#17 - Das reinste Desaster auf zwei Beinen

Himmel nochmal, ich war immer noch ganz platt. Sie heirateten! Dieses Wochenende!

Kopfschüttelnd starrte ich an die Decke des Gästezimmers, in dem ich schlief. So etwas konnte auch nur Sam einfallen, dass sie die Hochzeit mal eben um vier Monate verschob!

Manchmal bewunderte ich sie einfach dafür, wie spontan sie sein konnte – und wie easy sie die Sachen einfach nahm. Du willst im Herbst heiraten, hast aber absolut keine Zeit, weil ihr beide Superstars seid? Ach, macht nichts, dann verschieben wir die Hochzeit eben nicht nach hinten, sondern nach vorne!

Ich kam einfach nicht drauf klar.

Ich richtete mich auf und griff nach meinem Handy. Sam hatte mich vorhin gefragt, ob sie Pierre einladen soll. Ob ich ihn dabei haben wollte. Oder ... wie die Sachlage aussah.

Und ich hatte ihr keine Antwort geben können.

Ehrlich gesagt war ich mir immer noch nicht sicher, was ich wollte. Wollte ich alles wieder geradebiegen mit ihm?

Theoretisch war ich ja immer glücklich gewesen mit ihm.

Also ... vorher. Bisher. Nur irgendwie ... grad nicht mehr so.

Aber nur weil man mal nicht glücklich war, musste man ja nicht gleich alles aufgeben, oder?

Da war er wieder der schmale Grat zwischen Aufgeben und Weitermachen. Zwischen ‚Daran-festhalten' und ‚Nicht loslassen können', zwischen ‚aufgeben' und ‚verstehen, dass man besser gehen sollte'.

Denn das war das Schwierige – zu verstehen, wann man an der Linie angekommen war. An dieser feinen, durchsichtigen Linie, die einem sagte, dass es genug war. Oder die einem sage, hey, hier ist die Grenze, nun musst du dich entscheiden, was du tust.

Und exakt dafür war ich nicht bereit. Für eine Entscheidung.

Also schob ich sie wie immer. Und schickte Pierre eine Sprachnachricht – anrufen konnte ich ihn nicht mehr, es war halb zwei in Deutschland, was hieß, dass er schon längst schlief.

Ich ignorierte all seine Nachricht, drückte auf das kleine Mikrofon und schob den Finger auf das kleine Schloss-Symbol, sobald es erschien.

„Hey Pierre..." Meine Stimme klang dünn, weswegen ich mich erst einmal kurz räusperte.

Super, das klang ja jetzt total mickrig, sicher würde er sich denken, was er nur für eine Loserin als Freundin hatte...

Okay, reiß dich zusammen, Jana, du schaffst das.

„Ich wollte dir nur sagen, dass es mir gut geht und du dir keine Sorgen um mich machen brauchst. Wie ich dir ja geschrieben habe, bin ich bei Sam in London" – Himmel nochmal, was weiß er doch, komm endlich zum Punkt, Jana! – „und genau deswegen melde ich mich auch bei dir... Sam und Harry heiraten am Samstag. Ich weiß, das ist total verrückt und die gesamte Familie steht gerade Kopf deswegen, weil sie es niemandem bisher gesagt haben, aber ... ich wollte dir das sagen. Und du bist..." – oh man, das Nächste ging ganz schön schwer über die Lippen... – „als mein Freund natürlich ebenfalls zur Hochzeit meiner Cousine eingeladen. Hab ich gesagt, dass sie Samstag ist?" – Ich kniff die Augen peinlich berührt zusammen. Scheiße, bring die Nachricht endlich zu Ende, du Idiotin. – „Bitte gib mir bis morgen Bescheid, ob du herkommen möchtest, dann bucht Sam dir einen Flug. Ich würde mich freuen..."

Der Satz fühlte sich einerseits total falsch an und andererseits auch richtig, als ich ihn aussprach.

„Ich wünsch dir einen schönen Tag in der Uni, ich freu mich, von dir zu hören."

Ich tippte auf das kleine Symbol und schickte die Nachricht ab.

Dann ließ ich mich wieder rückwärts aufs Bett plumpsen und atmete schwer aus.

Gott, ich war das reinste Desaster auf zwei Beinen.

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„Bist du endlich so weit? Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf dich, Fräulein Ferroni!"

Sam lehnte ungeduldig im Türrahmen des Gästebadezimmers, in dem ich gerade stand und mir die Haare zu zwei Zöpfen flocht. Langsam ging sie mir auf die Nerven! Was war denn los mit ihr? Vor gerade einmal einer halben Stunde war sie vom Videodreh wiedergekommen, hatte schon geduscht, war frisch geschminkt und trieb mich nun seit fünf Minuten an, endlich mitzukommen, dabei hatte sie mir noch nicht einmal mitgeteilt, wo wir hinfuhren!

„Ja, man, ich bin fertig", gab ich patzig zurück. Ich seufzte. „Sorry, wollte nicht so unfreundlich sein... Verrätst du mir endlich, wo wir hinfahren?"

Ich folgte meiner Cousine, die ihren schwarzen Lockenhaufen zu einem bezaubernden lockeren Dutt hochgesteckt hatte, zur Wohnungstür. Sam schlüpfte in ein Paar Ballerinas und griff nach ihrem Autoschlüssel. Dann drehte sie sich grinsend zu mir um.

„Wir fahren Kleid kaufen", sagte sie und ihre Augen funkelten.

Meine Kinnlade fiel nach unten. Oh. Mein. Gott.

„Echt jetzt?!", quietschte ich und suchte nach meinen Converse, die ich hier in ihrem Schuhschrank deponiert hatte. „Nur wir zwei?!"

„Klar", bestätigte Sam, bugsierte mich sachte aus der Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. „Ich brauche keine sieben Beraterinnen, die eh alle eine andere Meinung haben. Theoretisch brauche ich gar keine Beraterin, du kennst mich, ich nehme eh das, was mir gefällt, aber ich möchte trotzdem, dass du mitkommst."

„Charmant", kommentierte ich schnaubend, aber ich wusste, dass sie es nicht böse meinte.

„Und morgen fahren wir zum Herrenhaus", eröffnete sie mir, als wir unten in der Tiefgarage in Sams Auto stiegen.

„Dorthin, wo ihr heiratet? Oh Gott, wie geil!"

Ich sah schon, die nächsten Tage waren gespickt von Hochzeitsvorbereitungen, und ich würde alles, alles miterleben!

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Hätte ich gewusst, wie intensiv die Hochzeitsvorbereitungen waren, wäre ich am Montag sicher in Ohnmacht gefallen.

Denn glaubt mir, oh sie waren intensiv! Versucht mal, eine Hochzeit in fünf Tagen auf die Beine zu stellen!

Es stellte sich nämlich heraus, dass Harry und Sam bisher noch nichts geplant gehabt hatten, bevor sie mir von ihren Hochzeitsplänen erzählt hatten.

Jap, ganz schön spontan, sogar ein bisschen zu spontan, wenn ihr mich fragt. Sam konnte von Glück sprechen, dass ihre Mom am Mittwochmorgen schon nach London kam, denn Alessandra Ferroni war wahrlich eine Organisationskönigin. Ohne sie wäre das ganze wohl eher ein Fiasko als eine schöne Hochzeit geworden.

Als wir Dienstag zur Location des Ganzen gefahren waren, wäre ich wirklich beinahe umgefallen.

Sie wollten sich das Jawort im Rosengarten eines antiken Landhauses geben. Das Haus selbst konnte man als Ferienhaus mieten (was sicher niemand tat, denn keine Sau konnte sich das leisten, so viel kostete es bestimmt!), es besaß unfassbar viele Zimmer – und wenn ich ehrlich war, erinnerte es mich eher an ein Schloss als an ein Landhaus – , was total cool war, denn so konnten alle Gäste hier untergebracht werden und niemand musste nachts nach Hause oder ins Hotel fahren.

Es sprach also alles für die Party des Jahres, und ich würde mich so sehr reinschmeißen!

Okay, vielleicht nicht zu sehr, den Pierre hatte nach eineinhalb Tagen Bedenkzeit entschieden, dass er tatsächlich kommen wollte. Ich war nicht ganz sicher, ob ich mich gefreut hatte, als er mir das eröffnet hatte, oder ob mein Magen einen kleinen Hopser gemacht hatte, weil mein Herz nach unten gesunken war und er sich erschrocken hatte und es nur wieder an seinen richtigen Ort hatte zurückbefördern wollen.

Egal, Pierre würde Freitagabend herkommen, und das war das Einzige, was wichtig war.

Und dann würde ich schon sehen, wie es mir ging – ob ich ihn vermisst hatte oder nicht, ob ich mich freute, ihn zu sehen, oder nicht – , wenn ich ihn vom Flughafen abholte, oder? Oder?!

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