#3 - Das klingt ja alles echt fabulös, Jana!

5 Jahre,

7 Monate,

2 Wochen

und 4 Tage später.

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[2019]


„Ich bin raus", sagte ich und es fühlte sich so gut an. Halleluja!

Ich legte die Füße auf das Geländer des Balkons und genoss die kühle Brise, die um die Ecke strich.

„Ich bin ausgestiegen. Hab gekündigt."

„Was? Wieso das denn?"

Ich verdrehte die Augen. „Das weißt du ganz genau, Pierre. Ich fand's da einfach nur noch scheiße, deswegen habe ich gekündigt" erklärte ich noch einmal und wäre ehrlich gesagt gerne explodiert. Wie oft hatte ich ihm schon erzählt, wie kacke diese Produktionsfirma war?!

„Ja, stimmt. Na gut. Dann komm nach Hause", sagte Pierre in seinem typischen sachlichen Tonfall. „Such dir endlich ein Studium oder einen Ausbildungsplatz oder so etwas hier und flieg nicht von einem kleinen Rollenangebot zum nächsten."

Entschuldigung?

„Das ist aber das, was ich liebe", sagte ich durch meine zusammengebissenen Zähne. Meine Nasenflügel hatten sich ein wenig aufgebläht und ich musste aufpassen, dass ich ihn nicht vollkommen zusammenfaltete.

„Das kann schon sein, das bezahlt dir am Ende des Monats aber nicht deine Miete", entgegnete Pierre.

„Entschuldigung?", echauffierte ich mich laut. Okay, das war jetzt echt genug. „Habe ich bisher finanzielle Probleme gehabt? Nein! Absolut nicht! Also was soll diese Aussage denn bitte!"

„Komm einfach endlich weg aus dieser schrecklichen Stadt", wies Pierre mich an, ohne auf meine wütende Antwort einzugehen (was mich nur noch wütender machte) und ich verdrehte die Augen (was er Gott sei Dank nicht sehen konnte).

„Ich muss jetzt Schluss machen, mein Tutorium geht gleich los. Melde dich bitte, okay? Bis dann, ich liebe dich, Jana."

„Ciao", sagte ich genervt und legte auf.

Ich legte den Kopf in den Nacken und starrte an die schmutzig weiße Decke, die die untere Seite des Balkons der Wohnung über meiner war. Der Lärm unten auf den Straßen erreichte mich hier oben gar nicht. Ich war viel zu sehr in Gedanken vertieft.

Also bitte! Sagte er mir ernsthaft, ich sollte ein Studium anfangen oder mir einen Ausbildungsplatz suchen!? War meine Schauspielausbildung etwa nichts wert in seinen Augen oder was?!

Wütend tippte ich auf einen anderen Chat und rief die Person an. Mit gerunzelter Stirn wartete ich, bis abgehoben wurde.

„Heeey!", wurde ich sofort vom anderen Ende begeistert begrüßt und ich musste trotz meiner beschissenen Laune lächeln. Mann, wie ich sie vermisste! „Na, was verschafft mir denn die Ehre, dass du mich anrufst?"

„Ich wurde gefeuert."

„Was?!", fragte Sam und schnaufte ungläubig. Ich hörte, wie die Musik im Hintergrund ausgemacht wurde. Bestimmt trainierte sie gerade. „Im Ernst?"

„Ja", bestätigte ich. „Ich hab dem Produktionsleiter eine geschmiert."

„WAS?! Jana!!"

Sams Stimme überschlug sich fast.

Ich zuckte mit der rechten Schulter, doch dann fiel mir ein, dass Sam das ja nicht sehen konnte. „Er hat mir ungefähr zum dritten Mal an den Hintern gefasst. Die ersten beiden Male habe ich ihn schon gewarnt, und das dritte Mal ist mir jetzt wirklich der Geduldsfaden gerissen. Also hab ich ihm direkt eine geklebt, und die Security hat mich dann vom Set gebracht. Aber das ist mir sowas von egal. Ich fand die Rolle eh scheiße. Sollen sie die doch anders besetzen."

Ich hatte mich richtig in Fahrt geredet, doch Sam unterbrach mich: „Ist gut, dass du da raus bist. Ich weiß, du liebst Los Angeles über alles, aber es wird mal wieder Zeit, dass du zurück nach Europa kommst. Du bist jetzt seit zwei Monaten durchgehend dort, ohne mal zu Hause gewesen zu sein. Zu lange in dieser Stadt nach kleinen TV-Rollen und anderen Jobs suchen, ist auch nicht gut, Jana. Und zu lange in LA leben, ist auch nicht gesund, glaub mir."

„Du klingst wie Pierre", grummelte ich, doch Sam entgegnete: „Nein, ich klinge nicht wie dein Freund. Denn im Gegensatz zu ihm unterstütze ich deine Schauspielerkarriere voll und ganz. Nur solltest du anders an die Sache rangehen, das habe ich dir schon länger gesagt. Ja, du hast damals in dem Musikvideo von Cardi B mitgespielt und einmal die Rolle in dem Actionfilm gehabt, aber seitdem lassen deine Rollen ein wenig zu wünschen übrig, Jana."

Ich atmete tief durch und verdrehte die Augen (was sie ja Gott sei Dank genauso wie Pierre nicht sehen konnte).

„Ich finde das gut, dass du dranbleibst und weiterhin an deiner Schauspielkarriere arbeitest, aber nach acht Wochen Los Angeles solltest du doch mal was Größeres an Land ziehen können!"

„Wieso habe ich dich gleich nochmal angerufen? Wenn ich gewollt hätte, dass man mich weiter runter macht, hätte ich auch mit meinem Freund telefonieren können", sagte ich patzig.

„Weil ich die einzige Person bin, die dir die Wahrheit sagen kann", kam nun von Sam. Ihr Tonfall war ernst und ich wusste, dass es ihr wichtig war, dass ich ihr zuhörte (und das tat ich auch, keine Sorge). „Und weil du auf meinen Rat hörst. Jana, du musst dich endlich mal was trauen. Du musst dir richtige Filmrollen suchen. Zu richtigen Produktionsfirmen gehen und zu anderen Agenturen und so weiter. Ich meine, das Angebot steht immer noch, dass ich dich irgendwo rein kriege!"

„Jaa, aber das möchte ich nicht, das weißt du ..."

„Das finde ich total dämlich!", seufzte Sam niedergeschlagen. Ich verließ den Balkon, schloss die Glasschiebetür hinter mir und begab mich in meine runtergekühlte Küche. Fuck, ich hatte vergessen, mir ein Abendessen mitzunehmen, als ich vom Set nach Hause kam.

„Das wäre das Einfachste überhaupt, wenn Harry und ich uns umhören, was gerade so los ist und wo wir dir was verschaffen könnten. Wirklich, das wäre gar kein Problem! Harry hat das letztens nochmal zu mir gesagt und-"

„Ich fliege jetzt erstmal nach Hause und dann können wir da nochmal drüber reden, okay?", unterbrach ich sie unwirsch.

„Jaja", sagte Sam ungeduldig. „Nächste Woche machen wir das, das verspreche ich dir, dann sind die Dreharbeiten für das Musikvideo vorbei und ich hab vollkommen Zeit für ... für dich."

Irgendetwas an ihrer Stimme ließ mich aufhorchen, doch ich fragte nicht weiter.

„Das klingt wie eine Drohung", kommentierte ich trocken und sie lachte.

„Ich hab dich auch lieb", sagte Sam, „wenn du nichts zu tun hast, kannst du ja die nächsten Tage zu mir kommen? Die Proben sind ziemlich entspannt, da hab ich genug Zeit für dich."

„Jaja, mal sehen. Ich melde mich, wenn ich in Berlin bin, okay?"

„Alles klar. Pass auf dich auf, Kleine."

Sam merkte genau, dass sie nicht weiterbohren brauchte, wenn ich so mies drauf war. Sie kannte mich zu gut.

„Ich vermiss dich, Sam."

„Nicht mehr lange, dann sehen wir uns wieder!", frohlockte sie und ich konnte ihr nur zustimmen. Ja, Gott sei Dank nicht mehr lange. Sam hatte Recht, und das wusste ich insgeheim auch, wollte es nur nicht zugeben, stur wie ich eben war. Los Angeles war eine megageile Stadt und gab wirklich krasse Möglichkeiten her, aber auf Dauer machte die Stadt einen kaputt. Die Filmindustrie hier war so fake und so brutal, dass ich wirklich manchmal an meiner geistigen Gesundheit manchmal zweifelte. Oder ich sollte eher sagen: an meiner Einstellung. Ich gehe jetzt nicht ins Detail, aber lasst euch gesagt sein: manche Dinge, die von einem bei Auditions oder Filmrollen verlangt werden, sind moralisch nicht mehr vertretbar.

Ich musste raus hier, da hatte Sam Recht. Und Pierre.

Ich lehnte mich in meinem unbequemen Stuhl auf dem Balkon, wohin ich zurückgekehrt war, zurück und starrte in die Dunkelheit.

Glücklich war ich schon lange nicht mehr, wenn ich mir das so recht überlegte. Ich runzelte die Stirn und überlegte. Seit wann war ich nicht mehr glücklich?

Ich konnte es nicht einmal sagen. Ich konnte nicht einmal sagen, was ich wirklich das letzte Mal glücklich gewesen war.

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