#48 - Wenn das doch nur ginge

„Hey cutie."

Sam schob einen Barhocker dicht neben meinen und ließ sich dann darauf nieder. Sie schlang ihren Arm um meinen Hals und zog mich zu sich heran.

Seufzend bettete ich den Kopf auf ihrer Schulter und schloss die Augen. Ich genoss das Gefühl meines nicht funktionierenden Gehirns und ignorierte die Tatsache, dass ich wahrscheinlich total erbärmlich aussah.

„Wieso ist er nicht hier, Sam?", murmelte ich.

„Hm?", machte sie verwirrt, „wieso sollte Luke denn hier sein?"

Mit gerunzelter Stirn richtete ich mich schwankend wieder auf. Ich blinzelte ein paar Mal, bis ich Sam überhaupt einigermaßen erkennen konnte.

„Naja, 5SOS singt den Titelsong des Films."

„Hm, keine Ahnung. Sie sind halt nicht hier."

„Total komisch", grummelte ich. „Da sind sie in New York, und sie kommen nicht auf diese Party."

„Sie sind in New York?", wiederholte Sam.

„Jap."

„Woher weißt du das?"

„Instagram", nuschelte ich schulterzuckend und schmiegte mich wieder an Sam. „Hat Ashton auf dem 5SOS-Account gepostet."

„Die Insta-Polizei weiß mal wieder Bescheid", gluckste Sam und ich gab ein undeutliches, aber empörtes Geräusch von mir.

„Hey Jana?"

„Hm?"

Sam sprach nicht gleich weiter. Sie schwieg für einen Moment, als würde sie die richtigen Worte suchen.

„Was?", hakte ich nach und überlegte, ob ich mich wieder aufrichten sollte, um sie anzusehen, doch da sprach sie weiter.

„Vielleicht solltest du die Sache einfach ... aufgeben."

Ich richtete mich auf.

„Warum?"

Sam sah mich mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Ich weiß nicht, du stehst so neben dir seit der Hochzeit. So habe ich dich noch nie erlebt. Und das gefällt mir schlichtweg nicht. Ich mache mir echt Sorgen um dich."

„Können wir darüber reden, wenn ich wieder nüchtern bin und ich wieder Zugang zu meinen Gehirnzellen habe?", unterbrach ich sie mit hohler Stimme.

Das Problem war: Ich wusste ganz genau, dass sie recht hatte. Und im betrunkenen Zustand würde ich ihr wahrscheinlich zustimmen. Im nüchternen hingegen nicht, weil ich niemals so viele Eier in den Eierstöcken hatte, dass ich es zugeben würde.

„Ich bin noch nicht bereit."

„Bereit wofür?" Sams Frage war nur ein Flüstern, das ich über die Partymusik kaum hören konnte.

„Ihn loszulassen."

Auch meine Stimme war kaum mehr als ein Wispern.

Der Alkohol hatte meine Zunge gelockert und mein Hirn Dinge ans Tageslicht bringen lassen, die wehtaten. Die ich sonst nicht aussprach.

Ich sollte die Finger vom Alkohol lassen.

... dachte ich mir und zog dann erneut am Strohhalm meines Cocktails.

„Lass uns da morgen drüber reden, okay?", schlug ich vor und trank das Glas leer. „Ich brauche noch mehr Alkohol."

„Das halte ich für keine gute Idee", fing Sam an, doch ich unterbrach sie.

„Das ist mir ziemlich egal, Samantha, du bist nicht mein Vormund", sagte ich heftiger als beabsichtigt.

Sie wollte nur mein Bestes, aber das war mir gerade egal.

Also wankte ich zurück zur Bar, ohne mich noch einmal nach ihr umzudrehen. Sam folgte mir auch nicht. Sie wusste, wann man Dickschädel Jana – betrunkenen Dickschädel Jana! – besser in Ruhe ließ.

Als ich zurück zu meinem Barhocker kam, war der andere leer. Ich ließ mich wieder auf ihm nieder und zog mein Handy aus der Umhängetasche.

Instagram. Nachrichten. @lukehemmings.

Ich scrollte meine eigenen Nachrichten nach oben, ohne sie zu lesen.

Dann drückte ich unten auf das kleine Mikrofon.

Für zwei Sekunden sah ich der Leiste zu, die sich hellblau färbte und die kleinen Punkte der Audiospur anzeigten.

„Ich weiß nicht einmal, was ich sagen soll", fing ich an zu murmeln, dann seufzte ich. „Ich weiß überhaupt nichts mehr. Ich kenne mich selbst irgendwie nicht mehr, Luke. Mir ging's echt wieder gut. Ohne dich. Der harte Schnitt damals hat mir alles ein wenig einfacher gemacht. Und die Tatsache, dass ich dich die weiteren fünf Jahre aus meinem Leben verbannt habe."

Ich hielt inne.

„Und dann stehst du auf einmal vor mir. Meine Güte, ich habe das ja sogar gewusst, dass du auf die Hochzeit kommen wirst, und trotzdem konnte mich nichts darauf vorbereiten."

Ich hatte so langsam, so angestrengt gesprochen, dass ich schon die Minute voll hatte und Instagram die Nachricht stoppte und abschickte.

Also die nächste.

„Ich wünschte, wir hätten uns auf der Hochzeit kennengelernt. Ich wünschte, das wäre das erste Mal gewesen, dass wir einander getroffen hätten."

Und dann erinnerte ich mich an Sierra.

Dass Luke vor mir seine Freundin geküsst hatte. Dass er mich wahrscheinlich nicht einmal eines zweites Blickes gewürdigt hätte, wenn ich nicht Jana von damals wäre.

„Ich liebe dich, Luke."

Es brach einfach so aus mir heraus.

Der Gedanke an dieses Was-wäre-wenn-Szenario – dass er mich wahrscheinlich nicht einmal beachtet hätte – ließ das Fass aller Gefühle in meinem Herzen überlaufen.

„Und ich hasse es. Jeden Tag aufs Neue stehe ich auf und hasse die Tatsache, dass all die Jahre Abstand nichts gebracht haben. Ich komme nicht über dich hinweg. Und ich weiß nicht, wie ich mein Leben leben soll mit dieser Erkenntnis. Du hast mich innerlich zerstört und ich hasse dich dafür."

Ich ließ die Nachricht los und schickte sie ab.

So wie ich Luke niemals loslassen können würde.



~

~

~



Ich konnte die Augen nicht öffnen.

Ein Bulldozer fuhr durch meinen Kopf und schaffte ein Kriegsfeld der Zerstörung.

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich war.

Wie die Party weitergegangen war.

In wessen Bett ich lag. Denn ich lag in einem Bett, eine Decke war bis zu meinem Kinn nach oben gezogen.

Gequält öffnete ich ein Auge einen Spalt. Es war dunkel. Mehr konnte ich nicht erkennen. Mein Blick stellte sich nicht scharf. Dunkel hier drin und dunkel draußen, soweit ich das erkennen konnte.

Angestrengt rollte ich mich auf die Seite und zog die Decke noch ein Stückchen höher.

Für mehrere Moment atmete ich einfach nur. Ein. Aus. Ein. Aus.

Ich versuchte, mich zu entspannen, um so wieder die Kontrolle über meinen Körper zu erlangen.

Und es klappte. Langsam blinzelte ich mehrfach hintereinander und sah zu, wie die Formen schärfer wurden. Ein Schlafzimmer. Ein Schlafzimmer, in dem ich schon öfter geschlafen hatte.

Eins von Sams und Harrys Gästezimmern in ihrer New Yorker Penthouse-Wohnung.

Ein wenig beruhigte das mein Nerven, und ich konnte die Hand ausstrecken und nach meinem Handy greifen.

3:48 Uhr.

Ich fuhr mit dem Daumen nach oben, sodass sich das Display entsperrte. Sofort erschien vor mir ... ugh, ich konnte es nicht erkennen. Stöhnend kniff ich die Augen zu Schlitzen zusammen und schob den Regler der Helligkeit ganz nach unten.

Also, zurück: Sofort erschien vor mir Instagram. Anscheinend hatte ich die App offen gelassen und dann die Tastensperre aktiviert.

Instagram Nachrichten.

Mein Hirn war immer noch ein absoluter Brei – und ehrlich gesagt war ich froh, dass ich mich noch nicht über den Bettrand übergeben hatte.

Instagram Nachrichten. Die oberste war ...

Und dann saß ich senkrecht im Bett. Ich war hochgeschossen und hatte mir beinahe die Schulter dabei ausgekugelt. Jammernd starrte ich auf mein Handy, dann blieb mir jeder Laut in der Kehle stecken, als ich die Nachrichten, die ich Luke geschrieben hatte, durchscrollte.

Es wurde schlimmer.

Und dann scrollte ich wieder ganz nach unten.

Es wurde schlimmer und schlimmer.

Ich hatte ganz am Ende sogar zwei Sprachnachrichten gesendet.

Mein zitternder Daumen schwebte über der ersten Nachricht. Ich konnte mich kein bisschen mehr daran erinnern, sie geschickt zu haben. Ach du verdammte Scheiße.

„Ich weiß nicht einmal, was ich sagen soll."

Meine Stimme klang leise, klang undeutlich, klang eindeutig alkoholisiert.

Ich musste ja zugeben, ich mochte meine Stimme eigentlich ziemlich gern. – Wäre für eine Schauspielerin auch ziemlich beschissen, wenn sie sie nicht mochte, dann hatte sie sich den falschen Beruf gesucht.

„Ich wünschte, wir hätten uns auf der Hochzeit kennengelernt. Ich wünschte, das wäre das erste Mal gewesen, dass wir einander getroffen hätten."

Ergeben schloss ich die Augen, um die Tränen aufzuhalten, die sich hinter meinen Lidern ansammelten.

Es war, als würde ich einer Fremden lauschen.

„Ich liebe dich, Luke."

Erschrocken zog ich die Luft ein und schlug mir die Hände vor den Mund. Mein Handy plumpste auf meinen Schoß.

Fuck fuck fuck!!

Panisch griff ich nach meinem Handy. Alle Aussagen davor hätte ich auf den Alkohol schieben können, aber das hier...! Shit!

Für fünf Sekunden starrte ich auf mein Display und checkte viermal ab, indem ich die Nachricht immer wieder verließ und wieder öffnete, ob er sie wirklich noch nicht gesehen hatte.

Hatte er nicht.

Und dann kam es mir. Natürlich. Ich folgte ihm nicht, er folgte mir nicht, also war meine Nachricht in dem Meer an Anfragen gelandet, die der australische Superstar jeden Tag bekam.

Oh.

Mein.

Gott.

Das war mein großes Glück.

Ich little lucky bastard.

Schnell hielt ich den Daumen auf der Nachricht, bis die drei Wörter erschienen.

Copy. Unsend. Save.

Ich tippte auf die mittlere Option.

Und weg war die Sprachnachricht mit der beklopptesten Liebeserklärung, die ich je von mir gegeben hatte.

So machte ich das mit allen Nachrichten darüber, bis der Chatverlauf verschwunden war.

Als wäre er niemals passiert.

Dann ließ ich mich wieder ins Kissen sinken und schloss die Augen. Ich musste schlafen. Schlafen und alles vergessen. Wenn das doch nur ginge.

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