#46 - Deine, honey, sind perfekt
„Meinst du, das ist ein Fehler, Sam?"
„Ich weiß es nicht."
„Fuck. Kannst du mich verstehen, wenn ich das tue?"
„Natürlich kann ich das, Harry."
„Es tut mir leid..."
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„Ich fasse es nicht."
„Der Typ hat mich in meinem Trailer eingesperrt. Anders kann man das nicht nennen."
„Nein, anders kann man das wirklich nicht nennen", pflichtete Sam mir bei und schüttelte leicht den Kopf.
Das tat sie seit mehreren Minuten, als wäre sie so ein kleiner Wackel-Dackel, wie manche Leute sie in ihrem Auto stehen hatten. Nur nickten die, und Sam schüttelte ihren Kopf.
„Als wärst du ein ... ich weiß auch nicht. Ich wollte beinahe Fan sagen, aber nicht mal mit Fans wird so umgegangen", grummelte sie und griff sich mit der Hand an die Stirn. Dann strich sie sich eine ihrer schwarzen Locken von der Schläfe hinters Ohr und schnaufte angestrengt, als würde sie sich zurückhalten müssen, nicht laut zu werden. „Als wärst du nicht wichtig für das gesamte Projekt!"
„Bin ich seiner Meinung nach anscheinend auch nicht."
Meine Tränen waren inzwischen Gott sei Dank versiegt. Dafür brodelte die Wut in mir wie Magma in einem Vulkan.
Umso länger ich mit Sam darüber sprach, desto wütender wurde ich.
Ich hatte mein Handy auf den Nachttisch gestellt und lief vor dem Bett auf und ab.
„Harry kann echt froh sein, dass das ein Film ist. Sonst wäre ich schon längst weg", rief ich aufgebracht und warf die Hände in die Luft.
„Ja, das kann ich sehr gut verstehen." Sam seufzte. „Aber der Spuk ist ja jetzt erstmal zu Ende."
Ich ließ mich auf das Bett plumpsen und starrte meine Cousine finster an.
„Der geht aber weiter, sobald die Dreharbeiten anfangen...", murmelte ich zwischenrein, doch Sam sprach schon weiter.
„Jetzt flieg du morgen erstmal in Ruhe nach New York zum Kostümfitting. Dort ist dann auch Nick da", sagte Sam und versuchte, mich damit aufzumuntern. „Der ist echt cool, und die Head of Costume Department ist Jennifer."
„Jennifer?"
„Jennifer. Mit der habe ich auch schon öfter zusammengearbeitet. Deswegen habe ich sie Harry und Netflix empfohlen."
Ich wusste, sie wollte mich aufbauen, aber sie hätte einen Rückwärtspurzelbaum schlagen und dabei Watermelon Sugar High singen können, es hätte alles nichts genützt.
Klar freute ich mich auf New York, ich liebte die Stadt einfach, und ich freute mich auch auf Nick, den anderen Protagonisten, aber alles hatte einen ekelhaften Beigeschmack, weil ich wusste, ich musste diesem Idioten von Gerry Cameron bald wieder gegenüberstehen.
„Ich kann dir nicht garantieren, dass ich am ersten oder zweiten Drehtag nicht hinschmeiße, Sam."
Ich sprach das aus, was mir seit heute Vormittag im Kopf herumgeisterte.
„Ich weiß, Jana. Ich weiß."
Ihre durchdringend grünen Augen starrten mich durch das Handy an und ich sah ihrem Blick an, dass sie mich bestens verstehen konnte. Denn wenn mich jemand in so einer Situation verstand, dann war das Sam.
„Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt diese Rolle spielen will", fuhr ich langsam fort.
Das verstand sie wiederum nicht.
„Bitte?!", unterbrach sie mich empört und ich verstummte. „Du hast es doch noch nicht einmal ausprobiert! Du kannst doch nicht schon vorher aufgeben, Jana."
Doch. Doch, das konnte ich.
Das konnte ich momentan besonders gut, wie sich in den letzten Tagen herausgestellt hatte.
Ich antwortete nicht, und Sam interpretierte mein Schweigen natürlich richtig.
„Sei nicht so hart zu dir selbst, Maus", seufzte sie. „Lass das doch einfach mal auf dich zukommen. Wenn es dir Spaß macht, ist es super, und wenn du merkst, Lovestories auf der großen Leinwand sind nichts für dich, dann ist das auch super."
„Das ist nicht für die große Leinwand", gab ich wahnsinnig klug zurück, doch Sam grinste nur.
„Wie geht's euch eigentlich?", lenkte ich von mir selbst ab. „Habt ihr schöne Flitterwochen?"
„Jaja, uns geht's bestens", winkte Sam ab, „aber geh du jetzt erst einmal schlafen und wir sprechen dann morgen, wenn du bei Jen warst, okay?"
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[2013]
„Komisch finde ich das ja schon."
Schniefend wischte ich mir die Tränen von den Wangen und sah zu Miriam auf.
„Was meinst du?"
„Naja. Er antwortet einfach nicht mehr. Findest du das nicht komisch?"
Ich zuckte nur mit den Schultern. In den letzten achtundvierzig Stunden hatte ich mir so oft den Kopf zerbrochen, dass ich nicht weiter darüber nachdenken konnte.
„Oh, meine Mama ist da. Ich muss los. Bis morgen in der Schule, Jana!"
Und dann war ich wieder alleine in meinem Elend. Nur ich und mein gebrochenes Herz.
Ich starrte auf meine Fingernägel mit dem abgeblätterten Glitzernagellack.
Hatte ich den größten Fehler meines Lebens begangen?
Ich war 16, Herrgott nochmal. Ich wusste überhaupt noch gar nicht, wer ich war und was ich wollte und was ich mit meinem Leben anfangen sollte, und dann kam er um die Ecke und überforderte mich einfach mit ALLEM?!
Natürlich zog ich mich verdammt nochmal zurück. Weil ich ein kleiner Feigling war.
‚Mach das nicht, Jana. Bitte. Jana, das kannst du mir nicht antun. ‚Ich weiß, dass ich dich nicht von deiner Entscheidung abbringen kann. Aber bitte... ich weiß irgendwie auch, dass nach dir nie wieder jemand kommen wird, der mich so berühren kann wie du. Selbst aus der Ferne. Nie wieder wird jemand so für mich sein, wie du es bist...'
Sag das nicht.'
Meine Hände hatten gezittert. Wie verrückt.
‚Es ist aber so. Frag mich in fünf Jahren, in zehn Jahren, und ich werde dir genau diese Antwort geben. Nie wieder wird jemand so für mich sein, wie du es bist.'
Vielleicht sollte ich ihn das echt fragen? Ich schob mir die Sonnenbrille die Nase nach oben, als ich aus dem Flugzeug in New York trat. Vielleicht sollte ich ihm diese Nachricht unter die Nase halten und ihn einfach mal fragen, ob die Nachricht wie guter Wein gereift oder wie eine Apfelsine versauert und vergammelt war.
Schlecht gelaunt steht dir nicht gut, Jana. Schalt mal ab und geh lieber deinen Uber suchen.
Ich fand ihn, ich stieg ein, ich stieg aus, ich fand mich mitten in Manhattan wieder. Und schon klopfte mein Herz schneller und meine Mundwinkel bogen sich automatisch ein wenig nach oben.
Bevor ich das Gebäude betrat, legte ich für einen Moment den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Ich liebte es, wenn die Gebäude so hoch hinaufragten, dass es wirkte, als würden sie mit den Wolken abhängen.
„Guten Tag, was kann ich für Sie tun?", begrüßte mich die freundliche Dame hinter dem Empfang.
Ich reichte ihr meinen Ausweis und nannte ihr Jennifers Namen, und sofort erschien eine Gestalt, die wahrlich jede Blicke auf sich zog. Jennifer war noch keine 30, sie war rund wie eine Murmel und einfach bildschön. Sie trotzte den internationalen Schönheitsstandards aus vollster Seele, und dabei war sie so lässig und charismatisch und attraktiv, dass ich mich erst einmal sprachlos an ihre üppige Brust drücken ließ.
„Mein Gott, deine Augen! Wie schön sie sind!", strahlte sie mich an.
„Naja, gegen Sam kann ich nicht anstinken", murmelte ich automatisch, doch Jen winkte ab.
„Sams Katzenaugen sind etwas ganz Besonderes, aber deine, honey, sind perfekt."
„Wieso?"
Misstrauisch sah ich sie an.
„Graublau ist die beste Farbe. Sie schmeichelt jeder Gesichtsform und -farbe, sie passt zu jeder Klamottenfarbe und jeder Frisur und Haarfarbe. Gott, was für ein Glücksgriff, wir werden so tolle Kostüme für dich kreieren können!"
Wow.
Das war, glaube ich, das schönste Kompliment, das mir je jemand Professionelles gemacht hatte. Es war auch so ziemlich das einzige professionelle Kompliment, das ich bisher gemacht bekommen hatte. Traurigerweise.
Ich folgte Jen, die schon munter vor sich hin plapperte und mir tausend Fakten und Dinge um den Kopf warf, in den Fahrstuhl und fühlte mich ... wohl. Ich fühlte mich weder überfordert noch panisch noch fehl am Platz.
Jen war super. Da hatte Sam absolut Recht.
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