#40 - 5 fckn Jahre
Nicht umdrehen, nicht umdrehen, nicht umdrehen.
Es raschelte schon wieder. Er hatte sich auf das Bett gesetzt. Auch wenn ich ihn nicht sah, war ich mir sicher, dass er sich mit dem Rücken zu mir aufs Bett gesetzt hatte und jetzt in die Dunkelheit starrte.
Und wieder stand er auf. Und wieder lief er im Zimmer auf und ab.
Was ist los, Luke? Was beschäftigt dich?
Ich wollte ihn fragen, ich sollte ihn fragen, ich sollte ihn nicht fragen, ich wollte ihn fragen...
Er war stehen geblieben. Sah er mich an? Oder starrte er wieder auf sein Handy? Sah er aus dem Fenster in den regnerischen Sturm hinaus?
„Jana, nicht nur du hast an der Sache zu knabbern gehabt. Ich habe dich nie vergessen, du warst immer irgendwie präsent in meinem Kopf."
Wieso zerrte mein Hirn jetzt das Gespräch vor unserem Abflug wieder an die Oberfläche?
„Jetzt kannst du endlich mit mir abschließen, weil du eine aufrichtige Entschuldigung von mir gehört hast."
Meine Entschuldigung war wirklich aufrichtig gewesen. Allerdings war ich mir inzwischen nicht einmal mehr sicher, ob ich mich nur bei ihm oder nicht auch bei mir selbst ein wenig entschuldigt hatte.
„Sag mal, was ist eigentlich der Titelsong des Films, für den wir das Musikvideo drehen?"
I have such a lonely heart. Passender könnte der Song wirklich nicht sein. Die Ironie war beinahe schon schmerzhaft.
„Es ist einer der wenigen Songs, die ich geschrieben habe, die nicht über dich sind."
Jap, DANKE, HERZ, drück es mir noch rein. Ist schon okay.
Wieder raschelte es. Diesmal irgendwo am breiten Bettende.
„Wie lange habt ihr gebraucht, bis der Song fertig war?"
„Nicht lang. Gerade einmal drei Tage. Ich hatte diese Melodie schon seit Tagen im Kopf, Ashton kam dann mit diesen saukomischen Lyrics, aber irgendwie hat das alles gevibed. Und jetzt passt es einfach perfekt zu diesem Film."
Ich hatte in diesem Moment ja absolut keine Ahnung, was für eine fette Lüge er mir da erzählt hatte.
~
~
~
Lukes Sicht.
Ergeben hatte ich die Augen geschlossen und den Hinterkopf gegen die Kopfstütze sinken lassen. Ich hatte mich schon vor ein paar Minuten aus der hitzigen Diskussion zurückgezogen, die Ashton und Michael führten. Calum saß auf dem Beifahrersitz und schwieg genauso wie ich.
Der Uber-Fahrer tat mir wirklich leid.
„Trotzdem finde ich das nicht gut, Ash!"
Wie oft hatte Michael diesen Satz jetzt schon von sich gegeben?
Ich hörte Calum geräuschvoll ausatmen und fühlte das mit jeder Faser meines Körpers.
„If Walls Could Talk passt nicht zu diesem Film", mischte ich mich nun doch wieder ein.
„Bitte?!"
Ich hatte die Augen immer noch geschlossen und öffnete sie nicht einmal, als sich erstaunlich starke Finger in meinen Unterarm gruben.
„Luke. Wieso?"
Ashton war nicht amused, dass ich mich auf Michaels Seite schlug. Aber er hatte nun einmal recht!
„Der Song passt einfach nicht. Er ist zu ... ich weiß auch nicht. Zu Pop. Zu wenig edgy." Ich zuckte mit den Schultern. „Was meinst du, Calum?"
Er antwortete mir nicht.
Das brachte Michael nun auf die Palme.
„Äußere dich wenigstens dazu, Calum, du gehörst genauso zu dieser Band wie alle anderen hier!"
Wenn das so weiterging, würden die uns aus dem Projekt rausschmeißen und sie würden eher Taylor Swift oder die Chainsmokers fragen. Halt –
„Was ist, wenn wir ihnen den Song mit den Chainsmokers anbieten?", schlug ich aus diesem Gedanken heraus vor.
Im nächsten Moment zuckte ich zusammen, als sie auf mich losgingen wie die Geier auf Aas.
„In dem Song geht es um eine Dreiecksbeziehung, wie soll das denn zum Drehbuch passen!"
„Das passt ja gar nicht!"
„Wir brauchen was Cooleres, was Unkonventionelleres!"
„Okay okay", lenkte ich ein und starrte erst Michael und dann Ashton finster an. „Dann schlagt doch einfach mal was Besseres vor. Denn wenn es so weitergeht, dann kicken sie uns und wir können weitere Projekte wie dieses vergessen."
Wieder eine hitzige Diskussion.
Ich schloss wieder die Augen und konzentrierte mich auf meine Atmung. Sie machten mich manchmal echt fertig.
Da hatten wir so viele Songs geschrieben und keiner schien für den Film zu passen.
„Kannst du nicht einen von deinen hergeben, Luke?"
Unter meinen halb geöffneten Lidern blitzte ich Michael böse an. Bevor ich allerdings antworten konnte, kam mir schon Calum zuvor.
„Nein", antwortete er mit ruhiger Stimme und drehte sich nicht einmal zu uns um. „Wenn er das noch nicht angeboten hat, dann möchte er es nicht, und dann müssen wir das akzeptieren."
Es ist ja nicht so, als hätte ich nicht schon darüber nachgedacht. Bestimmt würde ich einen Song finden, der zum Drehbuch und dem Inhalt des Films passen würde – aber Calum hatte recht. Ich hatte es nicht angeboten, weil ich noch nicht bereit war, dass einer der Songs ans Tageslicht kommen würde. Bisher hatte ich sie nur für mich geschrieben. Für mein Seelenheil. Irgendwann einmal würde ich sie vielleicht veröffentlichen. Oder eben auch nicht. Das konnte ich jetzt noch nicht sagen.
„Herrschaften, wir sind da", unterbrach der Uber-Fahrer die Stille, die nun endlich geherrscht hatte.
Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben lief ich hinter Calum. Ash und Michael liefen rechts und links von mir und hatten schon wieder angefangen zu diskutieren.
„Könnt ihr wenigstens während der Trauung die Klappte halten?", grummelte ich und ging augenverdrehend an Calum vorbei in dieses riesige Herrenhaus, zu dem Calum uns die Tür aufhielt.
Wow, was für ein Gebäude! Für einen Moment vergaß ich das Dilemma mit dem Song. Wahnsinn, ich war wirklich schon sehr gespannt auf Sams und Harrys Trauung!
Wir standen in einem Flur, der wie ein Windfang den Eingang des Hauses bildete. Direkt neben Calum war eine weitere Tür, die bestimmt ins Innere des Hauses führte.
„Könnt ihr euch noch an diesen einen Song erinnern, von dem du ewig lange die Melodie vor dich hingesummt hast?"
Calulms Frage kam aus dem Nichts. Es war so still hier, dafür dass hier eigentlich dutzende von Hochzeitsgästen sein sollten, und ich fragte mich gerade, wo alle waren, als Calum mich anstarrte. Er hatte sich nun umgedreht und die Stirn gerunzelt.
„Wo sind denn eigentlich alle?", fragte Michael gerade, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Was hatte ich gesummt?
„Du hast gesummt und gesummt und dann bist du mit Ashton ins Studio und er hat so komische lyrics geschrieben, dass wir den Song in die virtuelle Schublade verfrachtet haben. Wie hieß der, Ash?"
„Kein Plan."
„Leute, wo sind alle?", wiederholte Michael ein wenig panisch und sah auf sein Handy. „Fuck, ich glaube, es geht genau jetzt los!"
„Irgendwas mit soul..."
„Wo ist diese Hochzeit, Leute?!?"
„Ne..." Ashton runzelte die Stirn und starrte für einen Moment ins Leere, dann schnappte er nach Luft und rief: „Loney Heart!"
„Ja!", bestätigte Calum nickend und wedelte mit der Hand in meine Richtung. „Such mal danach bitte!"
Er wollte, dass ich den Link unseres internen Servers aufrief, doch Michael schob mein Handy beiseite und wiederholte eindringlich: „Leute, es geht jetzt los und wir sind nicht dort. Wo ist diese verdammte Hochzeit?!"
Bevor irgendeiner von uns reagieren konnte, wurde auf einmal die doppelflüglige Eingangstür aufgestoßen. So heftig, dass sie mit den Klinken rechts und links gegen die Wand krachte.
Und dann stand sie dort.
Für einen Moment hatte ich das Gefühl, ich würde träumen. Natürlich hatte ich damit gerechnet, sie zu sehen, schließlich war das die Hochzeit ihrer Cousine, aber niemals hatte ich damit gerechnet, dass sie mir erst einmal den Atem rauben würde.
Genauso wie ich war Jana logischerweise jetzt erwachsen. 21, fast 22, und sie hatte sich in eine Frau entwickelt, nach der ich mich ziemlich sicher umdrehen würde, wenn ich sie das erste Mal irgendwo sehen würde. Sie hatte eine so lässige Ausstrahlung, eine gerade Haltung und war eindeutig noch ein paar Zentimeter gewachsen.
Das alles stellte die eine Seite meines Hirns fest, während die andere merkte, dass Jana wohl versucht hatte, die Tür davon abzuhalten, gegen die Wand zu krachen, denn sie hielt die riesigen Griffe der Eingangstür immer noch fest.
Seit über fünf fucking Jahren spukte sie in meinem Kopf herum.
Und jetzt sah sie mich mit ihren graublauen Augen an.
„Die Trauung ist da vorne", sagte sie mit einem wunderbar kalifornischen Akzent, „ihr solltet euch beeilen."
Keiner von uns hatte bisher irgendetwas gesagt.
Sie schob sich durch die Mitte von uns vier und zog die Tür, die ins Haus führte, auf. Ich erhaschte einen Blick auf etwas Weißes, das sich bewegte – das war bestimmt die Braut – und hörte Jana etwas murmeln, das ich nicht verstehen konnte.
Dann stürmte sie wieder hinaus und ließ Sam dort stehen. Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Jana würdigte keinen von uns auch nur eines Blickes, während sie wieder durch unsere Mitte rauschte und mich dabei am Arm berührte.
Die nächste Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
Jetzt standen wir vier hier wieder alleine.
„Okay, shit, wir sollten echt los!"
Mit diesen Worten riss Michael die Tür auf und wir hasteten nach draußen, um die Trauung zu finden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top