#12 - Beziehungen
Verdammt man, ich liebte Sams und Harrys Haus einfach. Es war wie aus einem Traum entsprungen. So wunderschön eingerichtet, so hell und offen, man wollte gar nicht mehr gehen, wenn man einmal dort war.
Ich ließ mich mit einem tiefen Seufzer auf der riesigen Couch nieder und kuschelte mich in eine flauschige Decke, während Sam duschen ging und dann mit halb nassen Haaren und in Jogginghose und Tanktop zurückkam und sich neben mich schmiss.
„Hast du dich keinen Millimeter bewegt, während ich duschen war?", fragte sie misstrauisch und gleichzeitig belustigt.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nö, ich habe einfach die Stille genossen", seufzte ich und fuhr mit den Fingern über eins der flauschigen Kissen.
„Und die Tatsache, dass ich ... mich ein wenig besser fühle. Und dass ich einfach mal nicht nachgedacht habe, sobald ich alleine in einem Raum bin", gab ich zu.
Ich drehte mich zur Seite und sah sie an. Mein Blick begegnete dem besorgten Blick aus ihren katzengrünen Augen. Ihre schwarzen Augenbrauen waren zusammengezogen und eine steile Falte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. Sie setzte sich im Schneidersitz vor mich und schürzte die Lippen. Für einen Moment dachte ich, ich würde nun einen riesigen Vortrag von Sam bekommen, wie sie mir helfen wollte und was ich tun konnte und was wir nun alles machen würden, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen – doch das Nächste, was sie sagte, war: „Möchtest du dir dein Sushi raussuchen oder soll ich eine riesige Für-zwei-Personen-Box bestellen?"
Ein wenig verwirrt von ihrer Frage, weil ich ja mit einer Therapiestunde gerechnet hatte, sah ich sie mit riesengroßen Kulleraugen an, bis ich in der Lage war, über ihre Frage nachzudenken.
„Box", sagte ich und nickte bestätigend. Das klang einwandfrei.
„Alles klar."
Sie tippte auf ihrem Handy rum und es dauerte keine Minute, dann schmiss sie es auf ein Kissen und hatte ihre Bestellung wohl abgeschlossen.
„Das ist ein Laden, bei dem ich schon immer das Sushi kaufe", erzählte sie, „die wissen, dass dieses Haus von niemand Geringerem als Harry Styles – und mir, aber ich bin unwichtig – ist und gehen mit dieser Information", das Wort bekam von ihr Gänsefüßchen in der Luft, „auch vertraulich um. Obwohl die Presse ehrlich gesagt schon weiß, dass wir hier wohnen." Sam zuckte mit den Schultern. „Wir haben nicht einmal versucht, das damals geheim zu halten, das bringt ja eh nichts."
„Ich glaube, die Öffentlichkeit hatte schneller eure Adresse, als ich sie hatte", scherzte ich und Sam lachte.
„Naja, ganz so schlimm war es jetzt nicht!", verteidigte sie sich grinsend. „Aber fast", lenkte sie nach ein paar Momenten des Nachdenkens ein und zuckte mit den Schultern.
„Möchtest du morgen mitkommen zum Videodreh oder hast du schon was Anderes vor?", erkundigte Sam sich und setzte sich jetzt bequemer hin, sodass sie die Beine überschlagen konnte.
„Ich habe überhaupt nichts geplant. Ich habe meine Sachen gepackt, ein Ticket gebucht – wirklich in dieser Reihenfolge – und dann bin ich zum Flughafen gefahren", eröffnete ich meiner Cousine und kratzte mich am Kopf.
Sam zog eine Augenbraue nach oben. Sie merkte ganz genau, dass mein komischer Unterton etwas aussagen sollte, was sie allerdings noch nicht verstanden hatte.
„Jana?", hakte sie nach und sah mich erwartungsvoll an. Ich verdrehte die Augen und atmete hörbar aus. Frustriert drückte ich mir ein Kissen ins Gesicht. Als Sam versuchte, es wegzuziehen, gab ich nicht nach.
„Jana!"
„Oh man!", machte ich, „ich hab niemandem davon erzählt."
Das Kissen dämpfte meine Aussage, aber leider nicht die Aussage an sich.
„Was meinst du damit?", fragte Sam und war dabei so auf der Hut, als könnte ich jeden Moment in Flammen aufgehen oder explodieren oder einen zweiten Kopf bekommen.
„Warte ..."
Oh oh, sie schien draufzukommen.
„Nein."
Jepp, sie war draufgekommen.
„Neeeein!? Du hast es Pierre nicht gesagt!?"
Mein Schweigen deutete sie als die richtige Antwort.
„Oh man, Jana."
Ich schielte über den Kissenrand zu meiner Cousine und sah, wie sie den Kopf schüttelte. Dann riss sie so plötzlich das Kissen weg, dass ich nicht schnell genug reagieren konnte. Niedergeschlagen sah ich sie an.
„Ich hoffe, du hast wenigstens kein schlechtes Gewissen!", sagte sie herausfordernd und zog eine Augenbraue hoch.
„Hä?", machte ich verwirrt und setzte mich auf. Ich strich mir meine wirren Haare aus der Stirn. „Was meinst du denn damit?!"
„Naja, wenn du so eine Aktion bringst, dann hoffe ich wenigstens, dass es sich richtig angefühlt hat und dass du es nicht bereust und kein schlechtes Gewissen hast?", fragte sie mit immer noch einer hochgezogenen Augenbraue.
„Hab ich nicht", gab ich zerknirscht zu. „Aber sollte ich das nicht eigentlich haben..?"
„Nein." Ihre Antwort war klipp und klar. Sam rutschte näher zu mir und fixierte mich mit ihrem Blick. „Jana. Hier geht es jetzt um dich. Du fühlst dich nicht wohl. Weder in Berlin noch in deiner Wohnung noch in deiner Beziehung noch in deinen Jobs. Also musst du das ändern. Und wenn das bedeutet, dass du auch was an oder in deiner Beziehung ändern musst, dann ist das so. Punkt. Oder wenn du denkst, ihr müsst euch trennen, dann ist das so. Oder wenn du findest, ihr solltet eine Pause einlegen."
„Pausen in Beziehungen find ich so bescheuert", unterbrach ich sie schnaubend, „das macht man nur, wenn man zu feige ist, sich zu trennen."
Sam hielt mir die Hand für ein Highfive hin und ich schlug ein.
„Sehe ich auch so", meinte sie. „Man macht, was Beziehungen angeht, keine halben Sachen. Von sowas halte ich gar nichts. Man erwartet vom Anderen, dass er 100 Prozent gibt und ehrlich ist, also muss man das auch zurückgeben. Eine zwischenmenschliche Sache, die über Freundschaft hinausgeht, kann nicht als nebensächlich gesehen werden."
Amen, Samantha Ferroni.
„Und deswegen nervt es mich auch so unfassbar, wenn Leute sich schlecht fühlen, wenn sie in einer Beziehung unzufrieden oder unglücklich sind. Mann, niemand verpflichtet dich, mit einem Menschen für immer zusammenzusein!" Sie hatte sich jetzt in Fahrt geredet und fuchtelte wie immer wild mit den Händen herum, wenn ihre Emotionen sie so überkamen. Diese italienischen Gene halt. „Wenn eine Beziehung vorbei ist, dann ist sie vorbei. Dann sollte sie so nicht sein, wie sie existiert hat. Ich habe letztens einen schönen Spruch gelesen."
„Erzähl."
„Wenn zwei sich trennen, bekommen vier die Chance, glücklich zu werden."
„Wow", hauchte ich und spürte die Gänsehaut, die sich über meine Arme zog. Ich starrte Sam mit leicht geöffnetem Mund an. „Wow."
„Ja", bestätigte sie nickend, „das habe ich mir auch gedacht. So wenig Worte, und so wahr. – Ja, Trennungen sind immer scheiße. Selbst wenn sie für einen selbst nicht so schlimm ist, dann ist es oft so, dass es für den Anderen aber schlimm ist, und deswegen ist sie für dich selbst dann auch schlimm, weil du weißt, dass der Andere deinetwegen so leidet. Dass du der Grund für sein Elend und seine Tränen bist."
Ich schluckte.
„Aber lieber ist man ehrlich. Lieber trennt man sich und verletzt den Anderen, als dass man zusammenbleibt und spielt ihm was vor. Denn da wird am Ende nicht nur einer verletzt, sondern mindestens zwei, wenn nicht sogar drei."
Sie musste nicht mehr dazu erklären, ich verstand genau, was sie meinte. Vorgespielte Gefühle beeinflussten nicht nur die beiden Personen in der Beziehung, sondern auch zum Beispiel jemanden, den die eine Person kennenlernte. Wie sagst du jemanden – joa sorry, ich bin in einer Beziehung, aber ich liebe meinen Partner nicht – ähm, das kauft dir keiner ab. Also werden mehr Menschen verletzt, als dass es nötig ist.
Und genau das meinte Sam.
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