#44 - Sugar Mommy

Ich hasste mich.

Seit über zehn Minuten starrte ich an die weiße Decke, ohne mich bewegt zu haben. Wie eine Leiche in ihrem Sarg.

Es war der berühmte Morgen danach.

Mein Gott, ich hasste mich.

Am liebsten hätte ich mir die Decke über den Kopf gezogen, aber dann hätte ich Luke daran erinnert, dass ich existierte, denn es gab hier ja nur eine Decke, unter der wir also gerade gemeinsam lagen. Würde ich sie bewegen, würde er das spüren und sich an meine Existenz erinnern. In meiner Panik redete ich mir nämlich ein, dass er sich nicht einmal mehr an mich erinnern konnte. Oder dass ich neben ihm in diesem Hotelzimmerbett lag.

Ergab natürlich total viel Sinn, wenn man daran dachte, dass wir heute Nacht miteinander geschlafen hatten und es ungefähr die beste Nacht meines Lebens gewesen war.

Natürlich erinnerte er sich bestimmt nicht mehr an mich.

Ich hasste mich.

Nur leider musste ich ganz dringend auf die Toilette.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich doch zu bewegen. Ich konnte sowieso nicht mehr widerstehen. Ganz langsam, so dass man überhaupt nichts hörte, drehte ich meinen Kopf in Lukes Richtung.

Im nächsten Moment sackte mein Herz erst in meinen Slip hinunter, nur um dann wie verrückt von Magen bis hinauf in meine Kehle zu hüpfen und mich beinahe zum Ersticken zu bringen.

Er schlief noch.

Er lag auf der Seite mit dem Gesicht in meine Richtung, sodass ich ihn perfekt betrachten konnte. Eine einzelne Locke hatte sich aus seinen Haaren gelöst und war ihm in die Stirn gefallen. Die Decke hatte er bis zu seinen Rippen gezogen und ich konnte seine muskulösen Schultern betrachten, da er kein Shirt trug. Jesus Christ.

Wenn er schlief, sah jünger aus. Ich verlor mich in seinem Anblick und konnte mich gerade noch zurückhalten, diese Haarsträhne nach hinten zu schieben. Ich krallte meine Finger unter der Bettdecke ineinander und hätte gerne aufgestöhnt, weil ich einfach so unfassbar blöd war.

Wieso hatte ich das getan? Wieso hatte ich mich so auf ihn gestürzt? Wieso hatte ich echt mit ihm geschlafen?!

Wiesoooo?!

Ich kniff die Augen zu und drehte den Kopf weg. Die nächste Panikattacke klopfte gegen meine Schläfen wie ein Specht gegen einen Baumstamm.

Also konzentrierte ich mich auf meine Atmung, zumindest ein Teil meines Hirns tat das – ein anderer, viel rationaler hatte schon längst die Antworten gefunden.

Ich hatte all das getan, weil ich Hals über Kopf in ihn verliebt war. Das hatte ich mir heute Nacht schon eingestanden, weshalb sollte ich mich also heute anlügen und behaupten, es stimmte nicht?

Klar, viele Leute meinten, dass man im Affekt gerne Sachen dachte, die nicht stimmten. Oder dass man nachts eine andere Person war als tagsüber.

Pffff, aber wenn ich jetzt behauptete, ich wäre dem Typen nicht vollkommen verfallen, dann wäre ich wirklich sowas von lächerlich.

Automatisch, ohne dass ich mich selbst aufhalten konnte, drehte ich den Kopf wieder um 180 Grad. Es wirkte, als hätte er ein leichtes Lächeln im Gesicht, während er schlief.

Ich nahm mir wieder ein paar Augenblicke, um ihn zu betrachten, dann schob ich mich aus dem Bett. Meine Blase war echt lästig.

Egal, ob ich Gefühle für ihn hatte oder nicht, es war absolut dämlich. Der eine Grund hieß Sierra und der andere Grund hieß Jana.

Der eine Grund war einfach perfekt und makellos und supersüß und lieb, und der andere Grund war total verkappt und halb depressiv und unzufrieden und alles andere als emotional stabil.

Nope nope nope nope.

Ich legte den Kopf in die Arme, während ich auf dem Klo saß. Einfach nope.

Ab unter die Dusche, Jana, vielleicht kommst du dann wieder ein wenig zur Vernunft. Egal wie sehr dein Herz klopft und dir mitteilt, du sollst zurück zu ihm ins Bett kriechen.

Die Tatsache, dass ich nur Lukes Shirt und meinen Slip trug, ignorierte ich geflissentlich, als ich mir beides vom Körper riss und beiseite schleuderte.

Fuck. Grad als ich einen Fuß in die Dusche setzte, blieb ich wie festgefroren stehen und riss die Augen auf.

Schnell wickelte ich mir ein Handtuch um den Körper und flitzte zurück ins Zimmer, um meine – inzwischen wieder trockenen – Klamotten zusammenzusammeln.

Ich ließ mir ein wenig zu viel Zeit unter der Dusche, aber ich hatte es echt nötig.

Mit halb geföhnten Haaren und fertig angezogen stand ich nun im Bad mit der Hand auf der Klinke. Ich schluckte schwer, atmete einmal langsam aus und öffnete dann die Tür. Es half sowieso nichts, ich musste ihm irgendwann gegenübertreten.

„Guten Morgen, Ferroni."

Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch, denn die Begrüßung kam von Ashton, der auf dem Sofa saß und ein Sandwich mampfte.

„Hey, guten Morgen", gab ich zurück.

Luke war nicht hier. Wo war er?

„Wie hast du geschlafen? Geht's dir einigermaßen gut?", erkundigte Ashton sich und ich sah die ehrliche Sorge in seinen Augen.

Geschlafen hatte ich wie ein Stein.

„Alles gut", gab ich zurück. „Warte mal", ich deutete mit dem Finger auf meinen Koffer, den ich erst jetzt bemerkte.

„Die Praktikantin hat heute Nacht unsere Koffer vom Flughafen geholt", bestätigte Ashton nickend und schob sich den Rest seines Sandwiches in den Mund.

Das änderte natürlich einiges.

Ich konnte mich umziehen und auch ein wenig schminken.

Schon fühlte ich mich wohler.

In der Zwischenzeit erzählte Ashton mir durch die offene Badtür, dass es noch nichts Neues bezüglich unseres Flugs gab. Ihr Manager wollte trotzdem, dass wir schon einmal zum Flughafen fuhren, damit wir auch ja den nächstbesten Flug nach Chicago bekamen.

„Wir fahren in ungefähr zehn Minuten", schloss Ashton seine Erzählung.

Mit offenem Mund stampfte ich zur Badtür und starrte ihn an.

„Ernsthaft?!"

„Jep. Deswegen habe ich dir zwei Sandwiches mitgebracht, weil du es nicht mehr zum Frühstück schaffen wirst", antwortete Ash grinsend und deutete auf den Teller, der auf dem Couchtisch stand.

„Wow. Danke", seufzte ich erleichtert.

Sauer war ich trotzdem. Dieser Will war mir einfach nicht sympathisch. Dass man mir vielleicht auch Bescheid hätte sagen können, war ihm wohl nicht in den Sinn gekommen!

Und Luke auch nicht, wie es aussah.

Wenigstens auf Ashton konnte ich mich verlassen.

„Sind Calum und Luke beim Frühstück oder was?", fragte ich aus diesem Gedanken heraus und zog den Reißverschluss meines Koffers zu und griff dann nach dem einen Sandwich.

„Jep."

„Cool", gab ich genervt zurück. „Luke hätte ja ruhig mal sagen können, dass ich mich beeilen soll oder so."

Ashton schwieg. Ich konnte seinem Gesicht nicht entnehmen, was er dachte. War vielleicht auch besser so.

Ich zog meinen Koffer bis zur Tür, dann nahm Ashton ihn mir ab und zog ihn den Flur entlang zum Fahrstuhl. Ich folgte ihm. Mit jedem Schritt wurde ich immer wütender und wütender. Ich war gut genug, dass man seinen Penis in mich hineinsteckte, aber man konnte mir nicht einmal sagen, wann wir das Hotel verlassen würden?

So ein blödes Arschloch.

Ashton steuerte auf die Rezeption zu, wo er die Zimmerkarte in eine Box mit der Aufschrift Fast Check-Out warf. Meine folgte direkt.

Draußen stand schon Will mit seinem dunklen Van.

„Hi", war alles, was er sagte. Er stieg nicht einmal aus oder drehte sich zu uns, um uns zu begrüßen.

Ashton schob sich ins Auto und pflanzte sich auf den mittleren Platz der Rücksitzbank, während ich mich rechts neben ihn setzte.

Gut. So saß Luke entweder vor mir auf dem Beifahrersitz, wo ich ihn kaum sehen können würde, oder links neben Ashton, wo ich ihn erst recht nicht sehen würde.

Blödes Arschloch.

„Oh", machte Will genau in der Sekunde, als der Kofferraum geöffnet wurde. Ich hatte auf meine Hände hinunter gestarrt und nicht gemerkt, dass die anderen beiden auch endlich kamen.

„Was?", fragte Ashton.

„Ihr wurdet umgebucht", sagte Will und scrollte mit dem Daumen weiter nach unten auf seinem Handydisplay. „Der Flug geht in einer knappen Stunde, wir müssen uns also echt beeilen!"

Und dann ging der nächste Stress los.

Hätte ich vorher gewusst, dass alles schon drunter und drüber gehen würde, bevor überhaupt die Dreharbeiten losgingen, hätte ich Harry damals in London ausgelacht und ihm das Skript um die Ohren gepfeffert.

Wenigstens hielt uns der Stress so auf Trab, dass ich Luke perfekt ignorieren konnte.

Die Fahrt dauerte leider zu lang, sodass wir im Flughafen rennen mussten.

Einchecken, Gepäck aufgeben, durch die Security, Gate suchen.

Gut, dass ich die zwei Sandwiches in meinem Magen hatte, sonst wäre ich schon längst umgekippt.

Wir schafften es.

Es grenzte an ein fucking Wunder, aber das blöde Arschloch mit seinen langen Beinen und einer echt beneidenswerten Kondition war vorausgelaufen und hatte wie ein Spürhund das Gate sofort gefunden und das Flughafenpersonal so lange bequatscht, bis ich mit Calum auch endlich da war. Er hatte mich nicht allein gelassen, während Ashton vorausgelaufen war und Luke geholfen hatte.

Natürlich hatten diverse Fans sie ausfindig gemacht. Und natürlich hatten die dazu beigetragen, dass wir unseren Flug noch schafften.

God bless fans.

Ohne uns waren Superstars doch echt aufgeschmissen.

Mein Boarding Pass in meinen schwitzigen Fingern war schon ganz zerknittert, als ich endlich das Flugzeug betrat und dann auf den Fetzen Papier schielte, um meine Platznummer nachzuschauen.

Natürlich Business Class.

Was sonst.

Ich hatte schon wieder vergessen, dass ja Netflix für unsere Tickets bezahlte und nicht wir selbst. Okay, 5SOS flog bestimmt auch sonst immer Business, also lasst mich meine Aussage korrigieren: Netflix zahlte für mein Ticket und nicht ich selbst. Sonst würde ich nämlich überhaupt nicht fliegen, sondern mit einem kleinen Ruderboot von New York nach Chicago rudern. – Moment. Da gab es überhaupt keinen möglichen Wasserweg, Janabanana, du müsstest also laufen. Oder trampen.

Gut, dass es Netflix gab. My Sugar Mommy for today.

Es war ein kleineres Flugzeug als das gestrige, und diesmal waren immer zwei Sitze nebeneinander. Neben mir saß Calum, der, kaum dass er saß, schon die Augen schloss und pennte.



~

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Ein fucking Albtraum.

Leute, so ein fucking Albtraum.

Wir kamen an und 5SOS hatte direkt einmal ein Meeting mit ihrer Plattenfirma.

Ich lief also allein durch Chicago. Musste allein was zu trinken kaufen. Allein essen.

Kein Plan, wo die Jungs waren.

Inzwischen war es kurz vor neun abends, ich saß immer noch in einem kleinen Restaurant und las ein Buch auf meinem Handy, und ich hatte immer noch nichts von einem von ihnen gehört.

Ungefähr fünfundvierzigmal hatte ich darüber nachgedacht, ihnen per Instagram DM zu schreiben, wo sie denn waren – ich hatte ja keine einzige Handynummer von ihnen.

Und fünfundvierzigmal hatte ich mich dagegen entschieden. Ich wollte keine Klette sein. Ich war erwachsen, ich kam auch allein in einer fremden Stadt klar.

Also machte ich mich auf den Rückweg zum Hotel. Ging duschen. Schlüpfte in mein Bett. Schrieb Sam. Schrieb meiner Mama. Schrieb Matilda und freute mich grimmig, dass Pierre endlich aus der Wohnung ausgezogen war. Weinte ein bisschen. Verdrehte die Augen über mich kleine Memme. Las mir noch fünfmal die Email mit dem morgigen Tagesplan durch. Hörte einen Podcast und schlief dann endlich ein.

Einsam und allein und ohne was von Luke gehört zu haben.

Ohne auch nur ein einziges Wort mit ihm heute gewechselt zu haben.

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