#19 - Cut the bullshit, Jana.

Naja, ‚nichts' war vielleicht auch nicht so ganz die Wahrheit. Schließlich fühlte man immer irgendetwas...–

Okay, cut the bullshit, Jana, und hör auf, dich selbst abzulenken. Du fühlst nichts. Du freust dich nicht, ihn zu sehen, und du fühlst dich aber auch nicht so, als würde er dich nerven, wenn er da ist.

Ich fühlte nichts.

Es war total komisch.

In diesem Moment entdeckte Pierre mich. Er lächelte leicht, als er in meine Richtung steuerte, seinen Koffer abstellte und mich an sich drückte. Ich spürte die Wärme seines Körpers, diese vertraute Wärme, doch sie ließ mich kalt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Beinahe hatte ich das Gefühl, als würde ich frieren. Ich konnte ein Zittern unterdrücken.

„Hey", begrüßte er mich jetzt. Keiner von uns beiden hatte bisher einen Ton herausgebracht.

Ich hörte ihn beinahe nicht zwischen all dem Tumult, der hier in der Ankunftshalle herrschte.

„Hi", gab ich zurück und zwang mir ein Lächeln ins Gesicht, das physisch schon beinahe wehtat.

Pierres Hand legte sich an meine Wange und er drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Diesmal dauerte er länger als am Flughafen in Berlin. Haha, es war ihm wohl im Gedächtnis geblieben, dass ich mich beschwert hatte, nachdem er mich für eine gefühlte Millisekunde geküsst hatte.

Diesmal war ich diejenige, die sich schnell wieder von ihm losmachte. Ich räusperte mich und fragte die erste Frage, die mir in den Sinn kam: „War dein Flug in Ordnung?"

Oh Gott, im Ernst, Jana? Du fragst ihn nach seinem Flug?! Und daran, liebe Leute, merkte man, dass nichts in Ordnung war zwischen uns. Natürlich war es normal, dass man den anderen fragte, wie der Flug war, versteht mich nicht falsch, aber theoretisch sollten erst so Sätze wie ‚schön, dass du da bist' oder ‚ich hab dich vermisst' kommen.

Das hier– das glich schon beinahe einem Business-Treffen. Als ob wir uns sonst nichts zu sagen hatten.

(Was wir auch nicht hatten.)

„Vollkommen in Ordnung. Kurz wie immer und deswegen unspektakulär", antwortete Pierre in schon beinahe höflichem Tonfall.

Eine unangenehme Gänsehaut schoss mir den Rücken hinunter. Es fühlte sich so komisch zwischen uns an.

„Leo wartet draußen im Auto", informierte ich Pierre und wollte nach seinem Koffer greifen, doch er schon meine Hand sanft beiseite und verschlang unsere Finger miteinander, während er mit der anderen nach dem Koffer griff.

Seine Hand in meiner fühlte sich ...normal an. Ich war es eben einfach gewohnt, ich kannte die Form seiner Finger, die Form seiner Handfläche, die Struktur seiner Haut so gut, dass ich sie wahrscheinlich blind erkannt hätte.

Schweigend schoben wir uns durch den Trubel der Ankunftshalle und traten hinaus in den Sonnenschein. Winkend zog ich die Aufmerksamkeit meines Cousins auf mich, der das Auto zu uns rollen ließ und dann ausstieg, um Pierre zu begrüßen.

Ihre Begrüßung wirkte herzlicher als die zwischen uns, wenn ich ehrlich war.

Okay, ich hatte die Schnauze voll. Ich musste die Beziehung beenden, es half alles nichts.

Allerdings musste ich jetzt die Hochzeit über noch mit ihm weiterhin zusammen bleiben, sonst wäre das alles ein wenig komisch.

Aber damit war mein Entschluss gefasst.

Ich schob mich auf den Beifahrersitz neben Leo und war recht wortkarg während der Autofahrt, die Leo Pierre über sein Masterstudium ausfragte. Die beiden hatten sich schon länger nicht mehr gesehen – seit Leos und Caros Hochzeit letztes Jahr, wenn ich es mir recht überlegte. Seitdem war ich immer auf Achse gewesen, und wenn ich mal kurz zu Hause gewesen war bei meinen Eltern, war ich immer allein dort gewesen.

Gedankenverloren zog ich mein Handy unter meinem Oberschenkel hervor und tippte eine Nachricht an Sam: ‚Ich werde die Beziehung nach eurer Hochzeit beenden. Es hat einfach keinen Sinn und Zweck. Du hattest vorhin Recht, als du meintest, ich soll auf mein Gefühl hören. Ich hab einfach nichts gefühlt, als ich ihn gesehen und zur Begrüßung geküsst hab, Sam. Nichts.'

Eine Sekunde später erschien das Online unter ihrem Namen und ihre Antwort trudelte bei mir ein.

‚Das hätte dir auch ein paar Tage früher einfallen können, dann müsstest du jetzt nicht gezwungenermaßen das Wochenende mit ihm verbringen, bevor du es beendest, du Genie...😓🥺 '

Ich aktivierte die Sperre und mein Display wurde schwarz. Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht.

Aber jetzt war es zu spät dafür.

Natürlich blieb Sam aber nicht die Einzige, die mir das sagte. Als wir zurück beim Anwesen waren und Pierre gerade duschen war, ließ ich mich neben Caro auf einen der Terrassenstühle sinken. Sie saß auf dem Boden, ungefähr zwei Meter von Rafael entfernt, und spielte Ball mit ihm – sie rollte ihm das flauschige Ding zwischen die dicken Babybeinchen, er quietschte vergnügt und stieß den Ball zurück. Als Rafi mich sah, streckte er die Arme aus, sodass ich aufstand, den Kleinen hochhob und mich mit ihm auf dem Schoß zurück auf den Stuhl setzte.

„Sam hat's mir erzählt." Typisch Caro, sie ließ nichts anbrennen.

Seufzend zog sie die Stirn in Falten und sah mich besorgt an. „Jana, das hättest du dir vorher überlegen müssen... Dir war doch schon lange klar, dass das nichts mehr ist zwischen euch, oder?"

„Ja. Wahrscheinlich schon", gab ich zu.

„Weißt du, Liebe ist nicht nur Schmetterlinge im Bauch haben und head over heels verliebt sein", sagte Caro, erhob sich vom Boden, drückte dem quäkenden Rafael den Ball in die Hand und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Sie schob ihre hellen Haare über ihre Schulter und fuhr fort: „Irgendwann sind diese Schmetterlinge weg. Dieses kribbelige Gefühl. Stattdessen fühlst du eine tiefe Ruhe in dir, wenn dein Partner dich ansieht oder dich in den Arm nimmt. Du fühlst dich wie zu Hause. Liebe ist nicht nur ein Gefühl, Liebe ist auch eine Entscheidung. Man entscheidet sich, dass man sein Leben mit jemandem teilt, und zwar alles. Die guten sowie die schlechten Tage. Und man entscheidet sich dafür, dass man die schlechten Tage des anderen mit ihm durchsteht. Eine Beziehung ist nicht immer 50-50, manchmal ist sie auch 80-20 und du hilfst dem anderen vom Boden auf, während du dich selbst hinten anstellst."

Sie zuckte mit den Schultern und strich Rafael über seinen kleinen Kopf, der sich jetzt an mich geschmiegt hatte und ganz auf den flauschigen Ball in seinen kleinen Händen konzentriert war.

„Die Frage ist halt immer weiterhin, ob du die Gefühle der anderen Person gegenüber weiterhin hast. Sie festigen sich und irgendwann werden sie ein Teil von dir. Das ist Liebe."

„Du solltest ein Buch darüber schreibe, Frau Carolina Ferroni", schniefte ich, um mich selbst ein wenig aufzuheitern, da ihre Worte mir Tränen in die Augen getrieben hatten.

„Nein. Diese Worte sind nur für die wichtigsten Personen in meinem Leben da", gab sie lächelnd zurück und nahm mir Rafi vom Schoß, weil er jetzt schon dreimal „Maaaama" gebrabbelt und seine Ärmchen nach ihr ausgestreckt hatte.

„Es gibt eine Sache, die du unbedingt in deinem Leben lernen musst, Jana. Dringender als alles Andere", meinte Caro. „Ich meine das nicht böse, bitte vergiss das nicht. Aber, Jana, du musst lernen, dass du der Wahrheit ins Gesicht schaust. Du musst aufhören, dich immer und ständig selbst anzulügen."

Wow. Das hatte gesessen.

„Lass es mich erklären." Caro hob eine Hand in die Höhe, da ihr mein Blick natürlich nicht entgangen war. „Du lügst dich wegen Pierre an, du lügst dich wegen deiner mentalen Gesundheit an, und du lügst dich wegen deines Jobs an. Du weißt, ich bin immer für dich da und helfe dir, wenn du irgendwas alleine nicht schaffst. Und wenn du mal ein anderes Ohr als Sams Ohr brauchst, dass dir zuhört und dir hilft. Es schadet nie, eine weitere Denkweise zu hören. Einfach nur als Hilfe."

„Danke, Caro", murmelte ich und bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte Rafael plötzlich laut gequietscht und lachte los, weil ihm der Ball runtergefallen und über den Boden gekullert war.

Caro und ich lachten genauso los, und damit war das ernste Gespräch beendet.

„Möchtest du mit ihm spielen?", fragte Caro grinsend und ich schob mich von meinem Stuhl, damit ich mich in Position bringen konnte, um mit dem Kleinen spielen zu können.

„Hat Sam dir gesagt, ob 5 Seconds of Summer kommen oder nicht?"

Für eine Sekunde war ich nicht in der Lage zu antworten.

„Was?" Mit großen Augen sah ich die beste Freundin meiner Cousine und die Frau meines Cousins an. Ich drehte den Ball zwischen den Händen und starrte sie an.

„Komm schon, ich weiß, dass du die Gästeliste gesehen hast", sagte Caro leicht lächelnd und nahm mir den Ball aus der Hand, um ihn Rafael zuwerfen zu können. „Hat sie es dir gesagt?"

„Nein", antwortete ich schlicht.

„Okay", war alles, was Caro zurückgab.

„Warum?", hakte ich misstrauisch nach.

Caro zuckte mit den Schultern und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie nippte an ihrem Wein, stellte ihr Glas in Ruhe auf dem Tisch ab, bevor sie mir eine Antwort gab.

„Sam hat eine Antwort von ihnen bekommen und hat darüber nachgedacht, ob sie es dir sagen soll oder nicht, ob sie zugesagt oder abgesagt haben. Aber anscheinend hat sie sich dagegen entschieden."

Meine Augen kniffen sich leicht zusammen.

„Was willst du mir damit sagen?"

„Nichts", meinte sie. „Ich wollte einfach nur wissen, ob Sam es dir gesagt hat. Denn egal, wie die Jungs sich entscheiden, es hat immer etwas mit dir zu tun."

„Wieso?"

„Wieso? Ernsthaft, Jana?" Caro lachte ungläubig. „Weil Luke genau weiß, dass du als Sams Cousine da sein wirst. Also musste er sich dafür oder dagegen entscheiden, dir wieder über den Weg zu laufen."

Als sie seinen Namen aussprach, rumorte es in meinem Magen ein wenig und ich spürte, wie meine Wangen ein wenig rot anliefen. – Ein wenig. Mein Gesicht glühte förmlich.

„Weißt du es?"

„Ob sie abgesagt oder zugesagt haben?"

Ich nickte.

„Ja. Ich weiß es."

Sie machte eine Pause, dann sagte sie: „Ich werde aber einen Teufel tun und dir irgendetwas sagen. Das ist nicht meine Angelegenheit. Ich bin vielleicht Trauzeugin, aber ich mische mich in diese Sache bestimmt nicht ein. Am Ende gibt es noch rollende Köpfe, weil ich was gesagt habe."

Die gab es jetzt schon. Meiner rollte schon, denn ich wusste jetzt, dass Luke über mich nachgedacht haben musste.

Dass mein Name und mein Gesicht in seinem Kopf aufgetaucht waren, als er die Einladung erhalten hatte.

Vielleicht hatte er sogar mit den anderen über mich gesprochen? Vielleicht hatte er mit Calum darüber gesprochen, dass er mich nicht mehr sehen wollte, nie nie wieder? Vielleicht hatte er zu Michael gesagt, dass er hingehen wollte, oder Ashton hatte ihm einen Tipp gegeben?

„Jana."

„Hm?"

Ruckartig wurde ich von Caro, die mich mit intensivem Blick ansah, wieder auf den Teppich der Realität befördert.

„Du drehst grad vollkommen hohl, ich seh's dir doch an", stellte sie seufzend fest. „Denk nicht dran, okay?"

Das war leichter gesagt als getan.

Aber vorerst musste ich mich noch mit meinem Freund beschäftigen, der in diesem Moment gemeinsam mit Leo auf die Terrasse kam.

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