# 36 - I'll have such a ...

War das ernst gemeint? Das konnte er doch nicht ernst gemeint haben, oder?

An meiner einen hochgezogenen Augenbraue sah er wohl, dass mir exakt das durch den Kopf ging. Ich musste es nicht einmal aussprechen, sein Grinsen wurde breiter und breiter.

„Okay, was frage ich eigentlich so doof", meinte er lachend, und ich konnte mir nicht verkneifen: „Das habe ich mich gerade auch gefragt."

Luke warf mir einen hitzigen Blick zu, der diese komischen Schmetterlinge in meinem Bauch Salsa tanzen ließ, und stand auf einmal von seinem Sitz auf. Ashtons Sitz. Er stand von Ashtons Sitz auf.

Oh. Und auf einmal stand er direkt vor mir. Sein Oberschenkel war von meiner Nasenspitze nicht mehr weit entfernt. Schnell ließ ich mich nach hinten in meinen breiten Sitz sinken, um so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen.

Natürlich spürte ich sofort die Hitze, die in meine Wangen stieg. Beinahe hätte ich über mich selbst die Augen verdreht, konnte mich aber gerade noch zusammenreißen. Ich benahm mich wirklich, als wäre ich einem Typen noch nie nahe gewesen.

Ich kam ja nicht gerade aus einer dreijährigen Beziehung, ne ne. Ich war ja auch nicht fast 22 Jahre alt, ne ne.

Meine Herren, ich fühlte mich wirklich, als wäre ich wieder 15.

Luke war zwei Schritte an mir vorbeigegangen, hatte sich hinuntergebeugt und aus seinem Rucksack unter dem Sitz, auf dem Ashton schlief, seine AirPods gezogen.

Er ließ sich wieder auf den bequemen Sessel sinken und hielt mir wortlos den ersten Kopfhörer, den er aus dem Case nahm, hin. Ich nahm ihn entgegen und konnte nicht nicht feststellen, wie unfassbar sauber dieses Ding war. – Jeder, der AirPods besaß, wusste, wie ranzig und unhygienisch diese Dinger immer aussahen. Voll ekelig.

Aber nein, nicht Mister Hemmings AirPods.

Ich stopfte mir das Ding also ins Ohr und versuchte, dabei ein Pokerface zu bewahren. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie fand ich das grad total ...intim.

Überrascht sah ich auf, als er mir auch den zweiten reichte.

„Willst du nicht mithören?", fragte ich.

Er schüttelte leicht lächelnd den Kopf.

„Nein, also eigentlich ja, aber geht nicht, ich möchte nämlich, dass du den Song richtig hören kannst und nicht nur auf einem Ohr hast."

Na gut. Ergab Sinn.

„Wie heißt der Song denn?", fragte ich ein wenig aufgeregt. Ich war mir durchaus bewusst, dass ich jetzt vielleicht einen kommenden Hitsong hörte!

Lonely Heart."

Einsames Herz. Haha. War der Song etwa über mich?

„Ausnahmsweise mal nicht über dich."

Ich spürte, wie mir das Herz bis hinunter in meinen Slip sank. Scheiße, hatte ich gerade laut gedacht?

Nein. Nein, da war ich mir ganz sicher, ich hatte das nicht laut ausgesprochen.

„Was?", fragte ich deswegen ziemlich behämmert und starrte Luke noch behämmerter mit leicht offenem Mund an.

Ein wenig schien ihm das doch unangenehm zu sein, denn er wand sich unter meinem Blick und zuckte mit den Schultern.

„Es ist einer der wenigen Songs, die ich geschrieben habe, die nicht über dich sind."

Darauf fiel mir tatsächlich einfach nichts ein. Absolut nichts. Ich saß weiter stumm wie ein Karpfen mit offenem Mund vor ihm.

Er schien mein Schweigen als Vorwurf zu deuten, denn er fing an, sich zu verteidigen: „Wie bei jedem Musiker sind Songs der beste Weg für mich, meine Gefühle und Gedanken zu verarbeiten. Bis vor ein paar Jahren habe ich viele Songs noch komplett alleine geschrieben, inzwischen haben wir immer Sessions im Studio, bei dem wir die Songs gemeinsam schreiben. Manchmal sind wir alle vier dort, manchmal schreibe ich Songs nur mit einem oder zwei von den anderen. Am besten kann ich eigentlich mit Calum schreiben. Ashton und Michael ergänzen sich auch sehr gut. Lonely Heart ist also einer der Songs, den wir gemeinsam im Studio geschrieben haben. Ich habe ihn mit Ashton und Michael angefangen, Calum kam dann erst am nächsten Tag hinzu..."

Seine Stimme verlor sich ein wenig, als würde er sich fragen, wieso er mir das alles überhaupt erzählte. Dabei hatte er keine Ahnung, wie sehr ich es schätzte, dass er mir das erzählte.

Wie zur Hölle waren wir so schnell auf dieses Vertrauenslevel gekommen?! Innerhalb weniger Minuten führten wir schon Gespräche, die man sonst nur mit den engsten Vertrauten führte.

Hilfe.

Das lief alles gerade in eine Richtung, die aaaabsolut nicht gut war, nein nein nein.

„Wie lange habt ihr gebraucht, bis der Song fertig war?", fragte ich. Ich wollte ihm unbedingt das Gefühl nehmen, dass er mir mit seinen Erzählungen auf den Geist ging.

Leicht lächelte er mich an, als wäre er wirklich dankbar für diese Frage.

„Nicht lang. Gerade einmal drei Tage. Ich hatte diese Melodie schon seit Tagen im Kopf, Ashton kam dann mit diesen saukomischen Lyrics, aber irgendwie hat das alles gevibed. Und jetzt passt es einfach perfekt zu diesem Film."

„Wieso?"

„Naja, du weißt doch, dass dein Charakter im Film so viele psychischen Probleme hat, die mit diesem filmischen Stilmittel auch immer eingefangen wird?" Ich nickte. Yep, schließlich hatte ich das vermaledeite Drehbuch vergangene Nacht gelesen. „Der Songtext spiegelt das perfekt wider. Our house on fire, we're burning, we dance inside. You're hurting. If you leave me in the morning, I'll have such a lonely heart. Das brennende Haus verkörpert den Kopf, während das einsame Herz ...eben das einsame Herz ist. Allein in der Dunkelheit."

Schwer lagen seine Worte auf meiner Seele. Sie trafen mich irgendwie ziemlich hart. Es war komisch, einen Song erklärt zu bekommen, bevor man ihn gehört hatte.

Als hätte Luke das gleiche gedacht, fragte er euphorisch: „Bereit?"

„Natürlich."

Lächelnd senkte er den Blick auf sein Handy und tippte darauf herum.

Diese paar wertvollen Sekunden, in denen er mich mal nicht ansah, nutzte ich, um ihn anzusehen.

Ich hatte es schon an Sams und Harrys Hochzeit festgestellt, und es war ja auch ganz logisch – aber ich fand es trotzdem seltsam, wie erwachsen er geworden war. Klar, er war älter als ich, I know I know, aber ich sah vor meinem inneren Auge immer noch den siebzehnjährigen, schlaksigen Luke mit seinem akkuraten Haarschnitt und dem Lippenpiercing.

Jetzt sah er wieder auf, während sein Finger über dem Play-Button schwebte.

„Eigentlich wäre der Song für unser kommendes Album gewesen, aber dann –"

„Jetzt drück endlich auf Play!", unterbrach ich ihn ungeduldig und entlockte ihm damit ein Lachen, das wiederum meine dämlichen Schmetterlinge zum Flattern brachte.

Er tat, wie ihm geheißen, und eine sanfte Gitarre war in meinen Ohren zu hören.

Drei Sekunden – und sofort Gänsehaut.

Der Anfang war schaurig schön, auch durch dieses leichte, lang gezogene Seufzen im Hintergrund. War es ein Seufzen? Keine Ahnung. Ich konnte auch nicht drüber nachdenken, denn schon hörte ich Lukes Stimme in meinen Ohren.

So laut, dass ich das Gefühl hatte, er saß mit seinem Mikrofon und einem riesigen Verstärker in meinem Spatzenhirn.

Your type of mind, so hard to find."

Also erstens – Gänsehaut!?! Er klang einfach. So. Anders.

Und zweitens – ja, mein Spatzenhirn zu finden, war schwer, yep, I know this.

Down on my knees, I'll always follow, I promise you, until the end of time."

Der Song war so anders als die Musik, die sie noch vor fünf Jahren gemacht hatten. Damals war alles Pop-Rock gewesen und hatte – naja, nicht gleich, aber ähnlich geklungen.

Jetzt waren sie Musiker, die ihr Handwerk verstanden. Wie sehr ich das bewunderte.

Our house on fire, we're burning."

Aha, jetzt kam der Part, den er mir gerade schon zitiert hatte.

Gott, diese Emotionen in seiner Stimme! Ich verlor beinahe den Verstand.

Erst jetzt merkte ich, dass ich ihm direkt in die Augen starrte, seit er den Song gestartet hatte. Ich hatte, glaube ich, noch nicht ein einziges Mal geblinzelt.

Ich sah aber auch nicht weg.

If you leave me in the morning, I'll have such a ... such a lonely heart."

Oh.

Mein.

Gott.

Und dann kam der Beat.

Wieder klappte meine Kinnlade nach unten.

"If you can't find another reason to stay, then I know I'm gonna always have a lonely, lonely, lonely, lonely heeeeeart, oh-oh-oohhh!"

Der Song haute mich komplett aus den Socken. Wirklich.

Der Refrain war so gut, ich wusste gar nicht, wohin mit mir! Ohne es zu merken, krallte ich meine Finger in Lukes Sweatshirtärmel und konnte weder das Wippen meines Beines noch meines Kopfes unterdrücken.

Nach dem Refrain kam wieder diese schaurig schöne Strophe.

Can I have a second chance? Can I have another dance? Can I start another life with you?"

Er hatte mir gesagt, dass der Song nicht über mich war, aber sein Blick strafte ihn gerade Lügen. Zumindest bildete ich mir das in den Sekunden dieser Worte ein. Er hatte die Kopfhörer so laut gemacht, dass er sicher ganz leise hören konnte, wie weit ich den Song schon angehört hatte. Also wusste er genau, was seine Stimme meinem Spatzenhirn gerade entgegensang.

Als der Refrain ein zweites Mal kam, hatte ich eigentlich gedacht, er würde mich nicht nochmal so wegfegen, doch er tat es. Mamma mia, es war so gut!

Viel zu schnell war der Song vorbei.

Luke grinste mich an.

„Und?"

„Nochmal", verlangte ich und deutete ungeduldig auf sein Handy. „Bitte starte ihn nochmal."

„Warum?!"

„Äh, ich habe ihn einmal gehört?!", entgegnete ich entgeistert und sah ihn an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. „Ich muss den Song noch mindestens fünfmal hören und jedes kleine Fitzelchen analysieren."

„Du bist süß", lachte Luke.

Oh.

Schmetterlingsalarm vom feinsten.

Hastig versuchte ich, die Unsicherheit und Scham und Freude und Panik zu überspielen, indem ich ganz geschäftig die AirPods aus meinen Ohren nahm und an meinem Ärmel abputzte, bevor ich sie ihm zurückgab.

„Ja, der Song ist schon ganz okay", sagte ich und versuchte, mein bestes Pokerface aufzusetzen.

„Ja, es geht schon", meinte Luke und verzog ebenfalls keine Miene. „Könnte besser sein, aber das wird für einen einfachen Netflix-Film schon ausreichen."

Ich schnaubte belustigt und betrachtete ihn für einen Moment, bevor ich wieder den Blick senkte.

Er hat mich als süß bezeichnet.

Shit. Das hatte sich nun in meine Seele eingebrannt und würde mich niemals wieder in Ruhe lassen. Für alle Ewigkeit würde ich mindestens 694028556mal am Tag diesen Satz in meinem Kopf wiederholten.

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