#50 - A, B, W, X, Y, Z
„Jetzt sag schon, woran hast du gedacht?", hakte Sam nach.
Ich antwortete nicht. Ich schob einfach meine Unterlippe noch weiter vor und schloss die Augen. Wie ein kleines Kind, das sich einbildete – wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht.
„Hast du an Luke gedacht?"
Ich ließ die Stirn auf die Tischplatte sinken und drückte meine Nase auf ihr platt.
„Natürlich habe ich an Luke gedacht."
„Jana, du hängst deine Haare in die Butter."
Ich spürte, wie Sam meinen verknoteten Pferdeschwanz nach hinten schob und leise seufzte. Nicht wegen der Butter, sondern meinetwegen.
„Komm schon, Jana, sprich mit mir."
Stille.
„Seit du aufgestanden bist, hast du grad mal eine Handvoll Wörter von dir gegeben. Das ist nicht normal für dich."
„Ich bin ja auch nicht mehr normal", gab ich zurück.
„Das stimmt nicht", entgegnete Sam, doch ich richtete mich auf und sah sie böse an, womit ich sie zum Verstummen brachte.
„Ich meinte nicht normal-normal, sondern ich bin nicht mehr ... ich", erklärte ich und runzelte die Stirn. „Kannst du dich an mich früher erinnern? Dass ich nie die Klappe halten konnte? Dass ich immer schlagfertig war, oder sagen wir meistens, wenn ich nicht grad paralysiert schweigend dastand. Wo ist meine Lebensenergie hin? Meine Lebensfreude?"
„So ist das, wenn man erwachsen wird."
„Dann will ich nicht erwachsen sein", gab ich sehr erwachsen zurück und verschränkte, um meine kindische Aussage noch zu unterstreichen, die Arme vor der Brust.
An Sams Mundwinkeln zupfte ein Schmunzeln.
„Komm schon, Jani, so übel bist du auch wieder nicht."
Dafür liebte ich Sam. Sie versuchte immer, mich aufzubauen.
„Aber ich finde mich selbst einfach nur noch scheiße", jammerte ich und vergrub wieder das Gesicht in den Händen.
„Du bist ja schon fast so theatralisch wie ich früher", kommentierte Sam provokant.
Ich gab ein Grunzen von mir.
„So dramatisch wie du kann niemand sein", pfefferte ich zurück.
„Ey, ich habe dieses Verhalten abgelegt", lachte Sam. „Auch ich bin erwachsen geworden, man glaubt es kaum. Gott, kannst du dich erinnern, wie ich Harry das Leben am Anfang zur Hölle gemacht habe?"
„Jap. Ich war live dabei."
„Hätte ich mich einfach nicht so angestellt, dann wäre das Ganze viel einfacher von der Bühne gegangen", meinte Sam.
„Höhö, von der Bühne gegangen", murmelte ich, „weißt schon, weil ihr euch damals auf der Bühne geküsst habt und so."
„Lenk nicht vom Thema ab."
„Okay sorry", murrte ich.
Ich richtete mich wieder auf und drückte den Rücken durch. Für einen Moment herrschte gähnende Leere in meinem Kopf, dann zuckte ich mit den Schultern.
Ich hatte eine imaginäre Liste vor den Augen, was gerade alles scheiße in meinem Leben war, und oh boy, waren da viele Punkte untereinander.
„Möchtest du hören, was gerade einfach alles schief läuft?", fragte ich.
Ich holte schon Luft und streckte schon den ersten Finger in die Höhe, als Sam antwortete: „Nein."
Überrascht klappte ich den Mund wieder zu und starrte sie mit großen Augen an.
„Jana. Ich habe das Ganze schon mindestens fünfmal gehört", erklärte sie mir sanft. Sie streckte die Hand nach mir aus und strich mir über den Arm. „Wir brauchen es nicht noch zehnmal durchkauen. Das hilft überhaupt nichts. Du musst etwas tun."
„Wie, was tun?"
„Was dagegen tun. Etwas ändern. Kennst du dieses Wort, Ferroni?", provozierte sie mich schon wieder grinsend.
„Oh man, das ist so komisch, meinen ehemaligen Nachnamen auszusprechen", murmelte sie eher zu sich selbst als zu mir, dann sah sie mich wieder an. „Was steht heute bei dir an?"
„Nichts."
„Nichts?"
„Ja", bestätigte ich lahm. „Nichts."
„Glaube ich nicht."
„Ist aber so. Heute ist doch Sonntag, oder?", fragte ich und Sam nickte leicht. „Joa. Ich habe heute frei und morgen frei und Dienstag fliege ich nach LA und Mittwoch ist Table Reading und Donnerstag gehen die Dreharbeiten los. Also: Ja, heute steht tatsächlich nichts bei mir an."
„Verdammt."
„Wieso?", hakte ich mit leicht zusammengekniffenen Augen nach.
„Weil ich dich nicht bespaßen und ablenken kann. Ich habe den ganzen Tag verschiedene Meetings, und Harry auch."
„Macht nichts. Ich habe ja Netflix."
~
~
~
Und das war dann meine Tagesbeschäftigung.
Ich fand eine Fantasyserie, die mich vollkommen in ihren Bann zog, und zog mir die erste Staffel komplett und den Anfang der zweiten rein, als es an der Tür rumpelte.
„Jana?"
Das war eindeutig nicht Sams Stimme.
Ich gab keine Antwort.
Ah, es war zwar nicht ihre Stimme gewesen, aber sie war trotzdem hier.
Das wunderschöne Ehepaar Styles kam um die Ecke. Harry lächelte mich an, während Sam besorgt die Stirn runzelte.
„Hast du was gegessen?", fragte sie.
Ich antwortete nicht und sah zurück auf den riesigen Fernseher.
„Jana!", seufzte Sam schockiert und verließ kopfschüttelnd den Kopf.
Langsam, aber sicher hatte ich ihre Toleranzgrenze erreicht. Und wenn ich ehrlich war, konnte ich das bestens verstehen.
Harry hingegen war ein wenig anders gestrickt als seine Göttergattin. Er ließ sich zu meinen Füßen auf der Couch nieder und sah auf den Fernseher.
„Das Ende der zweiten Staffel ist krass", kommentierte er und tätschelte meine Füße, bevor er wieder aufstand und Sam folgte.
Ein kleines Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln. War klar, dass Mister Styles die Serie schon gesehen hatte. Wie er die Zeit dafür fand, war mir zwar ein absolutes Rätsel, aber mein zermatschtes Hirn stellte heute keine Fragen mehr.
Vielleicht sollte ich einfach hinüber in mein Gästebett wandern und den Tag alleine ausklingen lassen.
„Hier."
Sam war wieder bei mir aufgetaucht und hielt mir etwas Dunkles entgegen.
„Hab keinen Hunger."
Ich riet einfach, dass das etwas zu essen war.
„Das ist Sushi."
Ich setzte mich auf und griff wortlos nach der edlen Box.
Gekonnt ignorierte ich Sams schelmisches Lächeln. Ja, ja, mit Sushi konnte man mich immer ködern.
Ich zog die Beine an und drehte mich zu Sam. Ich kam sowieso nicht drum herum, mit ihr zu sprechen, also konnte ich wenigstens noch so viele Manieren zeigen und mich ihr gegenüber normal benehmen. Immerhin kaufte sie mir Essen und kümmerte sich um mich und ließ mich hier wohnen und so weiter.
Und ließ mich ihre Klamotten tragen. Schließlich befand sich mein Koffer im Hotel, das ich seither nicht mehr betreten hatte.
„Okay. Pass auf."
Sam schob sich mit ihren Essstäbchen das nächste Stück in den Mund und kaute akribisch, während ich darauf wartete, dass sie runtergegegessen hatte und endlich weitersprach.
„Wir haben zwei Optionen, die sich jeweils noch einmal in zwei Optionen aufspalten", erklärte sie mir und ich sah sie verwirrt an.
„Hä?"
„Wählst du Option A, dann kannst du zwischen Option W und Option X wählen. Wählst du Option B, kannst du zwischen Option Y und Option Z wählen", sagte sie, doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Ich verstehe nur Bahnhof. Big, big Central Station, Samantha."
"Okay. Lass es mich präziser formulieren", sagte sie und hielt ihre Stäbchen in die Luft.
„Klingt fabelhaft", grummelte ich.
„Option A ist, dass wir hier bleiben. Und dann spaltet sich Option A nochmal in W – Film schauen – und in X – schlafen gehen."
„Aha."
„Und dann gibt es da noch Option B."
„Die wäre?", hakte ich absolut uninteressiert nach.
„Wir gehen aus."
Ich rümpfte die Nase.
„Und wie gabelt sich diese nochmal auf?"
„Option X –"
„Wenn du noch einmal Option sagst", unterbrach ich sie, „dann schreie ich."
„– ist, dass wir in eine Bar gehen. Und Option –"
Meine Nasenflügel blähten sich auf, doch ich blieb stumm.
„– Z ist, dass wir in die Bar gehen, in der auch ..."
Sie stoppte den Satz, doch ich war ja nicht bescheuert.
Ich nickte.
Dann schüttelte ich den Kopf.
„No way."
„Bitte?"
„No way bleibe ich hier zu Hause und versauere noch mehr", eröffnete ich ihr.
„Y oder Z?"
„Z, baby", gab ich, ohne zu zögern, zurück.
„Bist du dir sicher?"
„Jaaaa", jammerte ich und verzog das Gesicht gequält. „Jaaa, Saaaam, weil ich eine blöde, verliebte Kuh bin. Gott, ich bin so bescheuert! So sehr!"
Da konnte Sam mir nicht widersprechen, also zuckte sie nur mit den Schultern.
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