#25 - Meine Rettung
Ich kniff die Augen für einen Moment leicht zusammen, denn eigentlich wollte ich der Person, die mir gerade zugestimmt hatte, nicht begegnen. Eigentlich wollte ich niemandem von ihnen begegnen. Besonders nicht nach meinem komischen Auftritt vor der Trauung in der Eingangstür des Herrenhauses, der mir inzwischen echt sowas von peinlich war. Wie eine Furie war ich aufgetaucht, hatte sie ohne Begrüßung blöd angefahren und war wieder abgedampft. Für wie bescheuert sie mich jetzt sicher hielten...
Tja, aber man musste für seine Handlungen eben gerade stehen. Und genau das blühte mir gerade.
Ich zögerte, bevor ich mich zu der Person umdrehte, die mir gerade zugestimmt hatte, dass vor uns gerade One Direction-Geschichte geschrieben wurde.
„Wenigstens einer versteht mich", grinste ich Ashton an und er zwinkerte mir zu.
„Hi Jana", begrüßte er mich, und bevor ich mich zusammenreißen konnte, blubberte schon aus mir heraus: „Hi Ashton. Sorry wegen vorhin. Das war einfach zu stressig in diesem Moment."
„Kein Thema." Und schon hatten wir das Ganze erledigt. War auch besser, schließlich musste ich meine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder auf meine Cousine, ihren Ehemann, dessen vier Band-Friends und Ed widmen.
Es dauerte keine zehn Sekunden, da heulte ich schon wieder. Die Hochzeit brachte mich ja jetzt schon um den Verstand, und dabei war sie noch nicht einmal in vollen Zügen.
„Oh maybe we found love right where we are", sangen sie und beendeten den Song. „And we found love ... right ... where we ... are."
Und alle jubelten, klatschten, heulten und waren außer sich.
Der DJ ging in den nächsten Song über, während Sam und Harry aufhörten zu tanzen und sich einfach nur fest umarmten.
Schweigend sah die Hochzeitsgesellschaft zu – bis Niall von der Bühne sprang und sich wie ein Fußballspieler auf seine Mitspieler nach einem Tor auf Sam und Harry stürzte und somit die gesamte Romantik der Situation zerstörte. Ich liebte ihn dafür.
„Oh man, NIALL", hörte ich Ilona neben Caro stöhnen und ich sah lachend, wie sie das Gesicht in ihren Händen verbarg, bevor sie loseilte und ihren Freund einsammeln ging, doch da war es schon zu spät.
Der DJ ließ die Musik langsam ausklingen, damit Ed weiter singen konnte.
Pierre griff nach meiner Hand und zog mich mit einem Lächeln auf den Lippen auf die Tanzfläche, als sie sich langsam füllte und Sam gerade mit ihrem Papa tanzte.
„Hab ich dir eigentlich schon gesagt, wie schön du heute aussiehst?", raunte Pierre mir ins Ohr und zauberte mir ein Lächeln – samt eines Augenrollens – ins Gesicht.
„Ungefähr schon fünfmal", erklärte ich ihm.
Er zuckte nur mit den Schultern und wirbelte mich im Kreis. „Man kann es nicht oft genug betonen!"
Ein paar Minuten später löste ich Caro mit dem Babysitten ab, damit sie auch mal mit Leo tanzen konnte und nicht auf Rafael aufpassen musste. Der kleine Spatz saß vergnügt auf meinem Schoß, während ich den Leuten zusah, die auf der Tanzfläche waren, genauso ließ ich meinen Blick über die anderen Leute gleiten, die an ihren Tischen saßen, zwischen den Stühlen standen, herumliefen und einfach Spaß hatten und sich unterhielten. Es hatte sich ein wunderbares Gleichgewicht entwickelt zwischen den Sitzenden und den Tanzenden. Nirgends waren zu viele Menschen, es war wirklich sehr angenehm.
Pierre stand auf der anderen Seite der Tanzfläche und unterhielt sich gerade mit meinem Cousin, mit dem er nun schon mehr gesprochen hatte als ich in den letzten drei Jahren mit dem Typen. Eigentlich war er echt nett, aber irgendwie hatte ich ihm nichts zu sagen. Typisch Pierre, wusste mal wieder, wie man Konversation machte. Ganz im Gegensatz zu mir. Aber ich wollte es auch nicht. Ich war zufrieden damit, einfach nur schweigend hier zu sitzen und auf den Kleinen aufzupassen.
Ed hatte schon längst fertig gesungen und der DJ hatte wieder übernommen. Inzwischen spielte er alles, was man in der Musikindustrie momentan finden konnte. Ich schunkelte Rafi auf meinem Schoß hin und her, als der DJ geschickt den Song beendete und zu einem neuen wechselte.
Er begann ganz ruhig, bis die ersten Worte gesungen wurden.
Überrascht sah ich auf, denn die erste Zeile des Songs sang der Großteil der Hochzeitsgesellschaft mit. Jeder schien den Text zu kennen.
Nur ich nicht.
„Remember the words you told me – love me til the day I die."
Ich runzelte die Stirn für eine Millisekunde, denn den Song hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. Und eine Millisekunde später hatte mein Hirn alle Informationen verarbeitet.
Denn diese Stimme würde ich immer und überall erkennen.
Oh.
Oh.
„Surrender my everything 'cause you made me believe you're mine."
Verdammt, wieso hatte ich nicht dran gedacht, dass sicher irgendwann heute mindestens ein Song von ihnen gespielt wurde? Ich Trottel.
„Hey Hemmings!", rief der DJ in sein Mikrofon und suchte die Menge nach dem besagten Sänger ab. „Kannst du mal einspringen?"
Und wieder johlten alle. War das eine Hochzeit oder ein Konzert?
Ich wusste es nicht.
Aber ich liebte diesen Tag. Und gleichzeitig war er mein Untergang.
„Yeah, you used to call me baby, now you're calling me by name", grölte Ilona in mein Ohr, die auf mich zugetanzt war und jetzt wieder Richtung Niall und Liam auf der Tanzfläche verschwand.
So viele Eindrücke prasselten gleichzeitig auf mich ein. Luke, der nach vorne hüpfte (als wäre er auf einer Bühne bei einem Konzert), der Schmerz in meiner Brust, ... – und die Tatsache, dass der Song verdammt cool klang!?
„Takes one to know one, yeah."
Inzwischen war Luke vorne auf der Bühne angekommen, hatte grinsend das Mikrofon angenommen und sang die nächste Zeile mit sich selbst im Duett.
„You beat me at my own damn game."
Scheiße, was für eine Gänsehaut ich bekam.
„You push and you push and I'm pulling away, pulling away from you."
Seine Stimme ging mir unter die Haut wie vor vier, fünf, sechs Jahren. Wenn nicht sogar noch schlimmer. Als könnte ich die grölende Menge nicht hören, starrte ich ihn einfach nur an, als hätte ich ihn noch nie zuvor gesehen.
„I give and I give and I give and you take, give and you take."
Und dann zuckte ich heftig zusammen, als das Schlagzeug im Refrain erklang.
„Youngblood – say you want me, say you want me out of your life!"
Mein Blick sprang zur Seite, denn auf einem Tisch stand nun Ashton, der auf einem imaginären Schlagzeug in der Luft spielte und sich verausgabte, als würde sein Leben davon abhängen.
Die hatten doch alle einfach einen Vogel.
„And I'm just d dead man walking tonight, but you need it, yeah you need it all of the time."
„YOUNGBLOOD!" Wirklich alle sangen mit. Selbst mein Onkel. Selbst meine Oma. Selbst Pierre.
Wie ironisch war das bitte, dass er diesen Song kannte, mochte und mitsang?
Gott, ich wollte gar nicht drüber nachdenken. Ich konnte gar nicht. Denn das Einzige, über das ich nachdenken konnte, war: Seine Stimme. Live. Hier und Jetzt.
Und whaat, ich musste es noch einmal wiederholen – wie gut war dieser Song denn bitte!
Michael war zu Ashton auf den Tisch gesprungen und spielte Luftgitarre neben Ashtons Luftschlagzeug, während Luke auf der Bühne beim DJ stand und sang – und Calum grinsend und mit verschränkten Armen am Rand der Tanzfläche stand und seinen Bandkollegen amüsiert zusah. Wenn er nicht musste, drängte er sich nicht ins Scheinwerferlicht, das wusste man, wenn man ihn kannte.
„Say you want me back in your life", widerholte ich murmelnd die Zeile, die Luke gerade in das Mikrofon über seine eigene Stimme der Aufnahme gesungen hatte. „Hah, der war gut."
Als würde Rafael das Ganze auch nicht gut heißen, fing er auf meinem Schoß an, ein wenig zu quäken, was sich schnell in ein hektisches Weinen entwickelte.
„Ist dir das hier grad zu laut und zu wild, Spatz?", fragte ich den Kleinen mitten in diesem Getümmel und ich nahm ihn auf den Arm. Dann stand ich auf und sagte zu ihm: „Komm, wir suchen uns ein ruhigeres Plätzchen, bis Mama dich wiederhaben will. Solange gehörst du kleiner Fratz mir ganz allein."
Also schob ich mich zwischen all den Stühlen durch und ließ die Party hinter mir. Kaum dass wir uns ein wenig entfernt hatten, wurde Rafael sofort wieder ruhig. Er sah mich mit seinen großen braunen Augen an, als würde er mir danken wollen.
Da kam mir ein Gedanke. „Sag mal, solltest du nicht langsam mal ein wenig schlafen?", fragte ich ihn stirnrunzelnd. Inzwischen waren wir bei der Terrasse angekommen und ich setzte mich auf die Stufen. Ich stellte den Kleinen auf seine Füße und er wackelte ein wenig hin und her, so nach dem Motto: Naja, vielleicht soll ich schlafen...
„Jaja, aber Mama ist nicht da, die dich zum Schlafen zwingt, ich weiß schon."
Manchmal hatte ich das Gefühl, ich wusste, was dieses Kind dachte.
„Maa", machte Rafael und streckte die Arme nach mir aus.
Ich nahm ihn wieder hoch und seufzte.
„Okay, dann gehen wir Mama suchen. Lass mich aber noch schnell auf die Toilette gehen, okay?"
Also machten wir uns auf den Weg zum Badezimmer. Ich setzte ihn in die leere Badewanne, wo er sicher war, während ich kurz Pipi machte.
Vor dem Spiegel versuchte ich nach dem Händewaschen, mein Kleid wieder zu schließen.
Für einen Moment schloss ich die Augen. Der Reißverschluss hatte sich verhakt. Wieso musste ich beinahe lachen? Wieso war es irgendwie kein Wunder, dass ich hier im Bad stand und mit meinem Kleid kämpfte, während der Rest der Menschheit den Spaß seines Lebens hatte und zu 5 Seconds of Summer tanzte?
Ich hätte das Kleid auch einfach hochschieben können, aber nein, ich hatte ja den Reißverschluss aufmachen müssen, ich hirnamputierte Amsel!
„Fuck!!!", rief ich in voller Lautstärke meinem Spiegelbild entgegen und starrte es finster an.
Auf einmal klopfte es an der Tür.
„Ist alles in Ordnung bei dir?"
Super, das fehlte mir gerade noch, dass mich jemand in diesem Dilemma fand.
„Ja, sorry", rief ich zurück. „Oder eigentlich nein."
„Kann ich dir helfen?", fragte die Frauenstimme.
Was blieb mir schon Anderes übrig?
Ich hielt mein Kleid fest, ging zur Tür hinüber und entriegelte sie. Sie ging auf und eine besorgte Frau stand vor mir. Sie hatte lange dunkle – richtig dunkle – Haare, trug ein dunkelblaues Cocktailkleid und sagte gerade: „Hi. Was ist denn los?"
Für einen Moment war ich nicht in der Lage, ihr zu antworten, denn ich starrte sie an, dann fing ich mich Gott sei Dank rasch.
„Hey. Ach, der Reißverschluss muss sich verhakt haben." Ich drehte mich um, um ihr das Dilemma zu zeigen.
„Ach Mist." Sie untersuchte mein Kleid und sagte: „Ich muss wahrscheinlich ein wenig daran ziehen, ich hoffe, ich mache nichts kaputt."
„Zieh ruhig", meinte ich schulterzuckend, „wenn es kaputt geht, habe ich wenigstens eine Ausrede, wieso ich Jeans und T-Shirt anziehen kann."
Ich hörte sie lachen und dann zog sie an dem Reißverschluss, der sich wohl löste, denn ein paar Sekunden später war das Kleid wieder geschlossen.
In der Zwischenzeit grübelte ich und suchte in meinen grauen Zellen nach der Antwort auf die Frage: Wer zur Hölle war sie?!
Ich kannte sie! Das wusste ich! Das Gesicht hatte ich schon mal gesehen – allerdings konnte ich sie nicht einordnen. Absolut nicht. Und das fuchste mich.
„Danke! Du bist meine Rettung", sagte ich und strich mein Kleid glatt.
„Kein Thema. Aber weißt du eigentlich, dass da ein Kind in der Badewanne sitzt und uns anschaut?"
„Ja, das ist mein ...Neffe" (nicht ganz, aber wen interessierte das schon – grad war er eher mein Sohn als Caros) „Rafael."
Ich hob den Kleinen heraus und setzte ihn auf meinem Hüftknochen ab, während die Augen der Frau groß wurden, als sie feststelle, wie zuckersüß Rafi war.
„Sierra? Bist du hier?"
Eine Sekunde später stand niemand Anderes als Luke im Türrahmen des Badezimmers.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich!
Das war Sierra Deaton.
Und anscheinend gab es kein Alex & Sierra mehr.
Jetzt war es Luke & Sierra, denn sie war wohl seine Freundin. Oder wieso küsste man sonst eine Frau?
Ich fand, ich sollte einen Preis dafür bekommen, dass mein Körper es hinbekam, Rafael nicht fallen zu lassen und meine Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen.
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