#52 - Hey, pretty boy!

Ihr werdet es nicht glauben – aber der Typ, der neben mir an der Bar stand, war ein Abklatsch von Luke Robert Hemmings.

Und zwar vom Feinsten.

Vom Allerfeinsten.

„WE GO TOGETHER"

Am liebsten hätte ich jetzt nochmal laut aufgelacht. Ein Schnauben entfleuchte mir, aber alles andere konnte ich gerade noch unterdrücken. Schauspieltraining war sogar im echten Leben hilfreich.

„BETTER THEN BIRDS OF A FEATHER, YOU AND ME."

Schön, wenn die Jonas Brothers die Situation jetzt noch sarkastisch begleiteten und der Bass ihres Songs mir in der eh schon zugeschnürten Brust vibrierte.

Groß, blond, Haare ein wenig zu lang, Haare ein wenig wellig, blaue Augen, breites Lächeln, freundlicher Blick.

Ich kotze gleich.

„Was?", fragte ich geistesgegenwärtig – immerhin –, denn ich hatte gesehen, dass seine Lippen sich bewegt hatten, doch ich hatte ihn nicht gehört.

Ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Situationskomik zu würdigen. Danke, Universum. Penner.

Oder brüllten die Jonas Brothers zu laut?

„YOU'RE THE MEDICINE AND THE PAIN, THE TATTOO INSIDE MY BRAIN"

"Möchtest du etwas trinken?", fragte er jetzt lauter und ich nickte einfach nur.

Dann drehte ich mich zu Sam und sagte – auf Deutsch, sodass er nichts verstehen konnte – er hätte mich sowieso nicht verstanden, weil es zu laut war – „das ist doch jetzt ein Scherz, oder?!"

Okay. Lasst mich kurz einmal meinen Verstand, mein Herz, meinen Mumm und meine Sprechfähigkeit vom Boden der Tatsachen aufsammeln, damit ich überhaupt noch weiterleben konnte.

Also.

Hier stand ein Typ neben mir. Gut aussehend. Nett. Groß.

Und er hatte mich angesprochen.

Mich gefragt, ob ich etwas trinken wollte.

Okay, Leute, raus mit der Sprache – wo sind die versteckten Kameras?!

„Jetzt hast du die Wahl", hörte ich auf einmal Sams Stimme. Ich blickte zu ihr auf. Ihre katzengrünen Augen funkelten. „Weinst du Luke nach oder hast du mal ein bisschen Spaß?"

„Pffff", war alles, was ich machte.

Sam lachte.

„Alright, I'm in. – Hey, pretty boy!", rief sie über mich hinweg und lenkte die Aufmerksamkeit von Tall Boy auf sich.

Grinsend wäre ich am liebsten im Erdboden versunken, doch da war es ja eh schon zu spät. Sam war eben Sam.

Also tranken wir mit Tall Blond Boy und seinen zwei Freunden, beide auch blond. Wie sich herausstellte, kamen sie irgendwo aus dem Westen von den USA. Ich hatte den Bundesstaat nicht verstanden und nur nett gelächelt, als er mir das ins Ohr gerufen hatte.

Sein Akzent war so breit und mir leider so unbekannt, dass ich ihn nicht einordnen konnte. Aber ehrlich gesagt war es mir auch egal.

Seinen Namen hatte ich auch nicht verstanden. So ein Pech aber auch. Dann blieb der Namenlose eben Tall Blond Boy und fertig. Musste für diese Nacht ausreichen.

Einer der beiden Freunde versuchte es logischerweise bei Sam – denn welcher Mann würde es nicht bei Sam versuchen – und damit wäre sie schon bei zwei Körben heute Nacht, die sie verteilt hatte.

Manchmal zerbrach ich mir den Kopf, wer den größeren Lottogewinn abgestaubt hatte – Sam oder Harry. Ich war immer noch nicht auf eine Antwort gekommen.

„Hey."

Tall Blondie strich mir eine Haarsträhne, die sich aus meinem inzwischen echt unordentlichen Dutt gelöst hatte, aus der Stirn und ich sah zu ihm auf. Ui, mein Magen hüpfte ein wenig auf und ab, als ich in seine blauen Augen blickte. War es dieser Anblick oder war es der Alkohol, der in meinem Blut Party machte?

Piepegal.

Ich lächelte ihn wohl ein wenig zu enthusiastisch an, denn seine Finger wanderten wieder zu meinen Haaren und strichen die Strähne jetzt hinter mein Ohr, während seine andere Hand zu meiner Taille wanderte.

Uhhoohhh, come closer, my dear! – Am liebsten hätte ich ihm das entgegengeschmettert, doch meine bedüdelte Zunge verknotete sich schon, als ich diesen Satz nur dachte, also blinzelte ich ihn nur anschmachtend an. Musste reichen für Blondie Tallie.

„Möchtest du tanzen gehen?"

Er fragte das so, als wären wir auf einem schicken Ball und nicht in einem Nachtclub, in dem gerade Old Town Road in ohrenbetäubender Lautstärke aus den Lautsprechern schallte.

Huuuuiiii, vielleicht reite ich ja heute Nacht auch noch waaaas!

„Klar!"

Und schon hatte ich seine Hand ergriffen und ihn auf die Tanzfläche gezogen. Ich schloss die Augen und ließ mich treiben. Er hielt mich von hinten fest, sodass ich mir keine Gedanken über meinen fehlenden Gleichgewichtssinn machen musste.

Es war sooo schön, nicht mehr denken zu müssen.

„RIDING ON A TRACTOR, LEAN ALL IN MY BLADDER"

Huuuiii, und da wirbelte er mich zu sich herum!

Sooo schön, nicht mehr leiden zu müssen.

Huiii, und wieder andersrum!

„CAN'T NOBODY TELL MEE NOTHIIIING"

Uuund zurück zur Bar! Nochmal trinken! Yippieh! Was für eine Nacht!

Sam hing neben mir an der Bar und lachte aus vollster Seele über mich, oder zumindest glaubte ich es. Ich kniff die Augen ein wenig zusammen – sowohl vor Lachen als auch aus dem Grund, weil ich sie genauer betrachten wollte – und merkte, dass sie nicht einmal halb so betrunken aussah wie ich es war.

Doch eine Sekunde später hatte dieser Gedanke schon wieder meine zweieinhalb funktionierenden Gehirnzellen verlassen und ich schmiss die Arme um ihren Hals.

„Du bist das schönste Wesen des Universums", grummelte ich in ihr Ohr, „und wenn du nicht meine Cousine wärst, dann würde ich alles dafür tun, dass du meine beste Freundin werden würdest."

„Ach, du bist süß", lachte Sam, „und ganz schön betrunken!"

„Hier, Jana! Nächster Shot!"

Wie aufs Stichwort erklang Pretty Blondies Stimme und seine großen, aber sanften Hände zogen mich von Sam weg und wieder hinüber, wo die Tequila-Flasche stand, die die Jungs spendiert hatten.

„Morgen habe ich den Schädel des Jahrtausends", murmelte ich, bevor ich das Shotglas auf den Tresen knallte und ihn dann herunterstürzte.

Alkohol, mein Freund und Helfer.

„Jana, meinst du nicht, langsam war das genug?", schlug Sam vor. „Morgen bist du sonst ein einziges Wrack."

„Ich weiß."

„Und dann hast du einen Kater und hasst dich selbst noch mehr."

„Pschhhhht", unterbrach ich sie und wedelte so heftig mit den Händen, dass ich das Gleichgewicht verlor und einer der Jungs mich netterweise am Arm festhielt, damit ich nicht umfiel. „Danke. – Erinnere mich nicht an mein miserables Leben und an diesen doofen Australier."

Ich seufzte und starrte über Sams Schulter hinweg.

„Ich drehe langsam durch", erklärte ich ihr mit träger Stimme. „Total traurig bin ich!" Hilflos zuckte ich mit den Schultern, ohne den Blick von dort hinten zu lösen. „Guck, jetzt bilde ich mir schon ein, Luke zu sehen! Da vorne! Da! Wie krank bin ich eigentlich im Kopf!"

Sam drehte sich um.

„Krank ist das, Sam, total krank!", wiederholte ich. „Ich habe schon Halluzinationen! Ich sehe Luke da vorne!"

„Das liegt daran, weil er dort steht, Jana."

Für einen Moment schwieg ich betroffen, dann klappte mein Mund auf. Es kamen allerdings keine Worte heraus.

Dann klappte ich ihn wieder zu, bevor irgendwelche Fliegen sich da rein verirrten oder so.

„Fuck", war dann alles, was ich von mir gab.

Kurzerhand drehte ich ihm und Sam und allen anderen Menschen den Rücken zu und stützte den Arm auf dem Tresen auf. Shit shit shit.

„Jana."

Sam war flink um mich herumgegangen, sodass sie wieder vor mir stand, und zog an meinem Arm. Ich hatte das Gesicht in der Hand vergraben und weigerte mich, sie anzusehen.

„Er ist da wirklich. Du drehst nicht durch und hast Halluzinationen, keine Sorge."

„Ich weiß nicht, was schlimmer wäre", kommentierte ich bissig. „Wieso ist er denn jetzt bitte hier?!"

„Harry hat mir geschrieben und gefragt, wo wir sind", gab Sam schulterzuckend zu. „Und dann habe ich ihm eben meinen Standort geschickt."

Sie sah nicht so aus, als ob es ihr leidtun würde.

„Es tut mir nicht leid", sagte sie, weil sie meinen vorwurfsvollen und wütenden Blick natürlich richtig interpretierte. War auch nicht schwierig, denn mir stiegen schon beinahe Rauchwölkchen aus den aufgeblähten Nasenlöchern.

Da wollte ich meine Nacht ohne ihn verbringen, und dann lotste Sam ihn doch wieder hierher.

„Ich habe ihn überhaupt nicht hierher gelotst", seufzte sie.

Beinahe ein wenig grob schob ich Tall Blondies Hände von meiner Taille, der hinter mir stand und den nächsten Shot trinken wollte.

„Ich habe meinem Ehemann einfach nur geschrieben, wo ich mich befinde, Jana", erklärte Sam sachlich, und dagegen konnte ich tatsächlich nichts sagen.

Sie hatte ja auch recht, sie konnte ja nicht bestimmen, wo Luke sich aufhielt oder ob er mit Harry mitkam oder nicht.

Meine Güte.

Super.

Und ich war betrunken, wenn ich ihm begegnete.

Überhaupt – wieso war ich eigentlich schon wieder so dicht?! Ich hatte mein Leben nicht mehr im Griff. Absolut nicht mehr.

Ich fucking Loser.

„Aha aha, wer ist denn da!"

Und schon hatte mich jemand von hinten so fest umarmt, dass ich unwillkürlich aufquiekte und mich aber trotzdem herumwirbeln lassen musste.

„Aaaahahahahaaa!", war alles, was ich von mir geben konnte.

Dann wurde ich endlich heruntergelassen und ich drehte mich um, um den Übeltäter zu schimpfen und ... – ohhh! Aber stattdessen erschien ein breites Strahlen auf meinem Gesicht.

„Payno!", rief ich aus und fiel Liam um den Hals.

„Hey Kleine! Dass ich dich auch mal wieder zu Gesicht bekomme!", lachte er mir ins Ohr, als er mich fest an sich drückte.

„Wir haben uns erst gesehen", gab ich zurück und hickste leise. Oh neeein, das passierte immer, wenn mein Pegel ein wenig herunterging. Ich bekam Schluckauf. Na super.

„Ach, stimmt ja."

„Auf der Styles'schen Hochzeit."

„Richtig. Aber da warst du ja sehr beschäftigt."

Ich war beschäftigt?", echote ich verwirrt. „Hä, womit denn?!"

„Na, mit Dingen", antwortete Liam schulterzuckend und grinste.

Mit Dingen?!", echauffierte ich mich, doch Liam hatte schon lachend das Weite gesucht.

Hilfe suchend drehte ich mich nach meiner Cousine um, doch die war anderweitig beschäftigt.

Sie stand dort und hatte die Arme um Harrys Hals geschlungen. Seine Arme lagen um ihre Taille und sie hielte einander so fest, dass man meinen könnte, ihr Leben hing davon ab. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und sie sprachen leise miteinander. Es wirkte so vertraut und intim, dass ich eigentlich wegsehen wollte, doch ich hielt diesem Drang stand und blickte sie weiterhin an.

Das ist es, was ich wollte.

Diese Geborgenheit, dieses gegenseitige Verständnis. Dass man sich blind kannte. Dass man selbst mitten in einem riesigen Night Club mitten in New York City einen so wunderschönen Moment haben konnte, ohne dass man sich gestört fühlte, denn alles, was man auf diesem Planeten brauchte, hielt man mit den eigenen Armen umschlossen.

„Hey."

Das zweite Mal wurde ich an exakt dieser Stelle so angesprochen, und diesmal wusste ich, bevor ich den Kopf drehte, wer neben mir stand.

Diesmal war es nicht Tall Blondie, der Abklatsch – diesmal war es das australische Original, das sich neben mir an die Bar lehnte und mich mit seinen kristallklaren, hellblauen Augen ansah.

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