilettenkabinen.
„Jana?"
„Jaaaaaana?"
Auf einmal erklang die Stimme direkt neben mir.
„Jana! Mach bitte auf. ... Jana. Ich kann deine Schuhe sehen. Und deinen Hintern. Und deine Ellbogen. Bitte mach auf."
„Ich will heim."
Und schon lag ich heulend in ihren Armen.
„Dann lass uns jetzt heimfahren", war alles, was Sam in meine Haare murmelte.
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