# 47 - Shut the front door

Wieso hatte Miriam das damals eigentlich komisch gefunden, dass Luke mir nie geantwortet hatte?

Gedankenverloren stand ich auf dem kleinen Hocker, starrte mich selbst in dem riesigen Spiegel an und ließ Dan, den Kostüm Designer, seine Absteckarbeit an meinem Oberteil machen.

Natürlich hatte er mir nie geantwortet. Ich hatte ihn schließlich blockiert.

Und dann hatte er seine Handynummer gewechselt und ein anderes Handy gekauft und was nicht sonst noch alles und hätte mich sowieso niemals wieder kontaktieren können.

Seit über drei Stunden schon war ich hier im Atelier von Jens Kostümabteilung, und wenn ich gekonnt hätte, wäre ich nie wieder gegangen. Alle waren so nett, so offen, so freundlich, so unterstützend. Ein absolutes Gegenteil zu der sonstigen Situation an Filmsets.

Wenn da nicht Gerry Cameron wäre, würde ich mich echt auf die Dreharbeiten freuen.

„Einmal umdrehen bitte, honey."

Dan hatte eine tiefe, angenehme Stimme, und ohne mich aus meinen Gedanken zu reißen, gehorchte ich seiner Anweisung und drehte mich um.

Nick war schon fertig mit seinen Kostümarbeiten und fläzte jetzt auf dem Sofa neben der riesigen Glasfront, durch die man einen atemberaubenden Ausblick auf den Süden Manhattans hatte.

„Jana?", fragte er genau in dieser Sekunde.

„Hm?", machte ich ein wenig zeitverzögert, weil ich erst Lukes Gesicht vor meinem inneren Auge beiseiteschieben musste, um Nick meine Aufmerksamkeit zu widmen.

„Was isst du gerne?"

„Was?", machte ich verständnislos.

„Oder besser gesagt – was isst du nicht gerne?", präzisierte er seine Frage und starrte schon wieder auf sein Handy. „Ich versuche gerade, eine Entscheidung zu treffen, wo wir essen gehen. Isst du gerne Sushi? Oder Thai? Italienisch?"

„Ich esse so ziemlich alles", ließ ich schulterzuckend verlauten und Dan schmunzelte.

„Das gibt es noch sehr selten in dieser Stadt", kommentierte er grinsend und Nick stimmte ihm zu.

„Ja, da hast du echt recht, Dan! Dann lass uns gleich mal zusammen aussuchen, okay?"

Es wurde ein Italiener direkt hier unten im Gebäude, und ich musste sagen, die Pizza war mal wieder alles Andere als italienisch. Die Amis konnten einfach keine Pizza machen. Sie war aber trotzdem genießbar.

„Woah, am liebsten würde ich jetzt schlafen gehen", gähnte ich, nachdem der Kellner unseren Tisch abgeräumt hatte. Ich ließ mich nach hinten sinken und schloss die Augen.

„Nichts da", entgegnete Nick lachend.

„Ich weiß", seufzte ich und richtete mich schwerfällig wieder auf, „die Party. Die vermaledeite Party."

„Magst du keine Partys?"

„Doch. Klar."

... Aber nicht, wenn ich wusste, dass eine bestimmte australische Band auch wieder in New York war.

Und da die Party ein Get-Together von unserer Netflix-Produktion war, konnte ich meinen Hintern darauf verwetten, dass ich die vier dort antreffen würde.

Uuund das war alles Andere als gut – denn ich hatte mir noch keinerlei Gedanken gemacht, was ich eigentlich machen würde, wenn ich Luke Hemmings je wieder gegenüber stand.

Hey, der Sex war echt gut.

Oder vielleicht hey, kannst du dich noch an mich erinnern? Ich bin die, mit der du in Chicago geschlafen hast.

Oder doch verpiss dich, ich will dich nie wieder sehen.

„Jana? Hast du mir zugehört?"

Ich starrte in Nicks dunkle Augen, die mich erwartungsvoll ansahen.

„Sorry, was hast du gesagt?"

„Ich habe gesagt, dass Samantha gleich hier sein wird."

„Sam? Sam ist hier?", fragte ich verwundert, doch er schob hinterher: „Ja, Samantha, meine Freundin."

Oh.

„Ohhh, ach so! Sorry", entschuldigte ich mich schon wieder.

„Kein Problem", meinte Nick mit einer wegwerfenden Handbewegung und lächelte mich an. „Lass uns mal gehen, sonst schläfst du mir hier noch im Sitzen ein!"

Tja, da hatte er wohl nicht ganz unrecht.

Ich trottete ihm hinterher und checkte erst, als wir draußen waren, dass er für uns beide gezahlt hatte.

„Ne ne, lass mal", meinte er, als ich ihn fragte, wie viel er denn bekäme. Dann boxte er mich lässig gegen den Oberarm. „Sieh das einfach als Geschenk zum Start unserer Freundschaft, okay?"

„Gott, bist du immer so amazing? Das ist ja ekelhaft", grinste ich ihn an und wich lachend einem Schwinger in meine Richtung aus.

„Hey!"

Ach, da war die besagte Samantha.

Um Himmels Willen, es dauerte genau zwanzig Sekunden, da war mir klar – jap, this girl is pure gold. Meine Güte, was für ein cooler Mensch!

Wir machten uns zu dritt – gut gelaunt und nicht mehr schläfrig – auf den Weg zu der Adresse, die wir beide per Email bekommen hatten. In der Zwischenzeit erzählte mir Samantha, was sie beruflich so tat. Ich war so baff, dass sie als relativ kleine, unbekannte Musikerin so viel Geld verdiente! Schade, dass ich nicht singen konnte. Sonst wäre das Leben sicher schon ein wenig einfacher.

Wow.

Ein noch höheres Hochhaus war das besagte Gebäude, dessen Adresse wir nun erreicht hatten.

Fuck yeah. Was für eine Rooftop Party. Das gesamte Dach hatte man gemietet und mit der hochwertigsten Party des Monats belebt.

Hier standen Palmen, Barhocker, Stehtische, Sofas – und außerdem natürlich auch ganz viele Menschen.

Für einen Moment machte sich meine typische soziale Panik in mir breit, die ich immer verspürte, wenn ich viele fremde Menschen auf einem Haufen sah, doch dann hörte ich auf einmal eine Stimme:

„JANA!"

Schockiert wirbelte ich herum, denn diese Stimme hätte ich im Tiefschlaf erkannt.

„Scheiße, was machst du hier?!", hauchte ich und im nächsten Moment schmiss ich die Arme um meine Cousine.

Sam gluckste mir ins Ohr und drückte mich ganz fest an sich. Ich roch ihr typisches Parfüm und beinahe bekam ich Tränen in den Augen.

„Was machst du hier?!", wiederholte ich meine Frage und schälte mich umständlich aus ihrer Umarmung.

Woah, erst einmal musste ich mir einen Moment nehmen, ihre Erscheinung zu betrachten: Sam trug ihre Haare offen, was sie in den letzten Monaten wirklich viel zu wenig getan hatte. Ihre pechschwarzen Locken hüpften um ihren Kopf, als würden sie der Schwerkraft trotzen. Sie hatte schwarz geschminkte Augen, dunkelrote Lippen, die sich zu einem breiten Lächeln gezogen hatten, und sie trug ein grünes Glitzeroberteil zu einer schwarzen zerfetzten Jeans und schwarzen High Heels.

„Mamma mia", war alles, was mir erst einmal einfiel, dann erinnerte ich mich an meine eigentliche Frage.

„Was machst du hier?"

Alle guten Dinge sind drei, heut zumindest.

Sam zuckte mit der Schulter. „Workaholics."

Mehr sagte sie nicht, doch das reichte mir als Erklärung nicht aus.

„Wie, workaholics? Ihr hattet Flitterwochen!" Ich starrte sie an. „Ihr habt eure Flitterwochen abgebrochen?!"

„Jep."

„Warum?"

„Wie gesagt, workaholics."

Immer noch hielt sie mich an den Schultern fest, während ich die Hände um ihren Rücken klammerte.

„Samantha Marina Styles. Was ist los."

Ich ließ es nicht einmal wie eine Frage klingen.

Verstohlen sah ich mich um, doch Sams Lachen lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zu ihr.

„Du hast richtig geschlussfolgert – wenn du weit genug schaust, findest du meine bessere Hälfte."

„SAM."

„Okay, okay, relax." Sie machte eine kurze Pause. „Harry hat Cameron gefeuert."

„Was?"

„Ja. Nachdem du mir erzählt hast, wie er mit dir umgeht, hat Harry mit Ash und Calum gesprochen, um zu hören, wie er bei ihnen so drauf war. Die haben nichts Besseres über ihn erzählt. Also hat Harry ihn gefeuert."

Oha. Ich brauchte einen Moment, bis ich die Information verdaut hatte. Stirnrunzelnd sah ich Sam an.

„Und wer ist jetzt stattdessen der Regisseur?"

Sams Mundwinkel zuckten, als sie versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken.

„Shut the front door", schnaubte ich und warf dann lachend den Kopf in den Nacken. „Der Gute braucht wirklich alles auf seinem Lebenslauf, oder?"

Wie aufs Stichwort erschien er neben uns.

„Hey Kleine!", begrüßte Harry mich und zog mich aus den Armen seiner Ehefrau. „Geht's dir gut?"

„Hi Regisseur", gab ich zurück und er lachte.

„Ah, haben dich die News schon erreicht, ja?" Seine Grübchen bohrten sich in seine Wangen, als er Sam einen kurzen, aber hitzigen Blick zuwarf. „Ich freue mich so sehr drauf, Jana, das wird so cool!"

„Naja, wir werden es sehen, wie du dich so schlägst", meinte ich gespielt herablassen und quietschte im nächsten Moment, weil Harry mich kitzelte.

„Die Aussagen wirst du noch bereuen", lachte er und schob sich dann wieder ins Getümmel, natürlich nicht ohne Sam noch kurz einen Kuss auf die Wange gedrückt zu haben.

„Ihr seid so süß, irgendwann kotze ich dir deswegen auf die Füße."

„Alles okay bei dir?"

Sam ignorierte meinen Seitenhieb komplett und starrte mich aus ihren grünen Augen schon besorgt an. Ich kannte den Blick. Dieser Röntgenblick, dem sowieso nichts entging. Ich konnte mich also sparen, so zu tun, als wäre nichts.

Ich versuchte es trotzdem halbwegs.

„Hm. Es geht. Eigentlich würde ich gerne mit Luke reden und irgendwie auch nicht..."

Meine Stimme verlor sich, denn mir fiel siedend heiß ein, dass sie ja nicht einmal wusste, worüber ich mit ihm reden wollte. Ich hatte ihr ja von nichts erzählt.

Sam dachte aber wohl, ich meinte das einfach im generellen Sinne.

„Schreib ihm doch einfach."

„Wie denn. Ich habe seine Handynummer nicht."

„Na, das ist ja wohl das Einfachste. Harry hat sie doch."

„Hm."

„Ja. Ich weiß, was du meinst. Dann schreib ihm doch per Instagram? Das ist nicht ganz so ... intim und persönlich wie per WhatsApp oder iMessage. Oder?"

„Hm."

„Wow, du bist ja gesprächig", lachte Sam und tätschelte mir provokant gegen die Wange. „Du brauchst wohl erst einmal was zu trinken, vielleicht wirst du dann ein wenig lockerer."



~

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Ob ich nicht nur einen Cocktail trank?

Ob ich Luke nicht nur eine Nachricht schrieb, sondern ungefähr 15?

Ob ich auch versuchte, ihn per Instagram anzurufen?

Ob ich eventuell so hacke war, dass ich nicht einmal mehr mein Display erkennen konnte?

Shit. Shit shit shit. Mein Hirn schwebte gemeinsam mit meinem Verstand gerade irgendwo durch den Hudson River, während ich hier auf einem Barhocker saß und auf besagten Fluss hinausstarrte und leise vor mich hin summte.

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