#38 - Ja, that's me. Right now.

„Wir machen das so wie besprochen und fertig", war alles, was Luke dazu noch zu sagen hatte. Seine Stimme war leise und überraschend gefasst.

Er sah auch nicht sonderlich frisch aus, wenn ich ehrlich war. Er hatte Ringe unter den Augen und die Falte auf seiner Stirn war beinahe so tief wie der Marianengraben. Na gut, vielleicht nicht ganz. Aber so tief wie der Teich im Vorgarten meiner Tante Alessandra – Sams Mom – auf jeden Fall.

Oh. Sam.

Wenn sie nicht bald von mir hören würde, drehte sie wahrscheinlich durch. Genauso wie meine Mom. Die hatten ja sicher in den Nachrichten gesehen, was das Wetter hier für einen Schabernack trieb. Oh shit. Ich brauchte WLAN, und zwar schleunigst.

Aber daran war überhaupt nicht zu denken.

Denn es war nur an eins zu denken: Diesen Flughafen zu verlassen. Und das klang einfacher als getan.

Es waren so viele Menschen hier. Warum waren so viele Menschen hier? War jeder Flug des heutigen Tages aus der ganzen Welt hier in New York notgelandet oder was?

Chaos.

Pures Chaos.

Um mich herum, in mir drin.

Wenn nicht bald Stille um mich herum herrschte, würde ich anfangen zu schreien. Oder zusammenzubrechen.

Der Trost war, dass das nicht einmal auffallen würde, denn hunderte andere Leute saßen heulend und schreiend auf dem Boden, also wieso dann nicht auch ich, ich meine, ich –

„Jana."

Wir standen immer noch an Ort und Stelle mitten in einem der grell erleuchteten Terminals, und ich sah zu Calum auf, der mich angesprochen hatte.

„Hm?"

„Bitte nimm meine Hand und folge mir."

Er hielt sie mir hin und ich ergriff sie stumm.

Erst jetzt merkte ich, dass „wir" nicht mehr an Ort und Stelle mitten in dem grell erleuchteten Terminal standen. Nur noch Calum und ich standen hier, die anderen beiden waren nicht mehr in Sichtweite.

„Wo sind Luke und Ashton?", schnaufte ich panisch, während Calum mich näher zu sich heranzog, damit ich dicht hinter ihm blieb, während wir uns durch die Menschenmasse schoben.

Oh nein, oh nein, oh nein, wir hatten sie verloren!!

Calum hatte sich die Kapuze seines Sweatshirts weit in die Stirn gezogen, aber wahrscheinlich war das sogar komplett egal. Er hätte mit einem blinkenden „ICH BIN CALUM HOOD VON 5SOS"-Leuchtschild über seinem Kopf herumlaufen können und niemanden hätte es interessiert.

In einer Massenpanik war es egal, ob da gerade ein Promi neben dir stand oder schrie oder zu Boden ging oder in einen Mülleimer kotzte.

Endlich sah ich Luke wieder.

Ich war auf den paar Metern, die wir uns fortbewegt hatten, mindestens siebenmal angerempelt worden. Unwillkürlich schluchzte ich, weil ich mich so hilflos fühlte. Mit der anderen Hand griff ich nach Calums Unterarm, an dem ich mich festklammerte.

Wehe du lässt mich los.

Wehe.

Dann kill ich dich, Hood.

Luke hatte sich das Handy ans Ohr gedrückt, schien mit jemandem eine hitzige Diskussion zu führen, während Ashton neben ihm mit einer Flughafenmitarbeiterin sprach. Wo er diese Dame jetzt aufgetrieben hatte, war meinem Unterbewusstsein ein absolutes Rätsel, aber das war jetzt egal, denn sie konnte uns eh nicht helfen.

„Ich weiß auch nicht, was jetzt das Beste ist", sagte sie gerade mit besorgtem Gesichtsausdruck. „Aber kommen Sie doch mal kurz mit hier rüber zum Schalter, dann kann ich ..."

Okay, das war zu viel.

Ich wollte gar nicht die Gesprächsfetzen von Luke aufschnappen.

Also zoomte ich mich aus und starrte neben uns durch die riesige Glaswand. Einfach in den Regen. Einfach in die Dunkelheit. Einfach in den Sturm, der gerade alles durcheinanderbrachte.

Als würde mein Geist sich von meinem Körper trennen.

Immerhin lebten wir noch.

Ohne Witz jetzt. Immerhin waren wir nicht abgestürzt.

Meine Gedanken waren wie ein Brei. Einzelne Bilder schwammen ein wenig deutlicher durch die Masse, alles andere war ein einziger Wirbel aus Farben und Formen.

Ich sah Lukes Gesicht, sah Sams Lächeln, sah Pierre und Lottie – Gott, das hatte ich schon total verdrängt –, sah Sierra an Sams Hochzeit.

„Jana."

Wieder Calums Stimme.

„Hm?", machte ich, ohne den Blick von der Glaswand zu nehmen.

„Komm."

Nein. Ich hatte der Flughafen-Panik den Rücken zugekehrt, hatte ein wenig innerliche Ruhe durch meine selbst erzwungene Hypnose erreicht, also nein, ich wollte nicht mitkommen.

Ohne zu blinzeln oder mich zu bewegen, machte ich: „Mh-mh."

„Bitte?"

Das war Ashtons Stimme. Sie war beinahe nur ein Seufzen.

„Okay, wir müssen hier raus. Los."

Das war Lukes Stimme.

„Will ist in zwanzig Minuten hier. Er ist schon losgefahren."

Wieder Luke.

„Jana."

Jemand zog an meinem Arm. Wenn ich raten müsste, würde ich wieder auf Luke tippen.

„Hey Jana, bitte schau mich an."

Ding-ding-ding, richtig geraten.

Er drehte mich sanft an den Schultern in seine Richtung und mein Geist bewegte sich zurück in meinen Körper. – Was war schöner, in seine Augen zu blicken oder körperlos durch die Gegend zu schweben?

„Hast du mir zugehört?", fragte er jetzt besorgt.

„Sie ist im Schockzustand, Luke, lass uns bitte einfach gehen, sonst klappt sie uns noch zusammen", murmelte Calum.

Wieder griff Luke nach meinem Arm, wieder sanft, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass er mich gerne einfach über seine Schulter geschmissen und rausgetragen hätte. Ich hätte es verstanden, wenn er das getan hätte.

Er schob Calum beiseite, sodass sich dessen Hand aus meiner löste, und Luke selbst griff nach meiner Hand.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog er mich nah zu sich heran und steuerte zielsicher in eine Richtung. Bestimmt Richtung Ausgang.

Wir folgten ihm. Schweigend. Vertrauend. Einfach Hemmings hinterher.

Luft.

Oh mein Gott, frische Luft, Sauerstoff, die Kühle des Regens.

Es war eine absolute Klatsche, dir mir verpasst wurde und die ich dringend gebraucht hatte. Endlich konnte ich mich ein wenig am Riemen reißen und auch wieder sprechen.

„Was machen wir jetzt?"

Auch wenn es nur ein Flüstern war.

„Wir werden von Will abgeholt", erklärte Ashton, „er arbeitet bei der New Yorker Niederlassung unseres Managements. Du siehst ja, Taxi kriegen ist heute nicht drin."

Mit uns standen natürlich hunderte von Leuten hier draußen und prügelten sich um die paar Dutzend Taxis, die hier standen. Es war hier genauso laut wie drinnen. Genauso gehetzt. Genauso bedrückend. Genauso panisch.

Wieder telefonierte Luke.

„Wo bist du denn jetzt? ... Ach so, okay. ... Rufst du mich dann an und sagst mir, wo wir hinkommen sollen? ... Weil du nicht hierher fahren kannst, Will, du kommst niemals bis zu diesem Terminal durch. ... Ja. ... Okay."

Es klappte.

Ja, es klappte tatsächlich.

Ich verlor wieder beinahe dreimal die Nerven, dreimal sah Luke mir das an und beruhigte mich mit ein paar Worten, und dann rief Will an und dirigierte uns die Richtung, in der er stand.

Und dann saßen wir in dem schwarzen Jeep.

Und dann fiel mir ein –

„Scheiße, was ist mit unseren Koffern?!"

„Die werden für uns aufbewahrt und morgen in unseren Flieger gepackt", erklärte Ashton.

„Nein", widersprach auf einmal Will vom Fahrersitz, „die holt Nicole später ab."

„Wer ist Nicole?", fragte Luke stirnrunzelnd.

Er saß neben mir. Genauer genommen saß ich zwischen Luke und Ashton auf der Rücksitzbank, während Calum auf dem Beifahrersitz saß.

„Die Praktikantin."

Ohje, die Arme musste später zum Flughafen fahren und unsere Koffer einsammeln? Sofort beschlich mich das unangenehme Gefühl von schwerer Schuld, dass die Praktikantin solche Aufgaben bekam.

„Muss das sein?"

Luke ging wohl genau dasselbe durch den Kopf.

„Ja", war alles, was dieser Will antwortete.

Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Luke fragte mich einmal, ob alles in Ordnung wäre, und ich nickte – weil das die einfachste Antwort war, nicht unbedingt die ehrlichste – und dann hielt Will endlich an.

„Wir melden uns bei euch, sobald wir Updates für euren Flug nach Chicago haben", erklärte Will und drehte sich zu uns um. Er sah erst Ashton, dann Luke an und fuhr dann fort: „Bitte lasst eure Handys also auf laut, sonst können wir euch nicht erreichen."

Mich ignorierte er komplett.

Keine Ahnung, ob mein lädiertes Hirn sich das einbildete oder ob er es wirklich tat. Aber kein einziges Mal hatte er mich angesehen, da war ich mir so sicher wie das Amen in der Kirche.

Die Fahrt war kurz gewesen, wirklich nur ein paar Minuten, und es schiffte immer noch so sehr, als würde die Welt untergehen.

Ich folgte den Jungs hinein ins Hotel, ohne mich von diesem dämlichen Will zu verabschieden. Er hatte auch nichts zu mir gesagt.

Eingecheckt waren wir dank des Managements von 5SOS schon.

„Zwei Zimmer", erklärte uns die freundliche Dame an der Rezeption, „allerdings haben wir keine Suiten mehr, das tut mir wirklich leid. Wir sind komplett ausgebucht aufgrund der Wetterlage."

„Das macht nichts", meinte Ashton abwinkend, „wir sind mit allem zufrieden. Vielen Dank."

Und zum Fahrstuhl.

Und aus dem Fahrstuhl raus.

Ich breche gleich zusammen, Leute, ich ...

Das wollte ich ihnen sagen, aber ich bekam kein Wort mehr heraus.

Tränen liefen mir über die Wangen.

Kennt ihr das, wenn ihr aus eurer Haut einfach hinauswollt? Wenn ihr es leid seid, so zu leiden? Wenn ihr diese Panikattacken und Angstzustände nicht mehr ertragen könnt?

Tja, aber niemand kann aus seiner Haut heraus. Durch jede einzelne Panikattacke muss man durch. Man muss daran wachsen, damit leben, sie verstehen können.

Tat ich in diesem Moment aber nicht. – Kennt ihr das, wenn ihr traurig seid und jemand zu euch sagt „nun sei doch nicht traurig"? Und ihr euch denkt: „Na klar, dann bin ich doch einfach nicht mehr traurig, du Arschloch, juhu!"? Und ihr das Gefühl habt, niemand versteht euch?

Ja. Ja, that's me. Right now.

Ich wollte, dass ich mich beruhigte, aber ich konnte einfach nicht. Ich konnte einfach nicht...

Unsere Zimmer lagen genau nebeneinander. Schweigend öffnete Luke die Tür zu unserem und ließ mich als Erstes eintreten. Er schloss leise die Tür hinter uns.

Ich war ein paar Schritte in den Raum hineingegangen, war stehen geblieben und hatte ihm weiterhin den Rücken zugedreht, und als seine Hand meine Schulter zaghaft berührte, verließen meine Beine die Kraft und ich sank einfach zu Boden.

„Hey..."

Zwei Arme schlangen sich um meinen bebenden Körper und ich spürte, wie Luke, der sich wohl ebenfalls auf den Boden gesetzt hatte, sich von hinten gegen mich lehnte, um mir ein wenig Wärme zu spenden.

„Ich bin hier... ich bin da... ich lasse dich nicht alleine..."

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