#39 - No pillowtalk

Als hätte Lukes Umarmung mir einen Stromschlag verpasst, schoss ich nach oben und stolperte ein paar Schritte von ihm weg.

Seine Arme waren nach unten geplumpst und er saß immer noch dort auf dem Boden. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, als er zu mir aufsah.

Er strich sich seine nassen Locken aus den Augen und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor.

„Sorry, das wollte ich nicht, ich ... ich meine, mir ist ... ich ..."

Hör einfach auf, zu reden, Jana. Das ist besser. Also klappte ich meinen Mund wieder zu und schluckte schwer, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden.

Erst jetzt merkte ich, dass ich am ganzen Körper zitterte, denn ich war pitschnass. Wieso war ich pitschnass?

Ach, weil draußen eine halbe Naturkatastrophe herrschte und wir im prasselnden Regen zu Wills Auto gelaufen waren. Deswegen war ich pitschnass. Kapiert.

Ich atmete tief durch und versuchte irgendwie, mich zu sammeln.

„Nein, mir tut es leid", hörte ich nun Lukes leise Stimme.

Endlich konnte ich mich wieder so weit konzentrieren, dass ich ihn ansehen und ihm zuhören konnte.

„Ich wollte dich nicht bedrängen, ich wollte einfach nur für dich da sein, es tut mir leid, ich–"

„Es ist alles in Ordnung, Luke, kein Stress", unterbrach ich ihn.

Nichts war in Ordnung, absolut überhaupt nichts, aber irgendwie musste ich ja die letzten paar Prozent an Fassung bewahren, die mir noch geblieben waren.

Mechanisch wie ein Roboter nickte Luke. Er war immer noch nicht aufgestanden.

„Okay", sagte er und rappelte sich nun doch vom Boden auf. Er stand vor mir, immer noch ein paar Schritte entfernt, doch ich konnte wieder die schräge Falte zwischen seinen Augenbrauen sehen. „Ich werde bei Ashton und Calum im Zimmer schlafen, ja? Ich glaube, das ist das Beste."

„Ja."

Ich nickte leicht. Wieder schluckte ich schwer. Fang nicht an zu heulen, Jana...

„Nein", hörte ich mich auf einmal selbst sagen. Luke hatte sich schon zur Tür umgedreht, doch jetzt sah er wieder mich an.

Sein Blick klebte förmlich an mir, als würde er sehnlichst erwarten, dass ich ihm sagte, er sollte nicht gehen.

„Bitte geh nicht", hörte ich wieder meine eigene Stimme, bevor ich überhaupt kapierte, was ich sagte.

Da verstand ich, wieso ich es gesagt hatte.

„Nein, ich sollte–"

„Ich kann nicht alleine bleiben", flüsterte ich und Luke hörte auf, zu protestieren.

Er wartete, bis ich den Mumm zusammengekratzt hatte, um weiterzusprechen.

Ich biss mir von innen auf die Unterlippe und starrte auf meine Finger hinunter. Vor lauter Panikattacken hatte ich mir 80 Prozent meines Nagellacks von den Fingernägeln gekratzt.

Tief holte ich Luft. Ich zitterte immer noch so stark, dass ich mir Mühe geben musste, dass meine Zähne nicht klappernd aufeinanderschlugen.

„Ich kann nicht alleine bleiben, weil ich sonst durchdrehe", sagte ich mit erstaunlich klarer Stimme. „Das haben die Jungs doch vorhin auch gesagt. Ich bin ein einziges Wrack, und ich kann heute Nacht nicht alleine in dieser fremden Stadt in diesem riesigen Bett in diesem unheimlichen Hotelzimmer bleiben."

Für einen Moment herrschte Stille.

„Okay."

Dankbar sah ich von meinen Fingern auf und begegnete Lukes Blick.

Es war mir nicht einmal peinlich, dass ich so schwach war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er verstand mich.

„Möchtest du zuerst duschen gehen?", bot er mir an und deutete mit der Hand in die Richtung des Badezimmers.

Ich war hin- und hergerissen. Ich fror und sollte mich aufwärmen, aber ich wollte mich unbedingt bei meiner Familie melden.

„Du gehst zuerst", entschied Luke für mich und ein kleines Lächeln zupfte an seinem Mundwinkel, „du frierst wie ein Schneemann."

„Schneemänner frieren nicht", erklärte ich ihm schon fast ein wenig trotzig und entlockte ihm damit ein Glucksen.

Ooooh je, mein Herz, Leute, mein Herz!

Während ich schnell ins Bad huschte, wurde mir klar, wie unfassbar bescheuert ich eigentlich war, dass ich tatsächlich mit ihm in einem Zimmer und auch noch in einem Bett schlafen würde. Mamma mia, wer eine Anleitung brauchte, wie man sich selbst das Herz brach – I am your girl.



~

~

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Als ich auch der Dusche kam, fühlte ich mich wie ein neuer Mensch. Ich hatte mir soweit Mut zugeredet, dass ich mir sicher war, ich würde die Nacht überstehen und auch sonst meine Panik, dass wir nicht in Chicago ankommen würden, überwinden. Wieso sollten wir nicht ankommen, wir würden ja erst fliegen, wenn es wirklich sicher war. Alles easy, Jana, alles easy.

Zumindest war alles easy, bis ich das Bad wieder verließ und diesen unfassbar schönen Menschen auf der dunkelgrauen Couch sitzen sah. Er blickte auf sein Handy und dabei waren ihm wieder seine Goldlöckchen ins Gesicht gefallen.

Bestimmt schrieb er gerade Sierra, seiner Freundin, dass es ihm gut ging und dass er heute Nacht mit diesem Freak ein Zimmer teilen musste.

Ich war so froh, dass das Hotelpersonal ein paar Schlafanzüge ins Bad gelegt hatten. Sie waren komplett weiß und aus Samt – und ich sah darin aus wie ein Geist. Ich hatte es vermieden, in den Spiegel zu schauen, denn ich wusste auch so, dass ich wie eine Wasserleiche aussah.

Luke hatte wohl im Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen, denn er sah auf und schenkte mir ein warmes Lächeln, das mein Inneres natürlich wieder komplett in Aufruhr versetzte. Okay, Herz, Magen, kommt wieder runter, Salsastunden sind heute vorbei.

„Hey." Seine Stimme war ein wenig rau und ich musste mir ein Augenrollen verkneifen, als jetzt auch noch meine Knie anfingen zu zittern.

Schnell setzte ich mich aufs Bett, damit er nicht sehen konnte, dass ich schon wieder zitterte, obwohl mir ja nun nicht mehr kalt war. Ganz im Gegenteil. Mir war warm, sehr warm. Schon fast ein wenig heiß.

Ich wandte den Blick von ihm ab und griff nach meinem Handy.

„Du kannst jetzt ins Bad. Die Zahnbürste in der Verpackung ist noch frisch", erklärte ich ihm, ohne von meinem Handy aufzusehen. „Hast du dich schon ins Wlan eingeloggt?"

„Ja. Ich schicke dir das Passwort."

Ich nickte stumm und wartete, dass er auf den Button tippte, der bei ihm auftauchte, um das Passwort mit mir zu teilen. Eine der besten Funktionen, die Apple je erfunden hat.

Luke verschwand ins Bad und ich konzentrierte mich vehement auf mein Handy, um ihm nicht hinterherzuschauen.

Mein WhatsApp explodierte.

Erst schrieb ich Mama, dann Sam, dann Leo und dann allen weiteren.

Ich hatte auch eine Nachricht von Matilda. Mensch, ich hatte ja schon längst vergessen, dass ich ja eine Wohnung in Berlin mit meinem Exfreund teilte.

‚Hey girl', hatte sie geschrieben und dahinter direkt einen genervt schauenden Emoji gesetzt. Oh nein, ich ahnte nichts Gutes...

‚Pierre ist noch nicht raus. Ich hab mich vorhin mit ihm gefetzt und ihm noch 24 Stunden gegeben, ansonsten werde ich mit meinem Vater anrücken. Habe ich ihm gedroht, habe ich natürlich nicht vor haha aber das weiß der Lappen ja nicht. Ich halte dich auf dem Laufenden!'

Matildas Vater arbeitete bei der KriPo.

Erst schnaubte ich belustigt, dann wurde meine Miene immer finsterer. Ich hatte mir die Decke bis zur Nase hochgezogen und starrte auf mein Handy.

Pierre ist noch nicht raus.

Was fiel dem Typen eigentlich ein?! Betrog mich an der Hochzeit meiner Cousine und dann wohnte er einfach weiterhin in der Wohnung?!

Ich drehte mich auf die Seite und verfrachtete mein Handy auf den Nachttisch. Ich war so sauer. So unfassbar sauer.

Kurzerhand löschte ich das Licht auf meinem Nachttisch. Jetzt brannte nur noch die kleine Stehlampe neben der Couch.

Ich lag mit dem Gesicht Richtung Wand auf der Seite, die vom Bad abgewandt war.

Wenn Luke also aus der Tür kommen würde, dachte er hoffentlich, ich schlief schon und würde einfach stumm auch ins Bett gehen.

Das war mein Plan.

Und mein Plan ging auf.

Die Tür öffnete sich und ich konnte hören, wie er stehen blieb und die Lage abcheckte. Kennt ihr das, wenn ihr nichts seht und deswegen eure anderen Sinne umso geschärfter sind? So ging es mir gerade.

Ich konnte quasi vor meinem inneren Auge sehen – nur weil ich ihn hörte –, dass er die Badtür leise hinter sich schloss und dann zur Couch hinüberging. Im nächsten Moment ging das Licht der Stehlampe aus.

Zwei Herzschläge später machte er dafür das Licht auf seinem Nachttisch an. Ah, man konnte die Lampen dimmen, das hatte ich nicht einmal gecheckt. Das Licht war so schwach, dass es mich nicht einmal gestört hätte, selbst wenn ich hätte schlafen wollen.

Die Decke raschelte und ich spürte, wie leicht an ihr gezogen wurde. – Halt. Es gab eine Decke?! Wieso war mir das nicht aufgefallen?!

Oh mein Gott oh mein Gott oh mein Gott, warum zum Teufel gibt es nur eine Decke?! Wiesooo?

Und schon war mein Puls wieder in einer Höhe, die bestimmt nicht mehr gesund war.

Luke schien wieder am Handy zu sein, denn ich konnte das Vibrieren hören, das das Ding von sich gab, wenn er Nachrichten empfing.

Dann klapperte es leise. Er hatte es auf dem Nachttisch abgelegt.

Das Licht blieb weiterhin brennen.

Er war ungefähr einen Meter von mir entfernt. Vielleicht ein bisschen mehr – denn das Bett war echt riesig.

So nah und doch so fern.

Ich konnte ihn atmen hören. Gerade eben war das noch nicht so gewesen. Erst nachdem er das Handy weggelegt hatte.

Wieder raschelte die Decke.

Er hatte sich hingelegt.

Sollte ich mich umdrehen und so tun, als würde ich schlafen?

Oder sollte ich mich umdrehen und mit ihm reden?

Pillowtaaaaalk, fing mein Hirn sofort an zu singen und ich schluckte unwillkürlich. Ich spürte, dass meine Wangen ein wenig rot anliefen. Okay, jetzt konnte ich mich eindeutig nicht mehr umdrehen.

Dann hörte ich, wie Luke sich aus dem Bett schob. Er stand auf, ging ein paar Schritte und blieb dann stehen.

Was machte er?

Ins Bad ging er nicht.

Wo war er? War er mitten im Raum stehen geblieben?

Mit jeder Faser meines Körpers musste ich mich davon abhalten, mich umzudrehen und nach ihm zu schauen.

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