#13 - Obama & der Weihnachtsmann
Und Recht hatte sie natürlich absolut damit.
„Deswegen überlege dir genau, was du willst und was du nicht willst, Jana. Oder wen."
„Jaaa, du hast Recht, aber hast du dir schon mal überlegt, was alles dranhängt, wenn ich wirklich Schluss mache...?", meinte ich seufzend und runzelte die Stirn.
„Ja. Du musst ausziehen. Na und? Dann suchst du dir die Stadt raus, auf die du am meisten Bock hast, suchst dir eine Bude und fertig. Ich seh das Problem nicht", entgegnete Sam und sah mich erwartungsvoll an.
Ja, sie hatte leicht reden, sie war so en aktiver Mensch, der mit sowas kein Problem hatte – aber ich war dämlich und paralysiert und depressiv und ängstlich und einfach nicht in der Lage, so etwas zu tun.
„Das ist alles Kopfsache."
Bumm. Auch das hatte wieder gesessen.
Als könnte Sam meine Gedanken lesen, wusste sie genau, was sie sagen musste, um mit ihren Worten direkt in mein Herz zu treffen.
Wieder fixierten ihre grünen Augen die meinen.
„Das ist alles in deinem Kopf, Jana", nachdrücklich tippte sie mit dem Zeigefinger leicht gegen meine Schläfe. „Du bist weder zu schwach noch zu ängstlich. Du traust dich einfach nur nicht. Dein Kopf hält dich davon ab. – Okay, wenn dein Kopf die Klappe halten würde, was sagt dein Herz, was du tun sollst?", erkundigte sie sich mit bedeutungsschwangerem Blick.
Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Unterbrochen wurden meine Gedanken nach einem Augenblick schon, und zwar durch die Türklingel, die Sam aufspringen ließ.
„Unser Esseeeeeen!", frohlockte sie und stürmte los.
Sie kam wieder, bewaffnet mit einer großen schwarzen Box und zwei Tellern. Sie reichte mir den einen, gab mir gleich mal Stäbchen und öffnete dann die Box, die mich zum Staunen brachte, denn sie war mit mehreren Stockwerken (oder wie nannte man das bei einer Essensbox?!) und sah einfach wie der Himmel auf Erden aus.
„Und, hat sich dein Herz schon zu Wort gemeldet, was es machen würde, wenn dein Kopf es nicht anleinen würde wie einen kleinen Hund?", erkundigte Sam sich nachdrücklich und schob sich das erste Sushiröllchen in den Mund.
„Ich würde alles hinschmeißen", sagte ich mit monotoner Stimme. Wie ein Häufchen Elend saß ich vor ihr und sah sie an. „Ich würde Schluss machen, würde ausziehen, würde meine Handynummer ändern, würde auswandern und würde irgendwo bei Null nochmal anfangen."
„Okay, okay, so dramatisch muss man das Ganze jetzt auch nicht gleich angehen, Hase", bremste Sam mich und hielt die Hände beruhigend in die Höhe. Sie deutete mit ihren Stäbchen auf mich und erklärte mir: „Fang doch erst einmal klein an, damit das Ganze auch überhaupt mal passiert. Überleg dir doch erst einmal, in was für eine Stadt du ziehen möchtest. Und dann überlegst du dir, wo du dich für Rollen bewerben möchtest."
„London."
Das war meine erste Antwort und würde auch die einzige bleiben.
„London?", wiederholte Sam, sah aber nicht sonderlich überrascht aus.
„Ja. London."
„Wieso London?", hakte sie nach. „Gib mir ein paar Gründe."
„Ich mag die Stadt", meinte ich. „Sie ist einfach europäisch." (Mal sehen, wie lange noch, haha.) „Sie ist keine oberflächliche, amerikanische Plastik-Stadt. Die Amis sind einfach nicht mein Fall. Ich mag die Briten. Ich mag ihren Humor, ich mag ihr Verhalten. Mich stört auch das Wetter nicht. Berlins Wetter ist auch nicht sonderlich besser, hab ich so das Gefühl. Außerdem wäre ich nicht so ewig weit weg von unserer Familie. Das wäre nicht jedes Mal eine Ewigkeitsreise, wenn man nach Hause möchte. Und nicht so teuer. Und ... du bist hier", schloss ich meine Argumentation schulterzuckend. „London ist's einfach für mich."
Sam nickte vor sich hin und stopfte sich nachdenklich die nächste Rolle in den Mund. Ich sollte auch endlich mal anfangen, was zu essen, sonst a) fiel ich bald vom Fleisch und b) bekam ich nichts mehr ab, weil meine hungrige Cousine alles aufgefuttert hatte, weil ihr Tanzen sie so ausgepowert hatte.
„Liebst du ihn denn?"
Und schon haute sie mir die nächste Frage um die Ohren. So einfach aus dem Nichts.
„Oder lass es mich anders formulieren", sagte sie und kratzte sich mit dem Stäbchen in ihrem riesigen schwarzen Lockenhaufen auf ihrem Kopf, „vermisst du ihn? Hast du das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen? Ihm von deinem Leben zu erzählen? Ihm alles zu sagen, was dich beschäftigt?"
„Nein."
Es dauerte ein wenig, bis ich die Antwort gab, doch sie kam. Klar und deutlich. Zwar leise, aber unüberhörbar.
„Denn so sollte das eigentlich sein", meinte Sam und legte für einen Moment die Stäbchen ab. „Eigentlich solltest du bei jeder Sache, die an deinem Tag passiert, das Gefühl haben, dass du es deinem Partner erzählen möchtest. Wenn ihr euch weit weg voneinander befindet, dann solltest du dich danach sehnen, ihm am Abend von deinem Tag zu erzählen, ihm zu sagen, was passiert ist, was dich beschäftigt und wieso es dich beschäftigt. Du möchtest seine Reaktion sehen, was er dazu sagt. Wie ihr euch darüber unterhalten könnt. Und du möchtest wissen, was er tut. Mit wem er seine Zeit verbracht hat, während du nicht da bist. Einfach dieses krasse Bedürfnis, ein absolut wichtiger Part im Leben des Anderen zu spielen, den man nicht mehr wegdenken kann. ... Hast du dieses Bedürfnis?"
Diesmal dauerte es länger, bis ich die Antwort gab. Nicht weil ich nicht wusste, was ich antworten sollte, sondern weil ich Angst vor der Antwort hatte.
Ich konnte sie für eine geschlagene Minute nicht aussprechen.
Doch dann schaffte ich es.
„Nein."
„Was nein."
„Nein, ich habe dieses Bedürfnis nicht."
„Hattest du es mal?"
„Pierre gegenüber?"
„Ne, dem Weihnachtsmann", konterte Sam augenverdrehend. „Natürlich Pierre."
„Klar", bestätigte ich schlicht. „Ich wäre nicht so lange jetzt mit ihm zusammen, wenn ich nicht gedacht hätte, dass das absolut richtig ist und sich gut anfühlt. Er ist ja auch total lieb, er hat mich nie schlecht behandelt, aber irgendwie ... irgendwas hat sich verändert. Oder so. Keine Ahnung."
Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
„Du hast dich verändert. Deine Sicht auf die Welt hat sich verändert. Er hat sich vielleicht auch verändert. Obama hat sich verändert, weiß was ich", sagte Sam, um die Situation ein wenig aufzulockern, was ihr mit dieser Aussage natürlich auch gelang. Ich musste gegen meinen Willen grinsen und futterte endlich die nächste Sushirolle.
Während ich akribisch kaute, überlegte ich. Nachdem ich runtergeschluckt hatte, sagte ich: „Ja, wahrscheinlich haben wir uns verändert, und Obama auch. Aber das bedeutet ja nicht automatisch, dass man sich dann nicht mehr liebt. Ich mag den englischen Ausdruck dafür – to fall out of love. Nicht sich verlieben, sondern sich entlieben. Und das ist irgendwie passiert." Ich stockte. „Aber Saaaam, er sagt, er liebt mich noch so sehr! Vielleicht liebe ich ihn ja auch eigentlich, aber nur grade bin ich nicht in der Lage für diese Gefühle!"
„Und?"
„Und wenn ich Schluss mache und mein Leben in den Griff kriege, dann merke ich vielleicht irgendwann, dass ich niemals hätte Schluss machen sollen und dass er der Einzige für mich ist und ich kriege ihn aber nie wieder zurück!", platzte ich jammernd heraus und sah sie schockiert an.
Sam verzog den Mund und seufzte.
„Ja, das könnte auch passieren", gab sie zu. Ich war ihr dankbar, dass sie mich nicht anlog oder versuchte, mir irgendetwas schön zu reden. „Es kann beides sein. Es kann sein, dass es das Beste für dich ist, die Beziehung zu beenden und neu anzufangen, es könnte aber auch sein, dass es dein größter Fehler ist, wenn du Schluss machst. Ich weiß es nicht, Jana."
„Und was mache ich jetzt?!", fragte ich sie niedergeschlagen.
„Das kann ich für dich nicht entscheiden. Das musst du wissen. Das muss dein Herz entscheiden, und dein Kopf muss das entscheiden. Und nur wenn es sich richtig anfühlt, dann musst du das tun, wofür du dich entschieden hast."
„Super."
Das Wort triefte nur so vor Ironie.
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