#23 - Wo ist Schmu?
„Wenn ich nicht wüsste, dass ihr eigentlich zusammen seid, würde ich denken, ihr kennt euch nicht einmal."
Ich verdrehte die Augen und nippte an meinem schwarzen Kaffee. Es war zu früh, um mir von der Trauzeugin meiner Cousine solche Dinge an den Kopf werfen zu lassen.
Mit angezogenen Beinen saß ich auf einem der Küchenstühle – wenn ich nüchtern war, fand ich Küchenstühle doch nicht mehr so uncool –, während Caro uns gerade ein Frühstück zubereitete. Außer uns war noch niemand wach in diesem Minischloss. Selbst wenn ich nachts Alkohol trank, konnte ich am nächsten Tag nicht allzu lange schlafen. Keine Ahnung, was mit mir los war.
„Ist doch voll egal. Können wir über was Anderes reden?", schlug ich vor.
Caro stellte den Teller mit Rührei, Brot, Butter, Erdbeeren und Nutella vor mir ab (jap, das befand sich alles auf meinem Teller. God bless her.)
„Klar", stimmte sie zu. „Worüber möchtest du denn reden?"
„Bitte nicht über die Hochzeit", erklang von der Tür, und im nächsten Moment ließ sich eine müde aussehende Sam neben mich auf den Stuhl plumpsen. Sie trug noch ihr Schlaf-Shirt und eine kurze Hose. Von ihren Haaren wollte ich jetzt gar nicht anfangen. Oder sollte ich lieber das Vogelnest sagen?
„Gott, wie siehst du denn aus?", kam von Caro, die schockiert ihre beste Freundin musterte. „Hast du überhaupt geschlafen?"
„Kaum."
„Wieso?!"
„Weil ich heute heirate und deswegen abartig aufgeregt bin?!", gab Sam hibbelig zurück und sah dabei nicht gerade glücklich aus. Allerdings war ich mir sicher, dass ihr Gesichtsausdruck mit ihrem optischen Zustand zu tun hatte und nicht mit der Tatsache, dass sie Harry heute heiraten würde.
„Ach, so wild ist heiraten jetzt auch wieder nicht", antwortete Caro und zuckte mit den Schultern.
„Du hast ja auch nur meinen Bruder geheiratet", grummelte Sam.
Ich fing schallend an zu lachen, während Caro sich empörte: „Entschuldigung?!"
„Naja, Leo heiraten oder Harry heiraten ist doch ein ziemlicher Unterschied", erklärte Sam Augen verdrehend.
„Heiraten ist heiraten, egal ob man Harry Styles heiratet oder Leo Ferroni", schlug ich mich auf Caros Seite und pikste das erste Stück Rührei auf. „Möchtest du auch was essen?"
Sam schüttelte nur stumm den Kopf. Ich ging nicht weiter drauf ein, denn ich wusste sowieso, dass es nicht lange dauern würde, bis sie von meinem Teller essen würde. Ich kannte sie doch.
„Wie hat Harry geschlafen?", erkundigte Caro sich.
„Auch nicht viel", sagte Sam.
„Habt ihr die Zeit wenigstens anderweitig sinnvoll genutzt?", fragte ich und wackelte grinsend mit den Augenbrauen.
Sams Mundwinkel zuckten ein wenig, was Caro und mich wieder in schallendes Gelächter ausbrechen ließ.
„Die Hochzeitsnacht ist die Nacht nach der Trauung, Sam, nicht die davor", zog Caro sie auf und drückte ihre beste Freundin fest an sich.
Anstatt sie loszulassen, hielt sie sie weiter fest und murmelte auf einmal: „Dir ist schon klar, dass das heute der letzte Tag ist, dass wir den gleichen Nachnamen haben?"
Sam sah zu Caro auf und ich konnte Tränen in ihren Augen entdecken. „Ich weiß", schniefte sie, „daran habe ich auch schon gedacht. Ist dir klar, dass du länger Frau Ferroni sein wirst als ich es war?"
„Ja, Frau Ferroni", sagte Caro und schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist total verrückt."
Sam schniefte nochmal und machte sich dann von Caro los. „Ich schwör euch, ich werde heute den ganzen Tag einfach nur heulen. Ich fühle mich heute so. Das wird ein Spaß..."
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Erst einmal war aber Caro mit dem Heulen dran. Bisher hatte sie Sam nämlich noch nicht in ihrem Kleid gesehen, aber dazu kommen wir später.
Die Trauung ging mittags los, weswegen wir uns langsam, aber sicher auf den Weg in das große Badezimmer am anderen Ende des Hauses machen mussten, damit Sam optisch restauriert werden konnte. Sam hatte ein ganzes Team für unser Styling gebucht, die uns alle schminken und frisieren würden.
Ich war als Erste fertig – zu viel gab's bei mir nicht zu machen, ne Spaß, ich war einfach die Erste, die auf den Stuhl gedrückt worden war, damit ich Alessandra bei den weiteren Vorbereitungen helfen konnte – und war froh, als ich dieser Styling-Höhle entfliehen konnte. Einerseits war ich noch nie ein Makeup-Fan gewesen – das hatte mein Herz niemals höher schlagen lassen wie bei anderen Mädels, ganz im Gegenteil, schminken und vor allem abschminken sah ich als reine Zeitverschwendung an – und andererseits waren mir heute alle zu sentimental. Ja, es war ein besonderer Tag und da war man emotional, aber Sam war mir heute eindeutig zu viel. Sie war nervlich so instabil, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Und dann konnte nicht einmal Harry, der sonst derjenige war, der sie wieder auf den Teppich brachte, zu ihr, weil er sie in ihrem Kleid erst draußen vor dem ‚Natur-Altar' sehen durfte.
Tief durchatmend zog ich die Tür hinter mir zu und war froh, aus dem Haarspray-Nebel abhauen zu können. Erst einmal musste ich mich auf die Suche nach meiner Tante machen, die sicher hier irgendwo herumschwirrte und Unterstützung gebrauchen konnte.
Am Fuß der Treppe lief ich aber erst einmal in Harry rein.
„Hey Styles", begrüßte ich ihn und er drückte mich vorsichtig an sich.
„Guten Morgen. Wow, du siehst bezaubernd aus", sagte er und betrachtete mein Makeup und meine gelockten Haare.
„Wie geht's Sam?", erkundigte er sich ein wenig besorgt und ich nahm die steile Falte auf seiner Stirn sofort wahr.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ob ich einfach behaupten sollte, dass es ihr gut ging, aber Harry kannte seine Noch-Verlobte zu gut – und mich leider auch. Er würde mir so eine Lüge niemals abkaufen.
„Ganz okay", sagte ich also. „Sie ist sehr emotional heute. Der wenige Schlaf hat nicht positiv dazu beigetragen. Ich hoffe, dass wenn sie in ihrem Kleid steckt und alles bereit ist, sie ein wenig runterkommt."
„Das wird schon. Sie macht sich selbst nur so einen Druck, weil sie möchte, dass es perfekt wird und sich jeder wohl fühlt und es heute allen gut geht."
Ich sah in seine grünen Augen und wusste ganz genau, was er meinte. Er meinte mich. Dass es mir gut ging. Ich hatte es mir schon beim Frühstück gedacht... Ich war sicher einer der Gründe, wieso Sam ein wenig litt. Sie machte sich dafür verantwortlich, dass ich ihm heute begegnen musste.
Und wenn man ehrlich war: Sie war ja auch Schuld. Das konnte man nicht schön reden. Schließlich hatte sie ihn eingeladen.
„Ich geh mal Ali suchen", informierte ich Harry.
„Die ist gerade hochgegangen, müsste aber jeden Moment wieder runterkommen. Sie wollte nur kurz ihr Handy holen, ich hab sie oben auf dem Treppenabsatz getroffen. Hast du Pierre heute schon gesehen?"
„Außer schlafend, als ich aufgestanden bin, nicht. Nein."
Harry verzog den Mund ein wenig, dann klopfte er mir leicht auf den Rücken und meinte: „Ich geh mal Leo suchen. Er wollte, dass ich Rafi ein wenig bespaße."
Harry verschwand durch die große Flügeleingangstür nach draußen. Ich sah ihm nach und schüttelte lächelnd den Kopf, als ich daran dachte, wie ich ihm das erste Mal begegnet war. Oder wie Sam ihm das allererste Mal begegnet war.
Es war ein hässlicher, verregneter Tag gewesen, an dem ich sie gezwungen hatte, mit mir zur Olympiahalle zu fahren, nachdem wir keine Tickets für das One-Direction-Konzert an dem Abend gekauft hatten.
Wie ich hyperaktiv durch die Gegend gehüpft war; wie Sam auf einmal zum Telefonieren verschwunden war; und wie sie genau dann Harry getroffen hatte.
Manchmal war das Leben einfach so verrückt.
„Hey Schatz", riss mich eine sanfte Stimme aus meinen Erinnerungen und ich sah auf in Pierre dunkle Augen, der auf einmal wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht war. Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen. „Wunderschön siehst du aus, wirklich."
„Guten Morgen. Danke", akzeptierte ich das Kompliment, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Ich geh mal eben eine Kleinigkeit essen, okay?"
„Klar."
Und dann war er auch schon in die Küche verschwunden.
Auch ihm sah ich jetzt nach, so wie ich Harry mit dem Augen verfolgt hatte, nur diesmal lächelte ich nicht. Der Entschluss, dass es vorbei war, bestätigte sich von Sekunde zu Sekunde mehr.
Ich war mir nur nicht sicher, dass er es genauso sah. Wir würden es herausfinden.
„Willst du weiter da rumstehen und dumm gucken oder willst du rauskommen und mir eventuell mal helfen?!"
Die Stimme gehörte zu natürlich niemand Anderem als Niall, der in der Eingangstür erschienen war, noch ein weißes T-Shirt und eine blaue Jeans trug – witzigerweise genauso wie ich – und mich erwartungsvoll ansah.
Ich streckte ihm die Zunge raus und lief zu ihm, dann haute ich ihm Gegen den Oberarm, während ich fragte: „Was gibt's denn zu tun?!"
„Wir müssen die Lichterketten vom Baldachin nochmal testen, du Clown! Haben wir doch gestern noch besprochen!"
„Weiß ich doch nicht mehr", gab ich zurück und folgte ihm über den Rasen.
„Stimmt, du warst ja schließlich besoffen."
„Du auch!"
„Aber nicht so wie du."
„True story, bro."
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„Ich mein, ich weiß ja, dass du schön bist, aber Sam..."
Jetzt war Caro an der Reihe, zu heulen. Wir waren nun endlich alle geschniegelt und gestriegelt, selbst ich hatte mich in ein schickes lachsfarbenes Kleid geworfen und sogar Sandalen mit Absätzen angezogen.
Ich lehnte am Treppengeländer, während ich lächelnd beobachtete, wie Caro Sam um den Hals fiel und laut schniefte. Genauso wie Alessandra vorhin, als sie ihre Tochter das erste Mal in ihrem Kleid gesehen hatte. Leo, der neben Caro stand und Rafael auf dem Arm hatte, hatte sogar Tränen in den Augen, das konnte ich von hier sehen.
Da es jetzt aber echt an der Zeit war, dass wir uns draußen unsere Plätze setzten, zog ich Leo schon mal am Arm mit, Caro, Liam und Alessandra würden uns schon gleich folgen.
Leo hatte die Begrüßung der Gäste übernommen, während ich bei Sam hatte sitzen und Händchen halten müssen, während sie darauf wartete, dass es endlich so weit war und sie zu ihrem Harry rennen und Ja schreien konnte (im übertragenen Sinne, versteht sich). Liebend gerne hätte ich die Begrüßung der Gäste übernommen, nicht nur weil ich für dieses stille Herumsitzen schlichtweg zu ungeduldig war, sondern weil ich auch einfach zu neugierig war, wer denn jetzt alles kam.
Tja, aber das würde ich eben nun bei der Trauung beziehungsweise der Party später herausfinden müssen.
„Fuck."
Wir hatten uns gerade in unsere Reihe – natürlich ganz vorne – gesetzt (ich hatte mich gehütet und nicht geschaut, wer hier alles so saß), als Caro mich schockiert ansah.
„Was?!"
„Ich hab Schmu drinnen vergessen!"
„Oh."
Schmu war Rafaels Kuscheltier – konnte man es Kuscheltier nennen? Es war eher eine kleine, taschentuchgroße Decke mit einem kleinen Kuscheltier-Zebrakopf drangenäht. Er liebte dieses abgeknuddelte Ding über alles, und wenn er es nicht hatte, wurde er ganz unruhig und quäkte die ganze Zeit.
E war also schier unmöglich, eine Hochzeit ohne Schmu durchzustehen.
„Wo ist er?"
Caro überlegte kurz. „Im Eingang in meinem Korb."
Kommentarlos schob ich mich aus der Reihe und hörte Caro noch zischen: „Aber mach schnell, es geht jede Sekunde los!"
Ich ersparte mir die Antwort, denn ich wusste, dass Sam nicht anfangen würde, bevor ich wieder auf meinem Hintern saß. Ich hetzte also den Mittelgang zwischen all den hölzernen Stühlen entlang zurück zum Haus, riss die Haustür auf, die erst in einen kleinen Vorraum führte – wo sich ja auch Caros Korb mit Schmu befand –, bevor man im Flur des Landhauses stand – und starrte in die blausten Augen, die ich in meinem Leben je gesehen hatte.
Und in die ich seit über fünf fucking Jahre nicht mehr gestarrt hatte.
Immer noch mit beiden Händen an den riesigen Griffen der Eingangstür blieb ich wie angewurzelt stehen.
Innerhalb einer Sekunde hatte ich mich wieder im Griff uns sagte nur: „Die Trauung ist da vorne. Ihr solltet euch beeilen."
Mit diesen Worten schob ich mich durch die Mitte der vier und zog die Tür, die ins Haus führte, auf. Dort stand die Braut mit ihrem Vater, die mich beide überrascht ansahen, und das Einzige, was ich zischte, war: „What the fuck?!", dann ließ ich die Tür wieder ins Schloss fallen und stürmte nach draußen.
Da war er.
Ich hatte ihn gesehen.
Ich hatte ihn angeschaut.
Ich hatte ihn sogar berührt, als ich an ihm vorbeigegangen war.
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