#29 - Du hast das auch gesehen, nicht wahr?
„Was ist hier los?!"
„Keine Ahnung, was du meinst?"
Ich zog meinen Arm aus Harrys Griff. Nicht der Nächste, der mir jetzt auf den Senkel ging.
„Du weißt genau, was los ist, und ich weiß es nicht, also frage ich dich!" Harry war ungewohnt genervt, was mich aufhorchen ließ, schließlich war er sonst die Ruhe in Person. „Sam ist total trotzig, wenn man dich auch nur erwähnt, du bist für Stunden verschwunden, und ich frage mich, was hier an meiner Hochzeit gerade passiert!"
Das schlechte Gewissen schwappte nun über und ich fing wieder einmal an zu heulen. Harry zog mich sanft beiseite und verfrachtete mich halb hinter der Bühne auf einen Stuhl.
„Hey, es ist alles in Ordnung, nicht weinen, Jana."
„Ich find's einfach scheiße, dass ihr ihn eingeladen habt, ohne mich zu fragen, ob es in Ordnung für mich ist!", ballerte ich ihm sofort ohne Beschönigung entgegen und schniefte laut.
„Das tut mir Leid, Jana." Harry sah betroffen auf den Boden, dann hob er den Blick wieder. „Wir haben so lange rumdiskutiert, ob wir ihn einladen sollen oder nicht, ob wir es dir sagen oder nicht... Sam meinte Ja, ich meinte Nein, Leo meinte eher schon, Caro meinte auch Ja–"
„Was?!", unterbrach ich ihn ungläubig und konnte ihn durch meine Tränen kaum sehen. „Jeder hat mit reingepfuscht? Moment, jeder hat Bescheid gewusst, nur ich nicht!?"
Wow, ich war mir nicht sicher, ob ich jetzt noch wütender war oder eher ein wenig besänftigt, weil es sie alle wohl so lange beschäftigt hatte.
„Jana, du musst dich einfach mal entscheiden. Ist es jetzt so lange her, dass es dir egal ist? Oder ist es dir immer noch nicht egal?" Harrys Augenbrauen wanderten nach oben. „Denn du behauptest, dass es dir egal ist, aber jeder hier sieht, dass es nicht so ist."
„Ist doch auch schon scheißegal, jetzt ist er hier und wir haben den Salat." Ich stand auf und sah ihn finster an. „Ich geh jetzt schlafen."
„Ja, mach das, vielleicht ist das das Beste für heute." Harry seufzte ergeben.
„Jana!"
Genervt atmete ich tief ein. Wenn noch eine einzige weitere Person heute Nacht meinen Namen rief, würde ich so laut schreien, dass sie alle tot umfallen würden.
Und besonders diese Person, die gerade nach mir gerufen hatte, wollte ich heute nicht mehr sehen.
Ich blieb nicht stehen, sondern schob mich zwischen den Tanzenden durch, damit ich zurück zum Landhaus gehen konnte. Nebenbei fischte ich noch meine kleine Tasche vom Boden unter dem Tisch, an dem ich gesessen hatte.
„Wenn du vor deinen Problemen weglaufen willst, dann bist du bei mir an der falschen Adresse", sagte Sams Stimme exakt neben mir und ich sah sie finster an.
Ohne ihr eine Antwort zu geben, lief ich weiter, ließ diese blöde Party endlich hinter mir.
Sam folgte mir (natürlich, dickköpfig wie sie war).
„Es tut mir leid, Jana."
Damit hatte ich nicht gerechnet, zumindest nicht jetzt.
Ich blieb stehen und drehte mich zu Sam um, die ein wenig hinter mir stehen geblieben war. Für einen Moment musste ich kurz ihren Anblick genießen, diese wunderschöne Frau in diesem wunderschönen Kleid. Nicht so wunderschön war der Kummer in ihren Augen.
„Wirklich. Es tut mir so sehr leid. Ich hätte es dir vorher sagen sollen. Ich hätte dich fragen sollen, ob es für dich okay ist. Hab ich aber nicht, und somit habe ich als Cousine mehr als versagt."
Ihre Stimme brach ab und sie schniefte. Ohne zu zögern, lief ich zu ihr und umarmte sie ganz fest.
Und da standen wir nun also beide. Heulend. In der Dunkelheit.
„Ist doch jetzt eh schon egal. Jetzt ist schon alles ruiniert." Ich löste mich von ihr und zuckte mit den Schultern. „Es war doch schon vorher alles ruiniert."
„Es tut mir wirklich leid."
„Jaja, ist schon in Ordnung." Ich wollte nicht mehr streiten, das war zu anstrengend.
Sam folgte mir zum Landhaus.
„Wo gehst du hin?"
„Schlafen."
„Jetzt schon? Ich hatte irgendwie so gar nichts von dir während meiner Hochzeit!", klagte Sam.
„Ja, weil ich zu sehr mit Luke beschäftigt war", gab ich schroff zurück, „deinetwegen."
Sam seufzte, als sie mir hineinfolgte. „Das war echt scheiße von mir ..."
„Vor allem passt das eigentlich überhaupt nicht zu dir", entgegnete ich und stapfte – ja immer noch barfuß – die Treppe vor ihr nach oben. „Sonst rufst du mich wegen jeden kleinen Kinkerlitzchens an und fragst mich nach meiner Meinung, aber wenn es um den australischen Vollpfosten geht, schweigst du wie ein Grab."
„Sorry..."
„Wie gesagt, ist egal. Ich–"
Ich hatte die Tür zu Pierres und meinem Zimmer aufgestoßen und hatte mitten im Satz gestoppt.
Die Welt blieb mit einem Ruck stehen.
Der Teppich wurde mir unter den Füßen weggezogen.
Ich hörte das Blut durch meine Adern rauschen.
Sam neben mir hatte genauso wie ich aufgehört zu atmen.
Wir starrten beide auf Pierre. Im Bett. Mit Lottie Tomlinson.
Mein Mund stand offen und für zwei lange Sekunden wusste ich auch nicht, wie ich ihn wieder zubekam.
Dann hatte ich mich wieder gefangen und schlug die Tür hinter mir ins Schloss. Immer noch mit der Hand auf der Klinke starrte ich Sam an.
Und sie starrte mich an.
„Du hast das auch gesehen, nicht wahr?", vergewisserte ich mich und deutete mit dem Daumen auf die Tür neben mir. Meine Stimme war tonlos.
Sam nickte stumm. Ihre grünen Augen kullerten beinahe aus ihren Höhlen, und wenn ich nicht vollkommen neben mir gestanden hätte, hätte ich mich darüber sicher lustig gemacht.
Ich fasste mir mit der Hand an die Stirn, dann trat ich schnell einen Schritt von der Tür weg, als hätte ich mich an ihr verbrannt.
„Alter..."
Mehr fiel mir dazu nicht ein.
Pierre trieb es gerade in meinem Bett mit der 20-jährigen Schwester von Harrys Bandkollegen.
~
~
~
Seit einer geschlagenen halben Stunde saßen Sam und ich in der Küche auf dem Boden zwischen den Stühlen. Wir hatten bisher kein Wort miteinander gesprochen, sondern starrten entweder einander oder den Fußboden an.
Der Anblick von Pierres nacktem Hintern, der mir weiß entgegengestrahlt hatte, hatte sich in mein Hirn eingebrannt wie ein Brandzeichen in das Fell eines Tieres. Ich kannte diesen Hintern, aber nicht, wenn Pierre sich zwischen den Beinen einer anderen Frau ... –
„Naja, damit wurde dir die Entscheidung der Trennung abgenommen", sagte Sam nun und unterbrach meine Gedanken. Ich sah wieder zu ihr und konnte auf diese Aussage keine Antwort geben. Ich stand immer noch zu sehr neben mir.
„Ich kann das nicht fassen." Ich schüttelte zum tausendsten Mal den Kopf. „Wie kann man so sein?!"
„Keine Ahnung. Glaub mir, das habe ich mir bei Nico damals schon gedacht... Aber Nico war ein komplettes, hirnamputiertes Arschloch, aber Pierre?! Was ist in den gefahren?"
„Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, wieso er mir noch erzählt, wie sehr er mich liebt, und dann betrügt er mich einen Tag später?!"
Ich rappelte mich auf.
„Ich will darüber nicht mehr nachdenken. Fuck. Lass uns zurück zur Party gehen."
„Du willst zur Party zurück?!"
Sam stand ebenfalls auf und folgte mir hinaus in die Dunkelheit.
„Klar, immerhin ist es deine Party, Mrs. Styles?!"
Sam lief hinter mir her, während ich mit festen Schritten zurück zur Party stapfte, die langsam aber sicher ihrem Ende zuging, denn viele Leute waren nicht mehr da. Mit jedem Schritt, den ich näher kam, wurde ich wütender, bis ich beinahe platzte.
Ein paar Meter vor den ersten Stühlen blieb ich stehen, sodass Sam fast in mich reinlief, wenn sie nicht rechtzeitig stehen geblieben wäre.
„Was ist los?", fragte sie mich und griff nach meinem Unterarm. Überrascht sah sie den finsteren Ausdruck in meinen Augen. „Jana?"
„Ich hab keinen Bock mehr auf Typen", eröffnete ich ihr. „Der eine spukt seit über fünf Jahren in meinem Kopf herum und der andere betrügt mich eiskalt in meinem eigenen Bett an der Hochzeit meiner Cousine. Ich. Hab. Keinen. Bock. Mehr. Sie können mich alle mal. Für mindestens ein Jahr bleibe ich jetzt Single und werde die männliche Bevölkerung der Welt nicht mehr mitm Arsch anschauen."
„Okay?", gab Sam mit gerunzelter Stirn zurück. „Sollen wir da morgen in nüchternem Zustand nochmal drüber reden?"
„Nein. Das ist jetzt fix und fertig."
Und damit ließ ich sie stehen und hüpfte auf die Tanzfläche zu Leo und Manu, die dort eigentlich nur standen und sich unterhielten, bis ich angesprungen kam und sie zum Tanzen animierte.
„Gott, was ist denn mit dir passiert? Bist du immer noch so dicht?", fragte mein Bruder lachend.
Ich streckte ihm die Zunge raus. „Nichts bin ich, weil ihr dem Barkeeper verboten habt, mir Alkohol zu geben! Also bin ich wieder ziemlich nüchtern."
Das stimmte zwar nicht zu hundert Prozent, aber wen interessierte es.
Ich sah mich erstaunt um, denn es war inzwischen wirklich ganz schön leer. Jemand umarmte mich auf einmal von hinten und ich sah eine feuerrote Mähne, die sich über meine Schulter schwang, als Ilona mir ins Ohr wisperte: „Na, Hase, wie geht's dem Pegel?"
Ohje, sie würden mich sicher alle die nächsten Jahre noch damit aufziehen, wie betrunken ich an Sams Hochzeit war.
„Wann heiratet ihr eigentlich endlich?", fragte ich sie und sah Niall, der neben ihr erschienen war, neugierig an. Ohooo, da hatte ich wohl jetzt ein Thema angeschnitten, jetzt wurde es interessant!
Denn beide wurden ein wenig rot und grinsten mich an.
„Das sagen wir noch nicht, wir sind noch nicht so weit in der Planung", antwortete Ilona mit einem Glitzern in den Augen.
Meine Kinnlade klappte nach unten. „Warte, aber ihr seid schon verlobt!? Wieso weiß ich davon nichts?!"
Ich fiel ihr um den Hals, und Ilona antwortete lachend: „Ich hab dir das vor zwei Wochen geschrieben, aber wenn du nie deine Nachrichten liest, bist du selbst Schuld."
Ups. Da war ich noch in LA und hatte mich nicht die Bohne für etwas Anderes außer mich selbst interessiert.
„Sag mal, willst du nicht noch mit Luke reden, bevor ihr euch wieder fünf Jahre nicht mehr seht?"
Verwirrt sah ich Niall an. „Wie kommst du denn darauf?"
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, es kommt mir so vor, als wäre es vielleicht mal nicht schlecht für euch beide, wenn ihr miteinander sprecht."
Nicht die beste Idee mehr für heute, mein Guter. Wenn ich eins nicht tun sollte, nachdem ich Pierre mit einer anderen im Bett erwischt hatte, dann mit Luke reden.
Ich sah mich nach dem besagten Menschen um und fand ihn ein Stück entfernt auf einem Stuhl neben Ashton sitzen, mit dem er sich unterhielt.
Tja, und so schnell konnte man gar nicht schauen, da war ich schon zu ihnen gegangen und hatte mich auf den Stuhl gegenüber von Luke plumpsen lassen.
Überrascht sahen Ashton und er mich an, dann räusperte sich Ashton und sagte grinsend: „Okay, das ist mein Stichwort. Kratzt euch bitte nicht die Augen gegenseitig aus." Und mit diesen Worten stand er auf und ging davon, bis er hinter mir aus meinem Sichtfeld verschwand.
Luke hatte sich bequem in seinem Stuhl zurückgelehnt. Die oberen beiden Knöpfe seines Hemdes hatte er inzwischen geöffnet und ich kam nicht drum herum, seine Gesichtszüge wieder zu studieren. Es war mir egal, dass er mich ebenso ansah, jetzt war ich ihm so nahe, wie ich ihm sicher nie wieder kam, also musste ich es ausnutzen und mir ansehen, was die letzten fünf Jahre aus ihm gemacht hatten.
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